Alistair MacLean – Die Kanonen von Navarone

Mehr als tausend britische Soldaten sitzen im II. Weltkrieg auf einer griechischen Insel fest. Damit man sie retten kann, müssen fünf Männer eine nazideutsche Kanonenfestung ausschalten; ein Himmelfahrtskommando, das um jeden Preis gelingen muss … – Klassischer Agententhriller um entschlossene Männer, die keineswegs ohne menschliche Schwächen sind und sich einer tödlichen Herausforderung stellen, wobei Pläne sich ändern und Verrat jederzeit möglich ist: einer der besten MacLean-Romane, der 1961 kongenial verfilmt wurde.

Das geschieht:

Im Südosten der Ägäis ist im Herbst 1943 der britische Versuch, die Insel Kheros zu erobern, von nazideutschen Truppen vereitelt worden. 1200 Männer sitzen fest und warten auf eine Rettung, die unmöglich ist, weil Schiffe es nicht wagen können, Kheros anzusteuern: Auf der nahen Insel Navarone hat die Wehrmacht eine alte Festung ausgebaut und dort zwei gigantische Kanonen aufgestellt, mit denen sie diesen Winkel des Meeres uneingeschränkt kontrolliert. Die Festung wurde tief in steil aufragende Felsen gesprengt und ist vor Angriffen sicher. In dieser verzweifelten Situation soll ein Team von Spezialisten der Abwehr heimlich Navarone betreten, sich in die Festung schleichen und die Kanonen sabotieren – ein Himmelfahrtskommando, für das sich dennoch fünf Männer melden.

Captain Keith Mallory stammt aus Neuseeland und war vor dem Krieg als Bergsteiger berühmt; außerdem hat er als Partisan im gebirgigen Kreta gekämpft. Andrea diente in der griechischen Armee, bevor diese sich den Deutschen ergeben musste. Eine ‚Leihgabe‘ der US-Armee ist Dusty Miller, ein Sprengstoffexperte. Als Funker und Mechaniker ist Casey Brown dabei. Letzter im Bund ist der junge Leutnant Andrew Stevens.

Schon die Überfahrt nach Navarone wird wetterbedingt zum lebensgefährlichen Abenteuer. Auf der Insel drohen die Tarnidentitäten der Männer jederzeit aufzufliegen. Die Deutschen sind aufmerksam, und sie haben Spitzel unter den Inselbewohnern. Streit verschärft die Lage. Andrea ist ein verbitterter Mann, der die Deutschen am liebsten frontal attackieren würde. Der zynische Miller gibt dem Unternehmen keine Chance, was wiederum Stevens ängstigt, der sich ohnehin für einen Feigling hält – und über allem thront die Festung Navarone, deren Kanonen bereits die anrückende britische Rettungsflotte anvisieren …

Krieg und bzw. als Abenteuer

„Political Correctness“ ist zwar ein Begriff, der nachweislich bereits 1793 geprägt wurde. Relevant wurde er jedoch erst zwei Jahrhunderte später – und schnell zum buchstäblichen Schlagwort, das vor allem (aber keineswegs nur) jene im Munde führen, die zu wissen glauben (bzw. dies zumindest lautstark äußern), was ‚richtig‘ ist im Denken und Handeln. Die entsprechenden Maßstäbe verändern sich, weshalb heute absolut unkorrekt sein kann, was in früheren Zeiten selbstverständlich zum Alltag gehörte. Dies schließt auch oder gerade die populäre Kultur nicht aus. Hier steht die kommerzielle Unterhaltung im Zentrum. Der Weg dorthin soll aus Sicht ihrer Produzenten möglichst kurz sein, weshalb die Frage, ob dabei politisch korrekt gearbeitet wird, von rudimentärer Bedeutung ist.

Dass der Krieg keineswegs der „Vater aller Dinge“ ist, wie Heraklit einst behauptete, gilt heute als moralischer Standard, obwohl sich real niemand daran hält. Wohl auch deshalb – sowie ebenfalls vergeblich – wird scharf verurteilt, dass kriegerisches Handeln zum Zweck der Unterhaltung eingesetzt wird. Krieg soll gefälligst als jederzeit verdammenswerter Zustand dargestellt werden, dem jegliches abenteuerliche Element nachdrücklich ausgetrieben gehört. Wie das politisch korrekt aussehen sollte, ist freilich weiterhin ungeklärt.

