Colin Falconer – Zorn der Meere. Historischer Roman

1629 sinkt das Handelsschiff „Batavia“ im Indischen Ozean. Die Überlebenden retten sich auf eine öde Insel. Dort reißt ein Mann die Macht an sich, regiert durch Mord und Terror und ist zum Äußersten bereit, um seine Schandtaten zu vertuschen … – Auf der Basis historisch belegter Tatsachen erzählt Autor Falconer eine Geschichte, die als Fiktion mit der Realität kaum mithalten kann. Einschlägige Klischees passieren vor den Leseraugen Revue, doch insgesamt dominiert die fesselnde Story.

Das geschieht:

Sommer 1629: Zum zweiten Mal binnen kurzer Zeit segelt die „Batavia“, Flaggschiff der „Vereinigten Ostindischen Companie“ (VOC) gen Java bzw. auf das Riff einer namenlosen Insel – heute Beacon Island genannt – irgendwo im Indischen Ozean. Etwa 300 Überlebende können sich retten. Ihre Überlebenschancen sind gering, denn sie verfügen über kaum nennenswerte Wasser- und Lebensmittelvorräte, und die Insel ist öde. Zudem herrscht wenig Einigkeit unter den Schiffbrüchigen.

Bereits an Bord der „Batavia“ gab es Spannungen. Kapitän Jacobs ist streng, François Pelsaert, der umgängliche Repräsentant der VOC, krank.. Außerdem weiß die Besatzung um die ungeheuren Gold-, Silber und Kunstschätze an Bord der „Batavia“. Den Seeleuten juckt es in den Fingern, sich des Wracks bzw. der Ladung zu bemächtigen. Ein Teil der Passagiere schlägt sich auf ihre Seite. Meuterei lag schon vor dem Schiffbruch in der Luft.

Pelsaert und Jacobs wollen mit einem Beiboot Hilfe holen. Die Passagiere müssen zurückbleiben. Unter ihnen ist die junge Lucretia van der Mylen, die Pelsaert an Bord der „Batavia“ kennen- und lieben gelernt hat. Bald bricht die Disziplin zusammen. Ein Mann nimmt die Zügel in die Hand: Apotheker Jeronimus Cornellisen aus Amsterdam; ein Mann mit geheimen Träumen von brutaler Herrschaft und perverser Gewalt, die er jetzt auslebt. Cornellisen schart eine Gruppe zu allem entschlossener Männer um sich. Sie nennen sich „Jonkers“(= „vornehme Herren“) und errichten auf der trostlosen Insel ein Terrorregime. Cornellisen schwingt sich zum Herrn über Leben und Tod auf, lässt Kranke und Kinder als unnütze Esser ermorden und erklärt die Frauen zum Freiwild. Die schöne Lucretia zwingt er als Geliebte an seine Seite

Die durch Hunger, Krankheit und Furcht geschwächten Überlebenden liefern sich der Willkür aus. Lucretia versucht „König“ Cornellisen die schlimmsten Gräueltaten auszureden und wartet ansonsten auf Rettung. Doch diese Hoffnung ist riskant. Cornellisen weiß, dass ihn und seine Mordgesellen strenge Strafen erwarten – es sei denn, die Retter fänden nur „Jonkers“, aber keine Zeugen vor …

Liebe und Leid, Erlösung und Erniedrigung

Die Realität schlägt bekanntlich jegliche Fiktion mit Leichtigkeit, wenn sie es will. Würde man uns kommentarlos mit den unglaublichen Ereignisse des Jahres 1629 konfrontieren, wäre die Reaktion wohl ein – anerkennendes oder ungläubiges – Kopfschütteln, um einen Einfallsreichtum zu quittieren, den man entweder bewundern oder ob seiner breiten Palette bemerkenswerter Scheußlichkeiten ablehnen muss. Nichtsdestotrotz ist grundsätzlich geschehen, was Colin Falconer hier nacherzählt; zeitgenössische Berichte und Untersuchungsprotokolle haben es festgehalten.

Falconer nahm di Tatsachen als Steinbruch und schuf daraus einen glutvollen, quasi unter vollen Segeln dahinstürmenden Liebes- und Abenteuerroman alter Schule. Die Geschichte der „Batavia“ dient ihm in erster Linie als Kulisse, während allerlei romantische Verwicklungen um die schöne Lucretia und ihren tragischen Helden François im Vordergrund stehen. Mit dem Auftauchen des düsteren, aber attraktiven Schurken Jeronimus wird daraus eine Dreiecksaffäre, die Falconer mit dem für das Genre typischen Herz-Schmerz-Schwurbel – allerdings mit erfreulich gebremstem, dem Thema ohnehin eher abträglichen Schmalzfaktor – entwickelt.

Die Zeichnung der drei Hauptfiguren folgt weitgehend bewährten Mustern. Während Pelsaert und Cornellisen immerhin gut in ihr zeitliches Umfeld eingepasst werden, macht Falconer aus Lucretia van der Mylen eine dieser im Historienroman so beliebten, dem realen Frauenbild völlig konträren Gutfrauen, die nicht nur klug, schön und edelmütig (in dieser Reihenfolge) sind, sondern sich außerdem leichtfüßig über alle gesellschaftlichen Konventionen ihrer Epoche hinwegsetzen und feministische Kärrnerarbeit leisten.

