Kastrop, Jessica – Liebe in Zeiten der Champions League

_“Man darf jetzt nicht alles so schlecht reden, wie es war.“_

Spätestens wenn in Büros, auf Laternenmasten und von Wohnzimmerfenstern deutsche Flaggen wehen, fällt es jedem – auch dem letzten nicht an Fußball interessierten Menschen – auf, dass sich entweder eine Fußball-EM oder gar eine -WM nähert. Glaubt man allen Versicherungen und Statistiken, bricht die damit zusammenhängende Hysterie tatsächlich nur alle zwei Jahre aus. Gefühlt tritt ein solches sportliches Großereignis aber wesentlich häufiger auf, und man kann ihm durch nichts – nicht einmal durch geschickte Urlaubsplanung – entgehen. Für diejenigen, denen erst jetzt die Schuppen von den Augen fallen, wäre es für dieses Vorhaben vermutlich ohnehin zu spät. Auch vielen anderen weniger Begeisterten wird eine Flucht nicht vergönnt sein, wenn schon in diesem Sommer wieder der EM-Ball rollt. Sehen wir also der Tatsache gefasst ins Auge und hören mit dem Jammern auf! Was bleibt, ist, sich in nahezu unmenschlicher Toleranz zu üben und sich auf die Zeit nach der EM zu freuen oder zu versuchen, mit Jessica Kastrop die Flucht nach vorn anzutreten.

Die attraktive Sportjournalistin moderiert die Bundesliga und die Europa League auf |Sky| und ist unter einem fußballbegeisterten Vater zu einer Liebhaberin des runden Leders herangewachsen. So etwas kann vorkommen und passiert durchaus häufiger, als man annimmt. Auch eine meiner Arbeitskolleginnen wuchs auf dem Rasen auf, während ihr Vater seine Schiedsrichterfunktion bekleidete. Vermutlich konnte sie eher „Tor“ als „Mama“ rufen. Dennoch hält sie nicht viel von Jessica Kastrop und warnte mich bereits vor dem Lesen des Beziehungsratgebers „Liebe in Zeiten der Champions League“, dass der Ball, welcher die blonde Reporterin dereinst während einer Moderation unsanft am Kopf getroffen hatte, damals schon keinen größeren Schaden mehr anzurichten vermochte. Nun, ja, beim Fußball geht es nicht immer sanft zu – auch nicht verbal und schon gar nicht außerhalb des Rasens. Vielleicht ist Frau Kastrop also gar keine Quotenfrau sondern tatsächlich kompetent, steht jedoch auf den falschen Verein und kann deswegen bei meiner Kollegin nicht punkten. Egal! Wie oben beschrieben, droht die EM, und, da ich in einem Fußballland wie Italien mit einem fußballbegeisterten Lebensgefährten und seiner fußballbegeisterten Familie diesem Großereignis ebenso wenig wie den wöchentlichen Spielen des mittelmäßig erfolgreichen AS Bari entgehen können werde, schlug ich alle Warnung in den Wind und wollte die „besten Beziehungstipps für fußballgeplagte Frauen“ (so der Untertitel) studieren, auf dass der kommende EM-Sommer nicht gleichzeitig der Sommer unseres Beziehungsendes werde.

Der Ratgeber teilt sich in fünf große Abschnitte. Der erste Abschnitt, „Anpfiff“, behandelt, wie man in einem Stadion ganz leicht einen Fußballfan kennenlernt und Verständnis für sein Hobby entwickelt. Kastrop beschreibt den Fußball für den Mann als Ausgleich zur Arbeit, Ventil für Emotionen sowie zum Aggressionsabbau. Er diene dazu, Teamgeist zu entwickeln und siegen oder verlieren zu lernen. Erwachsenen Frauen gelingt es scheinbar nur in einem gefühlsmäßigen Ausnahmezustand und „geschützt durch die rosarote Brille“, Gefallen am Fußball zu finden. In dieser Zeit müsse die Frau das Verständnis für den Fußballmann entwickeln, um späterhin zu lernen, wie seine Beziehung zu einer Frau mit der frühkindlich geprägten Liebe zum Verein auf einen Nenner gebracht werden könne. Die Autorin rührt die Werbetrommel für Fußball als Gemeinschaft fördernden, identitätsstiftenden und grenzüberschreitenden Sport, der zudem auch familienbezogen sei, weil er Väter und Kinder zusammenschweiße.

