George R. R. Martin – Adara und der Eisdrache

Weihnachtsgeschenk für alle Winterkinder

Adara ist ein Winterkind. Nur sie kann auf dem Eisdrachen reiten, der die Kälte bringt. Als der Krieg näherkommt und die Drachen des Königs einer nach dem anderen vom Feind besiegt werden, scheint es keine Rettung zu geben. Da träumt Adara von ihrem einzigen Freund, dem Eisdrachen. Zusammen reiten sie. Doch kann Eis auch Drachenfeuer standhalten?

Der Autor

George R. R. Martin, 1948 in Bayonne, New Jersey, geboren, veröffentlichte seine ersten Kurzgeschichten 1971 und gelangte damit in der Science-Fiction-Szene zu frühem Ruhm. Gleich mehrfach wurde ihm der renommierte |Hugo Gernsback Award| von den Lesern verliehen. Danach arbeitete er in der Produktion von TV-Serien, ehe er 1996 mit einem Sensationserfolg auf die Bühne der Fantasy-Literatur zurückkehrte: Sein mehrteiliges Epos „Das Lied von Feuer und Eis“ wird einhellig als Meisterwerk gelobt. Inzwischen wurde er viermal mit dem |Hugo|, neunmal mit dem |Locus| und zweimal mit dem |Nebula Award| ausgezeichnet.

Martin, der mittlerweile in Santa Fé, New Mexico, lebt, ist ein begeisterter Fußball- und Geschichtsfan sowie leidenschaftlicher Sammler von Miniatur-Ritterfiguren. (Verlagsinfo)

 

_Handlung_

Adara wird mitten im Winter geboren, und die Geburt kostet ihre Mutter Beth das Leben. Als sie vier ist, merkt sie, wie sehr sie sich von ihren Geschwistern unterscheidet. Teri ist schon ein Teenager und bandelt mit den Jungs im Dorf an, und Geoff hilft seinem Vater John schon bei der Arbeit und will alles wissen, was sein Vater weiß. Adara ist nicht so. Am wohlsten fühlt sie sich im Winter, denn dann kann sie Eisburgen bauen und mit den kleinen Eisechsen spielen. In den warmen Händen der anderen Kinder verbrennen die Eisechsen, doch nicht in denen von Adara.

Adara weiß natürlich, dass es auch Drachen gibt, denn der Bruder ihres Vaters, der Offizier Hal, reitet einen solchen Kriegsdrachen im Dienst des Königs. Der Drache ist fünfmal so groß wie ein Pferd, mit großen ledrigen Schwingen und großen Zähnen. Doch sie sind viel kleiner als der riesige Eisdrache, der eines Wintertages vor Adara landet und sie anschaut, weiß und kristallfarben und bläulich. Sein Atem ist so kalt, dass er alles zu Eis erstarren lässt, bis es brüchig ist und zerbirst.

Eisdrachen sind stumm, und so fällt kein Wort zwischen ihr und dem Drachen. Später lässt er sie auf sich reiten, und sie ist so winzig, dass keiner der gaffenden Dorfbewohner sie sieht, weil alle nur den großen Eisdrachen wahrnehmen. Kommt der Frühling, verschwindet der Eisdrache wieder, ihr einziger Freund, und sie zählt die Tage bis zu ihrem winterlichen Geburtstag, wenn er zurückkehrt.

Der Krieg läuft schlecht für die Drachenreiter des Königs, und Onkel Hal drängt Adaras Vater, sein Land und seinen Hof zu verlassen, um in den sicheren Süden des Reiches zu ziehen. Doch Vater John weigert sich, weil er an seiner Scholle klebt und neben seiner Frau Beth begraben werden möchte. Inzwischen ist Adara sieben Jahre alt und kann beobachten, wie sich die Vorboten der Katastrophe nähern: die verwundeten Soldaten, die Flüchtlinge, schließlich die Hungernden und Plünderer.

Als Hal das letzte Mal landet, sind von seinen dreißig Drachen nur noch vier übrig, und davon fliegen drei gleich weiter nach Süden. Sein Drache Schwefel ist vom gegenerischen Drachenfeuer verletzt und kann nur ein Leichtgewicht mitnehmen: Adara. Doch die will nicht weg und läuft fort in den Wald. Ihr Geschwister und Hal können sie nicht einholen. Im Wald sieht sie die Drachen des Feindes: schwarz, rostbraun und blutrot. Sie speien Feuer und verbrennen die Gehöfte, reißen das Vieh, verjagen die Bewohner.

Da flieht Adara aus dem brennenden Wald in eine Höhle, die sich im Steilufer des Flusses befindet. Sie rollt sich zusammen und träumt von ihrem einzigen Freund, dem Eisdrachen. Und obwohl Sommer ist und die Sonne heiß brennt, geschieht es, dass sie am Morgen die Augen aufschlägt und alles in ihrer Höhle mit Raureif überzogen ist: Da wartet der Eisdrache in kalter Pracht auf sie, und sein Atem ist wie der Nordwind.