Der Zwang zum (verkäuflichen) Abenteuer

Falconer muss so verfahren, um es sich mit der weiblichen Leserschaft nicht zu verscherzen, die einer aktiven und freigeistigen Heldin verständlicherweise eher die Stange hält als einer hilflosen Gefangenen im Joch der bösen Männerwelt des 17. Jahrhunderts. Damit ist der Autor bisher auch an anderer Stelle sehr gut gefahren, wie der Blick auf frühere Werke deutlich macht: „Die Sultanin“, „Die Aztekin“, „Die Tochter des Khan“ – das Muster wird bereits aus dem Titel ersichtlich.

Da das Schema bereits vorgegeben ist, verwundert es nicht, dass die reale = gar zu grimmige Geschichte der „Batavia“ eher Staffage bleibt. Oh, es wird tüchtig gemordet, gefoltert und vergewaltigt im „Zorn der Meere“, dies doch stets mit Pathos und Theaterdonner. Die „Jonkers“ haben offensichtlich zu viele Piratenfilme aus Hollywood gesehen, ihre Opfer bleiben gesichtslos und sterben theatralisch. Selbst die betont sachliche Darstellung des Wütens einer kaltblütigen Mörderbande sorgt in den alten Dokumenten für deutlich mehr Intensität und echte Schauder.

Trotz oder gerade wegen seiner Baukastenstruktur sorgt „Zorn der Meere“ für jene Sturmfahrt über das Meer, die Falconers Zielleserschaft von ‚ihren‘ Büchern verlangen. Hochglanzgelackte Als-ob-Geschichte hat sich durchgesetzt, denn sie zielt bewusst auf den größten gemeinsamen Nenner und auf den Bauch des Publikums, das Künstler in allen Jahrhunderten frustriert (aber grundlos) mit Schafen gleichgesetzt haben: Der Leser bzw. die Leserin weiß, was er bzw. sie wünscht – und Colin Falconer liefert es.

Ein Profi packt es an

Dabei wagt er keinerlei Experimente, aber es wäre müßig, ihm dies vorzuwerfen. Im selbst gesteckten Rahmen des Instant-Bestsellers leistet er gute Arbeit. Mit der Welt des 17. Jahrhunderts ist er so vertraut, wie es für die Handlung wichtig ist. Die elementaren Fakten stimmen, und sie werden von einem erfahrenen Routinier in anschauliche Bilder umgesetzt.

Mit der Story hat Falconer allemal auf das richtige Pferd gesetzt, denn so ein Grusel-Garn wie das der „Batavia“ erzählt sich praktisch von selbst. Außerdem lässt sie sich nur bedingt schönfärben. Die Handlung tritt nicht auf der Stelle, es sei denn, Lucretia oder François barmen wieder einmal seitenlang über ihr trauriges Schicksal, ihre tragische Liebe oder die Schlechtigkeiten dieser grausamen Welt.

Ansonsten vermeidet Falconer offene Sentimentalität, weicht lieber auf leichtes Pathos aus und fährt gut dabei. Viele Szenen – besonders das Katz-und-Maus-Spiel von Lucretia und dem unberechenbaren „König“ Jeronimus – haften im Gedächtnis: „Zorn der Meere“ ist ein Unterhaltungsroman der gehobenen Mittelklasse. Nichtsdestotrotz erschien er bisher ausschließlich in Deutschland. Für das angelsächsische Publikum war die Mischung aus Schmacht und Grusel womöglich doch ein wenig zu viel …

Autor

Colin Falconer ist das Pseudonym des Journalisten und Weltenbummlers Colin Richard Bowles (geboren 1953 in London). Bevor er 1984 Kinder- und Jugendbücher zu veröffentlichen begann, arbeitete er u. a. in Australien für Zeitschriften, Fernsehen und Radio.

Falconer war stets ein ungemein ‚schneller‘ Autor. 1990 wechselte er zur ‚erwachsenen‘ Unterhaltungsliteratur; mit dem Thriller „Venom“ – hier konnte er auf seine Reiseerlebnisse in Asien zurückgreifen – gelang ihm der Durchbruch, und Falconer wurde hauptberuflicher Schriftsteller. In rascher Folge erschienen weitere Bücher, wobei der Autor auch den Historienroman für sich entdeckte.

Nach einer Ehekrise, die im Selbstmord seiner Gattin gipfelte, zog sich Falconer für einige Jahre zurück. Ab 2010 veröffentlichte er wieder und steigerte seine Produktivität kontinuierlich; jährlich erscheinen mehrere Titel.

Colin Falconer lebt im südaustralischen Adelaide. Über seine Werke informiert er auf dieser Website.

Taschenbuch: 526 Seiten
Originaltitel: The Kingdom (2000)
Übersetzung: Gabriele Weber-Jaric
http://www.randomhouse.de/heyne

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