J. L. Bourne – Tagebuch der Apokalypse

Das geschieht:

In San Antonio, Texas, führt der (namenlos bleibende) Ich-Autor sein Leben als Flieger im Dienst der US-Marine. Privat hat er sich ein kleines Haus gekauft, das er aktuell als Single bewohnt. Das Dasein ist trotz des Jobs geruhsam, denn derzeit führt Amerika keinen Krieg.

Während eines Urlaubs ändert sich die Situation. Zunächst sind es nur Kurzmeldungen, die vom Ausbruch einer seltsamen Seuche in China künden. In den fernen USA nimmt auch unser Soldat diese Nachrichten wenig interessiert auf, zumal die Regierung abwiegelt. Doch kurz darauf hat die Epidemie sämtliche Quarantäne- und Landesgrenzen überschritten, denn sie wurde völlig unterschätzt: Erst zu spät erkennen die Verantwortlichen, dass die Infizierten nicht ‚krank‘, sondern tot sind und trotzdem umherlaufen! Schlimmer noch: Diese Kreaturen attackieren die Lebenden, um sie zu fressen. Schon ein Biss ist (un-) tödlich, denn der Erreger erobert sogleich das Blut des Opfers, das sich binnen kurzer Zeit selbst in einen Zombie verwandelt.

Der Soldat kehrt nicht zu seiner Einheit zurück, sondern verbarrikadiert sich in seinem Haus, das er so gut wie möglich in eine Festung verwandelt und mit Vorräten (sowie Munition) füllt. Zunehmend panisch verfolgt er den Zusammenbruch, bis die Medien schweigen. Regierung, Verwaltung und Militär haben sich aufgelöst, es herrschen nur noch die Untoten sowie jene Zeitgenossen, die sich mit der Waffe in der Hand nehmen, was ihnen gefällt.

Als der Soldat die Belagerung nicht mehr erträgt, bricht er aus. Gemeinsam mit einem Nachbarn will er eine der Auffangstationen erreichen, die angeblich existieren. Der Weg wird zum Spießrutenlauf, denn die Zombies sind allgegenwärtig: hungrig, aufmerksam und auch in der Dunkelheit immer auf der Suche nach einem saftigen Happen …

Zurück auf Start, dann das Übliche

Schon die kurze Inhaltsskizze bringt es einmal mehr an den Tag: Der Horror Marke Zombie stellt ein enges Tal in der populärkulturellen Landschaftstopografie dar. Zu limitiert sind die Möglichkeiten, denn was KANN geschehen, wenn überall auf dem Globus die Toten aus den Gräbern springen? Diesen Horden lässt sich schlicht nichts entgegensetzen; sie sind in der Überzahl und – da schon tot – selbst von den waffenstarrenden Bürgern der USA nicht wirklich aufhalten.

Auch J. L. Bourne folgt quasi vorschriftsmäßig den Vorgaben, die zum Teil selbst den Untod starben und als Klischee wiedergeboren wurden: Irgendwo auf der Welt beginnt es, bleibt (zu) lange unbeachtet und kann sich deshalb ausbreiten. Diese Entwicklung ist logisch, da einerseits niemand, der es nicht mit eigenen Augen sieht, der Nachricht von einer massenhaften Wiederauferstehung von Leichen Glauben schenken dürfte. Außerdem haben wir in den letzten Jahren einige Seuchenzüge erlebt, die zu Pandemien zu entarten drohten: Im Zeitalter der Globalisierung ist es nicht zu garantieren, dass schon infizierte und ansteckende, aber noch nicht auffällige Kranke auf Reisen früh genug entdeckt werden.

Die Folgen sind Chaos, Massentod, der parallel dazu verlaufende Anstieg der Zombie-Zahlen, der Einsatz des Militärs und schließlich der Zusammenbruch der Zivilisation. Gut vorbereitet durch TV-‚Dokumentationen‘ wie „Life after People“ (dt. „Zukunft ohne Menschen“) wissen wir, wie lange es dauert, bis die Stromversorgung endet, Supermarkt-Vorräte ungenießbar werden oder Hochhäuser einstürzen. Der morbide Unterhaltungswert entsprechender Szenarien kann durch die Anwesenheit von Zombies nur steigen.

