E.T.A. Hoffmann – Der Ghoul (Gruselkabinett Folge 186)


Die Braut des Teufels

Als der junge Graf Hyppolit die anmutige Aurelie kennenlernt, ist es Liebe auf den ersten Blick. Schon kurz darauf heiratet er seine Angebetete. Doch was hat es mit den nächtlichen Ausflügen auf sich, die Aurelie unternimmt, sobald ihr Gatte auf mysteriöse Weise in einen tiefen Schlaf gefallen ist? Der Graf beschließt, dem Geheimnis auf die Spur zu kommen und verfolgt seine Frau … (Verlaginfo)

Der Verlag empfiehlt das Hörbuch ab 14 Jahren.


Der Autor

Ernst Theodor Amadeus Hoffmann lebte von 1776 bis 1822. Zu seinen Hauptwerken zählen die Romane „Die Elixiere des Teufels“ und „Lebensansichten des Katers Murr“ sowie diverse Erzählungssammlungen, vor allem „Die Serapionsbrüder“. Er schrieb auch eine Oper mit dem Titel „Undine“. Als „Gespenster-Hoffmann“ abqualifiziert, markiert er Höhepunkt und Spätphase der deutschen, der Schwarzen Romantik. „Der Sandmann“ (Gruselkabinett Folge 42) ist eine seiner bekanntesten Erzählungen und darf in keiner Geschichtensammlung über frühe Roboter und Automaten fehlen.

Die Sprecher/Die Inszenierung

Die Rollen und ihre Sprecher:

Erzähler: Thomas Balou Martin
Graf Hyppolit: Jesse Grimm
Oheim: Jürgen Thormann
Diener: Thomas Raczko
Baroness: Arianne Borbach
Aurelie: Uschi Hugo
Bernardo: David Berton
Polizei-Sergeant: Ferdi Özten
Babette: Katharina von Keller
Medicus: Lutz Reichert
Leichenfresserinnen: Marc Gruppe, Dana Fischer

Die Macher

Regie führten die Produzenten Marc Gruppe und Stephan Bosenius. Die Aufnahmen fanden im Titania Medien Studio, bei AMI Productions und in den Planet Earth Studios sowie bei Advertunes statt. Die Illustration trug Osman Askin bei.

Handlung

Als der junge Graf Hyppolit von seinen Reisen in fremde Länder zurückkehrt, sieht er sich als Erbe eines Schlosses in einer schönen Gegend, das seiner Familie seit Generationen gehört hat.Mit der Renovierung vergeht ein Jahr, als ihm sein Onkel und andere den Wunsch äußern, dass er möglichst bald heirate und für einen Stammhalter sorge. Die qual der Wahl beginnt.

Eines Tages meldet ein Diener eine alte Baronesse, doch der Onkel warnt Hyppolit vor der Frau. Inder Residenzstadt sei sie in einen Kriminalprozess verwickelt gewesen. Die Baronesse wird dennoch vorgelassen und stellt ihr liebliches Töchterlein vor: Sie hört auf den Namen Aurelie. Hyppolit erlaubt der Baronesse und Aurelie, im Schloss zu logieren. Die Alte wankt einen Augenblick und ergreift – offenbar dankbar – Hyppolits Hand: Wie eigenartig kühl sie sich anfühlt, fast wie eine lebende Leiche. „Nur ein Starrkrampf“, sagt Aurelie entschuldigend. Ganz anders lässt sich Aurelies Hand küsst, und Hyppolit wird dabei leidenschaftlich. Unterdessen erholt sich die Alte und nimmt die Einladung an.

Tage vergehen. Dass die Alte nachts auf dem Friedhof spazieren geht, beunruhigt den Onkel. Hyppolit schlägt die Warnung in den Wind, denn er will Aurelie heiraten. Diese und ihre Mutter nehmen seinen Antrag an. Am Hochzeitsmorgen finden Diener die Baronesse bewusstlos auf dem Friedhof, allerdings ohne Starrkrampf. Hyppolit und Aurelie eilen zu der Alten. Aurelie ist bestürzt und bittet, er möge bloß die Hochzeit nicht verschieben. Eine Matrone könnte den Platz der Baronesse einnehmen, um als Anstandsdame zu fungieren. Aurelie klagt, dass sie verflucht sei…

Der Fluch der Vergangenheit

Nach dem Tod ihrer Mutter beschließt Aurelie, ihrem frischgebackenen Gatten alles zu gestehen. Sie verabscheue ihre Mutter, befürchte aber ihre Rückkehr aus dem Totenreich. Den Grafen schaudert. Aurelie erzählt, wie ihre Mutter sie, als sie erst 16 Jahre alt war, mit einem Mann bekannt machte, der sich als Wüstling entpuppte: Bernardo sah wie 40 aus, wirkte aber jünger und kraftvoller, so dass ihm die Baroness hörig wurde. Diese genoss den Reichtum, den Bernardo ihr zukommen ließ.

