Eric Van Lustbader – Ronin (Dai-San-Zyklus 1)

Science Fantasy: Helden zwischen Zauber und Sex

In ferner Zukunft dämmert die Menschheit ihrem Ende entgegen. Die Mächte der Finsternis sammeln sich gegen die letzen Menschen auf einer sterbenden Erde. Nur ein einsamer Kämpfer kann die Katastrophe abwenden: Ronin, der Bewohner eines unterirdischen Imperiums. Seine Welt ist eine Welt des Kampfes. Das Militär ist allgegenwärtig. Eines Tages hört Ronin zufällig, dass es noch anderes Leben auf der Erdoberfläche gibt. Aber bevor er seine lebensgefährliche Reise in die verbotene Welt unter der Sonne antreten kann, muss er noch eine Schriftrolle finden, die das Geheimnis zur Rettung der Menschheit birgt…

Hinweis: „Ronin“ bedeutet im Japanischen „herrenloser Krieger“.

Der Autor

Eric Van Lustbader, geboren 1946, ist der Autor zahlreicher Fernost-Thriller und Fantasyromane. Er lebt auf Long Island bei New York City und ist mit der SF- und Fantasylektorin Victoria Schochet verheiratet. Sein erster Roman „Sunset Warrior“ (1977) lässt sich als Science Fiction bezeichnen, doch gleich danach begann Lustbader (das „Van“ in seinem Namen ist ein Vorname, kein holländisches Adelsprädikat!), zur Fantasy umzuschwenken. Er nennt Tolkien und Michael Moorcock zu seinen frühesten Vorbildern.

Der Dai-San-Zyklus gehört dem Genre der Sword & Sorcery an und besteht aus folgenden Romanen:

1) Sunset Warrior (Ronin),
2) Shallows of Night (Dolman),
3) Dai-San (Dai-San, 1978);
4) Beaneath an Opal Moon (Moichi, 1980);
5) Beyond the Sea of Night (Drachensee; 1997).

Handlung

Nach einem verheerenden Atomkrieg hat sich die Menschheit unter die Erde verkrochen. Der nukleare Winter hat dafür gesorgt, dass die nördliche Hemisphäre mit einer kilometerdicken Eisschicht bedeckt ist. Nach Jahrhunderten ist von den unterirdischen Kolonien nur noch eine übriggeblieben: Freibesitz. Sie liegt drei Kilometer unter der Erdoberfläche. Am Leben gehalten wird sie von den Maschinen der Alten, die jedoch von den Neers (= engineers) immer weniger verstanden werden. Zunehmend fallen die Maschinen aus und bedrohen die Lebensbedingungen in den über hundert Ebenen der Kolonie.

Das Sagen haben die Saardin, die Bosse. Sie sind jedoch in zwei Lager gespalten; in jene, die zum Sicherheitschef Freidal halten und in jene, die zu Estrille halten. Ein weiterer Saardin, der mächtige Salamander, gehört keinem der beiden Lager an, und er lässt Ronin zum besten Schwertkämpfer ausbilden – in der Hoffnung, ihn als seinen Gefolgsmann gegen die anderen Saardins einsetzen zu können. Die übrigens Saardins scharen ebenso Gefolgsleute um sich, die Chondrin (Leutnants), aber insbesondere die Klingenträger.

Ronin

Der Klingenträger Ronin hat eine merkwürdige Sonderstellung insofern, als er keinen Saardin als seinen Oberherrn anerkennt. Das ist besonders Freidal ein Dorn im Auge, und er beginnt, Ronin zu schikanieren. Aber Ronin gibt sich als Assistent des Medizinmannes Stahlig aus. Der alte Arzt hat Autorität, die selbst Freidal achten muss. Als Freidal Stahlig zu einem Patienten ruft, stellt dieser sich als der Zaubermann Borros heraus. Borros, so erkennt Stahlig entsetzt, wurde von der Sicherheit nicht nur unter Drogen gesetzt, sondern auch mit Elektrizität gefoltert. Welches Geheimnis wollte man ihm entlocken?

Nach einigen Besuchen in dem Geheimraum, in dem der Arzt Borros versteckt hat, erfährt Ronin das Geheimnis: Borros hatte eine Vision, die von außen kam. Er sah braune Erde und grünes Land unter einem strahlend blauen Himmel. Aber wie kann das sein, wenn doch das Land, wie der Salamander Ronin gezeigt hat, kilometerdick in alle Richtungen von Eis bedeckt ist, über das kalte Stürme fegen?

