Henning Mankell – Tea-Bag

Erfolgloser Poet bietet Schreibtechnikseminar

Jesper Humlin veröffentlicht genau ein Buch pro Jahr und zwar eine Gedichtsammlung, die sich im Schnitt etwa tausendmal verkauft, doch seinem Verleger ist das nicht mehr genug, er möchte Jesper davon überzeugen, endlich einen Kriminalroman zu schreiben. Dabei ist Jesper doch erfolgreich auf seinem Gebiet, seine Gedichte sind anerkannt und gerade erst ist er von einer monatelangen Südseereise zurückgekommen, die er sich nur durch ein Stipendium finanzieren konnte. Sein wichtigstes Anliegen ist ihm nun eigentlich seine Sommerbräune, die er so lange wie möglich aufrecht erhalten möchte, doch neben seinem unzufriedenen Verleger stellt auch seine Freundin Andrea immer mehr Ansprüche. Sie möchte endlich ein Kind mit ihm und droht mit der Trennung und der Veröffentlichung ihres Privatlebens in Romanform. Es ist nicht so sehr die Angst vor der Trennung, die ihm schwer im Magen liegt, sondern die Möglichkeit, dass Andreas Buch sich besser verkaufen könnte als seine Gedichtsammlung.

Aber es geht noch weiter bergab mit Jesper Humlin, denn sein Broker enthüllt ihm, dass seine einst wertvollen Aktien rapide im Preis gesunken und nun so gut wie wertlos sind, außerdem muss Jesper schließlich erfahren, dass seine 87-jährige Mutter für eine Telefonsexhotline stöhnt. Als ihm auf einer Lesung offene Kritik entgegenschlägt, ist es nur das wunderbare Lächeln eines Mädchens mit dunkler Hautfarbe, welches Jesper ein wenig zuversichtlich stimmen kann. In diesem Moment erinnert Jesper Humlin sich an seinen alten Freund Pelle Törnblom und beschließt, ihm einen Überraschungsbesuch abzustatten. Pelle lädt Jesper daraufhin zu einer Party in seinem Boxklub ein, zu welchem auch eine Gruppe Einwanderer erscheint. Bei dieser Gelegenheit lernt Jesper drei junge Mädchen kennen, die bei ihm das Schreiben erlernen wollen, um ihre eigene Geschichte aufschreiben und dadurch berühmt werden zu können. Eines der Mädchen ist Tea-Bag, das Mädchen mit dem wunderschönen Lächeln.

Widerwillig und nur ganz allmählich freundet Jesper Humlin sich mit der Idee an, als nächstes eventuell einen Roman über Einwanderer zu schreiben, dennoch fühlt er sich völlig überfordert von der gesamten Situation, die Mädchen leben ohne Namen und ohne Papiere in einem fremden Land, haben keine eigene Wohnung und finden nur langsam Zutrauen zu Jesper. Nach und nach erzählen sie ihm Teile ihrer Lebensgeschichte, bis Jesper einen schwerwiegenden Fehler macht …

Ungewohnter Mankell

Neben seinen Erfolgskrimis hängt Mankell sein Herzblut in Buchprojekte, die den Leser zum Nachdenken anregen sollen, so z.B. „Der Chronist der Winde“, der die Geschichte eines Straßenkindes erzählt, oder „Ich sterbe, aber die Erinnerung lebt“, welches das Thema AIDS aufgreift, oder auch „Tea-Bag“, das die Geschichte dreier Einwanderermädchen erzählt. Henning Mankell pickt sich hier die unterschiedlichsten Themen heraus, die ihm offensichtlich sehr am Herzen liegen. Mit seinen Büchern möchte er etwas bewegen und Themen bekannt machen, die in der Bevölkerung der „Ersten Welt“ womöglich nicht so populär sind.

Diese Intention ist sehr löblich, zumal Mankell mit seinen Büchern einen großen Kreis von Menschen erreichen kann, doch leider konnte er mich mit „Tea-Bag“ nicht überzeugen. In den Mittelpunkt seines Buches stellt er nicht die Einwanderer, sondern einen eitlen Schriftsteller, den man nicht gerade als Sympathieträger bezeichnen kann. Jesper Humlin ist es, der in Kontakt mit der Gruppe Einwanderern kommt und sich ihnen langsam zu nähern beginnt; nur über sein Mitwirken erhält der Leser nach und nach Bruchstücke aus den Biographien der drei Mädchen geliefert, die aber immer mit der Frage behaftet sind, ob die Mädchen überhaupt die Wahrheit sagen. Nur ganz nebenbei erzählt Mankell von der Lebensweise der illegalen Einwanderer, die sich in Schweden verstecken müssen, er berichtet von ihrer aufgezwungenen Anonymität, die sogar dazu führt, dass die Einwanderer ihre echten Namen und Nationalitäten ablegen müssen.

