Robert Jordan – Suche nach dem Auge der Welt, Die (Das Rad der Zeit 1 – Das Original)

Seit Jahren ärgere ich mich immer wieder, dass die Regale in den Buchläden mit lauter „Rad der Zeit“-Romanen verstopft sind (Inzwischen ist Band 28 herausgekommen plus ein Band mit der Vorgeschichte!). Einmal habe ich ein Remittenden-Exemplar gekauft und versucht, den Geist der Endlos-Serie zu schnuppern, der sie zu einem Bestseller gemacht hat. Entnervt habe ich das Buch nach 50 Seiten weggelegt, erschlagen von nichts sagenden Namen, Titeln, Orten und kursiv gedruckten Bezeichnungen. Viel Handlung gab es auch nicht, nur ewiges Herumgereite und tiefsinnige Gespräche über unverständliche magische und geschichtliche Zusammenhänge.

Heute weiß ich, dass ich wieder mal ein Opfer der deutschen Verlagspolitik geworden bin, dicke Fantasy-Schinken in zwei oder sogar drei Bände aufzuteilen, um mehrfach abkassieren zu können. (Um gerecht zu sein, muss man allerdings auch erwähnen, dass es dies auch in England und Amerika manchmal bei Zweitverwertungen gibt.)

Ich habe es nämlich noch einmal gewagt, nachdem der erste Band wieder aufgelegt wurde. Und ich muss sagen, bisher habe ich es nicht bereuen müssen! Die nächsten Bücher habe ich bereits im Haus, und jetzt brauche ich nur noch genug Zeit, um mich durch diese mehreren Tausend Seiten durchzukämpfen. Aber ich freue mich schon darauf!

Der Roman beginnt nach einem Vorspiel, das die kosmischen Dimensionen der Geschichte andeuten soll (ich hasse so etwas!), ganz konventionell. Ein halbwüchsiger Junge, Rand, und seine ländliche Umgebung werden vorgestellt, unheimliche Ereignisse werfen ihre Schatten voraus, die Bauernhütte, in der er mit seinem Vater lebt, wird von Kreaturen der Dunkelheit überfallen, auch das Dorf wurde angegriffen und inmitten des Chaos zeigt sich, dass einige der gerade anwesenden Besucher nicht ganz das sind, was sie zu sein vorgaben. Auch Haps Vater hat mehr Vergangenheit, als sein Sohn dachte, und … ist er überhaupt sein Vater? Jedenfalls reitet nach diesem Vorgeplänkel die gewohnte Gruppe aus einem weiblichen Magier, einem Kämpfer, einem Geschichtenerzähler und mehreren Jugendlichen mit noch ungeklärten Vorbestimmungen (ich hasse solche Vorbestimmungen!) in die Welt hinaus, um zur Stadt der Magier, einem sicheren Hafen für weitere Klärungen, zu gelangen. Auf dem Weg dorthin werden sie gejagt, überfallen, geraten in eine Ruinenstadt, in der das Böse haust, werden getrennt und wieder vereint und lernen einen guten Teil der Welt kennen. Kurz vor Erreichen ihres Ziels müssen sie aber noch einmal abbiegen, um noch schnell beim „Auge der Welt“ dieselbige zu retten. Natürlich gelingt es ihnen, der ausgebliebene Frühling bricht endlich aus, und die Welt ist erst einmal wieder in Ordnung.

Nach dieser kurzen Inhaltsangabe fragt man sich wirklich, wo hier die Gründe für einen Bestseller versteckt sind. Ich will es euch sagen: Nicht der Plot ist es. Die hier verwendeten Versatzstücke sind nicht neu, es gibt kein innovatives Magiesystem, keine originellen Götter oder Monster. Man könnte sogar sagen, dass durch diesen Verzicht an Originalität von Anfang an eine gewisse Vertrautheit mit der Welt vorhanden ist.