Teil zwei geht davon aus, dass man sich den Fußballfan nun erfolgreich geangelt hat und versuchen muss, das gemeinsame Zusammenleben um das Hobby herum zu organisieren. Kompromisse und Kooperation stellt sie als Grundpfeiler der funktionierenden Partnerschaft heraus und wirbt auch hier um Verständnis: „Männer bleiben immer kleine Jungs und man soll sie an der langen Leine lassen.“ Wenn man also davon genervt sei, dass der Partner seine Wochenenden nur mit Fußball verbringe, helfe es, sich an die guten Seiten des Partners zu erinnern, sich selbst und den Partner liebevoll anzunehmen, herauszufinden, ob wirklich Probleme vorliegen, fair zu kommunizieren und vor allem die Schuld nicht auf den Fußball zu schieben. Was die Journalistin meint, beschreibt sie in allen Kapiteln anhand von Anekdoten aus der Bundesliga. Dennoch stellt man sich immer häufiger die Frage, ob die „Fußballplage“ nicht vielmehr mit jedem exzessiv ausgeübten und deswegen beziehungstötenden Hobby gleichzusetzen sein könnte. Außerdem verfestigt sich immer mehr das Gefühl von Absurdität, welches die geneigte Leserin bereits im ersten Teil beschlichen hat: Warum sollte man sich einen Fußballfan zum Freund wünschen, wenn man mit dessen Hobby nicht leben kann?

Die Teile drei und vier widmen sich im Grunde vom Sport gänzlich unabhängigen Beziehungsthemen: wie Frau sie selbst bleibt, Freundschaften pflegt, mit Seitensprüngen oder Burnout umgeht, wann Paartherapie sinnvoll ist, was Torschlusspanik bedeuten kann und dass man Lebensziele realistisch stecken sollte. Im Leben ginge es darum, Selbstzufriedenheit zu erreichen und für den Partner begehrenswert zu bleiben.

Teil fünf befasst sich mit dem Ende von Beziehungen. Auch hier arbeitet Kastrop mit Fußballvergleichen; „… haben Sie schon einmal eine Fußballmannschaft gesehen, die sich direkt nach der Niederlage wieder in ein Spiel gegen die Siegermannschaft stürzt? … und zwischen Hin- und Rückrunde der Bundesliga gibt es nicht zufällig sogar eine Winterpause! Da sollen die Spieler auftanken, Mannschaften werden ergänzt, alten Wunden geleckt, Trainer manchmal entlassen und neu berufen.“ Fußballer sind also Menschen mit einer relativ normalen Psyche und haben bestimmte Strategien entwickelt, mit Niederlagen fertig zu werden. Wenn Fußballer das können, kann es die verlassene Frau selbstverständlich auch. Am Beispiel von Kate Middleton wird betrachtet, wie man sich seinen Prinzen wieder zurück erobert, und es werden entsprechende Verhaltensregeln aufgestellt. Für den Fall, dass es damit trotzdem nicht klappt, hat Jessica Kastrop ebenfalls einen Ratschlag und ein passendes Zitat parat: „Niederlagen einzustecken, zählt ganz sicher nicht zu den leichtesten Aufgaben im Leben. Aber trösten Sie sich mit einem Fußballzitat: ‚Man darf jetzt nicht alles so schlecht reden, wie es war‘ (Fredi Bobic).“ Für die Zeit danach gibt sie ebenfalls zahllose Ratschläge und empfiehlt z. B. Internetdating. Darf man ketzerisch fragen, warum sie nicht vorschlägt, sich einen anderen von den Tausenden Männern im Fußballstadion zu angeln?

Der letzte Teil, „Das Finale“, ist jedoch wieder auf einen Fußballfan bezogen. Hier finden sich konkret wertvolle Tipps, die eine Hochzeit mit einem Fan nicht zum Desaster werden lassen – beispielsweise den Hochzeitstermin in die Sommerpause eines ungeraden Jahres zu legen, damit einem die Eingangs besprochenen Großereignisse nicht in die Quere kommen. Im Anhang sind schließlich die Sprüche versammelt, mit denen man bei Fußballfans punkten können soll. Problem ist nur, dass man diese genauso schnell wieder vergisst, wie man sie gelesen hat, wenn man sich dafür einfach nicht interessiert. Schon beim Lesen des ersten Teils des Buches stellt man sich als Leserin die Frage, warum man sich in einem Stadion einen Freund suchen sollte, wenn man sich nicht für Fußball interessiert und die ganze Atmosphäre dort als befremdlich empfindet.