Leider streut Mankell diese Informationshäppchen aber so spärlich ein, dass man sich als Leser kaum ein adäquates Bild von den Problemen der Einwanderer und ihren tragischen Schicksalen machen kann. Somit verfehlt Henning Mankell meiner Meinung nach etwas die Intention seines Buches, da er die eigentliche Thematik so weit in den Hintergrund drängt, dass sie zu oft in Vergessenheit gerät. Als Einstieg in sein Buch wählt Mankell noch einen Moment, in dem Tea-Bag aus dem Flüchtlingslager berichtet, doch später wird kaum noch etwas gesagt zu ihrer Zeit im Lager.

Schräge Charaktere

Insbesondere in der Figurenzeichnung merkt der treue Mankell-Leser deutliche Unterschiede zu den altbekannten Wallander-Krimis. Im Mittelpunkt von „Tea-Bag“ steht nicht, wie zunächst angenommen, das lächelnde Mädchen, welches dem Roman seinen Namen gegeben hat, sondern der recht erfolglose Schriftsteller Jesper Humlin. Mit Humlin zeichnet Mankell einen Charakter, wie er schräger und verzweifelter kaum sein könnte; schon in seiner ersten Szene offenbart Jesper Humlin einen Teil seiner Oberflächlichkeit und Eitelkeit, denn nichts scheint ihm wichtiger als seine Sommerbräune. Als seine Freundin Andrea von Trennung spricht, schert ihn das nicht so sehr wie die möglicherweise auftauchende Konkurrenz am Schriftstellermarkt durch Andrea. Nur aus Angst, dass ihr Buch sich besser verkaufen könne als seine Gedichtsammlungen, gaukelt er ihr vor, er würde sich das mit dem Kind überlegen.

Im Laufe der Geschichte lernen wir Jesper Humlin von vielen verschiedenen Seiten kennen, es bleibt nicht beim ersten Eindruck des oberflächlichen semibekannten Poeten, schnell bemerkt man seine Unsicherheit, wenn er seine Bedenken zum Ausdruck bringt, dass andere Autoren ihn überflügeln könnten. Humlin scheint wirkliche Probleme mit seinem Selbstwertgefühl zu haben; so trägt er eben stolz seine Sommerbräune zur Schau und wir hegen den Verdacht, dass sie wohl nur eine Maske scheinbaren Erfolgs sein kann. Humlins Unsicherheit begegnet uns in vielen Szenen; er kann sich in den Gesprächen mit seinen Mitmenschen so gut wie nie Gehör verschaffen, immer reagiert er statt zu agieren, ständig lässt er mit sich spielen – kein Wunder, dass er kein gesundes Selbstbewusstsein aufbauen kann.

Erst später macht Humlin eine geringfügige Entwicklung durch, da Leyla, Tea-Bag und Tanja ihn zum Nachdenken bringen. Humlin überlegt wirklich, ob er nicht einen Roman über diese drei erstaunlichen Mädchen schreiben sollte, stets fiebert er dem nächsten Teil ihrer Lebensgeschichte entgegen. Unter diesem Eindruck beginnt er dann auch, mehr Eigeninitiative zu ergreifen und sich anderen Menschen gegenüber zu behaupten. Seine charakterliche Entwicklung bleibt dabei durchweg glaubwürdig, da Jesper Humlin selbstverständlich keine Wunder vollbringt und seine Veränderungen nur in ganz kleinen Schritten vor sich gehen.

Ihm gegenüber stehen die drei starken Einwanderermädchen, die in ihrem noch kurzen Leben schon viel erlebt haben und diese Erfahrungen nur häppchenweise erzählen können. Besonders Tanja und Tea-Bag sind echte Gegenpole zum unsicheren Humlin, beide haben es über verwobene illegale Wege nach Schweden geschafft und leben dort im Untergrund. Sie wohnen in Häusern, die zeitweise verlassen stehen, halten sich durch Handydiebstahl über Wasser und müssen immer in der Angst vor ihrer Entdeckung leben. Eine andere Gegenkraft stellt Jesper Humlins Mutter dar, die mit Ende 80 macht, was sie will und sich auch nicht scheut, in diesem Alter noch einen Roman zu schreiben und ins Telefon zu stöhnen.

