Sergej Lukianenko – Wächter der Nacht

Sergej Lukianenkos Buchreihe um das Hin und Her der Mächte des Lichts und des Dunkels in den Straßen von Moskau hat auch außerhalb Russlands ihre Fangemeinde gefunden. Zwar dürfte der Erfolg in Deutschland etwas geringer ausfallen als in Lukianenkos Heimat, wo die Reihe in etwa so populär sein soll wie der „Herr der Ringe“ (mit dem das Werk unverständlicher Weise immer wieder verglichen wird), dennoch ist die Geschichte um die „Wächter der Nacht“ durchaus reizvolle Fantasykost.

Grund genug für das Hörbuchportal |Audible|, sich der Sache anzunehmen und mit einer selbstproduzierten Hörbuchreihe Lukianenkos Werk auch für die Freunde des vorgelesenen Wortes zu erschließen. Dass |Audible| ein gutes Händchen in der Hörbuchproduktion hat, zeigt die Qualität der zuletzt veröffentlichen Produktionen deutlich genug. So ist z. B. „Die Anstalt“ von John Katzenbach nicht zuletzt dank der überragenden Leistungen der beiden Sprecher Thomas Danneberg (Synchronstimme u. a. von Arnold Schwarzenegger, John Travolta und Nick Nolte) und Simon Jäger (Synchronstimme u. a. von Josh Hartnett und Heath Ledger) ein echter Hörgenuss.

Somit darf man zu Recht auch an die Produktion von „Wächter der Nacht“ hohe Erwartungen knüpfen. |Audible| hat sich die Veröffentlichung der gesamten bisherigen Bände der Reihe zum Ziel gesetzt. Von August 2006 bis April 2007 erscheint jeden Monat ein Teil der Reihe, der von |Audible|-Abonnenten runtergeladen werden kann. Wer nicht |Audible|-Kunde ist, hat übrigens schlechte Karten – wie die übrigen |Audible|-Produktionen auch, erscheint auch „Wächter der Nacht“ exklusiv bei |Audible|. Anderswo im Handel wird man vergeblich danach suchen.

Jedes Buch wird in seine drei Einzelbücher gesplittet, von denen jeden Monat eines veröffentlicht wird. Damit wird die Geschichte natürlich unschön auseinandergerissen, was gerade in Anbetracht der Tatsache, dass Lukianenko sich gerne eines Cliffhangers bedient, um die Spannung zu steigern, schon mal Unmut und Ungeduld hervorrufen kann. Am Ende einer Geschichte vier Wochen auf die Fortsetzung warten zu müssen, während einem tausend Fragen im Kopf herumspuken, ist halt weniger schön und hat etwas von einem literarischen |Coitus interruptus|.

Die ersten drei Teile der Hörbuchreihe werden jeweils aus der Sicht von Anton, einem Mitarbeiter der Nachtwache, erzählt. Lukianenko zeigt dem Leser/Hörer die Welt, in der Anton lebt. Anton lebt in Moskau, sieht die Welt aber anders als der Normalsterbliche, denn Anton ist ein so genannter Anderer. Die Anderen gibt es schon seit ewigen Zeiten. Sie sind Magier, Vampire oder Gestaltwandler. Sie leben unerkannt unter den Menschen und können in eine Art Zwischenwelt, das Zwielicht, abtauchen. Ganz grob unterteilt man die Anderen in die Lichten und die Dunklen. Beide Gruppen überwachen sich gegenseitig, denn ihr Ziel besteht nicht darin, die Übermacht zu gewinnen, sondern den Status Quo zu wahren. Für dieses Ziel arbeiten Anton und die anderen Lichten der Nachtwache genauso wie seine dunklen Kollegen der Tagwache.

_Wächter 1: Das eigene Schicksal_

Anton hat bei der Nachtwache immer im Innendienst gearbeitet, bis er eines Tages in den Außendienst versetzt wird. Ohne es zu ahnen, gerät Anton gleich bei seinem ersten Einsatz zwischen die Fronten. Zum einen versucht er ,den zwölfjährigen Jegor aus den Klauen einer Vampirin zu befreien, zum anderen beobachtete er auf seiner nächtlichen Streife eine Frau, über deren Kopf ein schwarzer Wirbel schwebt. Ein schwarzer Wirbel zeigt einen Fluch an, aber wie groß und mächtig der Fluch ist, der auf der jungen Frau lastet, wird Anton und seinen Kollegen von der Nachtwache erst klar, als der Wirbel so große Ausmaße annimmt, dass er für ganz Moskau eine Bedrohung darstellt …

_Wächter 2: Der eigene Kreis_

Eine Reihe von Morden sorgt in den Reihen der Anderen für Aufregung. Als Täter kommt nur ein Anderer in Frage, vermutlich ein Lichter. Der Chef der Nachtwache betraut Anton mit den Ermittlungen, der schon bald feststellen muss, dass er selbst der Einzige ist, der kein Alibi hat. Das bleibt auch den Kollegen von der Tagwache nicht verborgen, und so ist Anton schon bald auf der Flucht durch die Straßen von Moskau und auf der Suche nach dem wahren Täter …