Als Bernardo Aurelie die Unschuld rauben wollte, wehrte sie sich, doch es gelang ihr, ihn in einem Zimmer einzusperren. Ihre Mutter ist über dieses Betragen empört, während Bernardo in seinem Gefängnis wütet und tobt. Als ihre Mutter von Aurelie verlangt, Bernardos Verlangen nachzugeben, droht Aurelie mit Selbstmord. Als sich Bernardo durch die Tür bricht, nennt er Aurelie eine Hure und ihre Mutter eine „hässliche Alte“, woraufhin die Baronesse ihn niederschlägt. Wegen dieses Aufruhrs dringt endlich die Polizei der Residenzstadt ein und nimmt Bernardo fest, denn er sei ein gesuchter Verbrecher. Nach dem urteil wird er gebrandmarkt und abgeführt.

Nach ein paar Tagen Stubenarrest lässt ihre Mutter Aurelie wieder frei. Wenige Tage später sehen sie zu, wie Bernardo zum Schafott gefahren wird, um dort sein Leben zu lassen. Aurelie eilt zusammen mit einer großen Volksmenge zur Richtstätte. Als Bernardo sie erblickt, verflucht er sie und ihre Mutter als Teufelsanbeter. Aurelie kippt vor Schreck um. Unterdessen droht der Baronesse wegen der Lügen Bernardos der Arrest. Als Aurelie zu ihr zurückkehrt, müssen sie zusammen die Stadt verlassen, um der Verhaftung zu entgehen. Hyppolit zeigt Verständnis für Aurelies missliche Lage, hat aber insgeheim ein wenig Angst. Wen hat er da in sein Bett gelassen?

Schlimme Entdeckungen

Aurelie verändert sich. Hyppolit vermutet, dass sie in „süßes Geheimnis“ hütet, doch sie flieht seine Gegenwart. Er zieht einen Medicus zu Rate. Auch der glaubt, sie sei schwanger. Bei Tisch wird Aurelie ohnmächtig. Doch sie verändert sich weiter und isst nichts mehr, ja, sie verabscheut Fleisch sogar (eine echte Veganerin!). Sie verweigert die Einnahme der Medizin, die der Arzt zubereitet hat. Er fragt sich ratlos, wie sie monatelang ohne Nahrungsaufnahme leben kann.

Das informiert Hyppolits Onkel ihn darüber, dass Aurelie jede Nacht das Schloss verlasse und erst am Morgen zurückkehre. Sie habe ihn, Hyppolit, narkotisiert, so dass er nichts von ihrer Abwesenheit merkte. Der Graf fast einen verzweifelten Plan: Er will so tun, als habe sie ihn eingeschläfert, ihr dann jedoch auf ihrem nächtlichen Gang folgen. Ihr Weg führt zum Friedhof, wo sie sich zu einer Reihe gespenstischer Gestalten gesellt. Um was zu tun? Es ist unaussprechlich, gesteht Hyppolit seinem Onkel. Und die Heilung werde weder Aurelie noch ihn glücklich machen…

Mein Eindruck

Ein Ghoul ist ein Leichenfresser. Das wirft die Frage auf, wie ein nettes Mädchen wie Aurelie, das sich selbst einen Teufel wie Bernardo vom Leib halten konnte, in solch üble Gesellschaft geraten konnte. Aurelie hat nur eine Antwort: „Es ist der Fluch!“ Und den hat sie offenbar von ihrer Mutter geerbt, die sich mit dem Teufel in Gestalt Bernardos eingelassen hatte. Anders als bei Lovecraft, bei dem Ghoule eine grundlose Gegebenheit sind, hat Aurelies Zustand einen Grund. Es lohnt sich, ihn zu untersuchen.

Denn die Braut hat sich ihrem Gatten anvertraut, um bei ihm eine Art Vergebung zu finden. Alles läuft auf die Frage hinaus, ob seine Liebe stärker ist als der Fluch des Teufels, quasi die Erbsünde, so dass er ihr vergeben kann, wenn er die Wahrheit erfährt. Ihr Fluch ist zwiefach: eine Erbe ihrer Mutter und der Fluch Bernardos. Aber das eine ist nicht das andere. Bernardo hat Aurelie verflucht, weil ihm die Minderjährige (sie war erst 16) nicht zu willen war, als er sie vergewaltigen wollte. Der Fluch beruht also auf einem ungerechten Gefühl von Zurückweisung, so dass Aurelie sehr wohl erlöst werden könnte.

