Koontz, Dean R. – Wächter, Der

Das Leben eines heiß gefragten Hollywood-Schauspielers ist hart. Das bezieht sich nicht alleine darauf, dass ein im Blickpunkt der Öffentlichkeit stehender Mensch wie Channing Manheim Knochenarbeit verrichten muss, für die er völlig zu Recht mit Abermillionen Dollar entlohnt wird, sondern nimmt auch Bezug auf die Anfechtungen, die zu verkraften sind. Das geht manchmal ans Eingemachte, wenn nicht nur die schauspielerische Leistung zurechtgerückt wird, sondern das persönliche Schicksal bedroht wird. Dann werden auch Lichtgestalten wie Manheim zu winzigkleinen Menschen, mit allen Mitteln darum bemüht, das eigene Dasein vor Widrigkeiten zu beschützen.

Noch drängender wird diese Frage nach dem behütenden Schutz, sobald über die eigene Persönlichkeit hinaus nahe Menschen bedroht sein könnten. Manheim ist allein erziehender Vater (soweit bei der permanenten Abwesenheit von Manheim von einer Erziehung gesprochen werden kann, andererseits könnte es bei seinem Naturell durchaus sein, dass Kinder von der Nicht-Anwesenheit profitieren …), und Fric, sein zehnjähriger Sohn, lebt im Grunde alleine in einer prächtigen, großen, komfortablen Villa. Alleine mit einer ganzen Handvoll Bediensteten und … Sicherheitskräften, zu denen die zweite Hauptperson des Romans zählt, der ehemalige Polizist und jetzige Sicherheitschef Ethan Truman.

Auf diese beiden Personen – Fric und Truman – konzentriert sich Dean Koontz in seinem aktuellen Thriller. Er beleuchtet die Handlungswege von beiden parallel, schildert dabei den Arbeitsalltag von Truman, der gleich zu Beginn ein weiteres ominöses Päckchen mit einem schwer erklärbaren Inhalt erhält, und die grauen Tage von Fric, der mehr oder minder auf sich alleine gestellt ist und für den die Lektüre in der hauseigenen Bibliothek zu den aufregendsten Stunden des Tages zählt.

Beide kennen sich wenig, die Diskrepanz zwischen dem gut lebenden Fric und dem gewissenhaft agierenden Truman ist zu groß, zumal Fric eher misstrauisch und zurückhaltend anderen Menschen gegenüber agiert. Diese Vorbehalte mehren sich noch, als Fric im Einklang mit den seltsamen Päckchen mysteriöse Telefonanrufe erhält, die er aber erst einmal für sich behält. Wer sollte einem versponnenen Jungen wie ihm auch glauben.

Nicht weniger bizarr sind die Erlebnisse Trumans, der plötzlich einen tot geglaubten alten Freund wieder sieht. Schritt für Schritt enthüllt sich vor Trumans Augen eine unglaubliche zweite Daseinsebene, und damit betreten wir als Leser endlich Neuland, durchschreiten gemeinsam mit Truman eine Linie, die unsere reale Welt trennt von dem „danach“. Für Truman ist dies derart albtraumhaft und dermaßen unglaublich, dass auch er diese Informationen fürs Erste verschweigt; erst später öffnet er sich einem ehemaligen Kollegen aus dem Polizeidienst, der ihn in der Folgezeit diensteifrig unterstützt und letztlich auch an der Aufklärung des Falles beteiligt.

Dean Koontz zählt nach vielen Jahren des bedächtigen Aufbaus mittlerweile zur ersten Garde der amerikanischen Thriller-Autoren. Im Gegensatz zu den in einer, nun ja, „realistischen“ Welt handelnden Epigonen der Kollegen knüpft Koontz als alter Horror-Haudegen seine Fäden von dieser unserer Welt hinüber in eine Schattenwelt, in eine Todeswelt, in eine irreale Ebene des Lebens, die bevölkert ist von Toten oder Nicht-Toten oder unerklärlichen Existenzen. Jedenfalls vermischt er Gruselelemente sehr eifrig mit kriminalistischen Geschehnissen und bezieht gerade daraus seine wichtigen Spannungstopoi; das Unerklärliche wirkt auf den Leser bedrohlich, weniger der nicht ungewöhnliche, in seiner Entfaltung tausendmal gelesene Kriminalfall. Der ist alltäglich, seine Aufklärung dagegen nicht.

Darauf muss man sich auf den 740 Seiten einlassen können. Es ist nicht jedermanns Sache, eine solche Art von „Deus ex Machina“ in einem in der Jetztzeit spielenden Roman zu akzeptieren; wenn Truman nicht mehr weiterweiß, dann steht gewissermaßen der Engel bereit. Das mag als ein reflektierendes Element für eigene Handlungen seine Reize haben, aber als tragender Faktor bei der Lösung des Falles mutet es so manches Mal arg an den Haaren herbeigezogen an.

Trotz dieser Vorbehalte: Koontz spielt rücksichtslos seine Trumpfkarten aus, nachdem er so richtig Fahrt aufgenommen hat. Dazu benötigt er eine etwas zu lange Strecke, auf der er in ermüdender Drängelei ein ums andere Mal den Wohlstand Manheims beschreibt; irgendwann weiß auch der letzte unaufmerksame Leser, in welch praller Üppigkeit Fric lebt, wie viele Bücher hier und dort gestapelt sind, wie viele Kandelaber auf wie vielen Tischlein in den zigtausend Zimmer, Räumen und Sälen thronen … ach, das ist wirklich zu viel des Beschreibens, das ödet in diesen überbordenden Dimensionen irgendwann an.

Und hört doch glücklicherweise wieder auf, nachdem Koontz sich so richtig ausgetobt hat. Erst da, nach etwa mehr als einhundert Seiten, kann sich das Interesse des Lesers an den Figuren entfalten. Und erst da wird es spannend und interessant, und Koontz’ Karten stechen ohne Frage: Er verwöhnt mit sehr schönen Metaphern, schreibt sehr gute und unterhaltsame Dialoge und verwendet dazu gut gesetzte Spannungsmomente.

Das passt dann alles und hinterlässt letztlich doch das Gefühl, sich durch einen geschickt konstruierten, von zwei glaubwürdigen Charakteren geprägten Thriller gelesen zu haben. „Der Wächter“ liest sich immerhin so spannend, dass sich die Seiten wie von selbst umblättern …

_Karl-Georg Müller_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de veröffentlicht.|