Stephen King – Der Turm (Der Dunkle Turm 7)

„Der dunkle Turm“ wird von Stephen King selbst als sein Lebenswerk bezeichnet. Der erfolgreiche Autor erklärte den Ende 2004 erschienenen siebten Band „Der Turm“ zu seinem letzten großen Roman und Abschluss seines vor 22 Jahren begonnenen Turmzyklus, der als Metafiktion viele Bezüge zu anderen Werken Kings, zum Leben des Autors sowie der realen Welt herstellt.

Bereits vor dem Erscheinen des ersten Bandes, „Schwarz“ (1982), spukten die Gedanken zu der Gestalt des Roland von Gilead und die Grundlage zu seinem späteren Turmzyklus in Kings Kopf. Das 1855 von Roland Browning geschriebene Gedicht „Childe Roland to the Dark Tower came“ – man findet es auf Kings Dark-Tower-Homepage ]http://www.stephenking.com/DarkTower/ – setzte dabei einen kreativen Prozess in Gang, der sich nach und nach verselbstständigte, King wob immer mehr Bezüge zu seinen Romanen und der realen Welt in die Geschichte um den dunklen Turm ein.

Doch worum geht es überhaupt im Turmzyklus?

Im Jahr 1982 begann die Reise Rolands von Gilead, der den „Mann in Schwarz“ verfolgte. Dieser war für die Zerstörung und den Niedergang seiner Heimat Gilead verantwortlich. Aber er entpuppt sich nur als Diener des „scharlachroten Königs“, eine mysteriöse Figur, die dem gesamten Kosmos Verderben bringt und im namensgebenden „dunklen Turm“ im Zentrum desselben residiert.

Die westernähnliche Mittwelt der ehrenhaften „Revolvermänner“, der Söhne des Arthur Eld (inspiriert von der Artuslegende), ist untergegangen, Roland sinnt auf Rache in einer düsteren Welt, in der Relikte von Technik und Magie nebeneinader koexistieren, wie der sprechende Monorailzug „Blaine“. So findet der einsame Rächer im New York der nahen Vergangenheit und einem New York unserer Zeit nacheinander Freunde und Helfer, sein so genanntes „Ka-Tet“: Jake, Eddie, Susannah, Pere Callahan sowie den klugen Billy Bumbler (eine Art Waschbär) Oy.

Diese werden seine Gefährten im Kampf gegen den scharlachroten König. Die „Balken“ des Turms stürzen ein, die Welt gerät ins Wanken – Weltenretter und -rächer Roland muss sich beeilen!

Drehten sich viele Bände um die Mitglieder seines Ka-Tets, in denen Roland Eddie zum Beispiel von seiner Drogensucht heilt sowie Jakes Leben rettet, deutet sich bereits hier an, was später zur Gewissheit wird: Um sein Ziel zu erreichen, muss der Revolvermann alle seine Freunde opfern.

Im siebten und letzten Band „Der Turm“ steht Roland kurz vor dem dunklen Turm, sein Ka-Tet ist bereits geschrumpft, die Schergen des scharlachroten Königs sind siegesgewiss, dass er den Turm nie erreichen wird. Rolands und des scharlachroten Königs unheiliger Sohn „Mordred“ ist nur ein Hindernis im Vorfeld des dunklen Turms.

Eine surreale Welt der Mystik und Metafiktion

Diese Beschreibung der äußeren Handlung des Turmzyklus ist ausgesprochen ungenügend, spielt sich doch ein Großteil der Handlung im Inneren ab. Symbolismus und Bezüge zu anderen Werken Kings nehmen später deutlich mehr Raum ein, auch stilistisch und schriftstellerisch veränderte King sich in den langen 22 Jahren, in denen dieser Zyklus entstand:

1. Schwarz (The Gunslinger) 1982
2. Drei (The Drawing of the Three) 1987
3. tot (The Waste Lands) 1991

Diese Romane sind thematisch eng miteinander verwandt, sie zeichnen das desolate Bild einer Welt im Niedergang und führen mit Roland selbst sowie Jake, Eddie und Susannah (die „Drei“) zentrale Figuren seines Ka-Tets sein, seine wichtigsten Helfer. In diesen Bänden werden sie dem Leser emotional als Charaktere näher gebracht, ihre persönlichen Probleme thematisiert (Drogensucht z. B.) und gelöst, sie werden vollwertige Mitglieder von Rolands „Ka-Tet“ – einer Art Schicksalsgemeinschaft.