In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg gab es mehr als eine Nische, in welcher auf dem Papier oder im Film sehr erfolgreich Krieg gespielt wurde. Das erstaunt, da man das reale Grauen des Zweiten Weltkriegs oft selbst er- und überlebt hatte. Trotzdem liebte man es zu ‚erleben‘, wie tapfere Männer – Frauen seltener – den Nazis Saures gaben. „Der Krieg“ blieb dabei Folie für abenteuerliches Geschehen, wobei „die Nazis“ sich grundsätzlich in die Reihe der Hunnen, Indianer u. a. ‚Wilder‘ einreihten, gegen die bewaffnetes Vorgehen als gerechtfertigt galt.

Harte Kerle gegen dicke Kanonen

Alistair MacLean erlebte keineswegs einen ‚bequemen‘ Zweiten Weltkrieg. Nichtsdestotrotz blendete er allzu realistische Erlebnisse, die er als Kriegsgefangener der Japaner erlebt haben dürfte, als Autor aus. „Die Kanonen von Navarone“ belegt gerade vorbildlich eine in erster Linie publikumswirksame Sichtweise. Zwar wird mehrfach über den „verfluchten Krieg“ geklagt, doch das ist eine allzu deutliche Pflichtübung, die schon damals ungnädigen Kritiken einen Riegel vorschieben sollte.

Stattdessen bricht MacLean „den Krieg“ auf eine isolierte Episode herunter. Captain Mallory und seine Gefährten gehen faktisch in einem frontfernen Winkel ihrem Job nach. Sie sind keine ‚normalen‘ Soldaten, sondern Spezialisten mit individuell unterschiedlichen Talenten, die sie eher elegant als dauerfeuernd einsetzen. Die Kanonen von Navarone sind – das ist im Roman anders als im Film von 1961 – ein „MacGuffin“, d. h. jener Vorwand, der als Begründung für diese bei nüchterner Betrachtung recht umständliche Geheimaktion dient.

Tatsächlich erreichen Mallorys Männer die Festung von Navarone erst kurz vor dem Finale. Die Zerstörung ist reine Formsache, die eigentlichen Abenteuer haben sich längst ereignet: Wie so oft ist der Weg das Ziel. Dieses Mal wartet an seinem Ende kein Drachen, doch die zurückgelegte Strecke wird von Unwettern, schiffsplankensprengenden Klippen, lotrechten Felsen und immer wieder von Nazis in der Überzahl gesäumt. „Die Kanonen von Navarone“ ließen sich problemlos in ein Action-Game verwandeln, durch das sich der Spieler Hindernis für Hindernis schlagen muss.

Unmöglichkeit als Ansporn

Eigentlich ist es lächerlich: Mallory & Co. werden beinahe im Meer ersäuft, hängen an spagettidünnen Seilen über klaffenden Schluchten, verlieren ihren Proviant, werden von Nazi-Patrouillen – die an Kopfstärke und Feuerkraft jedes Mal zunehmen – verfolgt, mehrfach festgenommen und nach wundersamen Fluchten weiterverfolgt. Sie bluten, hungern, frieren, sind schon auf Seite 100 mehr tot als lebendig – und machen dennoch weiter.

Wahre Helden zeichnen sich nach MacLean durch ihre Leidensfähigkeit aus. Angst ist nicht ehrenrührig, denn sie muss kontrolliert werden, was das Heldentum noch adelt: MacLean setzt eine eigene Figur ein, um uns dies zu erläutern. Andrew Stevens betrachtet sich als Feigling, was er praktischerweise stets vergisst, wenn es darum geht, eine neue Nazi-Attacke zurückzuschlagen; ein Klischee, das MacLean darin gipfeln lässt, Stevens einen (bei Ernest Hemingway ‚entliehenen‘) Heldentod zu gönnen.

Klischees kennzeichnen sämtliche Figuren: den willensstarken und gebildeten Mallory, das Improvisationstalent Casey Brown als Vertreter des englischen Proletariats, den übermenschlich starken und rachsüchtigen aber ‚typisch‘ weichherzigen Griechen Andrea, den mauligen aber mutigen ‚Yankee‘ Miller – auch US-Amerikaner sind potenzielle Buchkäufer, die Profi MacLean keineswegs vergisst -, den einheimischen = kleinen, ulkigen, dennoch tapferen Louki sowie selbstverständlich „die Deutschen“, die MacLean – auch Deutsche sind potenzielle Buchkäufer – sorgfältig in „gut“ (Oberleutnant Turzig: Soldat = korrekt aber kameradschaftlich) und „böse“ (Hauptmann Skoda: Nazi = Unmensch, Sadist) unterteilt.

