Thorne Smith/Norman Matson – Meine Frau, die Hexe. Phantastische Komödie

Eine Hexe mischt die Kleinstadt auf

In der kleinen amerikanischen Stadt Warburton lebt T. Wallace Wooly (Versicherungen und Immobilien) als Abstinenzler, Vegetarier, verwitwet mit halbwüchsiger Tochter im Internat, eine Stütze der Gesellschaft und obendrein ein erfolgreicher Geschäftsmann. Erfolglos schwärmt seine hübsche blonde Sekretärin Betty Watson ihn seit einem Monat an. Der schüchterne, korrekte Wallace wagt sich ihr nicht zu nähern.

Das aber ändert sich alles, als er nach einem Mittagessen mit Betty zu einem Brand in einem Hotel eilt, das er tags zuvor versichert hatte. Er rettet eine unbekleidete junge Frau aus den Flammen und ist der Held des Tages. Doch er wird diese rätselhafte Miss Jennifer Broome (engl. ‚broomstick‘ = Besenstiel) nicht mehr los, denn sie entwickelt höchst eigenartige, nachgerade katzenhafte Züge… (erweiterte Verlagsinfo)

Der Autor

James Thorne Smith wurde 1893 in Annapolis, USA geboren. Der amerikanische Publizist schrieb in den 1920er und -30er Jahren eine große Anzahl heiterer Romane und Filmdrehbücher, mit denen er sehr populär wurde. 1934 verstarb er im Alter von nur 41 Jahren.

Smith zeichnet in seinen Büchern ein Bild der Gesellschaft der ausgehenden 20er Jahre: Prohibition, schwarz gebrannter Whisky, Charleston-Tänzer, bevorstehende Weltwirtschaftskrise, überstandener Weltkrieg. Dies alles führte zu einer überschwänglichen, aber rein oberflächlichen Lebensfreude, ja einer wahren Gier nach Amüsement, die der Autor gelungen karikiert. Der Standardheld in seinen Romanen ist der gutbürgerliche Mann in mittleren Jahren, der eine Midlife Crisis erlebt.

Nach Smiths Tod vollendete Norman Matson das Manuskript, das die Vorlage für René Clairs gleichnamigen Film bildete.

In der „Bibliothek der phantastischen Abenteuer“ sind von Thorne Smith erschienen:

1) Topper
2) Topper geht auf Reisen
3) Das Nachtleben der Götter
4) Das verwirrte Lamm
5) Der Jungbrunnen
6) Verkehrte Welt

Handlung

In Warburton, einer typischen amerikanischen Kleinstadt, lebt T. Wallace Wooly als Inbild der Anständigkeit und der Mäßigung. Seine hübsche blonde Sekretärin Betty Watson heult sich über ihn heimlich die Augen aus: Der Versicherungs- und Immobilienmakler will offensichtlich nichts von ihr wissen. Und das, obwohl seine Frau schon längst unter der Erde ist und seine 15-jährige Tochter in einem Internat fern der Heimat lebt.

Ein vielversprechender Anfang scheint es zu sein, dass er sie zu Mittagessen einlädt. Leidet ist er es, der eine geschlagene Stunde lang redet, und sie schweigt. Auf der Rückfahrt vom Restaurant – er hat sie in ihrer billigen Pension abgesetzt – ereignet sich jedoch etwas, das ihrer beider Leben gründlich auf den Kopf stellen soll: Ein Hotel brennt.

Während sich Wooly als Chef der Feuerwehr hinchauffieren lässt, bringen sich die Gäste schon auf der Rückseite des Gebäudes in Sicherheit. Er geht vorne rein und stößt doch nicht nur auf das wütende Monster des Feuers, sondern auch auf eine unbekleidete junge Dame, die ihn um Hilfe anfleht. Ritterlicher Gentleman, der er es stets ist, wirft er sich die Lady über die Schulter.

Bis zur Vordertür zumindest. Soll er sie wirklich nackt in die gaffende Menge und die wartenden Reporter und Feuerwehrmänner tragen? Soll er ihr seine Hosen anziehen und dann in Unterhosen an die Öffentlichkeit treten? Ausgeschlossen! Sie nimmt ihm die Qual der Wahl ab, indem sie kurzerhand in Ohnmacht fällt. Was bleibt ihm übrig, als tapfer hinaus in die Welt zu treten und sich vom ersten Fotografen, der ihn erblickt, „abschießen“ zu lassen? Zumindest ist ihm der Applaus der Menge für seine Heldentat sicher. Doch fortan ist für jeden Bürger glasklar, dass es sich um die junge Dame um seine heimliche Geliebte handeln muss. So ein scheinheiliger Hund!