4. Glas (Wizard and Glass) 1997

Der vierte Band geht auf die Vergangenheit Rolands und seine Geschichte ein, den Niedergang Mittwelts und ihre Zerstörung durch den scharlachroten König, den Verlust seiner großen Liebe Susan Delgado und den Tod der letzten Revolvermänner, seiner Freunde Cuthbert und Alain, in einem aussichtlichen Kampf.

Hier erfolgt ein bedeutsamer Sprung in der Handlung, die letzten drei Bände erschienen in den Jahren 2003 bis 2004.

5. Wolfsmond153 (Wolves of the Calla) Ende 2003
6. Susannah387 (Song of Susannah) Anfang 2004
7. Der Turm (The Dark Tower) Ende 2004

Ein prägendes Ereignis für King findet in diesen Bänden Eingang in den Turmzyklus: Im Jahr 1999 wurde der Autor bei einem Autounfall schwer verletzt, dieses Ereignis verarbeitete er bereits in dem Roman „Duddits“45 (Dreamcatcher), aber es wird auch im Turm-Zyklus thematisiert. King wird in „Susannah“ selbst in seinem Werk auftreten und Kontakt zu Roland und seinem Ka-Tet herstellen.

Bezüge auf moderne Pop-Kultur (Handgranate à la Harry Potter, Jedi-Ritter, den Western „Die glorreichen Sieben“) findet man besonders in „Wolfsmond“, mit Pere Don Callahan wird das Ka-Tet um eine weitere Person erweitert, Bezüge und Verbindungen zu weiteren Werken Kings nehmen ebenfalls zu.

Zudem ist der Wechsel des Übersetzers von Bedeutung. Wulf Bergner ersetzt Joachim Körber und wird heftig kritisiert, insbesondere, da er feststehende Redewendungen des Zyklus anders übersetzt.

Heyne legt die Reihe neu auf, eine von King selbst geschriebene nachgebesserte Version von „Schwarz“ mit zahlreichen neuen und veränderten Handlungselementen erscheint in der Neuauflage, im neuen Gewand der Reihe, das mit „Wolfsmond“ debütiert: Metallisch-chromglänzende Umschläge für Hardcover und Paperback, die optisch deutlich beeindruckender sind als jene älterer Ausgaben. Ebenso neu aufgelegt wird die zwischenzeitlich erschienene zweibändige „Konkordanz zum dunklen Turm“ von Robin Furth, die Lesern als Orientierung im inzwischen aufgrund der langen Zeitabstände überinterpretierten Turmzyklus dienen soll. Die zahllosen Referenzen und Bezüge sowie das langsame Voranschreiten der Kernhandlung um den Turm selbst machen eine derartige Konkordanz nicht nur zu einem sinnvollen Nachschlagewerk, sie verhilft auch zu neuen Einblicken, Erkenntnissen und einem besseren Gesamtüberblick.

Ein eingelöstes Versprechen

King beendet mit dem Turmzyklus seine Karriere als Schriftsteller, insbesondere die letzten drei Bände verknüpfen ihn mit vielen weiteren Werken, so zum Beispiel mit „Brennen muss Salem“ und Pater Callahan.

In „Der Turm“ wird wiederholt sein schwerer Autounfall thematisiert. King selbst kaufte das Unfallauto und zerstörte es am Jahrestag seines Unfalls eigenhändig, insofern verwundert es nicht, dass bei einer solch starken emotionalen Verbindung der Unfall auch in „Der Turm“ eine wichtige Rolle einnimmt. Einer der Handlungsträger wird einem Autounfall zum Opfer fallen und so King retten – Kenner ahnen, wer dies sein wird. Denn ohne Kings massive Intervention würde Rolands Queste zum Scheitern verurteilt sein. Das traurige Sterben lieb gewonnener Charaktere charakterisiert die Handlung, den entbehrungsreichen Endspurt Rolands zum Turm.

