Elly Griffiths – Totenpfad ( Ruth Galloway 01)

Grausige Funde im Salzmoor

Vor zehn Jahren verschwand die fünfjährige Lucy Downey im Salzmoor an der Küste. Seitdem schreibt ein Unbekannter verstörende Briefe, die Detective Chief Inspector Harry Nelson von der Norfolk Police um den Schlaf bringen.

Als an einem nebligen Herbsttag in den Salzwiesen nahe der Küste Mädchenknochen gefunden werden, ist er sich sicher, dass es Lucys sind. Doch die Archäologin Ruth Galloway sieht auf einen Blick: ein Fund aus vorgeschichtlicher Zeit. Damals opferte man Menschen in heidnischen Ritualen – an Plätzen, wo Land und Wasser aufeinandertreffen.

Dann verschwindet ein weiteres Mädchen. Harry und Ruth ahnen, dass sie dem Täter nahe sind. Wie nahe, ahnen sie allerdings nicht.… (Verlagsinfo)

Die Autorin

Elly Griffiths alias Domenica de Rosa, geb. 1963 in London, ist Autorin. Die Idee zur Figur der forensischen Archäologin Ruth Galloway hatte sie, als ihr Mann seinen Job als Banker aufgab, um Archäologe zu werden. Dazu kamen die Mythen und Legenden, die ihre in Norfolk lebende Tante früher immer erzählte.

Elly Griffiths lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Brighton. Bisher sind sechs Krimis mit der forensischen Archäologin Dr. Ruth Galloway und DCI Harry Nelson erschienen: «Totenpfad», «Knochenhaus», «Gezeitengrab», «Aller Heiligen Fluch», «Rabenkönig» und «Engelskinder». Mehr Info: https://www.ellygriffiths.co.uk/

Dr. Ruth Galloway Serie

1) Totenpfad
2) Knochenhaus
3) Gezeitengrab
4) Allerheiligenfluch
5) Rabenkönig
6) Engelskinder
7) Grabesgrund

Handlung

Dr. Ruth Galloway, forensische Archäologin, geschieden und allein lebend, liebt Katzen und alte Knochen, über die sie an der Universität von North Norfolk in King’s Lynn doziert. Immer wieder denkt sie an den großen Fund vor zehn Jahren zurück, den ihr Mentor Prof. Erik Anderssen, ein Norweger, im Salzmoor an der Küste machte: ein veritables Henge! Ein runder Kreis mit erhöhtem Rand, in den Baumstämme gerammt waren. Das erinnerte sie an Stonehenge, war aber ganz aus Holz gebaut. Damals lernte sie auch Peter kennen, ihren späteren Mann. Und einen Druiden gab es auch, er nannte sich Cathbad. Tja, und dann kamen die Archäologen von der Uni und nahmen alles mit, um es zu analysieren und wegzusperren. Der Druide protestierte vergebens, und auf einmal verschwand ein Mädchen.

Es war die fünfjährige Lucy Downey. Seitdem schreibt ein Unbekannter verstörende Briefe an Detective Chief Inspector Harry Nelson von der Norfolk Police, die ihn um den Schlaf bringen: „Sieh nach dem Himmel, den Sternen, den Übergängen. Du findest sie dort, wo die Erde auf den Himmel trifft.“ Was soll das denn heißen?

An einem nebligen Herbsttag klingelt Nelson an Ruths Haustür. Ihr Haus liegt direkt am Rand des Salzmoors, das von Ebbe und Flut bestimmt wird – und schon manchen Unvorsichtigen verschlungen hat. Ruth ist gerne bereit, Nelson zu helfen, erwartet aber, dass dies nur ein Einmal-Job wird.

Was ist überhaupt los? In den Salzwiesen nahe der Küste sind Mädchenknochen gefunden worden. Ruth soll feststellen, ob es sich um die Überreste von Lucy Downey handelt. Die forensische Archäologin sieht aber auf einen Blick: Sie steht vor einem Fund aus vorgeschichtlicher Zeit. Damals opferte man Menschen, wo Land und Wasser aufeinandertreffen. Ist das nur ein Zufall?

Als wenig später ein weiteres Mädchen verschwindet, ahnt Ruth, dass sie und Nelson dem Täter nahe sein müssen. Wie nahe, ahnen sie indes nicht. Doch als Sparky, ihre Lieblingskatze, mit durchschnittener Kehle tot vor ihrer Haustür liegt, bricht für Ruth eine Welt zusammen. Eine deutlichere Warnung kann sie sich kaum vorstellen. Wer will sie so eindringlich vor etwas warnen?

