Manche Pechsträhne will einfach nicht abreißen … Vor zehn Monaten haben die Mesics, ein Familienbetrieb in Sachen Kapitalverbrechen, den Berufsverbrecher Wyatt um viel Geld geprellt. Seither ist es stetig abwärts mit ihm gegangen; pleite und wurzellos zieht Wyatt durch das Land. Zu allem Überfluss wird er auch noch von den Killern eines mächtigen Gangstersyndikats aufgespürt, denen er ebenfalls in die Quere gekommen ist.
Jetzt will Wyatt sein Geld zurück – und Rache nehmen! In Melbourne späht er das Anwesen der Mesics aus. Er weiß noch nicht, dass diese selbst in Schwierigkeiten stecken. Der alte Karl, das besonnene Oberhaupt, ist gestorben. Seine Söhne können ihm geistig nicht das Wasser reichen und streiten um die künftige Ausrichtung der „Geschäfte“. Konkurrierende Banden wissen um die Turbulenzen und lauern bereits auf ihre Chance, das Mesic-Territorium zu übernehmen. Die Polizei hält ebenfalls die Augen weit offen; der ehrgeizige Inspector Coulthart will die Mesics hochnehmen.
Nichts kann Wyatt aufhalten; es ist es satt zu flüchten. Dieser Coup muss ihm glücken, koste es was es wolle! Mit einigen ehemaligen Diebeskumpanen heckt er einen riskanten Plan aus, einigt sich sogar mit dem Syndikat. Dass dieses ihn anschließend erst recht umbringen lassen wird, ist ihm klar und wird in seine Überlegungen einbezogen. Freilich kann auch Wyatt nicht die Tücke des Objekts einkalkulieren, das in diesem Fall in Gestalt der korrupten Polizisten Bax und Napper, diverser verräterischer „Kollegen“ und eines blutdurstigen Kampfhunds auftritt …
Kein Polizist egal welchen Geschlechts mit Beziehungsproblemen? Kein genial-irrer Serienkiller, der seine Häscher mit kriminell kriminalistischen Rätselspielchen herausfordert? Keine Pathologin, die ausgetüftelt gemeuchelte Kadaver zerlegt und in ihrer Freizeit auf Täterfang gehen muss, weil die chronisch dämliche Polizei entlarvende Indizien nicht erkennt? Keine mutigen Amateurwissenschaftler, welche die Autobiografie Jesu Christi den Fängen der Vatikan-Mafia entreißen? Ist das wirklich ein Kriminalroman, den wir hier lesen? Ist es, wenn auch keiner, der in den Bestsellerlisten aufscheinen dürfte, wo gepflegte Langeweile in Thrillern von der Stange dargeboten wird.
„Willkür“ ist stattdessen ein Gangstergarn der guten, alten Art. Wyatts Unterwelt ist ein düsteres Spiegelbild des „normalen“ Alltags. Auch Verbrecher müssen sich nach der Decke strecken, leiden unter Stress im Job und Selbstzweifeln, werden gemobbt, ärgern sich mit unfähigen Chefs oder unbotmäßigen Untergebenen herum. Ergaunertes Geld will mühsam verdient werden, wobei erschwerend hinzukommt, dass bei Versagen nicht Bankrott und Hartz-IV-Knechtschaft drohen, sondern Gefängnis oder eine Kugel in den Kopf.
Die von seifenoperlichen Alltagsärgernissen geprägte Gangsterwelt weiß Garry Disher mit jener lakonischen Meisterschaft in seine Geschichten einzupassen, die auch die Autoren der TV-Serie „Die Sopranos“ ihren Mafiafiguren angedeihen lassen. Hier gibt es keine genialen Coups, keine eleganten Überfälle, kein witziges Linken des Gesetzes. Rau und schmutzig geht es zu, jede/r ist sich selbst der oder die Nächste. Von Moral oder wenigstens Ganovenehre keine Spur; für ein paar Scheine verrät man seine besten Verbrecherfreunde, seine Familie, seine Lebensgefährten.
Dabei spielt die Polizei ihre eigene Rolle. Da ist Inspector Coulthart, den sein Verlangen, die Mesics zu erwischen, zu ungesetzlichen Methoden greifen lässt. Sein Stellvertreter ist gänzlich „zum Feind“ übergelaufen. Bax sorgt dafür, dass polizeiliche Aktionen in der Unterwelt die Mesics aussparen. Napper wiederum ist ein armes Schwein, das aus purer Not zum Gangster wurde und immer ein Verlierer bleiben wird; der sarkastische Schlussgag geht denn auch ganz auf seine Kosten.