Doch fragt man sich nach Sinn und Zusammenhang der Handlung, der Bedeutung zahlreicher Symbole und Gegenstände, wird man bitter enttäuscht: Das Ende konnte vieles, aber bei weitem nicht alles klären. In gewisser Weise ist es auch geradezu demystifizierend phantasielos: Ohne Kings Wink mit dem Zaunpfahl würde Roland es wohl nicht schaffen, aber was erreicht er eigentlich? Der scharlachrote König wird im Sinne des Wortes |ausradiert| werden von einem Begleiter Rolands … nicht gerade originell.

Dem Mangel an Sinn und Zweck stehen starke, lieb gewonnene Charaktere gegenüber. Diese werden im Abschlussband glücklicherweise, genauso wie Roland, wieder in den Vordergrund gestellt. Der Drang, möglichst viele Ereignisse der realen Welt wie z. B. den Einsturz des World Trade Center, Harry Potter, Jedi-Ritter, die glorreichen Sieben plus Charaktere aus anderen King-Büchern wie Callahan oder Randall Flagg einzubinden, führt nicht unbedingt zu einem genießbaren Mix. Viele Köche verderben den Brei, und aus einem Guss ist der Turm wahrlich nicht. Rein stilistisch unterscheiden sich die ersten drei, vier Bände erheblich von den letzten, aber auch thematisch herrschen große Unterschiede vor.

Der Knackpunkt ist jedoch eindeutig zwischen dem vierten und fünften Band anzusiedeln. So wusste King davor selbst nicht, wohin sein Zyklus überhaupt führt und wie er enden sollte, was er auch offen zugibt. In einem Gewaltakt alle möglichen offenen Stränge doch noch zu verknüpfen und zugleich Referenzen zur Zeitgeschichte einzufügen, mag zwar der Idee einer Metafiktion aller seiner Geschichten entsprechen, aber der Qualität förderlich war es nicht unbedingt. Auch wenn Schreiben ein kreativer Prozess ist – der klare Bruch zwischen den ersten und letzten Bänden, der Verlust des Sinns und seine Neudefinition gegen Ende der Geschichte sind unverzeihlich.

Was bleibt, ist ein faszinierendes Sammelsurium von Ideen, dem nachträglich ein Überbau oktroyiert wurde – den man jedoch nicht allzu sehr nach Kontinuität absuchen sollte, will man sich nicht den Spaß verderben. Die Wirkung des Turms zielt eher auf die emotionale Ebene und gibt dem Leser viel Zeit, Leerstellen, Ungesagtes und Ungereimtheiten in der Handlung selbst mit eigenen Ideen zu füllen.

Im letzten Band baut King gegen Ende eine nahezu unterträgliche Spannung auf, doch die Surrealität der Lösungen beraubte mich jeglicher Orientierung, was zu einer gewissen Langatmigkeit des Handlungsablaufes und Stirnrunzeln bei mir führte.

Im Turm macht Roland eine überraschende Entdeckung, die seine Suche von Neuem beginnen lässt. Nun allerdings mit gesteigerter Erkenntnis und etwas, das ihm in „Schwarz“ fehlte … ein Ende, das zeigt, dass ein befriedigenderes und abschließendes Finale nicht möglich war. Das soll es wirklich gewesen sein? War das wirklich alles? King verstand es, Stimmung zu erzeugen, Charaktere ans Herz wachsen zu lassen. Nur der Rahmen seiner Geschichte war nie vorhanden, und darunter leidet sie bis zum Schluss.

Beispielhaft sei Roland als Vater von Susannahs Kind genannt. Sie hatten nie Sex. Zum anderen Teil ist der scharlachrote König der Vater. Hier verlässt King wie so oft die Ebene der Realität und projiziert dafür Ideale in Susannah, und Rolands Kind wird unter dem passenden Namen „Mordred“ in Form eines Spinnenmonsters geboren. Solche Brüche jeglicher Logik mögen zwar neue, reizvolle Varianten der Handlungsfortführung ermöglichen, aber sie berauben die Geschichte jeglichen Sinns und jeglicher Kontinuität, es ist einfach alles möglich in dieser surrealen Welt.

Der Sinn wird dabei auf eine höhere Ebene als die des reinen Geschehens verlagert, aber was will King uns mitteilen?

