Anthony Horowitz – Sherlock Holmes – Das Geheimnis des weißen Bandes

Die Handlung:

Kurz vor seinem Tod schreibt Dr. Watson einen Fall seines berühmten Freundes Sherlock Holmes auf, über den er bislang geschwiegen hat – zu schockierend waren die Geschehnisse, zu weitreichend die Verschwörung und zu mächtig die darin verwickelten Familien.

Der wohlhabende Kunstsammler und Galerist Edward Carstairs fühlt sich von einem mysteriösen Mann mit Schiebermütze verfolgt. Er erkennt in ihm den Anführer und einzigen Überlebenden einer amerikanischen Verbrecherbande, die mit seiner Hilfe in Boston zerschlagen wurde. Und so wendet er sich hilfesuchend an Sherlock Holmes. Kurz darauf wird der Amerikaner erstochen und ein Straßenjunge, der den Mord beobachtet hat, brutal ermordet. Holmes hat nur einen einzigen Hinweis: ein weißes Seidenband, befestigt am Handgelenk des Jungen … (Verlagsinfo)

Mein Eindruck:

Man mag es aufgrund der Vielzahl an Sherlock-Holmes-Geschichten, die es nach dem Tod seines Erfinders schon gegeben hat, nicht glauben, aber dies ist tatsächlich das erste Holmes-Abenteuer, das von offizieller Seite als Canon abgesegnet wurde. Da Holmes hier bereits verstorben ist und sich der gute Watson bald zu ihm gesellen wird, kann es aber auch gut sein, dass dieses Abenteuer zugleich die letzte offizielle Fortsetzung sein könnte, die „gefunden“ wurde.

Und wenn der Hörer sich von Horowitz‘ Holmes ins viktorianische England entführen lässt, dann merkt er schnell, warum der Autor das Gütesiegel des Doyle-Clans bekommen hat. In erster Linie schreibt er, wie Conan Doyle seinen Holmes geschrieben hat und erst dann fügt er seinen eigenen Stil hinzu. So bekommen wir hier noch mehr Action und Drama geboten, als man es sonst von Holmes-Abenteuern gewohnt ist, auch ist das gesamte Feeling düsterer.

Da Horowitz das offizielle Vertrauen hat, lässt er auch gern ein paar allzu bekannte Namen wie Professor Moriarty, Mrs Wiggins und Holmes‘ Bruder Mycroft für einen Gastauftritt auftauchen, ob sie nun mit der Handlung etwas zu tun haben oder nicht, und lässt für den Hardcore-Fan immer mal ein paar Bezüge zu Doyles Holmes-Fällen hören. Da Watson diesen vorliegenden Fall für 100 Jahre unter Verschluss halten wollte, weil er zu gewaltig war und Holmes gerade ein Jahr tot ist … müsste er rein rechnerisch 1910 verstorben sein (denn 2011 erschien die Romanvorlage dieses Hörbuchs). Dann allerdings hätte er „Seine Abschiedsvorstellung“ 1914 nicht geben können, denn in diesem Jahr spielt diese Story und auch der Hinweis am Anfang mit den „Zeiten des Krieges“ würde nicht passen, was Watson ins Jahr 1914+ versetzt hätte. Canon also ok … Recherche … diskussionswürdig. Es sei denn, die 100 Jahre wären nicht eingehalten worden und das gesellschaftserschütternde Manuskript wäre schon früher an die Öffentlichkeit gelangt.

Es geht los, wie viele Fälle von Sherlock Holmes starten. Es kommt ein Klient und erzählt aufgebracht seine Geschichte, die oftmals viel komplizierter aufgelöst wird, als man es vermuten könnte. Hier fängt alles mit einem Kunstraub in Amerika an, dessen Aus- und Nachwirkungen sich bis nach England ziehen und dessen Fall mit zunehmender Ermittlungsarbeit immer seltsamer wird. Irgendwann fällt der Begriff „House of Silk“ (der keine deutsche Übersetzung erfahren hat), wobei es sich um eine Geheimgesellschaft handeln könnte und plötzlich steht der drogensüchtige Holmes selbst im Mittelpunkt der Ermittlungen … was nicht zuletzt der Verdienst des „House of Silk“ sein dürfte. Und dadurch gibts dann zwangsweise auch ein Watson-Solo, in dem der Erzähler der Geschichte selbst ermitteln muss.

Der Spannungsbogen beim „Geheimnis des weißen Bandes“ nimmt sich anfangs Zeit, um sich nach oben zu biegen. So wird dem Hörer aber auch Zeit gegeben, sich in dem Setting wohlzufühlen, bevor er anfängt, über den Fall nachzugrübeln. Mit jedem Kapitel aber wird es spannender und aufregender. Dramatik und Verbrechen halten Holmes und Watson im Griff und den Hörer bei der Stange, der irgendwann nicht mehr abschalten möchte, weil es keine Durchhänger in der Handlung gibt.

Auch das Ende und die große Auflösung hätte Doyle wohl selbst nicht so geschrieben … aber … Doyle hat diese Geschichte ja auch nicht geschrieben und so hat Horowitz am Ende doch noch seinen eigenen Holmes geschaffen … mit offizieller Absegnung.

