Eric Hansen – Orchideenfieber. Roman

Expeditionen, spannend wie ein Thriller

„Eine Gartenbau-Geschichte über Liebe, Lust und Wahnsinn“ – das klingt vielleicht etwas dick aufgetragen, aber andererseits: Wer würde schon sein gesamtes Vermögen einer Spezies von Blumen opfern, wenn nicht ein völlig Süchtiger?

Von solchen Verrückten berichtet Eric Hansen in seinem erzählenden Sachbuch „Orchideenfieber“ – dessen Titel natürlich an den bekannten Begriff „Diamantenfieber“ angelehnt ist. Es ist eine bizarre Welt, in die er den Leser mitnimmt: Sie hat aber auch ihre Schurken und Helden, wobei nicht von vornherein klar ist, welcher davon auf der Seite des „Rechts“ und des „Gesetzes“ steht.

Inhalte

Orchideen sind in ca. 20.000 Arten und 100.000 Hybriden (Mischungen) bekannt. Das heißt aber nicht, dass dies alle Arten sind, die es gibt. Jährlich werden neue entdeckt und natürlich auch gezüchtet. Diese edel geformten, häufig betörend duftenden Blumen werden seit Jahrtausenden von Menschen bewundert und weiterentwickelt, besonders in China. In Japan werden edelste Parfums daraus hergestellt, die man nicht einmal in Europa und Amerika bekommt. In der Türkei wird aus einer Sorte sogar leckere Eiskrem hergestellt, die angeblich so zäh ist, dass man daraus Springseile machen kann – bizarr.

Doch erst in den letzten 25 Jahren ist eine kräftige Prise Wahnsinn in die ganze Orchideenwelt gelangt, die uns Hansen schildert. Das begann mit der Unterzeichnung des Washingtoner Artenschutzabkommens. Es war zwar zunächst für Tiere konzipiert und ausgearbeitet worden, doch in letzter Minute dachte man auch an die Pflanzen. Leider wurde dieser juristische Teil weit weniger gut ausgearbeitet, und so schütteln selbst ausgefuchste Paragrafenreiter in Sachen Artenschutz bedauernd den Kopf, wenn man sie nach der Auslegung mancher unklarer Bestimmung befragt.

Daher kann es seit den achtziger Jahren immer wieder passieren, dass in der Klatschpresse von „Orchideenpiraten“ und „-schmugglern“ die Rede ist, die die „seltenen Arten“ bis an den Rand der Ausrottung ausgeplündert hätten. Der Autor porträtiert mehrere solcher Personen. Hin und wieder finden Razzien der Zollpolizei bei Züchtern und Händlern statt. Besonders die deutschen Razzien gemahnen den hiesigen Leser nicht nur an braune Zeiten, sondern auch die Terroristenhatz des „deutschen Herbstes“.

Merkwürdig ist dabei, so fand Hansen in Gesprächen mit den Betroffenen heraus, dass dabei häufig Angehörige der Königlichen Botanischen Gärten von Kew (bei London) und der Universität Leiden (Niederlande) zugegen oder tätig waren. In der Regel wurde dabei das konfiszierte Eigentum – höchst empfindliche tropische Pflanzen – vernichtet oder zumindest in alle Winde verstreut. Eine Entschädigung erhielt selbst der zu Unrecht Beschuldigte Züchter oder Händler in keinem Fall. Kew und Leiden leugnen jede Beteiligung, doch Hansen hat Belege. Man kommt sich vor wie in einem Mafia-Thriller.

Diese Praxis bedeutete nicht nur, dass die Preise für Spezies stiegen, die eigentlich geschützt werden sollten, sondern dass auch eine ausgedehnte Halbwelt entstand. Wie ein französischer Orchideen-Rebell erzählt, sind die asiatischen Verbrecherorganisationen in das Orchideengeschäft eingestiegen, das nun mindestens neun Milliarden Dollar bringt. Das bedeutet, dass genau das Gesetz, das die Arten schützen soll, dazu beiträgt, dass die Nachfrage danach steigt und immer wildere, ähem, Blüten treibt.

Dabei schützt das Gesetz nicht einmal die vorhandenen Bestände: Waldrodungen und Staudämme, Straßen und Dorfgründungen, die Orchideenbestände – etwa auf Borneo oder in Deutschland – vernichten, sind legal, deren Rettung vor der Vernichtung jedoch nicht. Lediglich im US-Bundesstaat Minnesota fand Hansen ein kleines, individuelles Projekt zur Rettung von bedrohten Orchideen vor den Straßeningenieuren und Torfstechern – auch hierbei stieß er auf bürokratisches Schattenboxen und andere bizarre Auswüchse.

