Allan Guthrie – Abschied ohne Küsse

Ein kleiner Gangster will den Selbstmord seiner Tochter aufklären, wird in eine Falle gelockt und steht plötzlich als Mörder dar. Von der Polizei bedrängt, tritt er die Flucht nach vorn an und gerät in ein Komplott, das sein Leben endgültig zu zerstören droht … – Spannender und schneller Thriller im Gangster-Milieu für hartgesottene Leser: Sympathieträger gibt es nicht, Intrigen und Gewalt bestimmen die Szene – eine angenehme Abwechslung zu den Schmuse-und-Schwätzer-Krimis der Bestsellerlisten.

Das geschieht:

Cooper ist als Kredithai im schottischen Edinburgh bekannt und gefürchtet: Wer mit seinen Rückzahlungen allzu weit in Rückstand gerät, den besucht er mit seinem ‚Assistenten‘ Joe Hope, der mit dem Baseballschläger dafür sorgt, dass der Schuldner spurt, sobald er das Krankenhaus verlassen kann. Hope verdient gut, sein Boss ist auch sein bester Freund, in seinem Haus ist Joe öfter anzutreffen als daheim, wo nur seine ihm gründlich entfremdete Gattin Ruth haust.

Hopes kleine Welt gerät aus der Bahn, als ihn die Nachricht vom Tod seiner Tochter erreicht: Gemma, 19 Jahre jung, war in eine Schriftstellerkolonie auf den Orkney-Inseln gezogen; dort hat sie sich Tabletten vergiftet. Ihr Vater reist außer sich in den Norden; als er racheschnaubend besagte Kolonie erreicht, erwartet ihn die Polizei: In Hopes Wagen wurde in Edinburgh die Leiche von Ruth entdeckt; die Leiche weist zahlreiche Schlagmale eines Baseballschlägers auf. Damit ist Hope der Hauptverdächtige, zumal alle Indizien auf ihn weisen.

Aber ausnahmsweise ist Hope unschuldig. Man hat ihn in eine Falle gelockt. Dies muss mit Gemmas Tod zusammenhängen, reimt Hope sich zusammen. Er muss aus dem Gefängnis heraus, um selbst für Gerechtigkeit zu sorgen. Cooper besorgt ihm ein falsches Alibi. Der Trick funktioniert, Hope kommt frei. Sofort setzt er sich auf die Spur seiner unsichtbaren Feinde. Die erfahren indes von seinem Plan und forcieren nunmehr mit gewaltträchtigem Nachdruck für seinen endgültigen Untergang – es bleibt ihnen gar nichts anderes übrig, denn Joe Hope ist den Verschwörern härter auf den Fersen als diesen lieb sein kann, und die grausame Wahrheit über das Ende seiner Familie wird ihn jegliche Rücksicht vergessen lassen …

Harte Krimis für frustrierte Fans

„Hard Case Crime“: Hier hatte jemand eine richtig gute Idee*. Vergiss die üblichen Möchtegern-Krimis, die ein bisschen Verbrechen mit exzessivem Beziehungskisten-Geschiebe kombinieren, genialische Serienkiller in immer bizarrer werdende Metzel-Orgien verwickeln oder in Schurkereien aus lange vergangenen Zeiten schwelgen. Hier geht es beinhart zur Sache – die wunderbar trashigen, eigens für diese Reihe entstandenen und politisch absolut unkorrekten Titelbilder erinnern an die Pulps der 1950er und 60er Jahre, als Krimis noch grob, schmutzig oder ‚aus dem Leben gegriffen‘ – „noir“ halt – sein und sogar aus der Perspektive unbelehrbarer Gangster geschrieben sein durften.

Zwar erwischte es die zynischen, vom Pech verfolgten und unmoralischen Anti-Helden in der Regel im Finale, doch das war kein Sieg der Gerechtigkeit, sondern das Ergebnis erbitterter Auseinandersetzungen, die in einer Art Vakuum erbittert und gewaltreich ausgetragen wurden: Die ‚große Welt‘ blieb ahnungslos, die Handlung konzentrierte sich auf die wenigen Beteiligten, die in diesem Spiel des Verderbens ihre festen Rollen hatten.