Kastrop schreibt für ein – vorsichtig formuliert – „blondes“ Klientel, das damit rechnet, dass „die klassische Viererkette“ im Sport etwas mit Schmuck zu tun habe. Außerdem wird den Leserinnen von vornherein unterstellt, dass sie sich im Grunde nicht für Fußball, sondern für Schuhe interessieren, denn immer wieder weist sie auf den „Sex and the City“ liebenden Shoemaniac hin (S. 28, 41, 48). Allerdings sind manche Vergleiche mit Klatschpressethemen zur besseren Illustration der Vorgänge in einem Fußballfanherzen durchaus witzig und erleichtern das Verständnis: „Nur mit ‚eigenen Pokalgesetzen‘ lässt es sich erklären, warum zum Beispiel der FC Bayern im Jahr 1994 am unterklassigen TSV Vestenbergsgreuth scheiterte. Bis dato eine Riesenschmach für alle Bayern-Fans. So in etwa würde sich Brad Pitt fühlen, wenn ihn Angelina Jolie wegen Guido Westerwelle verlassen würde. So in etwa …“ Um eine Fußballanfängerin zu beeindrucken, lässt sie also genügend Sachkenntnis und Erfahrung blitzen. Dennoch darf bezweifelt werden, dass ihre Anleitung dafür, sich als Interessierte zu maskieren, einem Laien viel nutzen wird, wenn das nötige Herzblut fehlt. Schlimmstenfalls manövriert man sich mit dem gefährlichen Halbwissen aus vorgeschlagenen Kommentaren und der Kenntnis vereinzelter Anekdötchen in eine ausweglose Situation der Bloßstellung, wenn der Mann interessiert auf einen solchen Kommentar eingeht. Ich jedenfalls werde mir trotz der Lektüre des Ratgebers meine eigene Strategie im Umgang mit Fußballfans bis zum Beginn der EM zurechtlegen müssen. Vermutlich werde ich mich wie immer völlig desinteressiert zeigen und milde lächeln, wenn sich die Fans vor dem TV versammeln. Die Spielzeiten der Champions League haben sich beispielsweise als wertvolle Leseminuten erwiesen. Das lässt sich mit Sicherheit auf die Europameistermeisterschaftsspiele übertragen. Bei mir stapeln sich bereits die dicksten Wälzer.

„Liebe in Zeiten der Champions League“ liest sich durch den lockeren Ton auch für einen Nicht-Shoemaniac, der nie „Sex and the City“ gesehen hat, schnell und flüssig. Das Buch ist sogar manchmal amüsant; z. B. zeugt der Buchtitel, der, wenn man ihn als Anspielung auf „Liebe in Zeiten der Cholera“ liest, den Fußball mit einem gefährlichen Brechdurchfall gleichsetzt, von einer gewissen Komik, die hoffentlich beabsichtigt war. Leider habe ich auf Seite 58 des Ratgebers beschlossen, mich der Kopfballtheorie meiner fußballaffinen Arbeitskollegin anzuschließen. An dieser Stelle konnte sich die Autorin nicht zurückhalten, von ihrer Beziehung mit einem Süditaliener zu berichten. Sie tritt dafür ein, die Beziehungen mit einem Italiener zu überdenken und lieber auf einen weniger charmanten, aber dafür weniger familiär gebundenen deutschen Mann zurückzugreifen. Als Einzelkind war es ihr offensichtlich nicht vergönnt, deutsche Großfamilien kennenzulernen. Dadurch wäre sie vielleicht mit entsprechendem Verständnis für größere Familien ausgestattet worden – so wie ihr Aufwachsen unter Fußballfans sie für das Leben mit Fußballfans abgehärtet hat. Kurz und gut: „Liebe in Zeiten der Champions League“ kann man lesen, muss man aber nicht.

|240 Seiten, Paperback
ISBN-13: 978-3426785454|
http://www.droemer-knaur.de
http://jessica-kastrop.de

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