Und es wäre keine Sherlock-Holmes-Geschichte, wenn mit der großen Auflösung nicht bis ganz zum Schluss gewartet werden würde. Auch wenn der aufmerksame Hörer sich das eine oder andere schon zusammengereimt hat, so gibts im Laufe der Geschichte dennoch Drehungen und Wendungen, die zu überraschen wissen.

Das Hörerlebnis:

Johannes Steck gibt einen tollen Watson. Vom ersten Augenblick an nimmt er den Hörer gefangen und bringt die Trauer des Holmes-Freundes perfekt ins Ohr. Und wenn er dann anfängt, vom eigentlichen Fall zu berichten, dann blüht er hörbar auf und der Hörer freut sich lächelnd auf das, was die beiden damals erlebt haben.

Steck schafft es allein durch die Veränderung der Sprechgeschwindigkeit, leichter Modulation der Stimme und manches Mal durch Lautstärkeveränderungen, die Charaktere für den Hörer unterscheidbar zu machen und in Sekundenbruchteilen sofort Dramatik und Spannung aufzubauen. Holmes klingt immer so, als wäre er Herr der Lage, was zweifellos auch immer der Wahrheit entspricht und Watson ist immer ein wenig hektisch und aufgeregt.

Steck braucht seine Stimme nicht albern zu verstellen, auch wenn er Frauen spricht, um die Stimmung, das Erlebte und die Gefühle der einzelnen Personen nachfühlbar zu transportieren. Johannes Steck weiß mit seiner Stimme umzugehen und sie zielsicher einzusetzen. Hier ist ein Profi am Werk, der seine Hörer die Romanvorlage authentisch erleben und die Spannung mitfühlen lässt.

Die Aussprache des Namens des allseits bekannten, beliebten und von Holmes nicht für voll genommenen Inspector Lestrades hingegen, gefällt mir gar nicht. Allgemein wird er nicht „Le-strait“, sondern „Le-strard“ ausgesprochen, was den Reim „Lestrade vom Yard“ ermöglicht, zumal Lestrade französische Wurzeln haben soll. Dieser Aussprache schließt sich auch die 60-teilige Hörspielserie SHERLOCK HOLMES an.

Der Autor:

Anthony Horowitz, geboren 1956 in Stanmore / Middlesex in England, arbeitete bereits für Theater, Film und Fernsehen, als er in England mit den „Diamond-Detektiven“ seinen Durchbruch als Romanautor erlebt. Seit der Erfindung von „Alex Rider“ ist er zum Kultautor avanciert. (Verlagsinfo)

Der Sprecher:

Johannes Steck, 1966 in Würzburg geboren, absolvierte eine Ausbildung an der Schauspielschule Wien. Nach Engagements an staatlichen Theatern folgten zahlreiche Auftritte im TV wie zum Beispiel eine Hauptrolle in der ARD-Serie „In aller Freundschaft“. Als Sprecher und Produzent von Hörbüchern hat Johannes Steck sich deutschlandweit einen Namen gemacht. Er lebt mit seiner Familie in der Nähe von München. (Verlagsinfo)

Die Ausstattung:

Die zwei schwarz bedruckten und die zwei weiß bedruckten CDs bieten den gleichen geschwungenen und stilvoll weißen Schriftzug des Titels wie das Jewel-Case, in dem sie stecken. Das Booklet bietet nicht nur die Spielzeitangaben der einzelnen CDs, sondern auch eine Aufstellung darüber, welche Tracks zu welchem Kapitel gehören. Damit die Hörer nicht den Überblick über die vielen Charaktere verlieren, finden wir auf zwei weiteren Seiten eine Aufstellung der Personen und was sie so treiben. Dann gibts noch Fotos des Autors und des Sprechers zu sehen, nebst Infos zu ihnen, die Technik-Credits und Eigenwerbung zu weiteren Produktionen des Verlags. Auf der Rückseite der Box finden wir noch mal ein Foto des Sprechers und Infos zur Geschichte.

Mein Fazit:

„Einmal Sherlock Holmes mit alles, bitte!“ … Horowitz lässt das bekannte Gespann Holmes & Watson von einer Wendung zur nächsten hetzen. Holmes-Hardcorefans werden hier und da chronologische Ungereimten in Verbindung zu Doyles Fällen finden, wer nur ein wenig Sherlock-Holmes-Vorwissen hat oder ihn nur in Form von Downey Jr. aus dem Kino kennt, auch für den ist diese Story interessant, abwechslungsreich und spannend.

Alles lebendig, spannend und fesselnd vorgertragen von einem Sprecher, der weiß, wie man einen Hörer in die Story hineinzieht. Ich würde mich freuen, wenn Horowitz noch einmal nachlegen und das Werk dann wieder von Johannes Steck gelesen würde.

4 Audio-CDs
Spieldauer: 5:09 Std.
Tracks: 67
Originaltitel: The House of Silk
Gelesen von Johannes Steck
ISBN: 978-3-8337-2868-6
www.jumboverlag.de