Es liegt daran, wie Jordan seine Personen entwickelt. Der Übergang dieser Jugendlichen von Kindern mit beschränkter Weltsicht zu verantwortlich handelnden jungen Erwachsenen ist das, was die Faszination ausmacht. Die anderen Personen, ob Magier, Kämpfer oder Geschichtenerzähler, bleiben ziemlich blass, über sie erfährt man nur etwas aus zweiter Hand, aus den Aussagen anderer. Das Innenleben zweier der Jungen, Rand und Perrin, wird dagegen dem Leser zur Identifikation in aller Breite präsentiert. Mit ihnen kann man sich freuen, mitfiebern und zweifeln, und man ist oft genug versucht, ihnen persönliche Ratschläge zu geben: Mensch, merkst du denn nicht, dass dieser Typ Übles im Sinn hat? Du kannst dem doch nicht einfach erzählen, wo ihr eure Unterkunft habt!

Wenn man ein wenig darauf achtet, wie Robert Jordan den Leser an seine Welt und seine Nomenklatur gewöhnt (18 Seiten Glossar am Ende des Buches sind dafür bezeichnend; nachfolgende Textbezüge orientieren sich an der englischen Originalfassung), merkt man, wie geschickt er vorgeht. Mir ist z. B. aufgefallen, dass er hauptsächlich bildhafte Namen verwendet: „The North Road“, „The Old Road“, usw. Wenn Personen mit etwas komplizierteren Namen auftauchen, wie Rand al’Thor, wird in der Folge meist nur von „Rand“ gesprochen, ab und zu kommt dann wieder der volle Name, usw., bis man diese Vokabel intus hat. Überhaupt werden Personen immer kurz charakterisiert, entweder dass sie selbst in typischer Weise reden oder handeln, oder dass eine andere Person sie im Gespräch erwähnt und gleich eine kurze Charakterisierung, oft mit einer kleinen Begebenheit, mitliefert. Wenn Orte aufgezählt werden, so sieht das so aus: |“Worry was not uncommon for the Village Council these days, not in Emond’s Field, and likely not in Watch Hill, or Deven Ride. Or even Taren Ferry, though who knew what Taren Ferry folk really thought about anything?“| Man sieht, dass zum einen gebräuchlich klingende Namen verwendet werden, und wenn es zu viele werde, dann wird mit einem Hinweis davon abgelenkt wird. Der Leser wird neugierig gemacht, was sich hinter „Taren Ferry folk“ verbirgt, welche Geschichte dahinter steckt.

Wenn er neue Namen oder Personen einführen will, geht er z. B. so vor: Er lässt eine Person den Namen erwähnen, und eine andere reagiert darauf, indem sie z. B. ausruft: „Was …, der Würger von Amberg …!“, was wiederum die dritte neugierig macht und nachfragen lässt, worauf die erste eine kurze Charakterisierung abgibt. Genauso ist es mit einer neuen, fremdländischen Bezeichnung oder einem Titel. Eine Person wird von mehreren Seiten so angeredet, das Volk ruft diesen Titel usw., bis wiederum eine der handelnden Personen in einem stillen Moment jemanden darüber ausquetschen kann. Das alles ruft Neugierde – und damit Interesse – im Leser hervor.

Und gerade dieses Interesse an den handelnden Personen, die Neugierde, was aus ihnen wohl werden wird, ist der Grundstein für diesen Bestseller, besser gesagt, diese Bestseller-Reihe.

Mich jedenfalls hat Robert Jordan am Haken. Ich bin gespannt auf das weitere Schicksal all derer, die ich auf ihren ersten Abenteuern begleiten durfte.

Taschenbuch: 896 Seiten
Originaltitel: The Eye of the World
www.piper.de

Deutsche RdZ-Seiten:
www.radderzeit.de
www.dasradderzeit.de

Offizielle The Wheel of Time-Seite: www.tor.com/jordan/

Dr. Gert Vogel