Gordon R. Dickson – Wolf und Eisen

Robinsonade mit eingebauter Utopie

„Die eisernen Jahre“ nannte man die Zeit nach dem Zusammenbruch der Zivilisation. Nur die Stärksten und Klügsten überlebten den Kampf jeder gegen jeden. Jeeris Belamy Walthar, Soziologe von Beruf, hat die Katastrophe kommen sehen, aufhalten konnte er sie allerdings nicht. Aber er war vorbereitet. Er bricht auf, um sich nach Montana zu seinem Bruder durchzuschlagen.

Er gewinnt in Wolf einen wertvollen Gefährten und durchstreift ein gesetzloses Amerika auf der Suche nach diesem Refugium. Denn dort will er das Wissen über die Ursachen des Zusammenbruchs bewahren, damit sich dieser sich nicht wiederholt. Um in einer Welt der Gewalt und tödlichen Gefahr zu bestehen, muss das Tier ihm nicht nur ein Freund und Begleiter sein, sondern auch ein Beschützer und Lehrer..“ (Verlagsinfo)

Der Autor

Gordon R. Dickson wurde am 1. November 1923 in Kanada geboren, studierte an der University of Minnesota und begann 1950, Science Fiction zu schreiben. Seitdem hat er in fast fünf Jahrzehnten rund 40 Romane und mehrere hundert Kurzgeschichten geschrieben. Zu seinen bekanntesten Büchern gehören die zahlreichen Bände des Dorsai-Zyklus, und einer seiner jüngsten Erfolge ist der Roman „Wolf und Eisen“.

Sein erster Ausflug in die Fantasy stellt „Die Nacht der Drachen“ dar und war ein voller Erfolg. Der Roman wurde mehrfach ausgezeichnet. Diesem Roman ließ Dickson noch zahlreiche weitere „Drachen“-Romane folgen, die allesamt bei Heyne erschienen sind.

Handlung

Jeeris Belamy „Jeebee“ Walthar, Soziologe von Beruf, hat den Zusammenbruch der Zivilisation kommen sehen und sich rechtzeitig vorbereitet. Er hat sich ein Fahrrad mit Elektromotor besorgt, jede Menge Ausrüstung und ausreichend Proviant, um es bis nach Montana zu schaffen. Dort will er auf der Farm seines Bruders einen Neuanfang wagen.

Obwohl er nicht gerade ein Elitesoldat ist und alle andere als ein Überlebenskünstler, schafft es Jeeris von Chicago aus bis in den Mittleren Westen. Dort beginnen die Probleme ernsthaft. Das Land ist abgefackelt, ausgeplündert und nach den Epidemien ziemlich leer, aber nicht so leer, dass es nicht hie und da eine Handelsstation gäbe. Bei einer solchen will er seine Munitionsvorräte aufstocken und eine Flinte kaufen. Doch die Händlerin hat es statt auf seine Dollarmünzen auf etwas ganz anderes abgesehen: sein geiles Hightech-Fahrrad.

Neuer Gefährte

Doch während sie unter einem Vorwand Komplizen holt, freundet sich Jeeris mit ihrem Wolf an, den sie als eine Art Wachhund an einer Kette hält. Als Jeeris den Mordplan der Händlerin und ihrer Komplizen belauscht, schnappt er sich die neue Flinte und verschwindet aus dem Hinterfenster, Wolf folgt ihm ungebeten. Jeebee muss zwar sein Fahrrad zurücklassen und einen der Hinterwäldler umlegen, aber sie schaffen es, zusammen in die Wildnis zu entkommen. Hier heißt es, sich mit äußerst begrenzten Mitteln durchzuschlagen. Bald schließt Jeeris noch engere Freundschaft mit seinem neuen Begleiter und lernt von ihm, wie man jagt und stets in Sicherheit bleibt.

Der fahrende Händler

Über einer West-Ost-Autobahn bezieht Jeeris vorsichtig Posten und wartet, bis er eine Gesellschaft findet, der er sich Richtung Westen anschließen kann. Wochen vergehen, und er sieht alle möglichen Arten von Gemeinschaften, sogar angekettete Sklaven sind darunter. Dann, eines Tages, macht ein gepanzerter Wagen Rast in der Nähe der Autobahn: ziemlich selbstbewusst.

Er zeigt sich, um Hallo zu sagen. Man beschnuppert einander, schafft es gerade noch, einander nicht über den Haufen zu schießen und kann endlich reden. Es handelt sich um den Marketender Paul Sanderson mit seiner sechzehnjährigen Tochter Merry und einem alten Mann, Nick. Sie erlauben Jeeris, sich ihnen anzuschließen, wenn er sich an den Arbeiten beteiligt. Als er die schwere Bewaffnung innerhalb des Panzerwagens erblickt, wundert Jeeris nichts mehr. Hier ist er sicher.