Gewalt und Mord sind Teil des Geschäfts. Gestandene Kriminelle fürchten jene nur brutalen, aber sonst beschränkten Figuren, die voller Vergnügen foltern und töten; sie erregen Aufmerksamkeit, und das ist schlecht in einem Gewerbe, das von der Unauffälligkeit lebt. Ein Mord ist emotionslos, rasch und möglichst spurenfrei zu erledigen. Professionell werden auch sonstige Kapitalverbrechen geplant und durchgeführt; Ärger durch die Polizei, schlecht ausgeschaltete Opfer oder Zeugen sind zu vermeiden.
Aber zum Alltag gehört in Garry Dishers Unterwelt immer auch die Tücke des Objekts. Wyatt, der so kontrolliert und konzentriert vorgeht, bleibt davon nie ausgeschlossen. Auch dieses Mal meint er alle Eventualitäten einkalkuliert zu haben. Wieder sind es die dummen, gierigen Nebenfiguren, die ihm einen Strich durch die Rechnung machen – ihm, den Mesics, dem Syndikat, der Polizei. Das ganze kriminelle Kartenhaus lässt Disher kunst- und effektvoll zusammenstürzen – im Gegensatz zum modernen Mainstream-Thriller sind seine Gewaltdarstellungen weder plakativ noch bleiben sie in Vermeidung böser Kritikerstimmen ausgespart. Das Chaos naht, als Leser kann man verfolgen, wie das Geschehen Schritt für Schritt aus dem Ruder läuft. In einem großen Finale stehen sich die Figuren dann gegenüber, eine Begegnung, die immer übel ausgeht und ganz sicher nicht „die Gerechtigkeit“ siegen lässt. Wenn sich nach Disher Verbrechen nicht lohnt, dann höchstens, weil nicht sorgfältig genug geplant oder bei der Umsetzung gepatzt wurde. Bußfertig oder gar geläutert verlässt kein Gauner die Handlung.
Garry Disher (geb. 1949) kennt die Szenerie seiner Romane aus eigenem Erleben. In Südaustralien dort aufgewachsen, wo es überwiegend ländlich-landwirtschaftlich zugeht, unternahm er im Anschluss an ein Universitätsstudium ausgedehnte Reisen, die ihn Anfang der 70er Jahre durch Europa, Israel und Afrika führten. Seine Schriftsteller-Laufbahn begann ebenfalls im Ausland: an der Stanford University im US-Staat Kalifornien, wo ihm ein Stipendium das Erlernen dieses Handwerks ermöglichte. Seither hat Disher mehr als 30 Bücher veröffentlicht. Interessanterweise ist der Verfasser harter Thriller (und historischer Romane) auch ein renommierter Kinderbuch-Autor, der für seine Werke zahlreiche Preise gewann – ein weiterer Beweis für Dishers schriftstellerische Bandbreite. Sein Wissen hütet er übrigens nicht als persönliches Geheimnis, sondern bemüht sich, es an den schreibenden Nachwuchs weiterzugeben. Schließlich ist Disher sehr aktiv als Herausgeber der „Personal Best“-Anthologien.
In seiner australischen Heimat – aber inzwischen nicht mehr nur dort – weiß man sehr genau, was man an Garry Disher hat. Dementsprechend zahlreich sind die Websites, die sein Leben und Werk feiern. Die wohl beste, weil aktuelle, informative und zudem vorbildlich layoutete ist http://ehlt.flinders.edu.au/english/GarryDisher/GarryDisher.html. Sie geizt auch nicht mit Links auf weitere Sites.
Die Wyatt-Romane von Gary Disher erscheinen im Maas-Verlag und werden neu aufgelegt im Knaur-Verlag:
1. Kickback (1991, dt. „Gier“) – Maas-Pulp Master 7/Knaur TB Nr. 61887
2. Paydirt (1992, dt. „Dreck“) – Pulp Master 11/ Knaur TB Nr. 62301
3. Deathdeal (1993, dt. „Hinterhalt“) – Pulp Master 12/ Knaur TB Nr. 62302
4. Crosskill (1994, dt. „Willkür“) – Pulp Master 15/Knaur-TB Nr. 62303 (angekündigt für Dezember 2005)
5. Port Vila Blues (1996, dt. „Porta Vila Blues“) – Pulp Master 18 (angekündigt für 2005)
6. The Fallout (1997, dt. „Niederschlag“) – Pulp Master 21 (noch nicht erschienen)