„Abschied ohne Küsse“ ist ein vorzügliches Beispiel für dieses Konzept: Die Geschichte ist rau und ruppig, sie wird ohne das sprichwörtliche Blatt vor dem Mund erzählt. Der Stil ist ohne Rücksicht auf literarische Qualität in den Dienst der Story gestellt: Allan Guthrie erzählt (jederzeit maßgeblich unterstützt durch seinen deutschen Übersetzer) geradlinig und ökonomisch. „Abschied ohne Küsse“ ist kein Roman, der auf Ziegelsteindicke aufgeblasen wird (das „Elizabeth-George-Syndrom“). Nach nicht einmal 300 Seiten ist der Spuk vorüber, die Handlung an ihr natürliches Ende gekommen. Es gibt keinen ‚überraschenden‘ Finaltwist oder ähnlichen modischen Schnickschnack. Guthrie bleibt konsequent; der Leser rechnet damit, dass das Ende brutal ausfallen wird, und so kommt es auch.

(* Es waren Charles Ardai und Max Phillips, und es geschah – s. hier –  2005.)

Gewalt und die Angst vor dem, was sie tarnt

Der feine Unterschied zum Mainstream-Metzel-Thriller im Schatten schweigender Lämmer liegt in der Tatsache, dass diese Gewalt nicht selbstzweckhaft inszeniert wird, sondern integrales Element der Welt ist, in der wir für 286 Seiten ebenso fasziniert wie angeekelt Guthries Gäste sind. Heutzutage ist es schon als mutige Entscheidung zu werten, dass ein Autor eine Hauptfigur erschafft, die es völlig in Ordnung findet, Menschen für (und wegen) Geld krankenhausreif zu schlagen. Guthrie drückt Joe Hope dafür einen Baseballschläger in die Hand – der „bat“ ist als Instrument des Sports mindestens so bekannt wie als Waffe der Unterwelt. Mit ihr lassen sich schreckliche Verletzungen verursachen.

Wie können wir eine Hauptfigur ertragen, die so ihren Lebensunterhalt verdient? Ganz einfach, teuflisch einfach: Diese Abgestumpftheit ist nur ein Aspekt des Wesens, das insgesamt Joe Hope ergibt. Der Mann ist kein Psychopath, er hat moralische Grundsätze, leidet unter emotionalem Hunger. Als Leser ertappt man sich mehr als einmal dabei, diesen Hope, einen Gesellen, den man im wahren Leben zu Recht meiden würde, zu bemitleiden. Er lässt sich treiben und flüchtet vor seinen privaten Problemen. Als Gemma stirbt, kann Hope sich ihnen nicht mehr entziehen. Erwartungsgemäß reagiert er mit dem einzigen Gefühl, das er zu beherrschen meint – mit Zorn oder besser: mit blinder Wut, die ihm das Nachdenken oder Trauern erspart. Hope weiß sehr genau, dass es zu spät ist und er Initiative zu Gemmas Lebzeiten hätte zeigen müssen. Hopes desolates, dem ‚normalen‘ Zeitgenossen kaum oder gar nicht verständliches Wesen und die daraus Konflikte und Reaktionen wird von Guthrie sehr präzise und spannend beschrieben.

Freundschaft und Verrat

Der Plot von „Abschied ohne Küsse“ lebt nicht von seiner Raffinesse. Wesentlich früher als der allerdings von den Umständen gehandicapte Hope ahnt der Leser, welches Drama dem mörderischen Geschehen zu Grunde liegt. Diese Welt ist gleichzeitig schlecht und banal; kein Wunder, dass man sich als Leser immer wieder an den Film „Pulp Fiction“ erinnert.

