David Hair – Ein Sturm zieht auf (Die Brücke der Gezeiten 1)

Die Brücke der Gezeiten:

Band 1: „Ein Sturm zieht auf“
Band 2: „Am Ende des Friedens“ (August 2014)

Elena ist eine Fremde in Javon, trotzdem fühlt sie sich dort mehr zu Hause als irgendwo sonst, die königlichen Kinder, deren Leibwächterin sie ist, sind ihr ans Herz gewachsen. Doch dann erhält sie von ihrem Vorgesetzten die Anweisung „trag dein Amulett!“ …

Der junge Magus Alaron besucht das Arkanum in seiner Heimat Noros. Leicht hat er es nicht, sein einziger Freund ist ein Außenseiter wie er selbst. Alaron setzt all seine Hoffnungen auf die kommenden Abschlußprüfungen. Denn hat er erst einmal sein Amulett erhalten, kann er am Kriegszug gegen Antiopia teilnehmen und sich endlich Respekt erwerben …

Ramita ist die Tochter eines Händlers und steht kurz vor ihrer Hochzeit mit ihrem Verlobten Kazim, den sie innig liebt. Doch dann wird ein Angebot an ihren Vater herangetragen, so außerordentlich, dass dieser sich nicht in der Lage sieht, es auszuschlagen: Ramita soll nun plötzlich einen Fremden aus Yuros heiraten. Der ist nicht nur uralt, er ist auch noch ein Magus …!

Der Klappentext bezeichnet „Ein Sturm zieht auf“ als Auftakt, und genau das ist es auch: die Einleitung zu Ereignissen, die erst im nächsten Band stattfinden werden. David Hair hat sich viel Zeit damit gelassen, die gegenwärtige Situation und die Ereignisse, die dazu geführt haben, aufzubauen, und seine Figuren in den allgemeinen Kontext und gleichzeitig in ihre ganz persönliche Lage einzubetten.

Nicht, dass der Autor sich die Mühe gemacht hätte, eine ganz eigene und völlig neue Welt zu erschaffen. Kultur und Religion seiner diversen Völker sind eindeutig von der Realität inspiriert, die Anklänge an Indien und Arabien, an Islam und Hinduismus, aber auch an das christliche Italien sind unübersehbar. Selbst die geographische Aufteilung in einen heißen, trockenen Südosten und einen kühlen, feuchten Nordwesten könnte man als Anleihe sehen, zumindest in grober Form. Die Einarbeitung dieser ausschmückenden Details in die eigentliche Geschichte ist dem Autor jedoch nahtlos gelungen, sodass die exotische Stimmung sich entfalten konnte, ohne störend zu wirken.

Ungewöhnlich fand ich dagegen den Entwurf der Magie. Denn im Gegensatz zu den meisten anderen Fantasy-Romanen, bei denen Magie von vornherein Bestandteil zumindest einer der beteiligten Welten ist, ist die Magie hier etwas, das es ursprünglich nicht gab. Statt dessen taucht sie erst in der jüngeren Geschichte der beiden Kontinente auf, und ihr Ursprung scheint umstritten. Eindeutig hat sie jedoch dazu geführt, dass die Magi in Yuros die Macht an sich gerissen haben, und nun versuchen sie das auch in Antiopia.

Klingt, als wären die Magi eine ziemlich machthungrige, skrupellose Bande. Das sind sie tatsächlich, zumindest zu einem großen Teil. Aber ganz so einfach hat der Autor es sich dann doch nicht gemacht.

Elena ist eine Magi, und tatsächlich hat sie eine Menge Dinge getan, die man getrost als skrupellos bezeichnen kann. Sie ist zäh, gerissen und kaltblütig, wenn es sein muss. Ihr Aufenthalt auf der anderen Seite der Meerenge hat ihr jedoch bewusst gemacht, dass es auch andere Möglichkeiten gibt, wie sie ihr Leben führen, bessere Ziele, für die sie ihre Fähigkeiten einsetzen kann. Elena entdeckt ihre Menschlichkeit neu.

Alaron und Ramon sind ebenfalls Magi, haben aber unter der Arroganz ihrer Mitschüler mindestens so viel zu leiden wie das einfache Volk, wenn nicht mehr. Alarons Wunsch, am Kriegszug teilzunehmen, entspringt vor allem dem Wunsch, als gleichberechtigt anerkannt zu werden, nicht dem, andere zu töten oder zu unterdrücken.