Merry

Es kann nicht ausbleiben, dass er sich in den Wochen und Monaten, die er mit den Sandersons gen Westen zieht, in die hübsche Merry verliebt. Doch leider hat ihm die Soziologie nicht die Weltgewandtheit vermittelt, die nötig ist, ihr seine Liebe zu gestehen. Die Umarmung ist ebenso „zufällig“ wie der darauffolgende Kuss. Fortan hält sie ihn auf sicherer Distanz. Aber das bleibt unter ihnen, und so wird das Fest aus Anlass von Jeebees Abschied zu einer unbeschwerten Angelegenheit. Er bekommt mehrere nützliche Geschenke, materielle wie immaterielle. So erlernt er beispielsweise von Nick die Kunst des Messerkampfs. Zum Schluss gibt’s einen Kuss – und eine Liebeserklärung von Merry.

Ins Gebirge

Aber erst in einem Jahr, wenn die Tour Sandersons hierher zurückkehrt, wollen sich Jeebee und Merry wiedersehen. In diesem Jahr will Jeebee die Ursache für die Katastrophe herausfinden. Aber bis dahin muss er erst einmal einen Winter in Montana überleben. Als er Wyoming durchquert und Montana erreicht, stößt er auf niedergebrannte Gehöfte. Offenbar treibt eine Bande hier in der Nähe ihr Unwesen. Doch zunächst entdeckt er keine Banditen, sondern eine Schwarzbärenmutter mit ihrem Jungen.

Angriff

Sie geht sofort zum Angriff über. Er reißt sein bereitgehaltenes Gewehr hoch, doch sie schlägt es ihm aus den Händen. Wo ist Wolf, wenn man ihn mal braucht, denkt Jeebee verzweifelt, als ihn der erste Tatzenhieb trifft am Kopf trifft. Er sieht kaum noch, wie ein grauer Blitz auf die Bärin losschießt, um sie ins Hinterbein zu beißen…

Mein Eindruck

Jeebee ist ein Akademiker mit sehr begrenzter Outdoor-Erfahrung, ein zumindest körperlich gesunder Mann mit durchschnittlicher Intelligenz, aber mit dem Drang zu überleben. Der Hintergrund seiner Situation wird in dem bislang unübersetzten Erzählband „The Iron Years“ genauer geschildert. Im Roman liefert der Autor nur eine geraffte Zusammenfassung des Zusammenbruchs der Zivilisation, was den Leser etwas unzufrieden zurücklässt. Jeebees Geschichte ist die eines Mannes, der à la Robinson Crusoe überleben will und dabei einen recht unwahrscheinlichen „Freitag“-Ersatz an die Seite gestellt bekommt: Wolf.

Der Wolf

Spätestens an dieser Figur merkt der Leser, dass der Autor eine Art Experiment in Verhaltensforschung anstellt. Obwohl Wolf nicht sprechen kann, so kann er sich doch auf vielfältige Weise verständlich machen. Wie das Nachwort des Psychologie-Professors Harry Frank verrät, wäre es seitens des Lesers und Jeebees ein schwerer Fehler, Wolf mit einem treuen, harmlosen Hund zu verwechseln. Mehr als einmal bewaffnen sich Jeebee und seine neue Lebensgefährtin Merry, um sich für den Fall der Fälle gegen Wolf zur Wehr zu setzen. Zum Glück denkt Wolf in Rudelkategorien: Jeebee ist das Alpha-Männchen und Merry das Alpha-Weibchen. Das erlaubt Entwarnung. Vorerst – bis Merrys Baby geboren wird…

Der Plan

Jeebees Weg soll ihn nach Montana führen, wo sein Bruder eine Ranch führt. Das Unterfangen, das vielfach unterbrochen wird, sorgt für einen gewissen Spannungsbogen und macht die Reise plausibel. Immer wieder stößt der Wanderer auf Opfer von Gewalt, ja, sogar auf Sklaven, die ohne jeden Schutz ihren Peinigern ausgeliefert sind. Folglich nimmt er sich in Acht, verliert zum Glück nur sein E-Bike. Der Krämerwagen der Andersons, zu denen Merry gehört, wirkt vor diesem Hintergrund als große Ausnahme. Warum der Wagen nicht schon längst das Ziel von Banditen geworden ist, bleibt mehr oder weniger unklar. Offenbar können sich die Andersons gut zur Wehr setzen, und dieser Ruf eilt ihnen offenbar voraus.

