Dübell, Richard – Tuchhändler, Der

Im November des Jahres 1475 bereitet sich Landshut auf eine der bedeutendsten und prunkvollsten Hochzeiten des Mittelalters vor: Der Sohn des reichen Herzogs Ludwig von Landshut soll die Tochter des Königs Kasimir von Polen in der reichen Handelsstadt ehelichen. Die Unterbringung der zahlreichen hoch gestellten Gäste samt Hofstaat muss geplant, die Kirche für die Trauungszeremonie hergerichtet, die Versorgung mit den unterschiedlichsten Waren von Nahrungsmitteln bis hin zu Luxusgütern sicher gestellt werden. Sämtliche Beauftragte wie Stadtkämmerer, Baumeister und Richter haben alle Hände voll zu tun, den Termin fristgerecht einzuhalten, und die Entdeckung einer Leiche in der halbfertigen Kirche hätte zu keinem ungünstigeren Zeitpunkt passieren können.

Was aber schon schlimm genug sein könnte, endet in Entsetzen, als klar wird, wer die Ermordete ist: Die Gräfin Jagiello, die Nichte des polnischen Königs, wurde offensichtlich geschändet und erwürgt – eine Tat, die, sollte sie König Kasimir zu Ohren kommen, die Hochzeit zunichte machen und einen Krieg hervorrufen könnte.

Als der Kaufmann Peter Bernward mitten in der Nacht zu dem Tatort gerufen wird, erwartet ihn sein alter Freund, der Stadtkämmerer Hanns Altdorfer, der ihn sogleich um die Aufklärung des Mordes bittet. In Altdorfers Begleitung befinden sich der Stadtoberrichter Meinhard Girigel, der Kanzler des Herzogs Doktor Mair und der Anführer der polnischen Vorausdelegation, Albert Moniwid. Bernward, ganz und gar nicht von seiner neuen Beschäftigung begeistert, muss sogleich erfahren, dass der Pole nur zu bereit ist, den Vorfall seinem König zu melden. Immerhin lässt sich der halsstarrige Herr dazu überreden, bis zur Ankunft seiner Prinzessin zu schweigen. Sollte bis dahin der Mörder nicht gefunden sein, würde er dem König Bericht erstatten. Zwei Wochen bleiben somit dem Kaufmann für die Aufklärung, der aufgrund seiner Tätigkeit als Untersuchungsbeamter im Dienst des verstorbenen Bischofs von Augsburg für diese Aufgabe ausgewählt wurde.

Ohne einen Anhaltspunkt auf den Mörder oder dessen Motiv versucht Bernward bei der polnischen Delegation Informationen über die Tote zu bekommen, und trifft stattdessen auf eine Frau, die vorgibt, die Zofe der Gräfin zu sein, und wiederum ihm Hinweise zu entlocken versucht. Ein leer stehendes Haus im Zentrum der Stadt erregt ebenso seine Aufmerksamkeit, denn irgendwer scheint sich dort unerlaubt einquartiert zu haben. Seine Beobachtungen bringen ihn selbst in Lebensgefahr, und zwei weitere Morde sowie Moniwids störrisches Verhalten setzen den Kaufmann gehörig unter Druck, den Fall schnellstens aufzuklären. Und doch kommt der entscheidende Hinweis erst wenige Tage vor Ablauf des Ultimatums – von einem Tuchhändler, der Bernward klar macht, dass der Mord irgendwie in direkter Verbindung zu den Ereignissen vom Landshuter Aufstand 60 Jahre zuvor steht und dass der Name des Mörders seinen Preis hat…

_Meine Meinung_

Richard Dübells Debüt ist ein spannender und mitreißender Krimi, der die mittelalterliche Welt wieder in all ihren Faszinationen auferleben lässt. In wenigen Tagen und trotz Zeitmangel habe ich die Geschichte um den sympathischen Kaufmann Peter Bernward in mich eingesaugt. Ein Mann, der unter dem Tod seiner Frau und seines vierten Kindes noch nach einigen Jahren erheblich leidet, und der nach einem traumatischen Erlebnis im Krieg mit Albträumen und Schuldvorwürfen kämpft.

