Iain Banks – Förchtbar Maschien

Nur noch wenige Menschen bevölkern eine dem Untergang geweihte Erde. Die vergessene Hochtechnik der Vergangenheit setzt einen komplizierten Rettungsplan in Gang … – Science Fiction in Reinkultur: Hier wird ein ungemein komplexes Zukunftsbild entworfen, das nicht den Regeln der Spannungsliteratur folgt, sondern das Fremde, Unverständliche thematisiert: anspruchsvolle und etwas ‚andere‘ SF jenseits der üblich gewordenen Military-Space-Operas.

Das geschieht:

Die Erde einer fernen Zukunft ist eine verlassene, wüste Welt, die dem Untergang geweiht ist, weil das Sonnensystem eine kosmische Dunkelwolke durchqueren wird. Nur wenige Menschen stolpern durch die Trümmer einer High-Tech-Zivilisation, die sie nicht mehr verstehen. Stattdessen führen untereinander verfeindete Clans, Gilden und Königreiche sinnlose Kriege gegeneinander. Erzählt wird von vier Menschen, deren Schicksale auf seltsame Weise miteinander verwoben sind:

– Baskül Zerwühl, ein junger Mann, wagt sich auf der Suche nach seiner Freundin, der sprechenden Ameise Agatha, in die unterirdische „krüpta“. Hier hat sich eine künstliche Intelligenz selbstständig gemacht und führt ein bizarres Eigenleben. Die Oberwelt ist eingebunden in eine Datensphäre, die der Realität eine virtuelle Zivilisation gegenüber stellt, deren “künstliche” Bewohner wie selbstverständlich ins Tagesgeschehen eingreifen. Obwohl die Grenzen fließend sind, gibt es Bereiche, in denen die virtuellen Wesen unter sich bleiben. Dorthin dringt Baskül vor.

– Hortis Gadfium, Chefwissenschaftlerin der Interorga-Gilde für Gratifikations- und Finanzkompensation, erhält von der mysteriösen „Ebene der Wandernden Steine“ die Botschaft einer fremden Macht. Sie verheißt Rettung für die Erde. Doch der König, Gadfiums Herr, bespitzelt seine Untertanen zwanghaft mit Hilfe eines lückenlosen Überwachungsnetzes. So wendet sich Gadfium zum Wohle der Welt gegen ihren Herrscher und nimmt auf eigene Faust Kontakt auf.

– Graf Alandre Sessine VII., Oberkommandierender des II. Expeditionskorps, fällt während einer Routine-Streife einem Anschlag zum Opfer, um anschließend zum wiederholten Male wiederbelebt zu werden. Der sinnlose Kreislauf von Kampf und Tod wird durchbrochen, als der Graf seine wahre Bestimmung erkennt.

– Asura, das Mädchen ohne Gedächtnis, hält unwissentlich den Schlüssel zur Rettung der Erde in ihren Händen.

Im Festenturm, einem 25 Kilometer hohen Bauwerk, dessen Spitze noch niemals betreten wurde, trifft das Quartett nach zahllosen Abenteuern aufeinander. Hier stellt sich heraus, dass sie Figuren eines Planes sind, der es ermöglichen soll, wenigstens einem Teil der Erdbevölkerung die Flucht zu ermöglichen.

‚Anders‘ um jeden Preis

Man kann wahrlich nicht behaupten, der britische Schriftsteller Iain Banks habe es seinen Lesern jemals leicht gemacht. Dies galt bereits für seinen Debütroman „The Wasp Factory“ („Die Wespenfabrik“, 1984), trifft aber auf das hier vorgestellte Werk erst recht zu; der hilflose Versuch einer ‚Inhaltsangabe‘ mag Beweis genug sein.

In einer Welt stromlinienförmiger Serien-SF ist Banks ein erfreulich kantiges Element. Er gehört zu denen, die den Leser daran erinnern, dass die Science Fiction einst für sich beanspruchte, neue Tore aufzustoßen. Inwieweit dies gelang, sei dahingestellt. Nachweislich bemühten sich Autoren wie Olaf Stapledon, Alfred Bester oder Philip K. Dick (um nur einige Namen wahllos heraus zu greifen) redlich, die ausgetretenen Pfade kosmischer Wild-West- und Kriegsgeschichten zu verlassen. Banks ist einer ihrer modernen Nachfolger, und man ist dankbar für seinen schöpferischen Eigensinn.

Aufwand und Endergebnis

Das bedeutet allerdings nicht, dass alles gutzuheißen ist, was dem fleißigen Schotten, der regelmäßig ein dickes Buch pro Jahr auf den Markt bringt, aus der Feder fließt. Spürbar bemüht, um jeden Preis originell zu sein, kann Banks sich durchaus verrennen. In „Förchtbar Maschien“ lässt er eine seiner Figuren (Bascül) in einem seltsamen, den Gesetzen der Grammatik und Rechtschreibung nur willkürlich unterworfenen, stark phonetischen Kauderwelsch von seinen Abenteuern berichten.