Wie für Mankell üblich, legt er viel Wert auf seine Figurenzeichnung und präsentiert uns wieder einmal lebensechte Bilder von Menschen, die uns mit vielen unterschiedlichen Facetten vorgestellt werden. In „Tea-Bag“ überspitzt Mankell seine schwedischen Protagonisten allerdings stark und schreibt nur ihnen die negativen Charaktereigenschaften zu. So sind es stets die einheimischen Taxifahrer, die den Weg nicht kennen, es ist der schwedische Broker, der rücksichtslos das Geld seiner Kunden verjubelt und es ist der schwedische Verleger, der nur auf seine Verkaufszahlen bedacht ist und daher nichts anderes als Krimis veröffentlichen mag. Ein wenig trübt diese übertriebene Schwarz-weiß-Zeichnung das Lesevergnügen, zumal Mankell sich an einigen Stellen zu oft wiederholt. Diese „Holzhammermethode“ wäre in diesem Rahmen nicht notwendig gewesen, um die gesellschaftlichen Missstände anzuklagen.

Skurrile Dialoge

Ungewohnt erscheint uns auch Mankells Sprache. Er scheint zu versuchen, vom geradlinigen Stil seiner Kriminalromane wegzukommen und etwas ausschweifender und poetischer zu schreiben. Leider ist dieser Versuch nicht ganz überzeugend, da er schnell wieder in seinen alten Trott zurückfällt.

Etwas Geduld erfordern auch die Dialoge, die Jesper Humlin mit verschiedenen Personen führt. Er versucht lieblos, seinen eigenen Standpunkt zu vertreten, scheint aber immer wieder gegen eine Wand anzureden und ungehört zu bleiben. Sein Gegenüber spricht einfach weiter, als würde es Jespers Worte gar nicht hören. Während diese anstrengenden Dialoge anfangs noch zum Schmunzeln animierten, störten sie mich auf Dauer doch ein wenig. Die Telefonate mit seinem Verleger laufen immer in etwa nach folgendem Muster ab:

„Warum meldest du dich nie?
– Ich war in Göteborg beschäftigt.
– Mit diesen dicken Mädchen? Wie oft habe ich dir erklärt, dass du nicht deine Zeit mit ihnen verschwenden sollst? In der nächsten Nummer unseres Firmenblattes wollen wir das erste Kapitel von „Das Versprechen des neunten Reiters“ publizieren.
– Was ist das für ein Buch?
– Das Buch, an dem du gerade schreibst. Ich war gezwungen, mir einen Titel auszudenken. Nicht schlecht, was?
Jesper Humlin wurde es eiskalt.“

Leider übertreibt Henning Mankell es mit derlei Dialogen in diesem Buch zu sehr, wir bekommen kaum normale Gespräche präsentiert. Aber auch in anderer Hinsicht geht Mankell einen Schritt zu weit, denn permanent macht er Witze auf Kosten der wie Unkraut aus dem Boden sprießenden schwedischen Kriminalautoren. Zu Beginn fand ich es noch äußerst amüsant, dass Mankell sich darüber lustig macht, dass praktisch jeder Schwede nun einen Krimi schreiben möchte, allerdings sind es am Ende dann zu viele Verweise auf diesen inflationären Krimiboom.

Nachwirken?!

So sehr ich mir auch gewünscht hätte, dass mich dieses Buch begeistert, weil es doch ein so wichtiges Thema aufgreift, so komme ich trotzdem zu dem Schluss, dass Mankell mit „Tea-Bag“ keine Glanzleistung vollbracht hat. Weder kann er sprachlich seinen poetischeren Schreibstil durchhalten, wie er auf den ersten Seiten noch durchklang, noch geht er die Einwanderer-Problematik gefühlvoll genug an. Manchmal habe ich mich über seine Schwarz-weiß-Zeichnungen fast schon geärgert, denn so vereinfacht kann man dieses Thema nicht darstellen, auch seine völlig überspitzten Charaktere und skurrilen Dialoge wirken in diesem Buch deplatziert. Henning Mankell hat im „Chronist der Winde“ auf wunderbare Weise gezeigt, dass er schwierige Themen gefühlvoll aufgreifen und in eine lesenswerte Geschichte verpacken kann, doch in „Tea-Bag“ ist er über das Ziel hinausgeschossen. So hinterlässt Henning Mankell bei mir zum allerersten Mal einen nur mittelmäßigen Eindruck.

Taschenbuch: 384 Seiten
Auflage: Mai 2005
www.dtv.de
www.henning-mankell.de