Der Fluch, das auf dem Blut der Mutter liegt, wiegt hingegen weitaus schwerer: Sie hat zahlreiche Sünden mit Bernardo begangen, also mit dem Teufel alle Sakramente der christlichen Kirche gebrochen und entweiht. Die Schändung ihrer Tochter, die sie billigend in kauf genommen hat, ist nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Diese Schuld und den körperlichen Zustand, der bei der alten Baroness zu „Starrkrampf“ wie bei einer Vergiftung führte, hat die Tochter schuldlos übernommen. Wenn sie nun dem Ruf des Blutes gehorcht, sollte Hyppolit ihr eigentlich vergeben, um sie zu erlösen.

Doch sein Gehorsam gegenüber uralten Tabus – Leichen sind unantastbar – macht ihm Vergebung unmöglich. Sie stirbt, er wird wahnsinnig, denn das moralische Dilemma ist unauflösbar. Während sich der Verfechter der alten Ordnung, sein Onkel, über Aurelies Tod freut, geht Hyppolit, der hoffnungsvolle Vertreter der neuen Ordnung, an dem Dilemma zugrunde. Romantik verliert gegen Klassik, um es mal in ästhetischen Kategorien zu formulieren. Wo liegt also nun die eigentliche Schuld, könnte sich der nachdenkliche Hörer fragen.

Der einzige Ausweg wäre wohl gewesen, wenn sich Hyppolit wie ein wiedergeborener Jesus Christus verhalten hätte. Aber aus diesem Holz ist auch seine ganze Sippe nicht geschnitzt. Alles begann wahrscheinlich, als Hyppolits Vater einst seine Schwester, die nun als alte Baroness zurückkehrt, verstieß oder enterbte – nicht gerade Barmherzigkeit oder Geschwisterliebe. So gesehen, überträgt sich der Fluch, den Hyppolits Vater erzeugt hat, nun auf seinen Sohn, und dieser Logik zufolge, kann er ebenfalls keine Gnade oder Barmherzigkeit aufbringen. Also muss Aurelie sterben und Hyppolit wahnsinnig werden. Wer nun an den Plot von Hamlet, Prinz von Dänemark“ denken muss, der dürfte keineswegs auf dem Holzweg sein.

Die Sprecher

Der junge Graf Hyppolit wird von Jesse Grimm mit der gebotenen gewissen Unerfahrenheit und Verliebtheit gesprochen, so dass klar ist, dass er nichts von Aurelies Besessenheit ahnt. Kein Wunder also, wenn er am Schluss dem Wahnsinn verfällt…

Hyppolits Oheim ist der erfahrene Onkel und wird von Jürgen Thormann mit der Stimme des alten Michael Caine gesprochen; er ist die Stimme der Vernunft.

Sein Gegenpart ist die alte Baroness: Arianne Borbach spricht die unheimliche Alte, die sich mit dem Teufel eingelassen hat, mit großer Routine.

Die junge Aurelie wird von Uschi Hugo mit einer gewissen Naivität dargestellt, daher ist es ein umso größerer Schock für den Sympathie empfindenden Hörer zu erfahren, was sie nächstens auf dem Friedhof treibt.

Bernardo wird von David Berton als der Teufel in Person dargestellt, sündig bis ins Mark und böse bis zum Schluss.

Geräusche

Eine große Vielfalt von Geräuschen verwöhnt das Ohr des Zuhörers. Der Eindruck einer real erlebten Szene entsteht in der Regel immer. Gewittergrollen, Papierrascheln, Kirchenglocken, tickende Uhren, aber auch eine tobende Menschenmenge – all diese Samples setzt die Tonregie zur Genüge ein, um einer Szene eine Fülle von realistisch klingenden Geräuschen zu vermitteln. Diesmal ist auch das obligatorische Käuzchen wieder mit von der Partie.

Die Musik

Von einem Score im klassischen Sinn kann keine Rede mehr sein. Hintergrundmusik dient nur dazu, eine düstere oder angespannte Stimmung zu erzeugen, und zwar nur dort, wo sie gebraucht wird. Hier steigert sich die Spannung von Szene zu Szene, insbesondere in der langen Rückblende, die im Tod Bernardos kulminiert.

Die Tonregie setzt vielfach auf dramatisch klingende Chorstimmen und Choräle, die metaphysische Themen wie Schuld, Fluch und Erlösung anklingen lassen.. Ein tiefes Cello bestreitet das Intro, um Unheil und Schicksal heraufzubeschwören. Tiefe Bässe, so fand ich heraus, kommen am besten mithilfe einer Soundbar oder eines Subwoofers zur Geltung.