Die typische Nische

Natürlich erwischen die hungrigen Untoten nicht sämtliche Überlebenden – jedenfalls nicht sofort. Selbst bei einer Verlustrate von 99% bliebe angesichts der aktuellen Erdbevölkerung eine beachtliche Gruppe, die den Zombies Widerstand leisten könnte. Auch dies ist, solange man selbst nicht betroffen ist, spannend zu lesen oder mitanzusehen, weshalb die Untoten derzeit multimedial präsent sind.

Tatsächlich lässt sich das „Tagebuch der Apokalypse“ gut mit der TV-Serie „The Walking Dead“ vergleichen, die ihrerseits auf eine Comic-Serie gleichen Namens zurückgeht, die seit 2003 erscheint. Bourne dürfte zumindest letztere gekannt haben, als er daran ging, seine eigene Version des Untergangs zu schaffen. Ein Plagiator ist er freilich nicht: ALLE Aspekte einer zombieverheerten Zukunft wurden bereits zwischen 1968 und 1985 durch George A. Romero, den Schöpfer des ‚modernen‘ Untoten, ausgelotet.

Sie sind ein Gemeingut geworden, dessen sich so viele Epigonen bedienen, dass der anhaltende Erfolg des Zombie-Horrors wundert: Es gibt doch nichts Neues! Zwar gibt es durchaus ungewöhnliche Ansätze, die dem Genre neue Impulse einhauchen. Wahr ist aber ebenfalls, dass die meisten Zombie-Fans darauf gar keinen Wert legen. Sie sind süchtig nach plakativen Scheußlichkeiten, die der Kampf gegen verwesende Gegner automatisch mit sich bringt.

Der Mensch im Spiegel des Todes

Dazu gehört die ständig gleiche Story vom Kampf versprengten Individuen, die bisher ein eher geruhsames Leben führten und folglich auf die untote Bedrohung nicht vorbereitet sind. Abermals gilt: Wer es vom bequemen Sessel aus verfolgt, liebt es, Normalmenschen flüchten und raufen zu sehen. Hinzu kommt der menschliche Faktor, dem auch die elementare Krise nicht den Garaus machen kann: Jede Gruppe ist ein Hort potenziellen Streites. Es geht nicht darum, ob dieser ausbricht. Der Zeitpunkt ist interessant, da er den Überlebenskampf beeinflusst.

Boune hält sich in diesem Punkt lange auffällig zurück. Generell blendet er Emotionen weitgehend aus. Als Autoren-Neuling fällt er die kluge Entscheidung, sich nicht an Szenen zu verheben, die sein schriftstellerisches Talent eindeutig überschreiten. Der Leser ist ihm dankbar und wünscht sich ähnliche Bescheidenheit von (vielen) anderen Autoren. Streitigkeiten werden hin und wieder erwähnt aber nicht ausgeführt. In der Regel zieht die Gruppe an einem Strang. Die üblichen Kompetenzstreitigkeiten entfallen, der namenlose Soldat wird als Anführer allseits respektiert.

Erst auf den letzten Seiten und dann erstaunlich unspektakulär konfrontiert Bourne die Gruppe und seine Leser mit jenen Neo-Wilden, die offenbar jede Apokalypse hervorbringt: Ehrlose Zeitgenossen greifen sich Waffen, doch statt sich selbst auf die Suche nach Lebensmitteln, Wasser oder einer zombiesicheren Unterkunft zu begeben, überfallen sie schwächere oder skrupulösere Mitbürger, rauben sie aus und überlassen sie ihrem Schicksal, wenn sie nicht sogar alle töten. Auch hier geht Bourne einen Separatweg: ‚Seine‘ Marodeure wollen sogar die Frauen der Gruppe umlegen, statt sie genreüblich in ihren Harem einzugliedern!

