Elrod, P. N. – rote Tod, Der (Jonathan Barrett 1)

P. N. Elrod gehört zu jener Spezies vielschreibender Autoren, mit deren Büchern man problemlos ganze Regale füllen könnte. Zwar veröffentlichte sie ihr erstes Buch erst 1990, doch mittlerweile kann man unglaubliche 20 Romane von ihr kaufen – ganz zu schweigen von den Kurzgeschichten, die in verschiedenen Anthologien veröffentlicht wurden. Dabei hat sie sich auf das Vampirgenre spezialisiert, in das sie mit erfrischender Leichtigkeit neuen Wind zu bringen vermag. Ihre umfangreichste Serie, „The Vampire Files“ (erscheint ebenfalls beim |Festa|-Verlag), begleitet den [Vampirdetektiv Jack Fleming 432 und verbindet damit den klassischen Vampir-Roman mit dem Detektiv-Genre. Die Romane um Jonathan Barrett – „Der rote Tod“ ist der erste Band von bisher zwei auf deutsch erschienenen aus der Reihe – stellen einen neuen Protagonisten vor, später in der Serie wird es aber Überschneidungen zwischen beiden Reihen geben.

Jonathan Barrett ist 17 und hat bisher ziemlich unbescholten mit seinem Vater und seiner Schwester (die drei verbindet eine geradezu übelkeitserregende familiäre Idylle) auf dem Anwesen der Familie in Long Island gelebt. Seine hysterische und absolut unausstehliche Mutter war in seiner frühen Jugend nach Philadelphia abgeschwirrt, kehrt nun jedoch heim, da die Stadt während des Unabhängigkeitskriegs (die Handlung setzt 1773 ein) ein zu heißes Pflaster ist. Jonathans friedliches Dasein wird also jäh gestört, als diese Furie ins Leben der kleinen Familie tritt und die bisherige Routine durcheinander würfelt. Als sie Jonathan nach Cambridge auf die Universität schicken will, kommt es zum Eklat. Jonathan will nicht ins ferne England, um zu studieren, doch muss er herausfinden, dass das Geld der Familie vom Erbe seiner Mutter herrüht, die damit auch seine Ausbildung finanziert. So hat er keine Chance sie umzustimmen und findet sich bald darauf auf einem Schiff nach London wieder.

Sein anfänglicher Unwillen gegenüber Cambridge löst sich in Luft auf, als er sich, in England angekommen, sofort mit seinem Cousin Oliver und dessen Kumpel Tony anfreundet. Bei seiner ersten Nacht in London beschließt er, seinen lang gehegten Plan – nämlich seine Unschuld zu verlieren – endlich in die Tat umzusetzen. Und tatsächlich gelingt ihm das auf Anhieb. Tony will Jonathan und Oliver seine neue Flamme vorstellen, doch diese weist dessen Antrag prompt ab und wählt stattdessen Jonathan. Dieser ist von der schönen und weltgewandten Nora Jones vollkommen hingerissen. Zwar überrascht es ihn, dass sie ihn einfach mit nach Hause nimmt, um mit ihm zu schlafen (Skandal!), doch verbannt er diese Gedanken schnell, als er erst mit ihr im Bett liegt.

Nora hat offensichtlich einen Narren an Jonathan gefressen und folgt ihm nach Cambridge nach. Dort führen sie ihre Affäre fort, allerdings muss Jonathan frustriert feststellen, dass sie noch zahlreiche andere Bettgeschichten unterhält. So kann sie jedem der jungen Männer beim Akt kleine Mengen Blut abnehmen, um selbst zu überleben. Der Leser ahnt es längst: Nora ist ein Vampir. Jonathan dagegen tappt völlig im Dunkeln und errät ihre Identität auch nicht, als er sie tagsüber ohne Puls vorfindet oder sie ihm während des Liebesspiels ihr eigenes Blut zu trinken gibt.

Doch wer vermutet, Jonathan stehe nun sofort als Vampir wieder auf und mache mit seiner Flamme Nora die britischen Inseln unsicher, der irrt. Die Blutspielchen der beiden bleiben zunächst, zur Verwunderung des Lesers, vollkommen ohne Konsequenzen und es müssen noch einige Seiten im Roman vergehen, bis Jonathan eine Ahnung davon erhält, welch außergewöhnliches Geschenk Nora ihm eigentlich gemacht hat.

„Der rote Tod“ braucht keine zehn Seiten, um den Leser völlig zu begeistern. Ich-Erzähler Jonathan Barrett schlägt einen kurzweiligen und von ironischen Seitenhieben geprägten Ton an. Auch wenn die Exposition ungefähr ein Drittel des Romans einnimmt und die Vampirin Nora dadurch relativ spät ins Spiel kommt, kommt keine Langweile auf. Jonathan ist ein genauer Beobachter und selbst die Beschreibungen seiner Lebenssituation in Long Island – obwohl eigentlich unspektakulär – werden dadurch farbenprächtig und interessant.

P. N. Elrods Vampirwelt lebt von den Charakteren. Jonathan Barrett ist zwar jung und – vor allem in Liebesdingen – auch bis zu einem gewissen Grade naiv, doch er ist uneingeschränkt sympathisch, ohne als Charakter kitschig oder flach zu erscheinen. Jonathan ist durch und durch gut und Elrod schafft es trotzdem, ihn nicht zu einer Schablone verkommen zu lassen. Ähnlich steht es mit allen anderen Charakteren des Romans. Nora Jones ist die perfekte Vampirin: Schön, unwiderstehlich, verführerisch, geheimnisvoll und selbstbewusst. Und doch wird sie weder zum Archetyp des depressiven Vampirs noch zum seelenlosen Mörder. Stattdessen ist sie eine wahre Liebende, die jedoch mit einigen besonderen Bedürnissen zu kämpfen hat. Und genau das macht den Reiz aus; Elrod verurteilt weder die Existenz des Vampirs (das böse Höllenwesen), noch romantisiert sie ihn endlos (der untote Träumer), sondern verwurzelt ihre bluttrinkenden Charaktere fest in einer realen Umwelt, an der sie teilhaben anstatt sie zu verneinen. Und so ist es auch möglich, dass Jonathan als Vampir eine Familie hat – ein absolutes Novum in der Vampirliteratur, in der Blutsauger in der Regel Einzelgänger sind. Hier jedoch suchen Vampire die Nähe zu Menschen, ohne sie in jedem Fall als Futter wahrzunehmen. Mehr noch, das Motto des Romans scheint zu lauten: „Vampire sind auch nur Menschen“, und so gibt Jonathan Barrett als junger Student und später als untoter Protagonist eine hervorragende Identifikationsfigur ab.

„Der rote Tod“ ist ein unterhaltsames, spannendes und stellenweise auch komisches Buch, das man nicht aus der Hand legen möchte. Jonathan Barrett wächst dem Leser so schnell ans Herz, dass man unbedingt an seinen Abenteuern teilhaben möchte. Und der Schluss des Buches lässt vermuten, dass die wahren Abenteuer erst jetzt beginnen, da Jonathan nun zu den Untoten gehört. Es empfiehlt sich also, fix im zweiten Band weiterzulesen!

Verlagsseite: http://www.festa-verlag.de
Webseite der Autorin: http://www.vampwriter.com