Nachdem Carlos Ruiz Zafón mit [„Der Schatten des Windes“ 2184 einen großartigen Roman und Weltbestseller geschaffen hat, der inzwischen schon in immerhin mehr als 30 Sprachen übersetzt wurde, liegt mit „Das Spiel des Engels“ nun der lang herbeigesehnte Nachfolger vor. Der Erwartungsdruck ist verständlicherweise enorm hoch, hofft der geneigte Leser doch zu Recht darauf, dass Zafón auch mit seinem zweiten Werk wieder so zu begeistern vermag wie mit seinem vorangegangenen Roman.
Wieder nimmt Carlos Ruiz Zafón uns mit auf eine Reise in das Barcelona vergangener Tage. Wieder dreht sich alles um die Magie der Bücher. Wieder tauchen die Buchhandlung Sempere und Söhne und der Friedhof der Vergessenen Bücher auf und wecken positive Erinnerungen an den „Schatten des Windes“.
Der junge David Martín verdient im Barcelona vor dem Bürgerkrieg seine Brötchen mehr schlecht als recht mit dem Schreiben von Schauergeschichten. Das Schicksal meint es nicht gut mit David: Sein schriftstellerisches Talent wird verkannt, die Liebe seines Lebens erfüllt sich nicht und er droht schon bald an den Folgen einer schweren Erkrankung zu sterben.
In ganz Barcelona scheint nur ein Mann an David Martíns Talent zu glauben: der mysteriöse Pariser Verleger Andreas Corelli. Corelli macht Martín ein unwiderstehliches Angebot, bei dem er sein Talent endlich voll zur Geltung bringen kann. Doch nachdem Martín sich auf das Angebot Corellis eingelassen hat, bringen ihn eine Reihe mysteriöser Ereignisse ins Grübeln, und er beginnt im Stillen, Corellis Motive zu hinterfragen. Doch steckt er auch schon mittendrin in einem unaufhaltsamen Strudel, der sein ganzes Leben auf den Kopf zu stellen droht …
Zusammen mit Anna Gavaldas aktuellem Roman [„Alles Glück kommt nie“ 5414 dürfte „Das Spiel des Engels“ der Titel 2008 sein, den ich am meisten herbeigesehnt habe. Entsprechend hoch sind die Erwartungen, schließlich war „Der Schatten des Windes“ einer der großartigsten belletristischen Romane der letzten Jahre. „Der Schatten des Windes“ ist ein derart packender Roman, dass man ihn kaum aus der Hand legen mag. Man taucht tief in die Geschichte ein. Schicht um Schicht legt Zafón neue Facetten seiner Erzählung frei, und so geht von dem Roman eine Faszination aus, der man sich kaum entziehen kann.
„Das Spiel des Engels“ soll hier offensichtlich anknüpfen, trifft der Leser schließlich in Zafóns neuestem Werk einige altbekannte Figuren wieder: Señor Sempere und seinen Sohn in der Buchhandlung in der Calle Santa Ana, Semperes Kollegen Gustavo Barceló und nicht zuletzt den fantastisch anmutenden Friedhof der Vergessenen Bücher. Auch „Das Spiel des Engels“ dreht sich schließlich um die Magie der Bücher. Zafón bleibt seinem Thema treu.
Und so dauert es auch diesmal nicht allzu lange, bis man in die Geschichte eintaucht und Barcelona mitsamt Zafóns Protagonisten zum Leben erwacht. Schnell wird David Martín zum schicksalsgebeutelten Sympathieträger. Alles in allem durchaus vielversprechend.
Und doch ist mit diesem Buch alles so vertraut und anders zu gleich. Man taucht zwar schnell ein und ist bereit, sich von Zafón durch eine Geschichte leiten zu lassen, von der man keinen Schimmer hat, welche Richtung sie einzuschlagen vermag, dennoch schleicht sich bei „Das Spiel des Engels“ auch ein ungutes Gefühl mit ein. Mit „Der Schatten des Windes“ vermag Zafón den Leser tief im Innern zu berühren. „Das Spiel des Engels“ hat zumindest in mir trotz großer Sympathien für den Autor und seine Art, Geschichten zu erzählen, keine derartigen Gefühle ausgelöst.