Robinsons Gefährtin

Erst als Jeebee die einsam wandernde Merry aufsammelt, erzählt sie ihm vom schrecklichen Ende, das es mit Paul Anderson und seinem Wagen genommen hat. Sie ist die einzige, schwer traumatisierte Überlebende der Katastrophe. Nur durch Glück entging sie dem Angriff. Nun ist sie völlig auf Jeebees Unterstützung angewiesen, um in der feindlichen Wildnis zu überleben. Robinson hat endlich eine Gefährtin gewonnen.

Nach entsprechender Zeit erscheint auch ein Baby in der trauten Höhle, die sich das Paar ausgebaut hat. Doch die Wildnis von Montana gewährt keinem Lebewesen Gnade oder Rücksichtnahme. Schneestürme, eisige Kälte und schließlich ein hungriger Grizzly-Bär fordern die Kräfte der kleinen Familie heraus. Auf welcher Seite wird nun Wolf stehen, fragt sich Jeebee.

Mangel an Dialogen

Die Dialoge sind denkbar knapp formuliert, denn weder Jeebee noch Merry sind große Schwätzer. Es dauert lange, bis sich Merry von ihrem Trauma befreit hat und zu erzählen beginnt. Als sie sich mit Jeebee besser versteht, reden sie noch weniger, so dass der Leser hier gewarnt sein soll, dass diese Geschichte vor allem in den Beschreibungen der Vorgänge lebt. Diesen Vorgängen und den sie begleitenden Überlegungen sollte man seine ganze Aufmerksamkeit schenken. Bei mir war dafür eine erhebliche Umstellung notwendig, denn es gibt viele andere Bücher, die sich anhand der üppigen Dialoge schnell und leicht lesen lassen. Erst als ich mich auf die langen Beschreibungen einließ, gelang es mir, in die Geschichte hineinzufinden. Genauso habe ich mir eine Robinsonade vorgestellt.

Am Rand der Katastrophe

Dass Jeebee kein Witzbold ist, merkt man schnell. Er hat sich auf den Notfall des Zusammenbruchs vorbereiten können, und seine Stimmung ist dementsprechend ernst. Düstere und erschreckende Bilder gibt es dennoch zuhauf, meist aber gebrochen: Die schlimmsten Schilderungen kommen aus zweiter Hand, so etwa das Ende Paul Andersons. Auch die Brandschatzungen von einsamen Gehöften finden nicht „live“ statt, sondern lassen sich nur mithilfe der Vorstellungskraft aufgrund der Spuren ermessen. Auf einem solchen Gehöft findet unser Robinson die meisten der Gegenstände und Vorräte, die er zum Überleben in seiner Höhle braucht. Beim ursprünglichen Robinson diente das gestrandete Schiffswrack als Quelle aller Annehmlichkeiten.

Auch mit Jeebee hätte es nach seinem Kampf mit der Schwarzbärin (s.o.) fast ein frühzeitiges Ende genommen. Nur dank der ungewöhnlichen Fürsorglichkeit seines wölfischen Gefährten gelingt es dem Schwerverletzten zu überleben. Dies bindet ihn umso enger an das Tier. Dass er sich ein paar Bücher über Wölfe aus einer Ruine gefischt hat, kommt ihm jetzt sehr zugute: Er findet einen genialen Weg, wie ihn Wolf ernähren kann, während er selbst bewegungsunfähig ist.

Die Übersetzung

Der Text wurde von Michael Morgental sorgfältig ins Deutsche übertragen, vielleicht sogar ein wenig zu genau. Manche Dialoge wirken gestelzt und unnatürlich. Am Anfang habe ich keine Fehler notiert, doch ab S. 430 schenkte ich den zahlreichen Druckfehlern mehr Aufmerksamkeit. Das erklärt, warum ich sie gerade im letzten Drittel des Buches verstärkt notiert habe.

S. 196:“das Wissen über die Arbeit, die [ich] gemacht habe.“ Das Wort „ich“ fehlt.

S. 430: „verwilderte[r] Rinder schießen.“ Das R ist überflüssig.

S. 543: „in ein Dutzend verschiedener Richtung[en] ab…“: Die Endsilbe -en fehlt.

S. 551: „zwei[n]einhalb“: Das N ist überflüssig.

S. 580: „um diese[s] Territorium zu beanspruchen.“ Das S fehlt.

S. 595: „Vorderseite der Klippe[r]…“ Das R ist überflüssig.

S. 625: „in Nu“. Korrekt sollte es „im Nu“ heißen.

S. 628: „Und im ihm wuchs…“ Korrekt sollte es „in ihm“ heißen.

Nicht unvermerkt sollten die acht schönen Illustrationen bleiben, die Zoltan Boros und Gabor Szikszai beigetragen haben.