Eine seltsame Braut

Schwarze Haare wie ein Medusenhaupt, dazu noch gelbe Augen wie die einer Katze – Mr. Wooly hat wahrlich nicht den Hauch einer Chance, ihr zu widerstehen. Als er ihr seine noble Hütte zeigt und sie auf den stattlichen Balkon hinaustreten, wagt er ein letztes Zeichen des Widerstands. Weil er seiner verstorbenen Frau Sadie treu sein wolle, könnte er sie, Jennifer Broome, nicht heiraten. In Nullkommanix springt sie auf die Balkonbrüstung und stürzt sich kopfüber in die Tiefe. Völlig überrascht ruft Wooly nach ihr und gesteht ihr seine Liebe. Gleich darauf kehrt sie in einem zerrissenen Abendkleid zurück, jedoch ohne auch nur den geringsten Kratzer am entzückenden Alabasterleib.

Nur die Bediensteten und Woolys Tochter Sara wagen Einspruch gegen die Braut zu erheben. Als sei er behext, tut Wooly sämtliche Einwände ab: Jennifer Broome käme aus dem Nichts, sei mittellos und wer weiß, welche Absichten sie hege? Erst als Betty Watson nach einer Begegnung mit der neuen Mrs. Wooly anfängt, nur noch rückwärts zu tippen, kommen Wooly erste Zweifel. Betty, den guten Engel, bringt er in einem Häuschen unter – das kurz darauf bis auf die Grundmauern niederbrennt. Interessanterweise ist auch Mrs. Wooly zugegen: auf dem Pferd seiner verstorbenen Frau. „Ich habe dich gewarnt“, flüstert sie ihm ins Ohr.

Er ertappt sie dabei, wie sie die Efeuranke an der Rückseite seiner Villa hinabklettert. Ohne einen Fetzen am Leib. Sie reitet eine Ziege und trifft einen hinkenden Mann. Er erfährt, dass ein junger Polizist namens Connolly eines Nachts um ein Haar seinen Revolver benutzt hätte, um dieses Mondscheinwesen abzuknallen – sich dann aber doch dafür entschied, es für eine Halluzination zu halten.

Die Stunde der Wahrheit

Noch immer ist Wooly verliebt oder, besser gesagt, vernarrt in sein seltsames Eheweib. Doch es kommt die Nacht, in der erkennen muss, was sie in Wahrheit ist. Er nennt einen Hühnerstall sein Eigen, und dort gedeihen gar prächtige Cochinchina-Hühner, über die ein preisgekrönter Hahn herrscht. Doch als er nachsieht, findet er keine Spur selbigen Federviehs, dafür einen Gegenstand, der hier nichts zu suchen hat: Jennifers Seidenpantöffelchen. Dessen Besitzerin findet er in ihrem Badezimmer: Sie ist gerade dabei, wie sie Punkt Mitternacht dem erbeuteten Hahn mit Woolys Rasiermesser den Hals durchschneidet. Dabei murmelt sie beschwörende Worte in einer unbekannten Sprache…

Was tun?

Die Polizei kann ihm nicht helfen, seine eigene Frau verhaften zu lassen. Es gebe keine hieb- und stichfesten Beweise, sagt der örtliche Polizeichef, ein früherer Geschichtsprofessor. Die Zeiten der glorreichen Hexenprozesse sei mit Ende des 17. Jahrhunderts leider vorüber gewesen. Aber es gebe ja Proben. Proben? Ja, Hexenproben. Mit kochendem Wasser, Untertauchen, Nadeln und dergleichen.

Das bringt Mr. Wooly auf eine folgenschwere Idee. In seinem Männerbibelkreis predigt er wider die verteufelten Hexen und Dämonen. Als er seine Frau auf die Probe stellt und sie das „Vaterunser“ zitieren lässt, kommen die Worte in umgekehrter Reihenfolge aus ihrem Mund. Sie muss gehen, das ist klar. Doch bevor sie ins Auto des Chauffeurs steigt, wünscht sie ihrem Mann neue „Ohren“.

Das soll der Fluch einer Hexe gewesen sein, wundert sich Wooly. Er hat jedenfalls keine Eselsohren oder einen Löwenschweif. Doch es dauert nicht lange, bis er die besondere Art der Gabe, mit der sie ihn bedacht hat, begreift. Danach sieht er seine Mitmenschen mit anderen Augen. Aber ob dies ein Fluch oder ein Segen ist, muss sich erst noch erweisen …

Mein Eindruck

Viele von uns kennen bereits die urkomische Verfilmung mit Cary Grant in der Rolle des behexten und gebeutelten Mr. Wooly. Ich kann mich jedenfalls noch gut daran erinnern, wie es Cary Grant gelang, das einzige Gegenmittel gegen den Fluch seiner Hexengattin anzuwenden: indem er Unmengen starken Alkohols zu sich nahm. Dazu muss man vielleicht wissen, dass es in Zeiten der Prohibition, als dieses Garn erdacht wurde, strengstens verboten war, sich Alkohol hinter die Binde zu kippen. Jedenfalls in der Öffentlichkeit. Und um die geht es ja.