Sie sitzt auf und gemeinsam greifen sie die Drachen des Feindes an …

_Mein Eindruck_

Schon auf den ersten Blick, den er auf den Text wirft, merkt der Leser, dass dies ein Kinderbuch ist. Nur wenige Zeilen verteilen sich über die Seite, denn die Schrift ist extragroß gedruckt. So sollen auch Kinderaugen die Geschichte leicht lesen und verstehen können. Der Autor hat ja auch die Sätze ganz besonders einfach formuliert. Dabei gehen aber beim genauen Lesen keineswegs die Poesie und die menschliche Dimension verloren.

Die mit Bleistift gezeichneten Illustrationen von Yvonne Gilbert helfen ebenfalls beim Verständnis. Wir sehen Adara von klein auf, bis sie schließlich fast so groß wie ihre Schwester Teri ist. Jedem Kapitel ist eine Szene aus einer Drachenschlacht vorabgestellt. Ich könnte mir vorstellen, dass dieses Motiv erst für Kinder ab sechs oder acht Jahren geeignet ist.

Die Geschichte selbst ist von klassischem Zuschnitt. Ein Kind verfügt über eine Eigenschaft, die es andersartig macht und damit ausgrenzt. Die emotionale Beziehung zu ihrem Vater ist zwiespältig, weil er ihr die Schuld am Tod seiner Frau gibt. Diese Kluft trägt später dazu bei, dass Adara nicht bei ihm bleibt, sondern im Moment der Gefahr fortläuft. Das dürfte jedem kindlichen Leser auffallen.

Dass dieses anderartige Kind auch einen ungewöhnlichen Freund gewinnt, dürfte nicht verwundern. Zusammen sind Adara und der Eisdrache ein Paar, doch wozu sollen sie gut sein, fragen sich ihre Geschwister. Das zeigt sich, als es darauf ankommt, den Feind zurückzuschlagen. Was diese Freundschaft wert ist, erweist sich nicht nur im Kampf, sondern auch im besonderen Opfer, das der Eisdrache seiner Freundin bringt: Er schmilzt ja in der Sommersonne.

Und dieses Opfer verändert Adaras Körpertemperatur nachhaltig. Fortan kann sie nicht mehr mit den Eisechsen spielen. Sie würden in ihrer Hand verbrennen. Jetzt ist Adara wie alle anderen, denn das Opfer ihres Freundes hat sie vom Geschenk bzw. Fluch der Kälte erlöst. Es ist eine Lektion, die jedes Kind, das Liebe und Freundschaft braucht, begreifen wird.

|Die Übersetzung|

Obwohl das Buch bereits 1980 erstmals erschien, handelt es sich hier meines Wissens um die erste deutsche Übersetzung. Andreas Helweg hat die einfache und doch poetische Sprache des Originals beibehalten und auch in Stil und Orthografie fehlerfrei übersetzt.

_Unterm Strich_

Die kindgerechte Geschichte von der kleinen, kaltblütigen Adara und ihrem einzigartigen Freund, dem großen Eisdrachen, erinnert von ihrem Ausgangspunkt her schon an das spätere Epos „Die Herren von Winterfell“, in dem es auch ziemlich kühl und kriegerisch zugeht.

Dass der Krieg zur kleinen Heldin kommt, ist für ein Kinderbuch etwas ungewöhnlich und anspruchsvoll. Aber der junge Leser wird ganz behutsam auf das Erscheinen des Feindes vorbereitet, denn erst kommen die Flüchtlinge, die Verwundeten, dann die Hungernden und schließlich erst die schrecklichen Drachen, die alles niederbrennen.

Auch das Epos-Motto „Das Lied von Eis und Feuer“ ist hier schon umgesetzt, denn es sind ja die Vertreter des Eises, Adara und ihr Eisdrache, die es mit den feuerspeienden Drachen des Feindes aufnehmen. Wer jetzt noch kein Freund des Winters ist, der wird mit Adaras Geschichte eines Besseren belehrt. Doch der Winter kann nicht ewig dauern, weder draußen in der Natur, noch drinnen in Adara: Der Frühling ist innen wie außen eine Zeit der Erlösung und des Aufbruchs, des Neuen und des Wachsens. Das gilt auch für kleine ungewöhnliche Mädchen wie Adara.

Dieses Buch ist zwar im August erschienen, eignet sich aber ideal als Weihnachtsgeschenk an alle Winterkinder. Und wer kurz an die Geschichte Jesu denkt, wird ein paar auffällige Ähnlichkeiten feststellen …

Fazit: ein Volltreffer.

125 Seiten, gebunden
Originaltitel: Dragons of light, 1980, und The ice dragon, 2006
Aus dem US-Englischen von Andreas Helweg
Illustriert von Yvonne Gilbert
ISBN-13: 978-3-570-22045-0
http://www.cbj-verlag.de