Banks hat hart gearbeitet, Horst Pukallus und Michael K. Iwoleit, die auch sonst als Übersetzer manche harte Nuss zu knacken hatten, folgen ihm wacker in dem Bemühen, für Bascül, der selbst in seiner pittoresker Welt ein Außenseiter ist, eine eigene Sprache zu schaffen. Doch ist das Ergebnis der Mühe wirklich wert? Als Leser hat man sich an Bascüls Sprachkunst nach einiger Zeit gewöhnt, aber hinter dem Wortgeklingel steckt letztlich doch nur das „Post-Doomsday“-übliche Scharren im Schutt einer vergessenen Vergangenheit.

Ausschnittsvergrößerungen einer verlorenen Welt

Gibt es einen Plot, einen roten Faden, der durch die seltsame Welt der „Förchtbar Maschien“ führt? Die Antwort ist ein „Ja“, denn obwohl die einzelnen Erzählstränge nur lose umeinander mäandern, werden sie zu guter Letzt zusammengeführt. Leider wird Banks dabei seiner bisher konsequent wider den Strich erzählten Geschichte untreu; als des Rätsels Lösung entpuppt sich das gute, alte Wurmloch, das in der Science Fiction schon manchem Raum- und Zeitreisenden (oder Autoren) aus der Zwickmühle geholfen hat.

Interessanter bleibt „Förchtbar Maschien“ daher als Momentaufnahme einer fremdartigen, aus den Fugen geratenen, auf bizarre Weise aber durchaus funktionierenden, kafkaesken, ‚gotischen‘ Welt, die man beobachten aber wohl nicht wirklich verstehen kann; die Bewohner scheinen dies selbst schon lange aufgegeben zu haben.

„Förchtbar Maschien“ zeigt seinen Autor auf der Höhe seiner Fähigkeiten und seines Talents. Von der Komplexität des Buches sollte man sich deshalb nicht abschrecken lassen. Wer es lieber langsamer angehen möchte, beginne lieber mit einem der konventionelleren Banks-Romane. Der Autor vermag seine Fabulierkunst durchaus einer stringenten Erzählweise unterordnen. in seinem „Culture“-Zyklus greift er die bekannten und beliebten Motive der klassischen Space Opera auf, um sie behutsam bis radikal zu modernisieren. Doch Vorsicht: Auch der ‚gezähmte‘ Banks schlachtet gern manche heilige Milchstraßen-Kuh.

P. S.: Der Originaltitel bildet offenbar ein hübsches Wortspiel, das in der Übersetzung verloren geht: Die seltsame Welt des Iain Banks wirkt tatsächlich bevölkert von Dschinns, geisterhaften Wesen, die ihrer Flasche entflohen sind.

Autor

Iain Menzies Banks wurde am 16. Februar 1954 in Dunfermline in der schottischen Region Fife geboren. Er studierte an der nördlich von Edinburgh gelegenen Universität von Stirling Philosophie, Englisch und Psychologie. Nach seinem Abschluss 1974 durchlief Banks die übliche berufliche Odyssee eines späteren erfolgreichen Schriftstellers und verdiente sein Geld u. a. als Gärtner oder Portier eines Krankenhauses. In der zweiten Hälfte der 1970er Jahre reiste Banks durch Europa. Ein ausgedehnter USA-Trip schloss sich an. 1978 kehrte Banks nach England zurück.

Schon in den 1970er Jahren wurde Banks schriftstellerisch aktiv. Mit „The Wasp Factory“ (dt. „Die Wespenfabrik“) erschien 1984 ein erster Roman, der Banks auf einen Schlag bekanntmachte. 1989 startete er den Zyklus um die „Culture“ (dt. „Kultur“), ein lockeres Bündnis intelligenter Zivilisationen, zu denen auch die Menschheit gehört. Die Serie wird kontinuierlich fortgesetzt und bildet eine „future history“, deren Teile indes nicht in chronologischer Reihenfolge erscheinen.

Außer seinen ‚reinen‘ Science-Fiction-Romanen (für die er im Original als „Iain M. Banks“ zeichnet) schreibt Banks (dann ohne „M“) belletristische Werke und Thriller. Aktuell lebt und arbeitet er in Kent. Im Januar 2013 gab Banks auf seiner Website bekannt, an Krebs im Endstadium zu leiden. Bereits am 9. Juni des genannten Jahres erlag Banks seiner Krankheit.

Website

399 Seiten
Originaltitel: Feersum Endjinn (London : Orbit Books 1994)
Übersetzung: Horst Pukallus/Michael K. Iwoleit
Cover: Thomas Thiemeyer
http://www.randomhouse.de/heyne

eBook: 947 KB
Cover: Das Illustrat
ISBN-13: 978-3-641-16375-4
http://www.randomhouse.de/heyne

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