Das Booklet

Das Titelmotiv, das Osman Askin offensichtlich mithilfe von Computergrafik geschaffen hat, zeigt Aurelie in einem Nachtgewand zwischen diversen Grüften und Gräbern im Vordergrund, während im Hintergrund ganz klein die dunkle Gestalt ihres Gatten zu erkennen ist.

Im Booklet sind die zahlreichen Titel des GRUSELKABINETTS bis Herbst 2023 verzeichnet. Die letzte Seite zählt sämtliche Mitwirkenden auf.

Folge 176: Crawford: Das Lächeln des Toten
177: Ludwig Bechstein: Furia Infernalis
178: Benson: Das unheimliche Turmzimmer
179: Heron: Der Fall Medhans Lea – Flaxman Low 3

180: Blackwood: Das unbewohnte Haus
181: R. Conner: Das gefährlichste Spiel der Welt
182: F.G. Loring: Sarahs Grabmal
183: Eric Stenbock: Die andere Seite

184: Bertha Werder: Das Haar der Sklavin
185: Lovecraft: Die Musik des Erich Zann
186: ETA Hoffmann: Der Ghoul
187: Blackwood: Die Weiden

188: Heinrich Seidel: Der Hexenmeister
189: Per McGraup: Heimlich
190: J. u. W. Grimm: Schauermärchen I

Unterm Strich

Während die Klassizisten wie Goethe dachten, die antike Vergangenheit sei das ideale Vorbild, um den Feudalismus zu überwinden, waren Romantiker wie ETA Hoffmann der Ansicht, dass die unmittelbare Vergangenheit, ob nun klassizistisch oder nicht, den Keim der Verderbens für die junge Generation bereithalte. Hyppolit wird durch die Schuld des Vaters in die missliche Lage versetzt, seiner Gattin, die ja seine Kusine ist, nicht vergeben zu können, als er ihr „Verbrechen“ entdeckt. So wird jede Hoffnung auf eine Fortführung der Familienlinie zerstört. Zurückbleibt nur der Onkel Hyppolits, der ebenso konservative Bruder von Hyppolits Vater.

Für den heutigen Hörer klingt die ganze Geschichte höchst mysteriös und gruselig, aber für den Autor walteten jenseits der irdischen Bühne noch göttliche Kräfte einerseits bzw. teuflische andererseits. Aurelie gerät als erste zwischen diese metaphysischen Fronten, die jeden Postulaten der Aufklärung Hohn sprechen: Es gibt keine Vernunft, ja, nicht einmal Vergebung.

Und das obwohl Aurelie nachgerade eine Heilige ist, indem sie Bernardos Vergewaltigungsversuch abwehrte. Die Rückblende, in deren Verlauf sie Hyppolit ihr Leben und Verhalten erklärt, ist also ein notwendiger Einschub – doch ihre weitere Entwicklung widerspricht ihrer Heiligmäßigkeit: Sie verwandelt sich wie unter einem teuflischen Gen zu einer Ghoulin. Das lässt nicht nur den Hörer schaudern.

Aurelies Verbrechen ist nicht juristisch erfassbar und somit von der Justiz zu verurteilen, sondern bricht ein viel weiterreichendes Tabu. Fehlt eigentlich nur noch Inzest zwischen Verwandten zweiten Grades (Kusine und Cousin), und die Verdammnis wäre ihr in jedem Fall sicher. Der Teufel – der ist nicht das Gesetz, sondern viel ältere Tabus, die von den Klassizisten und Paragraphenreitern geflissentlich ignoriert werden.

Das Hörspiel

Die professionelle Inszenierung, die filmreife Musik und bekannte Stimmen von Synchronsprechern und Theaterschauspielern einsetzt, bietet dem Hörer ein akustisches Kinoerlebnis, das man sich mehrmals anhören sollte, um auch die Feinheiten mitzubekommen.

Die Sprecherriege für diese Reihe ist höchst kompetent und renommiert zu nennen, handelt es sich doch um die deutschen Stimmen von Hollywoodstars wie Catherine Zeta-Jones (Borbach) und Michael Caine (Jürgen Thormann). Auch jungen Menschen, die sich einfach nur für spannende Audiokost interessieren, die gut gemacht ist, lässt sich das Hörspiel empfehlen. Es ist leicht verständlich, wirkungsvoll inszeniert, und die Stimmen der genannten Hollywoodstars vermitteln das richtige Kino-Feeling.

CD: 57 Minuten.
ISBN-13: 978-3785785997

www.titania-medien.de

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