Nachtreise

Der wackere Mister Wooly war bislang ein ganz und gar öffentlicher Mensch, eine wahre Säule der Gesellschaft. Doch der Fluch der Hexe bringt ihn auf Kollisionskurs zu deren wichtigsten Richtlinien, wozu natürlich auch Trunkenheit gehört. Als Folge muss er sich fortwährend zwischen den Regeln der Öffentlichkeit und den eigenen, individuellen Wünschen und Notwendigkeiten entscheiden – ein permanenter Konflikt.

Bekehrung

Auslöser und Hilfsmittel für die Umwandlung des Mr. Wooly ist seine Fähigkeit, die Gedanken anderer Menschen zu hören. Diese nicht-menschliche Eigenschaft führt seinen Lebensweg auf eine klassische „Reise durch die Nacht“, in der er durch zahlreiche Erlebnisse geprüft und auf seine wichtigsten Eigenschaften abgeklopft wird. So ist etwa die Frage, ob er fähig ist, auch mit wildfremden Menschen einen freundschaftlichen Kontakt aufzubauen, ohne eine lange Rede zu halten.

Die erste Szene, in der er eine Bar betritt, stellt unseren Helden echt auf die Probe: Denn der Gebieter über das Allheilmittel Alkohol, das er braucht, ist ein übel gelaunter Barkeeper, der als Zerberus dient. In seinem „Naturzustand“ würde Wooly hier keinen menschlichen Zugang erhalten, doch mit dem Gott Alkohol gelingt es ihm im Handumdrehen – sehr zum Entsetzen der braven Betty Watson, die „ihren“ Mr. Wooly nun von einer völlig ungewohnten Seite kennenlernt. Wie sich herausstellt, findet in dieser Bar ein richtiges Stelldichein der Stadtoberen statt.

Sündenfall

Es kommt, wie es kommen muss: Mr Wooly landet vor Gericht. Glücklicherweise ist Richter Gilead kein treuer Ehegatte, sondern vergnügt sich in jeder ruhigen Minute, die ihm seine Pflichten gestatten, mit Fräulein Honigschneck, der attraktiven Gattin von Henry Tiddle. Indem er Tiddle zu 30 Tagen Knast wegen zu schnellen Fahrens verknackt, gedenkt sich der Richter 30 Liebesnächte mit seinem „Honigschneck“ zu verschaffen. Diesem glorreichen Plan macht Wooly einen dicken Strich durch die Rechnung – es sei denn, Gilead drückt ein Auge zu und lässt ihn laufen. Hier findet die moralische Komödie, die der Roman präsentiert, ihren herrlich unterhaltsamen Höhepunkt. Kleists Sittenkritik in „Der zerbrochene Krug“ lässt schön grüßen.

Erlösung

Eine Sache muss Wooly aber noch bereinigen. Er kann den Fluch nicht loswerden und Betty Watson, den blonden Engel, nicht bekommen, solange seine echte Frau, die Hexe, noch hienieden ihr Unwesen treibt. Nur die Hexe kann den Fluch lösen, keine Macht von oben. Ihre Seele steckt allerdings, bedingt durch diverse Umstände, in der braven Stute Rommee, die das Lieblingspferd ihrer Vorgängerin, der noch braveren Mrs. Wooly, war. In ihrer Rachsucht hat sie Mr. Wooly bereits zwei kräftige Huftritte in seinen Allerwertesten versetzt – und das war der Anfang allen Übels. Soll Mr Wooly ein Pferd um Erlösung beknien?

Himmelfahrt

Woolys Tochter Sarah ist der festen Ansicht, dass Jennifer Broome, die Hexe, Anspruch auf Erlösung hat. Sie kann ja nicht ewig in einem Pferd feststecken, schließlich ist sie auch ein Frauenzimmer. Sprach’s und malt die Lippen der Stuten rot an. Mit einer blonden Perücke und einem Strohhut auf dem Kopf sieht Jennifer Broomes Pferdekopf schon wieder recht feminin aus. Doch eine sturköpfige, stolze Stute darf nicht unterschätzt werden. Das müssen alle Bewohner von Warburton konsterniert feststellen, als Woolys Stute unbedingt den Festzug zur Feier des Nationalfeiertags am 4. Juli anführen will…

Die Übersetzung

Dieser Smith-Roman aus der Reihe „Bibliothek der phantastischen Abenteuer“ wurde von der Herausgeberin Verena C. Harksen höchstpersönlich übersetzt. Die Anforderungen waren hoch, denn Wortspiele machen einen großen Teil des Reizes dieses Textes aus. Diese sind selten eins zu eins ins Deutsche zu übertragen, und stellenweise holpert der Stil beträchtlich.