Nicht korrekt, sondern spannend

Was bis hierher nicht unbedingt für „Die Kanonen von Navarone“ spricht, relativiert sich im Verlauf der Lektüre beträchtlich. Die Story mag simpel sein, aber genau das ist auch ihr Vorteil. MacLean weiß genau, was er uns erzählen will. Davon weicht er niemals ab. Es gibt keine Weitschweifigkeit, keine nur seitenschindenden Nebenstränge, keine Liebesgeschichte; tatsächlich spielt überhaupt keine Frau mit (was für den Film geändert = verschlimmbessert wurde).

Bei aller zielgerichteten Nüchternheit findet MacLean dort, wo es in die Handlung passt, Momente, in denen er die griechische Landschaft förmlich preist: Dieser Mann kann schreiben, sich ausdrücken, emotional sein, doch das ist niemals Selbstzweck und beweist eine Darstellungsökonomie, an denen sich viele moderne Autoren ein Beispiel nehmen sollten. „Die Kanonen von Navarone“ ist zweifellos trivial und gleichzeitig ein Klassiker seines seltsamen Genres, das unverhohlen eine grausame Realität ungemein spannend ausbeutet.

Apropos Realität: MacLean greift auf Ereignisse des Jahres 1943 zurück. Damals hielten nazideutsche Truppen große Teile Italiens, des Balkans, Griechenland sowie Kreta besetzt und die Ägäis unter ihre Kontrolle, doch sie gerieten nach der Kapitulation des Bündnispartners Italien zusehends unter Druck. Die Engländer sahen eine Chance, den Feind im Südosten des Mittelmeers zurückzuwerfen. Sie planten die strategisch wichtige Insel Leros – bei MacLean Kheros – vor der westtürkischen Küste einzunehmen. Allerdings hatten deutsche Kräfte dasselbe Ziel. Die „Schlacht um Leros“ währte vom 26. September bis zum 16. November 1943 und endete mit einem Sieg der Deutschen; 3200 Briten gerieten in Kriegsgefangenschaft.

„Die Kanonen von Navarone“ – der Film

In den frühen 1960er Jahren zog das Kino in den Krieg. Der Gegner war das Fernsehen, das immer mehr Zuschauer vor seinen Schirmen bannte, während die Kinosäle leer blieben. Mit immer neuen Attraktionen wollte man die Abtrünnigen zurücklocken. Dazu gehörten 3D und Breitwandformat; überhaupt versuchte man vor der Kamera einen Aufwand zu treiben, bei dem das Fernsehen nicht mithalten konnte. Für gewaltige Summen wurden epische Geschichten in Szene gesetzt, für die jeder Filmstar, der noch laufen konnte, durch monumentale Kulissen getrieben wurde.

Letztlich ging auch diese Rechnung nicht auf, aber wir verdanken dieser Ära Kinospektakel, die keineswegs nur deshalb in die Filmgeschichte eingingen, weil sehr viel Geld ausgegeben wurde. Wenn dem Aufwand eine gute Story zugrunde lag und sowohl vor als auch hinter der Kamera kompetente Menschen standen, blieben dem Zuschauer zu Recht Augen und Ohren offenstehen.

Für „Die Kanonen von Navarone“, 1961 als amerikanisch-britische Koproduktion entstanden, konnte Drehbuchautor Carl Foreman sich auf eine Romanvorlage stützen, die als Kriegs- und Abenteuergeschichte eine ideale Filmvorlage darstellte. Außerdem war das Buch diesseits und jenseits des Atlantiks ein Bestseller, weshalb man darauf hoffen durfte, diese Leser in den Kinos zu sehen. An Kulissen und Spezialeffekten wurde ebenso wenig gespart wie an den Honoraren für Hollywood-Recken: Gregory Peck (als Keith Mallory), Anthony Quinn (Andrea Stavros) und David Niven (Dusty Miller), zu denen sich britische Charakterdarsteller wie Stanley Baker (Casey Brown) oder Anthony Quayle gesellten. Für die jüngeren Zuschauer trat James Darren als Spyros Pappadimos auf, der den im Film nicht auftauchenden Andrew Stevens ersetzte.