Mein Eindruck

Wenn eine Frau sich mit Knochen befasst, denkt jeder Krimifreund unweigerlich an Kathy Reichs und Patricia Cornwell. Ruth Galloway hat in der Tat einige Ähnlichkeit mit Tempe Brennan, der Hauptfigur bei Kathy Reichs: Ruth ist geschieden, übergewichtig, beinahe schon vierzig, kinderlos und Katzenfreundin. Sie ist mit sich im Reinen, denkt sie.

Sie schaut sich all ihre Freundinnen und Bekannten an: Shona, ihre beste Freundin, lässt sich chancenlos mit verheirateten Männern ein, Erik Anderssens Frau Magda geht ebenso fremd wie ihr Mann, und nur die adrette, blonde Frau von Inspector Nelson scheint es geschafft zu haben, eine glückliche Familie ihr Eigen nennen zu dürfen. Doch warum kommt dann der nüchterne, realistische Harry Nelson zu Ruth, um mit ihr zu schlafen?

Die Briefe

Ruth ist der Ruhepol in Nelsons gestresstem Leben. Der Karrierepolizist aus dem Norden steht massiv unter Druck, nach zehn Jahren endlich Lucy Downey zu finden – und nun verschwindet ein weiteres Mädchen. Er vertraut sich Ruth an und zeigt ihr als einziger die rätselhaften Briefe, die seltsamerweise von zwei verschiedenen Autoren stammen. Es wimmelt darin vor Zitaten aus der Bibel, Shakespeare und T.S. Eliot – nicht gerade die übliche Lektüre für jenen Druiden Cathbad, den Nelson als Verdächtigen Nummer eins führt. Die Briefe bringen Ruth nicht weiter, wohl aber die Handschrift…

Schräge Vögel umgeben Ruth, darunter der Vogelkundler David, der wie sie allein am Rande des Salzmoors lebt. Er kann die Sommerfrischler und Partymacher genauso wenig leiden. Ruth mag den Eigenbrötler und vertraut ihm ihre Katzen an. Doch der im Wohnwagen lebende Cathbad, der bürgerliche Mr. Malone, bringt sie auf Ideen: Schon vor zehn Jahren, unter Andressens Ausgrabung, war ihm klar, dass hier in King’s Lynn eine eisenzeitliche Kult- und Begräbnisstätte im Salzmoor versunken war. Seinem Hinweis folgend entdeckt Ruth einen Dammweg, der von jüngsten Grab bis zum einstigen Henge verläuft. Als sie die Linie verlängert, stößt sie auf die Leiche der kleinen Sarah Henderson.

Die zweite Ebene

Bevor es zu diesem ersten Erfolg am Ende des ersten Drittels kommen kann, etabliert die Autorin eine zweite Zeitebene. Diese Zeitebene ist vor zehn Jahren angesiedelt, hat aber selbst noch einmal eine Unterebene: gewalttätige Demos, die anlässlich der Einführung der Kopfsteuer um das Jahr 1984 stattfanden. Damals hatte ein gewisser Harry Nelson von der Polizei mächtigen Ärger, weil einer der Demonstranten ums Leben gekommen war – und Mr. Malone alias Cathbad war der Freund des Toten. Inzwischen ist ein Vierteljahrhundert vergangen, doch die Vergangenheit ist lebendiger denn je: Prof. Erik Andressen kehrt aus Norwegen zurück. Und wenig später meldet sich auch noch ihr Ex Peter. Seine Ehe ist gescheitert.

Erst als sich Ruth aus ihren gewohnten Lebensgleisen befreit, um sich ihre unmittelbare Umgebung mal kritisch anzuschauen, erfährt sie, in welchem selbstgefälligen Traum sie gelebt hat. Alles, was sie sich vorgestellt hat, erweist sich sukzessive als Selbsttäuschung und nur das, was sie nun selbst aufbaut, ist von Bestand. Beweis: Ihre beste Freundin Shona trieb es mit Prof. Erik, in den doch Ruth selbst verschossen war!