Wunderwelt der Blütenpflanzen

Glaubt man den beredten Worten Hansens, so sind manche Orchideen unglaublich. Mit ausgetüftelten Tricks stellen manche Arten sicher, dass ihr Wirt (Fliegen, Bienen usw.) andere Exemplare derselben Art bestäubt. Manchmal stehen dabei die Chancen eins zu einer Million. Hier gibt es Liebe, Verführung, Lust und, jawohl, auch Erfüllung.

Ebenso wunderlich sind auch die diesen Wesen Verfallenen. Dies reicht von den abstrusen Prämierungsmethoden der fahrenden Richterkomitees in USA, vom tropischen Gewächshaus in der Pariser Stadtwohnung an der Seine und über Leute, die ihre Lieblinge mit dem Zahnstocher bestäuben, sie bis ins Innere Borneos (mit dem Klappklo im Expeditionsgepäck) verfolgen – bis hin zu Helden der Wissenschaft wie Prof. Gunnar Seidenfaden, der noch im 88. Lebensjahr an einem Buch über die 1200 Orchideenarten Thailands schrieb. Er hoffte, mit 90 fertig zu sein, verstarb aber 2001.

Mein Eindruck

Ein Buch der Wunder

Der Wunder ist kein Ende. So dachte ich des Öfteren, als ich auf Eric Hansens Spuren durch die Vereinigten Staaten, ins Innere Borneos und in die deutsche Provinz (Razzien!) folgte. In der ersten Hälfte des Buches wechseln die konkreten Szenen einander ab, die meist amüsant sind. Insbesondere die Szene über das Essen und Zubereiten von Orchideeneiskrem sind buchstäblich köstlich. Auch das Durchrasen deutscher Autobahnen mit 200 Sachen kann für einen Amerikaner zu der Palette lebensgefährlicher Nervenkitzel zählen.

Ein Triller

Doch in der zweiten Hälfte wird das Buch zu einer Abfolge von Rechercheabenteuern, die den hartnäckigen Autor bis in die „heiligen Hallen“ von Kew Gardens führen (mit enttäuschendem Erfolg). Da meinte ich, einen Mafiathriller über eine Halbwelt zu lesen, von der noch niemand etwas gehört hat. Und so hielt mich das Buch bis spät in die Nacht wach.

Ein Plädoyer

Natürlich ist das Buch unterschwellig auch ein beredsames Plädoyer für die längst überfällige Generalüberholung des Artenschutzabkommens (Bearbeitungen gibt es bereits genügend, vielen Dank auch). Offensichtlich richtet es mehr Schaden an, als Gutes zu bewirken. Und Hansen erweckt den Eindruck, als hätte man den Bock zum Gärtner gemacht, wenn er über den Leiter von Kew Gardens schreibt, Mr. Cribb. Eine Revision würde dem gerecht werden, was die Halb- und Unterwelt schon längst vollzogen hat: einen globalen illegalen Handel, der über Länder abgewickelt wird, die dem Abkommen nie beigetreten sind (selbst wenn sie, wie Taiwan, wollten, aber nicht durften – Taiwan wird von der UNO nicht als selbstständiges Land anerkannt).

Grafiken und Übersetzung

Da dies kein Handbuch ist, sondern eine Exkursion, bestehen die Pflanzenabbildungen nur aus Schwarzweißzeichnungen, versehen mit ihrem lateinischen Doppelnamen und hin und wieder einem Kosenamen: Eat my Dust, Magic Lantern, Thunder Thighs (um nur die anzüglichsten zu nennen). Auf der Titelseite des knallroten Umschlags prangt eine ebenso hochrote Orchidee.

Der Übersetzer Olaf Schenkel, so teilt uns der Verlag mit, hat sich bislang mit Gedichtübertragungen hervorgetan. Das ist eine hervorragende Empfehlung, denn gerade Lyrik erfordert entsprechend hohes Sprachgefühl – in beiden Sprachen. Es verwundert nicht, dass daher die Übersetzung makellos genannt werden darf.

Gebunden: 304 Seiten
Originaltitel: Orchid fever. A horticultural tale of love, lust and lunacy, 2000
Aus dem Englischen übertragen von Olaf Schenk.
ISBN-13: ‎978-3608933550

www.klett-cotta.de

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