Antonin Meiros, Ramitas neuer Bräutigam, wiederum hat versucht, stets das zu tun, was er als gut und richtig ansah, scheint aber unter mehr Gewissensbissen zu leiden als Elena. Unter den Magi hat er mehr Feinde als Freunde und auch im Volk ist sein Ruf umstritten.

Abgesehen davon, dass die Klasse der Magi dadurch differenzierter und vielschichtiger wird, sind auch die Figuren als solche glaubwürdig und echt geraten. Das gilt auch für die meisten Nebencharaktere, selbst solche, die kaum auftauchen, wie Alarons Mutter Tesla.

Echte Handlung hat aber letzten Endes kaum stattgefunden. Eine rivalisierende Adelsfamilie versucht, mithilfe der Magi die Macht in Javon an sich zu reißen. Elena hat vor, das zu vereiteln. Daraus resultieren einige Actionszenen, die die Handlung insgesamt ein wenig aufpeppen, letztlich unterscheidet sich die Situation vor der Revolte von der danach lediglich dadurch, dass ein anderes Mitglied der ursprünglichen Herrscherfamilie auf dem Thron sitzt. Ansonsten wäre da nur noch Andeutung, dass etwas verschwunden sein könnte, etwas so fundamental Wichtiges, dass es das Kaisertum in seinen Grundfesten erschüttern würde, sollten die eroberten Völker Yuros‘ davon erfahren! Alles andere war Einführung von Personen, Aufbau von Ausgangssituation und Historie. Wie gesagt, das Buch ist ein Auftakt.

Allerdings ein gelungener Auftakt, wie ich finde. Zugegeben, ich brauchte eine Weile, bis ich mich eingelesen hatte, denn die Kontraste zwischen den drei Handlungssträngen sind doch ziemlich groß, und so war jede Einführung eines der drei Hauptcharaktere fast ein wenig wie ein kompletter Neueinstieg. Nachdem ich jedoch mit allen einigermaßen vertraut war, war es kein Problem mehr, in die Geschichte einzutauchen. Und obwohl Elenas Faden der einzige ist, in dem etwas mehr Bewegung herrscht, wurden mir auch die beiden anderen nicht langweilig. Die Entwicklung der jeweiligen Kulturen, ihrer Gemeinsamkeiten und Gegensätze, die Darstellung der Figuren einschließlich ihrer Vergangenheit, sowie ihrer Träume und Hoffnungen für die Zukunft, trugen die Erzählung problemlos durch die ruhigen Passagen. Und Meiros spätere Gespräche mit seiner neuen Frau lieferten noch einige Erklärungen, die für das Verständnis der Historie sehr hilfreich waren.

So setzt sich aus vielen kleinen Teilen nach und nach das Bild einer Welt zusammen, das wie ein Hologramm aus jedem Blickwinkel ein klein wenig anders aussieht, obwohl alle dasselbe Bild betrachten. Dabei weiß der Leser am Ende des Buches noch immer nicht, was die drei Protagonisten denn nun verbindet. Und auch nicht, wer genau die geheimnisvolle Hexe aus dem Prolog eigentlich ist. Dazu kommt noch ein kleiner Cliffhanger im Zusammenhang mit Alaron. Und schon hat der Autor den Leser am Haken. Ich zumindest bin ziemlich neugierig darauf, wie es weitergehen wird.

David Hair lebt mit seiner Familie in Neuseeland und war ursprünglich im Finanzsektor tätig. Eine Reise nach Indien gab den Anstoß, seinen Traum vom Schreiben zu verwirklichen. Inzwischen hat er zwei Jugendbuchzyklen veröffentlicht, Aotearoa, dessen letzter Band im März dieses Jahres auf den Markt kommen soll, sowie The Return of Ravana. Beide sind auf Deutsch bisher nicht erhältlich. Die Brücke der Gezeiten ist sein erster Zyklus für Erwachsene, der zweite Band ist für August dieses Jahres avisiert.

Taschenbuch 510 Seiten
Originaltitel: „Mage’s Blood“
Deutsch von Michael Pfingstl
ISBN-13: 978-3-764-53128-7

www.davidhairauthor.comx
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