Das Moor als Metapher

Sobald die Wände ihres bisherigen Lebens einstürzen, betritt Ruth schwankenden Boden, als befände sie sich mitten im Salzmoor. Genau dies passiert auch in einer stürmischen Nacht, in der ein Unbekannter sie verfolgt. Um ein Haar ertrinkt sie in den Untiefen des Moors, doch auf den Abwegen am Rande des Moors macht sie eine unglaubliche Entdeckung…

Wie in fast allen belletristischen Erzählformen, von Prosa über Drama bis zur Lyrik, bildet die Natur ein Spiegelbild der seelischen Verfassung des Betrachters. Im nebligen, mythischen Moor leben beispielsweise die drei Hexen in „Macbeth“, und hier, am Übergang zwischen Land und Meer, war für die Kelten ein heiliger Ort. Deshalb brachten sie hier ihren Gottheiten regelmäßig Tier- und Menschenopfer dar (übrigens in ganz Nordeuropa, wie man von den Moorleichen weiß). Diese „Crossing Places“, so der O-Titel, bilden sich nun auch auf die gegenwärtigen Bewohner ab…

Moor-Zeit

Auf solch ein Grab stößt Ruth, und anhand des Torques-Rings um den Hals des toten Mädchens kann sie die Tatzeit ungefähr bestimmen. Das weist auf die Tatsache hin, dass das Moor langsam aber sich vom Meer zurückerobert wird. Als sie Nelson erzählt, während der letzten Eiszeit vor rund 10.000 Jahren habe man trockenen Fußes von England bis nach Norwegen wandern (und dabei Doggerland überqueren) können, glaubt er ihr kein Wort. Stephen Baxter hat aber über jene Zeit eine Trilogie geschrieben: nämlich über das Ende jener Epoche, in der England seine Verbindung zum Kontinent unter steigenden Fluten verlor.

Man sieht: Das Moor ist auch ein Zeitmesser. Darin zu versinken, macht die Kürze der menschlichen Existenz deutlich. Das wird am anschaulichsten, wenn ein weiteres Unwetter über das Moor zieht und der Sturmwind droht, das kleine Häuschen, in dem Ruth wohnt, einfach wegzublasen. Diese Urgewalt der Natur ist ein mächtiger Faktor in der Bildsprache des Romans, und ohne die Naturbeschreibungen wäre er wohl nur halb so gut.

Unterm Strich

Erwartungsgemäß ist der Krimi leicht zu lesen, aber der Leser sieht sich in der Mitte zunehmend gezwungen, Geduld aufzubringen. Denn dann verweist die Hauptfigur immer stärker auf die zweite Zeitebene, die den Ausgangspunkt für die Verbrechen und den anhaltenden Kontakt zu Ermittler Nelson bildet. (Alle VERA-TV-Krimis funktionieren auf diese Weise.) Wer also diese zweite Ebene nicht ernstnimmt und nicht auf die Reihe kriegt, dürfte den Rest des Romans als wenig konsequent, sondern vielmehr als an den Haaren herbeigezogen empfinden.

So haben es zwei Online-Rezensentinnen getan. Ihnen sagte zwar der Schauplatz und das Personal zu, doch die Krimihandlung nahmen sie nicht ernst. Doch jene zweite Zeitebene, die zehn Jahre zurückliegt, wird jetzt zur Gegenwart, als sowohl Erik Andressen als auch Ruths Ex Peter zurückkehren. Sie stellen Ruths Eigenständigkeit und Unabhängigkeit als selbstbestimmte erwachsene Frau in Frage. Kann Ruth ihnen widerstehen?

Phase drei

In der dritten Phase der Entwicklung kommt es zu einer Umwertung aller Verhältnisse, und Ruth landet auf schwankendem Boden. Im Finale droht sie als Verfolgte buchstäblich in dieser wirren, unsicheren und gefährlichen Seelenlandschaft zu versinken. Doch sie kann sich retten und macht, quasi als Belohnung, eine großartige Entdeckung. Das verhilft der Handlung zu einem zufriedenstellenden Abschluss, denn durch ständige Einschübe ist der Leser informiert worden, dass ein Mädchen in einem unterirdischen Verlies auf seine Rettung wartet.

Ein guter Anfang

Man sieht also, dass die richtigen Zutaten in der Handlung bereits vorhanden und halbwegs gekonnt zusammengefügt worden sind. Das Sujet der entführten, ermordeten Kinder ist sattsam bekannt und hat mit Sozialkritik (noch) wenig zu tun. Die Autorin ist wie ihre Protagonistin eine Verehrerin von Sir Ian Rankin, dem bekanntesten Krimiautor Schottlands, der sich Gesellschaftskritik hervorgetan hat. Als angehende Krimiautorin könnte man wirklich einem schlechteren Vorbild als Rankin nacheifern, insbesondere bei einem kritischeren Ansatz als in diesem Debütroman. Der Erfolg, den sechs Fortsetzungen belegen, gibt der Autorin recht – zum Vergnügen ihrer Fangemeinde.

Fazit: 4,0 von 5 Sternen.

Taschenbuch: 318 Seiten
Originaltitel: The Crossing Places, 2008
Aus dem Englischen von Tanja Handels
ISBN-13: 9783499252198

www.rowohlt.de

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