Das kann immer so weitergehen

Das Ende der Geschichte ist offen aber kein literarischer Kniff, der symbolisieren soll, dass die Zukunft der Gruppe in der Schwebe hängt. Bourne plante früh eine Fortsetzung. Inhaltlich wie formal ist das kaum eine Herausforderung: Spielfeld und Figuren sind eingeführt, weiterhin drohen Zombies und Strolche. Dass der Soldat sich über sein Tagebuch äußert, enthebt Bourne darüber hinaus der Pflicht, literarische Raffinesse an den Tag zu legen: Knapp und sachlich kommt dieses Garn daher. Für ein wenig Dramatik sorgen ‚Blutschmierer‘, Risse und Brandflecken, mit denen der Drucktext verziert wurde, um sichtbar zu unterstreichen, dass der Autor des Tagesbuches recht häufig in Notsituationen gerät, die er selten unverletzt übersteht.

Zwar endet die Flucht der Gruppe erst einmal im „Hotel 23“. Dennoch dürfte bald ein neuer Ortswechsel bevorstehen. Entsprechende Abenteuer – Streifzüge, Hinterhalte, Zombie-Massaker – stellen quasi Module dar, die zu einer neuen Geschichte zusammengeflanscht werden können. Die Gefahr liegt darin, dass selbst hartnäckige Fans sich zu langweilen beginnen. Bourne hat das Problem erkannt und vorgesorgt: Offenbar sind unter den Zombies einige, die nicht geistfrei umhertorkeln, sondern zielbewusst vorgehen. Damit erregt er die Neugier des Publikums: Was steckt dahinter? Nach dieser Ankündigung kann (und wird) die Fortsetzung kommen!

Autor

Über das Privatleben des im US-Staat Arkansas geborenen J. L. Bourne ist kaum etwas bekannt. Vielleicht liegt es daran, dass er als aktives Mitglied der US-Marine und bedrohter Vaterlandsbeschützer in einer Welt wachsamer Terroristen & potenzieller Verräter wach- und sparsam mit Informationen sein muss. Um seinen Arbeitgeber nicht in Verlegenheit zu bringen, betont Bourne darüber hinaus, dass die in seinen Romanen zum Ausdruck gebrachten Äußerungen und Meinungen nicht die Äußerungen und Meinungen der US-Marine darstellen.

Als Schriftsteller machte Bourne 2003 erstmals auf sich aufmerksam. „Day by Day Armageddon“, das erste „Tagebuch der Apokalypse“, erschien als kostenfrei lesbare Loseblatt-Sammlung eines fiktiven Soldaten auf einer vom Verfasser selbst eingerichteten und gestalteten Website. 2007 folgte eine erste professionelle Buchausgabe, für die Bourne sein Material bearbeitete, um ihm die für einen Roman erforderliche inhaltliche Stringenz zu verleihen.

Der Erfolg stellte sich rasch ein, denn mit seiner Mischung aus Horror und „Military Fantasy“ lag Bourne richtig, zumal er über erzählerisches Talent verfügt und an der Spannungsschraube zu drehen vermag. Die „Apokalypse“-Serie wird weiterhin fortgesetzt. Außerdem hat Bourne eine weitere Serie um einen III. Weltkrieg begonnen.

Taschenbuch: 335 Seiten
Originaltitel: Day by Day Armageddon (Jonestown/Arkansas : Permuted Press 2007/New York : Pocket Books/Simon & Schuster 2009)
Übersetzung: Ronald M. Hahn
www.randomhouse.de/heyne
jlbourne.com

eBook: 1119 KB
ISBN-13: 978-3-641-10544-0
www.randomhouse.de/heyne

Hörbuch-Download: 456 min. (ungekürzt, gelesen von David Nathan)
www.audible.de

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