Vogelfrei

Borros vertraut Ronin an, dass die Antwort auf das Rätsel eine Schriftrolle sei, die Ronin in den Maschinenräumen auf der 99. Ebene der Schächte suchen muss. Ronin war noch nie so tief unten, doch weil es Freidal inzwischen geschafft hat, ihn aus der Kriegerkaste ausstoßen zu lassen, ist Ronin inzwischen zum Vogelfreien geworden. Freidals Schergen jagen ihn.

Also ist es für ihn kein Problem, die nötige Expedition anzutreten. Seine Freundin K’reen muss ihn gehen lassen. In letzter Sekunde schließt sich ihm der ängstliche Gelehrte G’fand an, der sich ebenfalls verfolgt fühlt, weil er sich keinem Saardin anschließt. Zusammen wagen sie sich auf den Grund der Kolonie vor und entdecken Schreckliches…

Mein Eindruck

„Ronin“ ist der actionreiche Auftakt zu Eric Lustbaders erstem (und immer noch aufgelegtem) Fantasy-Zyklus um den Dai-San, den Krieger der Abendsonne. Das Buch steht ganz in der Tradition der CONAN-Romane von Robert E-Howard und der Sword & Sorcery-Serien über den Ewigen Helden, die Michael Moorcock in den sechziger Jahre wie ein Frabrikarbeiter im Akkord produzierte. Sie hießen Elric, Corum, Hawkmoon und Runestaff usw., waren muskelbepackte Schwertkämpfer, die stest zwischen die Frontlinien in den Machtkämpfen der Könige, Zauberer und schönen Kurtisanen gerieten.

Bei Ronin verhält es sich nur wenig anders. Nur dass er sich hinab auf die untersten Ebenen begeben muss, wo die Maschinen der Alten noch immer zu funktionieren scheinen. Doch als eine nach der anderen versagt, neigt sich die Zeit der Kolonie ihrem Ende zu. Machtkämpfe spitzen sich zu, denn nun geht es ums nackte Überleben. Dieses Szenario hat etwas Faszinierendes, weil es so morbide ist und jedem Leser, der in einer wirtschaftlich paradiesischen Umgebung wie unserer lebt, romantische Gefühle erlaubt.

Da ist von heldenhaften Recken wie Ronin die Rede, von berückend verführerischen Kurtisanen (Ronisn Freundin K’reen), von abgrundtief bösen Bossen wie Freidal und dem Slamander und jeder Menge Geheimnissen. Freunde und Gefährten wie G’fand finden sich für Ronin ebenfalls, aber er tut wenig dafür, sie zu erwerben und ihnen stets beizustehen. Ohne Zweifel mangelt es ihm nicht an Treue: Er verteidigt G’fand wie sein eigenes Leben, und er trauert um den gemeuchelten Nirren. Doch letzten Endes bleibt er nur sich selbst treu. Doch auch er begeht einen verhängnisvollen Fehler, indem er sich eine Art blinden Fleck erlaubt, was die schöne K’reen angeht. Das soll sich am Ende böse rächen.

Die Unterwelt der Alten

Interessant und folgreich ist Ronins und G’fands Expedition in die Unterwelt der Alten. Das ist ungefähr so, als würde ein Mensch der Moderne in die Dinosaurierzeit reisen (z.B. in „Sound of Thunder“ von Ray Bradbury, verfilmt). Es erweist sich als genauso gefahrvoll. Es ist eine regelrechte unterirdische Stadt voller Paläste und Villen – jene errichten die ersten Erbauer, die unter die Erde gingen, wenn man der Historie, die auf Seite 191/192 berichtet wird, glauben will. Auch das Haus eines Magus ist hier zu entdecken, und Ronin findet dort nicht nur die gesuchte Schriftrolle, sondern auch ein Dimensionstor.

Die unterirdische Stadt ist mit wilden Raubtieren bevölkert, deren sich die beiden Helden stets erwehren müssen. Auch ein Makkon greift sie an, ein schwarzes Monster, dessen bloße Berührung bereits Schmerz verursacht. Später bekommt Ronin von dem einzigen Helfer, den er hier unten findet, dem Zwerg Bonneduce, einen Handschuh aus Makkonhaut. Dieser wird ihm schon bald nach seiner Rückkehr in die Kolonie gute Dienste leisten. Denn der schlimmste Kampf steht Ronin noch bevor.

Versorgung

Immer wieder habe ich mich gewundert, dass die Bewohner der Kolonie so gesund sind. Nun, das trifft nur für die obersten Ebenen zu, die an der Spitze der Nahrungskette stehen. Das belegt die Expedition in die Tiefen. Hier oben herrschen die Saardin, Chondrin und vor allem deren Kämpfer – sie alle brauchen effiziente Nahrungsmittel, um ihre Kraft zu erhalten. Woher diese Nahrung kommt, wird aber nicht erklärt. Andeutungsweise erfahren wir von Wiederaufbereitungsanlagen, wie man sie von Raumschiffen kennt. Offensichtlich hat sich der Autor nicht mit solchen Nebensächlichkeiten beschäftigt.