_Wächter 3: Im eigenen Saft_

Für die Nachtwache ist Urlaub angesagt. Zusammen mit seinen Kollegen fährt Anton hinaus zur Datscha von Kollegin Tigerjunges, die ruhig und beschaulich auf dem Land lebt. Hier findet Anton endlich Zeit, sich über sich selbst und seine Rolle in der Welt der Anderen Gedanken zu machen. Als sich jedoch unerwartete Geschehnisse andeuten, kehrt Anton nach Moskau zurück, wo sich schon bald die Ereignisse überschlagen, in denen ein Schicksalsbuch und ein Stück Kreide eine zentrale Rolle spielen …

Lukianenko baut „Wächter der Nacht“ als drei einzelne Geschichten auf. Sie bauen jeweils aufeinander auf, sind aber dennoch in gewissen Teilen in sich abgeschlossen. Darüber hinaus gibt es aber noch ein großes Ganzes, das Lukianenko dem Leser/Hörer erst im Laufe der Zeit Stück für Stück offenbart. Doch der Weg zur finalen Erkenntnis ist gespickt mit falschen Fährten, und so gehen die Vermutungen auch schon mal in die falsche Richtung. Lukianenko baut den Plot eben spannend und mit einigen Wendungen auf.

Dazu gehört auch, dass die Figuren sich nicht ganz plump in Gut und Böse einteilen lassen. Die Übergänge zwischen beiden Gruppen sind fließend. Die Lichten sind längst nicht die uneingeschränkt Guten, für die man sie anfangs halten mag, und so ist man als Leser/Hörer immer wieder gezwungen, seine Sympathien zu überprüfen und den Figuren gegenüber kritisch zu bleiben. Lukianenko betreibt eben keine zweidimensionale Schwarzweiß-Malerei, und so gesehen ist der Leser/Hörer mehr gefordert, sich seinen Teil zu denken.

Lukianenkos Welt der Anderen kommt atmosphärisch und düster daher, was zum Teil auch dadurch bedingt ist, dass ein Großteil der Handlung nachts spielt. Doch auch die Trostlosigkeit, die das Leben vieler Menschen in einer Stadt wie Moskau prägt, trägt zur Gesamtstimmung bei.

Zum Teil macht den Reiz der Geschichte sicherlich auch ihr naher Bezug zur Realität aus. Während viele Fantasygeschichten in komplett abgeschlossenen Welten spielen, die mit unserem Alltag kaum etwas verbindet, gibt es bei Lukianenko eine sehr große Schnittmenge zwischen Fantasy und realer Welt. Am ehesten lässt sich das vielleicht noch mit Werken von Autoren wie Neil Gaiman oder Christoph Marzi vergleichen, die auf ähnliche Art unsere Welt mit einer Phantasiewelt kreuzen.

Die Hörbuchproduktion ist im Großen und Ganzen durchaus gelungen. Die Lesung ist ungekürzt, was für sich genommen schon mal sehr positiv ist. Jeder Teil dauert etwa fünf bis sechs Stunden. Als Sprecher der Prologe der einzelnen Geschichten wurde Achim Höppner verpflichtet, der unter anderem schon als Synchronsprecher für Ian McKellen, Michael Caine und Clint Eastwood tätig war.

Die eigentliche Geschichte aus der Perspektive des Anton wird von Oliver Brod gesprochen. Brod klingt im ersten Moment etwas holprig und schleppend, wird aber doch recht schnell warm mit seiner Rolle und liefert dann eine überzeugende Vorstellung. Die Rollen der unterschiedlichen Figuren differenziert er recht ordentlich, wenngleich es Sprecher gibt, die gerade die Unterschiede zwischen den einzelnen Figuren besser herausarbeiten können. Dennoch passt Oliver Brods Stimme zur Figur des Anton sehr gut und ist deswegen nicht unbedingt eine schlechte Wahl.

Unterm Strich kann man die Hörbuchproduktion von |Audible| zu Sergej Lukianenkos „Wächter der Nacht“ als durchaus hörenswert bezeichnen. Die Geschichte an sich ist spannend und absolut empfehlenswert und auch die Hörbuchproduktion ist ein kurzweiliges Hörvergnügen. Etwas unschön mag die Aufteilung in drei monatlich erscheinende Einzelbücher sein, die den Hörer nach einem Cliffhanger dann schon mal vier Wochen in der Luft hängen lässt, aber das lässt sich ja umgehen, indem man sich die Einzelteile der Bücher erst dann runterlädt, wenn alle drei erschienen sind. Pech nur für denjenigen, der kein |Audible|-Abonnent ist, denn für den gibt es derzeit keine Möglichkeit, anderweitig in den Genuss des Hörbuches zu kommen. Aber so ist das nun einmal bei Exklusiv-Titeln. Wenn’s jeder hören könnte, wäre es schließlich nicht mehr exklusiv …

Spieldauer: 5 Stunden und 56 Minuten
Sprecher: Oliver Brod, Achim Höppner

Die „Wächter“-Reihe bei Audible: http://www.audible.de/adde/site/Serien-Mikrosite/index.jsp?BV__UseBVCookie=Yes

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