Hier setzt auch mein größter Kritikpunkt an: Nichts. Viel Lärm um nichts. Man hätte den Zyklus um fünf Bücher kürzen können. Als pure Hommage an das eigene Schaffen und die Zeitgeschichte kann der Turm punkten, der Unterhaltsamkeitsfaktor ist jedoch eher gering.

Vieles blieb offen, wurde vollkommen willkürlich verdreht oder fallen gelassen. Die überbordende Komplexität der Referenzen und Bezüge hat sich verselbstständigt und sinnentleert. Leider passiert das derart umfangreichen Zyklen nur zu oft. Als Sammlung von Einzelgeschichten gefällt mir der Zyklus bisweilen besser als im großen Zusammenhang, der wie bereits erwähnt ziemliches Flickwerk ist.

Die Kritik vieler Fans an der Übersetzung ist übrigens verständlich, in meinen Augen jedoch überzogen: Wulf Bergner verwendet zum Teil andere Begriffe als Joachim Körber, und viele seiner Eindeutschungen wurden schlecht geredet. So zum Beispiel die „Balken“ des dunklen Turms, die Roland durch die verschiedenen Welten führen. Diese sind im Original „beams“, was man auch als „Strahlen“ übersetzen kann, was an vielen Stellen Sinn ergeben würde, z. B. wenn man den „Strahlen“ des Turms als eine Art diffuse Reflexion am Himmel folgt. Aber andrerseits sind sie eben auch die „Balken“ des Turms, sie können brechen (wie auch Licht) – ein Wortspiel, das man nicht befriedigend ins Deutsche übertragen kann. Zumal dieser Ausdruck bereits von Joachim Körber geprägt wurde, nicht von Bergner! Dieser muss sich eher den Vorwurf gefallen lassen: Wenn er schon andere Ausdrücke neu interpretiert, warum hat er diesen dann übernommen?

Als „schmerzliches Gestümper“ wurde im Feuilleton der |FAZ| die Übersetzung von „Walk-Ins“ und „low men“ bezeichnet. Letzerer Ausdruck bezieht sich sowohl auf eine Pokervariante namens „Kings and Low Men“ als auch auf einen biblischen Bezug, bei dem „die niedersten Schurken“ von einem Bösewicht zu Priestern geweiht werden. Sind deshalb „Wiedergänger“ anstelle von „Hereingeschneiten“ oder „Laufkundschaft“, wie vorgeschlagen wurde, eine schlechte Übersetzung? Oder „niedere Männer“ für „low men“ anstelle von „Bodensatzgestalten“? Kritik kann man üben, aber man sieht auch, wie schwer es ist, bessere Lösungen zu finden – denn die Vorschläge der |FAZ| sind wirklich miserabel.

Die Übersetzung mag ihre Schwächen haben, aber sie ist keinesfalls schlecht! Sowohl Lektorat als auch Gestaltung des Textes sowie die wirklich schöne Covergestaltung sind erstklassig.

Einsturz nach Bauende

Stephen King hätte mit seinem dunklen Turm einen Mythos hinterlassen können. Der Druck, ihn zu vollenden, hat zu einer vollkommenen Demystifikation geführt. Faszinierende Geheimnisse wurden fallen gelassen oder ausgehöhlt.

Mitten in der Reihe wurde die äußere Gestaltung verbessert – für Sammler jedoch fast ein Zwang, die alten Bände neu zu kaufen, da auch von „Schwarz“ eine neuere Version existiert.

Für den normalen Leser ist der Turmzyklus in der Rückschau eine Veralberung höchsten Grades, King-Fans können vielleicht dem Referenzen-Fimmel des Meisters etwas abgewinnen. Als unnötig aufgeblasenes Stückwerk kommt der Turm daher, viel verschwendete Fantasie, die viele Leser zum Träumen anregte, um sie unsanft auf den harten Boden der beklagenswerten Realität zurückzuführen: Das war leider nichts …

Stephen Kings Homepage:
http://www.stephenking.com/

Deutsche Fanseite:
http://www.stephen-king.de/

Gebundene Ausgabe: 1009 Seiten
Originaltitel: The Dark Tower 7
www.heyne.de