Je weiter sich die Geschichte entwickelt, desto mehr scheint sie auch auf Distanz zum Leser/Hörer zu rücken. Zwar entwickelt sie sich höchst spannend, aber trotz der Sympathien für die Hauptfigur David Martín fühlt und leidet man längst nicht so intensiv mit, wie man dies noch bei „Der Schatten des Windes“ konnte.
Die Spannung wird hier vor allem von der Frage genährt, wer sich hinter Andreas Corelli verbirgt. Was will er von Martín? Was führt er im Schilde? Im Laufe der Geschichte passieren eine Menge Dinge, die Corelli immer wieder in einem höchst eigenartigen, teils mystischen Licht erscheinen lassen. Insgesamt entwickelt sich die Geschichte diesmal sehr düster – sehr viel düsterer als „Der Schatten des Windes“. Vor allem zum Ende hin, wo es teils sogar noch ziemlich blutig wird, dominieren die dunklen Töne das Geschehen.
Zu Zafóns vertrauten Romanzutaten (Liebesgeschichte, Hommage an die Literatur, ein bisschen Kriminalgeschichte, ein leicht fantastischer Einschlag) gesellt sich diesmal ein guter Schuss Noir. Das ist auf jeden Fall eine sehr reizvolle Entwicklung. Inspirieren ließ Zafón sich diesmal ganz offensichtlich auch von Goethes „Faust“, denn man findet im Plot durchaus Bezugspunkte.
Das Ganze gipfelt in einem Finale, das zwar sehr spannend ist, den Leser/Hörer aber auch ziemlich unbefriedigt zurücklässt. Kann „Der Schatten des Windes“ gerade auch deshalb so überzeugen, weil der Roman so eine wunderbar runde Sache ist, so verliert Zafón sich hier in losen Fäden. Wirklich aufgelöst wird die Geschichte nicht. Sie endet einfach mit einem etwas merkwürdigen Schlusspunkt, von dem der Leser/Hörer halten kann, was er will. Man wartet so lange auf das große Finale, in dem sich die Geschichte aufklärt, und wird dann so herb enttäuscht.
Diesmal schafft Zafón es einfach nicht, den Bogen zu spannen und die Geschichte in sich zu schließen. Sie bleibt einfach in der Luft hängen, und das hinterlässt schon einen ziemlich faden Beigeschmack. Konnte man schon im Verlauf der Geschichte keine so tiefe Bindung zu den Protagonisten aufbauen, wie es noch bei „Der Schatten des Windes“ möglich war, so entzweit einen das Finale endgültig.
Dass man nach Genuss des Hörbuchs dennoch nicht das Gefühl hat, man hätte sinnlos seine Zeit verplempert, ist zum einen Zafóns plastischer Erzählweise zu verdanken und zum anderen auch der gelungenen Vortragsweise von Hörbuchsprecher Gerd Wameling. Mit wunderbar warmer Stimme liest er die Geschichte und schafft es dabei sehr gut, die unterschiedlichen Nuancen der verschiedenen Persönlichkeiten herauszuarbeiten.
Es bleiben unterm Strich gemischte Gefühle zurück. Zwar ist „Das Spiel des Engels“ ein Hörbuch, dem man gerne lauscht, doch bleibt die Geschichte hinter den hochgesteckten Erwartungen deutlich zurück. Der Noir-Einschlag verleiht der Geschichte zwar ihren Reiz, dennoch taucht man nicht ganz so tief in den Plot ein und fiebert längst nicht so intensiv mit den Figuren mit wie noch bei „Der Schatten des Windes“. Das mystisch aufgebauschte Finale vermiest den Eindruck dann noch zusätzlich. War „Der Schatten des Windes“ eine wunderbar runde und facettenreiche Geschichte, so gerät „Das Spiel des Engels“ am Ende zusehends ins Stolpern. „Der Schatten des Windes“ bleibt damit absolut unübertroffen.
|Originaltitel: El juego del angel
Aus dem Spanischen von Peter Schwaar
611 Minuten auf 9 CDs
ISBN-13: 978-3-86610-606-2|
http://www.argon-verlag.de/