Villatoro, Marcos M. – Minos

Neue Ermittler-Helden sprießen wie Pilze aus dem Boden und selten ist eine Person mit wirklich Substanz dabei. Anders Romilia Chacón, die temperamentvolle Latina aus der Feder von Marcos M. Villatoro, die sich schon alleine aufgrund ihres ethnischen Hintergrunds von den Tempe Brennans dieser Welt abhebt.

Romilia stammt eigentlich aus El Salvador, doch sie lebt schon seit längerem in Amerika und hat dort auch studiert. Sie arbeitet als Detective in Nashville, wo sie zusammen mit ihrem kleinen Sohn Sergio und ihrer Mutter in einer kleinen Wohnung lebt. Romilia ist dafür bekannt, gerne mal die Nerven zu verlieren und auszurasten. Sie ist alles andere als frei von Fehlern und eigentlich nur von einer Aufgabe getrieben: den Mord an ihrer älteren Schwester Catalina von vor sechs Jahren zu rächen. Damals fand man sie, zusammen mit ihrem verheirateten Geliebten, aufgespießt in ihrem Bett, in eindeutiger Stellung. Der Mörder wurde niemals gefasst, obwohl er noch zwei weitere, bestialische Morde verübte.

Wir schreiben den Winter 2001, als er beschließt, erneut zu morden. Romilia ist gerade zur lokalen Heldin geworden, weil sie den gefürchteten Jadepyramidenmörder dingfest gemacht hat. Dabei hat sie einen Fan gewonnen, den sie lieber wieder loswerden möchte. Tekún Umán, der Drogenboss, verdankt ihr sein Leben und empfindet außerdem tiefere Gefühle für sie, die sie aber niemals zulassen würde, nachdem er einen ihrer Informanten, eine sechzehnjährigen Jungen, gefoltert hat. Zum Dank hackt er sich in die Datenbanken des FBI und besorgt Romina Informationen zum Mörder ihrer Schwester. Sie erfährt, dass es weit mehr Opfer gegeben hat als angenommen und außerdem muss sie ohnmächtig mitansehen, wie „Minos“, wie sie ihn wenig später taufen wird, weil er sich an Holzstichen von Dante orientiert, weitermordet. Ihr sind die Hände gebunden, denn wie sollte sie erklären, dass sie an solch wohlgehütetes Material kommt? Und doch geht sie aufs Ganze, von der Rache und dem Zorn angetrieben, bis sie eines Tages einen Schritt zu weit geht …

Romilia Chacón besticht. Sie ist eine starke Frau, eine Powerfrau, eine Sportskanone. Und sie ist intelligent. Und schlagfertig. Und eine temperamentvolle Latina, wenn es sein muss. Hm. Klingt ja fast so wie eine dieser perfekten Ermittlerinnen, deren Namen wir jetzt nicht nennen wollen, deren Charaktere so aalglatt gestaltet sind, dass man schon auf den ersten Seiten darauf ausrutscht.

Ob es daran liegt, dass hier ein Mann am Werke war? Marcos M. Villatoro hat es jedenfalls geschafft, eine sehr authentische Frauenfigur zu basteln, die durch und durch Mensch ist. Trotz der oben erwähnten Charaktereigenschaften ist sie alles andere als perfekt. Sie ist sehr auf dem Boden geblieben, schon alleine durch ihre Rolle als alleinerziehende Mutter, die nicht immer für ihren Sohn dasein kann. Romilia hat viel in ihrem Leben verloren, aber sie beweist, dass sie eine Kämpferin ist.

Auch die anderen Charaktere können sich sehen lassen. Sie sind liebevoll ausgearbeitet, auch wenn Romilias Mutter wohl ein wenig dem Klischee der lateinamerikanischen Matrone entspricht. Tekún dagegen ist weder ganz böse noch ganz lieb und seine „Beziehung“ zu Romilia ist alles andere als einfach. Und zuletzt wäre da noch der Mörder, der immer wieder ein Kapitel zwischen Romilias Ich-Perspektiven einschieben darf. Seine Charakterisierung unterscheidet sich kaum von denen anderer „Psychopathen“, doch da seine Auftritte selten sind, fällt das kaum auf.

Villatoro lässt den Leser virtuos ins Buch einsteigen, indem er den Mörder von den letzten Stunden vor dem Mord an Romilias Schwester erzählen lässt. Was genau passiert ist, erfährt man erst viel später, als Romilia die geheimen FBI-Daten von Tekún liest. Folglich gibt es keine blutrünstige, detailreiche Ausschlachtung der Morde, sondern der Fokus liegt beinahe völlig auf Romilias Ermittlerarbeit.

Trotzdem ist das Buch weit davon entfernt, langweilig zu sein. Spannung wird beinahe in jedem Kapitel aufgebaut und wenn nicht, gibt es ja immer noch unsere Ich-Erzählerin, die durch eine schöne, manchmal flappsige Sprache besticht. Villatoro verzichtet glücklicherweise auf lange Denkphasen oder ausschweifende private Ausrutscher, wodurch die Handlung wunderbar straff ist. Villatoro lässt uns nicht durchatmen. Er peitscht uns bis zum Ende des Buches, wo wir einem fulminanten Abschluss entgegenfiebern dürfen.

Bei der Schwemme von Neuveröffentlichungen, die im Bereich Thriller jeden Monat auf den Markt kommen, ist es kein Wunder, dass vieles wie von der Stange wirkt. „Minos“ hat sicherlich einige Elemente, die ebenfalls „von der Stange“ wirken, doch im Großen und Ganzen begeistert der Autor mit einem Buch, das durchgehend spannend ist und eine wirklich tolle Ermittlerin und Frau im Mittelpunkt zu stehen hat. „Minos“ ist ein Pageturner erster Güte und es ist schön zu hören, dass dies nicht das einzige Buch mit Romilia Chacón bleiben soll.

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