Gedreht wurde u. a. auf der Insel Rhodos und unter der Regie von J. Lee Thompson, der bisher vor allem B-Movies inszeniert und dabei ein Händchen für Massenszenen entwickelt hatte. Ein Film dieser Größenordnung stellte für Thompson eine Herausforderung dar, die er erfolgreich meisterte; für ihn wurde „Die Kanonen von Navarone“ zur Fahrkarte ins ganz große Kino. „Die Kanonen von Navarone“ war 1962 für sieben „Academy Awards“ nominiert, verlor aber gegen die „West Side Story“ und musste sich mit einem „Oscar“ für die Spezialeffekte zufriedengeben. Dafür schlug sich der Film an den Kinokassen erfreulich, und selbst die strenge Kritik zeigte sich positiv beeindruckt.

Autor

Alistair Stuart MacLean wurde am 21. April 1922 im schottischen Glasgow geboren. Er wuchs in den Highlands nahe Inverness auf und besuchte die Hillhead High School in Glasgow. Der II. Weltkrieg prägte das Leben des jungen Alistair. 1941 meldete er sich zur Royal Navy. Zweieinhalb Jahre diente er auf einem Kreuzer und geriet u. a. in japanische Kriegsgefangenschaft. Nach dem Krieg studierte er an der Glasgow University Englisch. Ab 1953 arbeitete er als Schullehrer für Englisch und Geschichte an der Gallowflat Secondary School in Glasgow.

In dieser Zeit begann MacLean zu schreiben. Seine Kurzgeschichte „The Dileas“ gewann 1954 einen Preis, was ihm die Aufmerksamkeit des Verlegers William Collins sicherte. Dieser riet MacLean ein Buch zu schreiben. „HMS Ulysses“ (dt. „Die Männer der Ulysses“) erschien 1955. Es basiert auf MacLeans Kriegserlebnissen auf See und wurde umgehend ein Bestseller.

In den nächsten drei Jahrzehnten reihte der Verfasser Erfolg an Erfolg. Der typische MacLean Roman schildert die gefährlichen Abenteuer eines stoischen Einzelgängers oder einer isolierten Gruppe, die gegen eine feindliche Übermacht und mindestens einen Verräter in den eigenen Reihen kämpfen muss. Platziert wurde dieser Plot im II. Weltkrieg, im Geheimdienst Milieu, später auch im internationalen Terrorismus. Ihre recht simple, aber höchst effiziente Konstruktion ließ diese Geschichten für den Film interessant werden. Zahlreiche MacLean Werke wurden erfolgreich und vor allem in den 1960er Jahren mit großem Staraufgebot verfilmt; der Autor schrieb nicht selten selbst die Drehbücher.

Bestseller Ruhm, Reichtum, Anerkennung: In den 1980er Jahren gehörte MacLean mit 30 Millionen weltweit verkaufter Bücher zu den erfolgreichsten Schriftstellern der Welt. 1983 ehrte ihn die Glasgow University mit einem Ehrendoktorhut. Aber MacLean war zu diesem Zeitpunkt bereits ein durch Alkoholismus zerstörter Mann. Am 2. Februar 1987 starb er nach einer Serie von Schlaganfällen in München; begraben wurde er in Celigny in der Schweiz, wo er als Steuerflüchtling residierte und seit den späten 1950er Jahren auch als Hotelier tätig war. Er hinterließ eine Anzahl von Exposés, die zum Teil in Filmdrehbücher verwandelt wurden. Da Geschäft außerdem Geschäft ist, arbeiteten Lohnautoren (John Denis, Simon Gandolfi, Alastair MacNeill, Hugh Miller) diese Fragmente in „Romane nach Alistair MacLean“ um, dessen Name selbstverständlich in besonderer Größe auf den Titelbildern prangte.

Von seinen Werken hatte MacLean selbst (scheinbar) nicht viel gehalten. Er schreibe nicht gern und daher möglichst schnell und bleibe deshalb am liebsten bei der ersten Fassung, gab er zu Protokoll. Die späteren Werke leiden stark unter dieser Praxis (sowie an überzogenen Plots). Sich selbst betrachtete MacLean nicht als Schriftsteller, sondern als Geschichtenerzähler. Der Action gab er stets den Vorrang vor der Psychologie, Kamerad und Männerfreundschaften ersetzen Romanzen. In diesem Rahmen lieferte MacLean in seinen besten Tagen zeitlose Klassiker der puren Unterhaltung.

Taschenbuch: 317 Seiten
Originaltitel: The Guns of Navarone (London : Collins 1957)
Übersetzung: Arno Dohm
http://www.harpercollins.de

eBook: 1781 KB
ISBN-13: 978-3-9596-7757-8
http://www.harpercollins.de

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