Sexualität

Die Kolonie befindet sich im Stadium der Endzeit, das ist offensichtlich. Dennoch gibt es noch kulturell sanktionierte zwischenmenschliche Beziehungen wie die Ehe und die heterosexuelle Gefährtenschaft. Man würde aufgrund der menschlichen Geschichte erwarten, dass auch tabuisierte Formen der Sexualität aufträten, so etwa die Geschwisterliebe und gleichgeschlechtliche Partnerschaften. Das ist scheinbar nicht der Fall.

Doch der Schluss des Romans belehrt uns eines Besseren. Die Frau, die Ronin in K’reen geliebt hat, ist weit mehr als das und steht ihm weitaus näher. Das sagt ihm der Salamander, um Ronin einen letzten Hieb der rache für Ronins „Treulosigkeit“ (lies: Unabhängigkeit) zu versetzen. Als K’reen ihre wahre Identität und wahres Wesen enthüllt, wirft dies den Kämpfer Ronin in einen Zwiespalt der Unsicherheit – genau das, was sie bezweckt hat. Er findet keinen sicheren Halt in sich, um sich zu verteidigen, geschweige denn, auch anzugreifen.

Genau diese Situation der Geliebten, die den Helden verrät, verwendet Lustbader in vielen seiner Fernost-Thriller, so etwa in „The Ninja“ und „The Miko“ (siehe dazu meine entsprechenden BUCHWURM-Berichte). Denn dieser Verrat zeigt auf, worauf sich das sogenannte Heldentum der Hauptfigur gründet: auf für gewiss gehaltene Annahmen von Loyalität und der Schwäche von Frauen. Beides erweist sich als schwerer Irrtum. Was die wahre Liebe von Frauen für den Helden umso wichtiger macht. Die Frage ist jedoch, wo er sie finden kann.

Die Übersetzung

Die alte Übersetzung, die der Bastei-Lübbe Verlag Ende der siebziger Jahre mit dem Titel „Krieger der Abendsonne“ anfertigen ließ, diente als Vorlage für die Heyne-Lizenzausgabe. Martin Eisele war noch nie einer der besten Übersetzer von Fantasy, und das erweist sich auch an diesem Produkt seiner Schreibwerkstatt. Es finden sich zwar nur wenig Druckfehler, aber umso mehr stilistische Unsicherheiten und ungenaue Übertragungen.

Was hat man sich denn beispielsweise unter einem „kläglich geformten (…) Schädel“ vorzustellen? Das findet sich auf Seite 178 ganz unten. Da der Rest des Schädels spitz zuläuft und einem Wesen gehört, das halb Hund, halb Krokodil zu sein scheint, ergibt es mehr Sinn, von einem „kegelfömig gestalteten Schädel“ zu sprechen.

Textstellen wie diese führen zu einer Unsicherheit im Leser, ob dem Wortlaut zu trauen sei. Am besten greift man zum Original, wenn man über entsprechende Englischkenntnisse verfügt. Das Englischniveau kann nicht sonderlich anspruchsvoll sein.

Unterm Strich

„Ronin“ und die beiden Folgeromane wurden vom damals 31-jährigen Autor (er begann schon 1973 mit dem Schreiben, nicht erst 1977, als „Ronin“ erschien) für ein pubertierendes, männliches Publikum geschrieben. Die Helden sind kämpferisch und ständig in Action verwickelt, die Frauen verführerisch und meist von trügerischer Loyalität. Das sind simple Kategorien, die mehr mit den Klischees des Genres zu tun haben als mit Originalität.

Dass das Ambiente eine Endzeitvision darstellt, spielt eigentlich keine Rolle. Es könnte sich genauso gut um eine Fantasywelt wie Mittelerde handeln, die der Autor nach eigenem Bekunden (siehe seine Homepage) ebenfalls gut kannte. Recken wie Ronin sind die letzte Hoffnung auf ein Überleben und einen Neuanfang der Menschen. Sie bringen – wie Aragorn und seine Gefährten – neue Hoffnung.

„Ronin“ liest sich kurzweilig und flüssig, aber große Überraschungen darf man nicht erwarten. Für junge männliche Leser, die Fantasy-Futter suchen statt eines Videogames, ist das Buch jedoch geradezu ideal geeignet.

Taschenbuch: 254 Seiten
Originaltitel: Sunset Warrior, 1977
Aus dem Englischen von Martin Eisele
ISBN-13: 9783453025721

www.heyne.de

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