(Ein bekanntes Wortspiel ist „Rubber Soul“, der Titel einer BEATLES-LP aus dem Jahr 1965. Gemeint ist nicht nur „Gummi-Seele“, sondern auch die Wurzel „Gummisohle“. Nur wenn man, wie jeder Engländer, die Wurzel kennt, wird ein Witz draus. Es ist das gleiche Spiel wie in Shakespeares Stück „Julius Caesar“: „I am a mender of soles/souls“, sagt dort der Schuhmacher, und Caesar versteht natürlich „soul/Seele“, nicht „sole/Sohle“.)

Wortspiel auf S. 33: „Die Überschrift lautet: ‚Das Unterteil der Treppe‘.“ Dies ist ein klassischer „pun“, der auf elegant-witzige Weise den Anblick umschreibt, den Mr. Wooly geboten haben muss, als er die unbekleidete Miss Jennifer Broome die Treppe heruntergetragen hat, und zwar nach Art eines Feuerwehrmannes mit dem Hinterteil voran. Mit „Unterteil“ ist also (auch) ihr hübscher Hintern gemeint, und mit „Treppe“ sowohl die stairs/Treppe, als auch die stares/starrenden Blicke der Zuschauer gemeint.

S. 10: „waren waren sämtlich unverändert“. Einmal „waren“ reicht völlig.

S. 20/21: „senkrecht“ – offenbar ein Dialektausdruck. Die Übersetzerin meint nämlich „direkt“.

S. 58: „Eine ausdruckslose, atheistische Sonne schaute durch die Fenster.“ Zwei Pluspunkte für dieses herrliche Sprachbild!

S. 78: „knöttern“: ein Dialektausdruck mit unbekannter Bedeutung. Er steht weder im DUDEN noch im LANGENSCHEIDT. Es ist jedenfalls eine unwillige Lautäußerung gemeint, ähnlich wie „murren“: „nörgeln, meckern, quengeln“ (Ruhrgebietssprache).

Unterm Strich

„Meine Frau, die Hexe“ ist die Geschichte einer Passion und einer Läuterung. Doch die Bekehrung des rechtschaffenen Vorzeigemenschen Mr. Wooly zu einem Otto Normalbürger erfordert zahlreiche, sehr unterhaltsame Zwischenstufen, die von seiner Höllen- bis zu seiner „Himmel“- Fahrt reichen. Eine klassische Reise durch die Nacht (der Seele) führt ihn dank zahlreicher Hilfe und Freunde endlich zur Erlösung.

Die Stationen seiner Läuterung sind urkomisch, aber durchaus auch krimineller Natur. Doch was vor über 70 Jahren als Verbrechen galt, ist heute allgemeiner Usus. Dazu gehört sowohl Ehebruch in allen Varianten als auch Alkoholkonsum an allen möglichen Orten. Es ist bemerkenswert, dass in Filmen wie „Was Frauen wollen“ die Gedanken anderer gehört werden, dies aber den Hörenden nicht derart stört, dass er ein Gegenmittel anwenden muss.

Mr Wooly erfährt hingegen die Wahrheit, was die anderen über ihn selbst denken, und die ist alles andere als schmeichelhaft. Aber es ist auch nicht hörenswert, was die anderen insgeheim bei sich denken. Er will nicht wissen, wie sich ein geiler Taxifahrer sein Schnuckiputzi von der letzten Nacht in allen erotischen Details ausmalt. Oder wie häufig der Richter an seine Geliebte „Honigschneck“ denkt, und zwar in jeder freien Sekunde.

Die Läuterung unseren Helden hat also auch viel mit dem Konflikt zwischen dem Öffentlichen und dem Privaten, dem Bekannten und dem Geheimen zu tun. Vielleicht ist es ganz gut, dass ein Mensch nicht die allerintimsten Gedanken seiner Mitmenschen mitbekommt. Das könnten sich so manche Nutzer von Facebook und Twitter hinter die Ohren schreiben.

Der Plot des Romans mag altbacken erscheinen und die Umsetzung vorsintflutlich, aber das Thema ist immer noch aktuell. Und wird es auch noch eine ganze Weile bleiben, solange wir keine Schwarmintelligenz wie die Termiten entwickelt haben. Bis es soweit, dürften sich daraus noch viele Komödien wie die vorliegende ergeben. Ich habe jedenfalls den Roman, der sich wie ein Film aus zahlreichen Szenen zusammensetzt, sehr genossen.

Broschiert: 290 Seiten
Originaltitel: The Passionate Witch, 1941
Aus dem US-Englischen übertragen von Verena C. Harksen
ISBN-13: 978-3596227518

www.fischerverlage.de

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