Da der Autor die Ich-Perspektive für den Roman gewählt hat, erlebt der Leser jede Gefühlsregung des Charakters hautnah mit und identifiziert sich binnen kürzester Zeit mit der ausdrucksstarken Persönlichkeit des Kaufmanns. Dadurch entsteht eine sehr angenehme und kurzweilige Atmosphäre, welche die Story von der ersten Seiten an zur Begleitung eines guten Freundes werden lässt. Ich schlotterte innerlich vor Angst, als Bernward überfallen wurde, ich folgte ihm erschöpft nach Hause, wenn der Tag wieder keine weiteren Ergebnisse gebracht hatte, und ich spürte seine neue, langsam erwachende Liebe. Ich freute mich über das ebenso langsam erwachende Vertrauen gegenüber seinen Leuten und ich spürte einen Kloß im Hals, als die Erinnerung an sein Trauma ihn überwältigte.

Die Beobachtungen, die Bernward beschreibt, erwecken Bilder im Kopf des Lesers, die Stadt Landshut erhebt sich lebendig und greifbar aus dem schwarzweißen Muster, das die Buchstaben auf die Seiten zaubert. Der Autor schafft es, den Leser die Stadt – mit ihrem geschäftigen Treiben, ihren dunklen und schmalen Gassen, ihrem freudigen Stolz auf den Bau der Kirche und ihrem starken Ehrgeiz zur Gestaltung einer unvergessenen Hochzeit – mit Haut und Haaren erleben zu lassen, sie zu durchschreiten und zu bewundern. Die Schilderungen ließen in mir den Wunsch entstehen, das damalige Landshut in seinem Reichtum sehen zu dürfen und im heutigen Landshut die Spuren der Geschichte zu suchen.

Unauffällig mischt der Autor geschichtliche Fakten und schriftstellerische Freiheiten – nur Lesern, die sich mit dieser Hochzeit genau beschäftigt haben, werden die kleinen Schummeleien zugunsten der Story auffallen, aber ich denke, niemand würde sie dem Autor verübeln. In seinem Nachwort entschuldigt er sich selbst für seine Abweichungen vom korrekten historischen Pfad und gibt gleich noch zusätzliche interessante Informationen zur damaligen politischen Situation.

Auch sprachlich lässt der Autor keinen Zweifel zu, dass er sein Handwerk versteht. Detailbeschreibungen, die mir so manches Mal einen Roman vermiest haben, werden geschickt mit Dialogen oder Gedankengängen unterbrochen, der Leser lernt seine Umgebung sehr genau, aber nicht auf langweilige Art kennen. Er weiß bereits nach kurzer Zeit, wen der Kaufmann besucht, wenn der Name der Straße fällt. Das Ende eines jeden Kapitels ist der nahtlose Aufhänger des nächsten, und eine Lesepause einzulegen, fiel mir da extrem schwer. Dübell baut von Beginn an Spannung auf, die den Krimi nur selten in ruhige Gewässer fahren lässt, und seine Charaktere springen munter im Kreis herum, um die Fäden der Geschichte zu einem undurchsichtigen Knäuel zu verspinnen, damit die Hinweise auf den Mörder nicht voreilig zu einem bestimmten Namen führen können. Ich jedenfalls hatte bis zum Schluss keinen möglichen Täter gefunden.

Der Kaufmann wurde mein Freund und kaum ein Autor hat bisher so viel Empfinden für seinen Charakter in mir wecken können. Und wenn ich bedenke, dass „Der Tuchhändler“ Dübells Debüt ist, weiß ich wirklich nicht, wie sehr mir die nachfolgenden seiner Bücher an die Nieren gehen werden. Ich hoffe, mindestens genauso stark, denn das macht für mich Lesen aus: hineingezogen zu werden in die Haut einer anderen Person und durch ihre Augen eine neue Welt zu erfahren. Mehr als nur begeistert gebe ich eine glasklare Leseempfehlung ab, und für Fans des historischen Krimi ist dieser Roman so oder so ein zwingendes Muss!

Abschließend möchte ich die sehr sympathisch wirkende [Homepage]http://www.duebell.de von Richard Dübell erwähnen: liebevoll gestaltet, mit vielen Infos zu seiner Person, seiner Familie und seinen Büchern. Die Seite ist also auf jeden Fall einen Besuch wert!