Schreiber, Joe – Besessen

_Mike Hughes_ ist Mitte dreißig, Familienvater und arbeitet als Arzt im Tanglewood Memorial Krankenhaus. An diesem Abend erwartet die letzten Mitarbeiter ein besonderes Ereignis: Der berüchtigte Serienmörder Frank Snow wird zur Kernspinuntersuchung gebracht. Mehrere Polizisten begleiten ihn, alles läuft unter strengen Sicherheitsvorkehrungen ab. Kurz vor Beginn der Untersuchung steckt Snow Mike einen Zettel zu: „Du hast die Wahl. Bleib hier und mach deinen Job, oder schnapp dir deine Familie und hau ab. Entscheide dich JETZT. Noch eine Warnung kriegst du nicht.“

Noch bevor Mike auf diese seltsame Nachricht reagieren kann, erscheint seine Frau Sarah mit dem kleinen Sohn Eli. Sarah fürchtet schon länger, dass Mike eine Affäre mit seiner hübschen Kollegin Jolie Braun führt und will ihn zur Rede stellen. In diesem Augenblick aber bricht im Untersuchungsraum eine Art Explosion los. Offenbar ist Frank Snow die Flucht gelungen, mehrere seiner Bewacher sind tot.

Zu allem Überfluss spielt auch noch der Strom verrückt, das Licht fällt aus. Mike und seine Familie werden voneinander getrennt. Frank Snow macht seine Jagd auf die letzten Überlebenden in der Klinik – allem Anschein nach unterstützt durch übernatürliche Kräfte …

_Mit seinem Debütwerk_ „Untot“ zog Joe Schreiber die Aufmerksamkeit der Horrorwelt auf sich und stürmte die Bestsellerlisten. Leider ist ein gelungener Erstling noch lange kein Garant dafür, dass auch die nachfolgenden Werke diese Klasse erreichen.

|Wenige Stärken|

Die Zutaten, die Schreiber für seinen Roman verwendet, sind althergebracht, können zu Beginn aber dennoch das Interesse wecken: Ein Serienmörder, dessen Taten offenbar so grauenvoll waren, dass sie nur angedeutet werden, weil sich jeder der Erinnerung verschließen möchte – ein geschickter Zug, der sich angenehm von so mancher Gewaltdarstellung im Buch abhebt; ein Krankenhaus, das erst recht bei Nacht ein unheilvoller Schauplatz wird, eine Drohung und eine Flucht inklusive Jagd auf die Verbliebenen, die sich in den verwinkelten Teilen der Klinik verstreuen. Bei keinem Charakter ist ein Überleben garantiert und man ahnt früh, dass den Leser kein wirkliches Happy-End erwartet.

Interessant ist auch das Verhältnis zwischen Sarah und Mike Hughes. Einerseits ist Sarah überzeugt davon, dass er ein Verhältnis mit der begehrten Jolie pflegt, doch Snows Flucht verhindert eine Aussprache. Anschließend steht Sarah zwischen den Fronten und muss einerseits den verängstigen Sohn trösten, der seinen Daddy vermisst, und sorgt sich selbst um ihren Mann, der sich irgendwo in der Klinik aufhält und womöglich gefangen ist; andererseits ist ihr Schmerz über den vermeintlichen Betrug nicht verraucht und belastet sie in dieser Extremsituation zusätzlich. Ein paar lesenswerte Einblicke in sein Leben erhält man auch beim dem Alkohol zusprechenden Pförtner Steve Calhoun, wenn in flüchtigen Bildern seine unschöne Vergangenheit angerissen wird. Dadurch, dass sich die Handlung fast in Echtzeit abspielt und sich keine Abschweifungen erlaubt, liest sich der Roman außerdem sehr zügig, unter Umständen direkt an einem Stück.

|Zu blasse Charaktere, zu viele Klischees|

Insgesamt aber sind die Charaktere nicht wirklich interessant geraten. Mike Hughes bleibt als Hauptperson unnötig blass, über sein Seelenleben erfährt der Leser wenig, Jolie wird einem im späteren Verlauf sogar unnötig unsympathisch. Der kleine Eli ist ein Abbild jener Kinderfiguren, wie sie gerne in belanglosen Horrorfilmen auftauchen, voller Zutrauen in „Mommy“ und „Daddy“. Er führt klischeehafte Monologe und verhält sich verblüffenderweise fast ruhiger als so mancher Erwachsener. Man möchte meinen, dass ein Kind angesichts des Chaos, des Lärms und der Dunkelheit im Krankenhaus in Panik ausbricht und sich nicht so mustergültig zu beherrschen weiß wie Eli.

Am wichtigsten wäre wohl gewesen, den diabolischen Frank Snow markanter darzustellen; nicht erst seit Hannibal Lecter weiß man, wie sehr Serienmörder die Leserwelt faszinieren können. Nichts davon zu spüren ist jedoch bei Frank Snow. War es noch reizvoll, seine genauen Taten lediglich anzudeuten, muss man nun leider erkennen, dass dieser geheimnisvollen Einführung nichts nachfolgt außer grausamen Massakern. Auch Katz-und-Maus-Spiele eignen sich normalerweise sehr gut, um in Thrillern oder Horrorwerken Spannung zu garantieren, aber dafür fehlt es an einer wirklichen Identifikationsfigur und einem Killer mit Profil.

Bald ist offensichtlich, dass bei seiner Flucht übernatürliche Fähigkeiten eine Rolle gespielt haben. Hier gleitet der Roman von einem scheinbaren Thriller in Horror über, geht dabei aber zu verschwenderisch mit okkulten Elementen und Gewaltszenen um. Zu sehr erinnert die Handlung nunmehr als Groschenromane und lässt sowohl Originalität als auch Subtilität vermissen. Das Ende ist nicht sehr überraschend, wenn man auch zugute halten muss, dass die Fäden zusammenlaufen und das Handeln einzelner Personen plausibel erklärt wird. Der Epilog aber ist dann wieder zu vorhersehbar und abgegriffen und hinterlässt ein Gefühl, Vergleichbares schon hundertmal gelesen zu haben.

_Als Fazit_ bleibt ein belangloser Horrorroman, der rasch in Klischee abgleitet und kaum interessante Charaktere vorzuweisen hat. Die Ausgangslage ist zunächst noch ansprechend, wenn auch nicht originell, die Horrorelemente aber werden zu billig und effektheischend in Szene gesetzt. Dank der temporeichen Handlung und der Kürze lässt sich der Roman schnell lesen, ist aber unterm Strich keine Empfehlung wert.

_Der Autor_ Joe Schreiber wurde in Michigan geboren und lebt heute mit seiner Familie als Mathematiklehrer in Pennsylvania. Bereits vor seinem ersten Roman [„Untot“ 4320 arbeitete er als Ghostwriter und Co-Autor, ehe ihm der internationale Durchbruch als Horrorautor gelang.

|Originaltitel: Eat the Dark
Aus dem Englischen von Ulf Ritgen
253 Seiten, kartoniert
ISBN-13: 978-3-404-15889-8|
http://chasingthedead.blogspot.com/
http://www.bastei-luebbe.de/

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