Das Nachwort von Prof. Harry Frank

Prof. Harry Frank war verärgert über die naive Art und Weise, wie Dickson einen Wolf in „The Iron Years“ dargestellt hatte und wollte ihm zeigen, wie man das richtig macht. Das bewundernswert genaue und authentische Ergebnis von Dicksons, Franks und anderer Experten Bemühungen kann man in dem vorliegenden Roman begutachten. Die Prosa mag ja nicht umwerfend sein, doch sie beschreibt wenigstens stimmige, plausible Szenen.

Unterm Strich

Auch ohne Kenntnis von „The Iron Years“ findet der Leser ein recht interessantes, wenn auch keineswegs neuartiges Szenario vor: Die Zivilisation ist zusammengebrochen, und ein Einzelgänger versucht, sich nach Montana durchzuschlagen und in der Wildnis zu überleben – for eine städtischen Akademiker ein recht gewagtes Unterfangen. Heutzutage würde man entweder Zombie-Schaden („The Walking Dead“), Verbrecherbanden („Breaking Bad“) oder Sklavenjäger à la Gor erwarten. Nichts davon findet sich in den Szenen, in die der Wanderer verwickelt wird. Er wirkt wie ein Zuschauer und die Randfigur des Dramas, das der Zusammenbruch für andere bedeutet.

Von der Hoffnung auf Action und Drama sollte sich der Leser also gleich zu beginn verabschieden. Der Autor hat völlig andere Dinge mit seinem Helden vor. Und das mag auch plausibel erscheinen, denn warum solche ausgerechnet ein soziologischer Bücherwurm plötzlich zu einem axtschwingenden Rambo mutieren? Das wäre ein Rückfall in antike Kulturstufen, wie man sie etwa in der Gor-Serie eines John Norman zu finden erwarten würde.

Kein Motiv könnte eine solche Wandlung rechtfertigen, so scheint es. Doch ganz am Schluss gibt es etwas, die Jeebee mit seinem Leben zu verteidigen bereit ist: seine geliebte Merry und ihr gemeinsames Baby. Letzten Endes verhält sich Jeebee genauso wie andere Lebewesen in dieser Lage. Er bringt deshalb Verständnis für die Schwarzbärin auf, die ihr Junges verteidigte. Aber bei einem einsamen Grizzly hört das Verständnis dann doch auf. Dann ist Schluss mit lustig.

Die Lektüre

Ich habe mehrere Jahre – mit Pausen – für dieses Buch gebraucht, aber dann die letzten 330 Seiten in zwei, drei Tagen bewältigt. Es ist eine Frage der Umstellung auf Dicksons ruhigen, mitunter sogar peniblen und behäbigen Tonfall, der mit seiner Solidität mehr ins 19. Jahrhundert passt als ins hektische 21. Jahrhundert. Man sollte auch erkennen, dass der Autor ein Experiment in Verhaltensforschung ausführt, mit einem Robinson, einer Robinsona und ihrem wölfischen Gefährten als Kandidaten. Das Experiment erfordert, dass alle Beteiligten und der Versuchsaufbau und -verlauf genau beschrieben werden. So etwas wie Ungenauigkeiten sind unzulässig.

Was als Pluspunkt gedacht ist, könnte für manchen voll digitalisierten Leser knapp 30 Jahre später – das Buch erschien zuerst 1990 – ganz schön nervend wirken. Ich habe durchgehalten und wurde mit einer wunderbar altmodischen Helden- und Liebesgeschichte belohnt, die, als Robinsonade getarnt, die Umsetzung einer Utopie vom glücklichen Leben im Einklang mit Tieren beschreibt.

Ich habe kurz davor das Jugend-SF-Abenteuer „Die Herren von Everon“ gelesen – der Aufbau ist ganz ähnlich: Ein Wanderer mit einem geheimnisvollen, aber treuen Tiergefährten ist auf dem Weg in die Wildnis, wo es zahlreiche Geheimnisse zu entdecken gibt. Dass sich mit Merry diesem Duo eine Gefährtin zugesellt, bedeutet einen gravierenden Unterschied zu dem sexfreien Jugendbuch. „Wolf und Eisen“ wendet sich also durchweg an ein erwachsenes Publikum.

Taschenbuch: 638 Seiten
Originaltitel: Wolf and iron, 1990
Aus dem Englischen von Michael Morgental
ISBN-13: 978-3453119475

www.heyne.de

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