Um Hope zu vernichten, bedarf es nicht des Gesetzes oder einer „moral majority“. Man könnte ihn erneut bedauern, denn obwohl er im kriminellen Kosmos seiner Heimatstadt zu Hause ist, glaubt er offenbar persönlich immun gegen dessen skrupelfreie Regellosigkeit zu sein. Die Gewalt, die Hope so selbstverständlich verbreitet, wendet sich schließlich gegen ihn – so einfach ist das, doch der naive Schläger ist trotzdem überrascht.

Und naiv ist Hope, wie er endlich erkennt. Die wenigen Menschen, denen er vertraute, haben ihn seit vielen Jahren betrogen und benutzt. Das ist die eigentliche Strafe, die ihn härter trifft als Verfolgung, Haft oder Polizeibrutalität. An seiner Seite findet er stattdessen Personen, die er bisher nie für voll genommen hätte. Sie halten zu ihm, aber lange ist Hope außer Stande dies zu begreifen. Auch dieser Aspekt der Handlung ist interessanter als der Versuch, die Auflösung des Geschehens so langfristig wie möglich im Verborgenen zu halten.

Die ohnehin kleine Schatzkiste, in der die Muse Kalliope denkbare Thriller-Plots hortete, ist längst bis auf den Boden geleert. Die Variation bestimmt nicht nur den unterhaltungsliterarischen Alltag. In dieser Hinsicht gelingt Guthrie eine solide Arbeit mit hübsch-hässlichen Einfällen: Tina, die Nutte mit dem gar nicht goldenen Herzen, setzt den Baseballschläger gegen Kerle, die ihr frech kommen, sogar noch lieber ein als Hope gegen Schuldpreller.

Das Ende ist weniger leichenträchtig oder tragisch als erwartet, sondern in seiner Künstlichkeit eher ironisch – und interessant: Wie wir Joe Hope sein Leben aufnehmen? Er fängt bei Null an. Einen kleinen Lichtstrahl gönnt ihm Verfasser Guthrie aber doch: Hope kauft einen Anzug, um seine Tochter zu beerdigen und Abschied zu nehmen. Für einen „Noir“-Krimi ist das beinahe ein Happy-End.

Autor

Allan Guthrie wurde 1965 als Allan Buchan auf den schottischen Orkney-Inseln geboren. Die meisten Lebensjahre verbrachte er indes in der Großstadt Edinburgh, wo er noch heute wohnt und arbeitet.

Einen ersten Roman stellte Guthrie bereits 2001 fertig. Er arbeitete zu diesem Zeitpunkt in der Filiale einer britischen Buchhandelskette. Einen Verlag fand er lange nicht, erst 2004 wurde Guthries Debüt unter dem Titel „Two Way Split“ veröffentlicht; dies freilich nicht in England, sondern in den USA. Auch „Kiss Her Goodbye“ erschien 2005 jenseits des Atlantiks in der Reihe der „Hard Case Crimes“. Da diese sich auch in England einiger Beliebtheit erfreute, wurde Guthrie endlich auch im eigenen Land zur Kenntnis genommen; dass „Kiss Her Goodbye“ sowohl für einen „Edgar Allan Poe Award“ als auch für einen „Anthony“ und einen „Gumshoe Award“ nominiert wurde, dürfte mit eine Rolle gespielt haben.

Allan Guthrie ist dem ‚schwarzen‘ Krimi treu geblieben. Seine Romane spielen in einem gemeinsamen Kosmos. Die Hauptpersonen des einen Buches können jederzeit als Nebenfiguren in einem anderen Werk auftreten. Inzwischen gilt Guthrie als neue aber etablierte Stimme des englischen bzw. schottischen Kriminalromans, was er mit einer wachsendem Zahl von Literaturpreisen belegen kann.

Taschenbuch: 286 Seiten
Originaltitel: Kiss Her Goodbye (London : Polygon Books/Birlinn Ltd. 2005; New York : Hard Crime Case 2005)
Übersetzung: Gerold Hens
Cover: Chuck Pyle
http://www.rotbuch.de

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