Brian Keene – Der lange Weg nach Hause

Das geschieht:

Was wie eine normale Heimfahrt nach einem langen Büroarbeitstag aussah, endet für die Freunde Steve, Charlie, Hector und Craig aus dem Städtchen Shrewsburg im US-Staat Pennsylvania als Katastrophe. Ein greller Trompetenton schallt über den Erdball, Millionen Menschen lösen sich in Luft auf, Flugzeuge fallen ohne Piloten vom Himmel, Atomkraftwerke explodieren, auf den Straßen rammen sich fahrerlose Kraftwagen in endlosen Massenkarambolagen.

Auch unserem Quartett ergeht es übel; nach einem Unfall ist Craig spurlos verschwunden, Pechvogel Hector tot. Benommen finden sich Steve und Charlie unter den verwirrten Überlebenden eines in seinem Ausmaß unbekannten Desasters wieder. Haben Terroristen zugeschlagen? Das Telefonnetz ist zusammengebrochen. Keine Polizei erscheint, Krankenwagen fahren nicht. Das Chaos regiert und verstärkt sich, als den Menschen dämmert, dass Hilfe ausbleiben wird.

Steve beschließt, sich nach Hause durchzuschlagen, wo hoffentlich seine Frau Terri auf ihn wartet. Charlie und der ebenfalls aus Shrewsbury stammende Bauarbeiter Frank schließen sich ihm an. 30 Meilen gilt es zurückzulegen – ein langer Marsch durch eine plötzlich fremd und feindlich gewordene Welt, in der Angst, Wahnsinn und Terror regieren und an dessen Ende eine schockierende Erkenntnis stehen wird …

Wie die Welt endet (fundamentalistische Fassung)

Zwischen Phantastik und Religion gibt es eine Kluft, deren Breite und Tiefe von Literaten und Theologen recht unterschiedlich beurteilt wird. Die Autorität, mit der die Religionen dieser Welt bzw. deren selbst ernannte Oberhäupter die alleinige Gültigkeit ‚ihrer‘ Glaubensrichtung beanspruchen, prägt die gesamte Menschheitsgeschichte – dies bekanntlich nicht unbedingt positiv. Doch die Frage nach einem möglichen Leben nach dem Tod ist den meisten Menschen quasi eingebrannt. Die Religion bietet ‚Antworten‘, wofür es im Gegenzug eine lange Liste von Regeln zu beachten gibt, was alten, meist bärtigen Männern in wallenden Gewändern die Chance gibt, die Geschicke der Welt nach ihren Vorstellungen zu beeinflussen.

Brian Keene reiht sich bescheiden und weit hinten in diese Schar der Hüter und Schäflein ein. In einem langen Nachwort – das leider deutlich interessanter als die eigentliche Geschichte ist – outet er sich als Durchschnitts-Christ aus der Generation der Thirtysomethings, die als Kinder zur Kirche getrieben wurden, um dort primär durch Drohungen in Schach gehalten zu werden. Gesunde Skepsis an einer später hinterfragten Religion reibt sich noch heute an der andressierten Furcht vor der „Hölle“; eine seltsame und ungesunde Dualität, der dieses merkwürdige Buch seine Entstehung verdankt.

Ein Buch ist „Der lange Weg nach Hause“ übrigens nicht, sondern eine Novelle. Keene schrieb sie für eine Sammlung ‚religiöser‘ Endzeit-Visionen, die nie veröffentlicht wurde. Er deutet seine Geschichte als Produkt eines Zweifels, in den sich die leise Furcht mischt, die Schreckgespenster des Alten Testaments könnten sich doch als real entpuppen. In den USA (oder in Bayern) mag er damit einen Nerv treffen; die Macht der naiven aber mächtigen Schaumschläger & Geldschneider des fundamentalistischen „bible belt“ ist eine Tatsache.

Der Welt & der Vernunft entrückt

Hierzulande fällt es schwer, zwischen Keenes Novelle und den Machwerken der von ihm namentlich erwähnten (und auch in Deutschland verlegten) Stumpf-Literaten Tim LaHaye & Jerry B. Jenkins zu differenzieren. Keene gibt sich den Anstrich des Kritikers; er spielt das Phänomen der „Entrückung“ erzählerisch durch, das sich auf die apokalyptischen Offenbarungen des Johannes aus dem Neuen Testament beruft, nach denen Gott das Weltenende dadurch einläutet, dass er die Menschen ‚wahren‘ Glaubens in den Himmel holt, während die zurückbleibenden Pechvögel noch sieben Jahre vom Antichristen gepiesackt werden, bis endgültig Schluss ist. In diesem Chaos mischen u. a. noch Gottes Engel sowie 144.000 auserwählte Menschen jüdischen Glaubens mit.

Kann man das ernst nehmen? Eine schwierige Frage, wenn das Ergebnis „Der lange Weg nach Hause“ ist. Der angebliche Skeptiker Keene nimmt die Offenbarung wörtlich und lässt seine Geschichte dadurch lächerlich in Schieflage beraten peinlich berührt nimmt der Leser beispielsweise zur Kenntnis, wie der Erzengel Gabriel frechen Skinhead-Abschaum in Salzsäulen verwandelt.

Die Story selbst ist der x-te Aufguss des Weltuntergangs aus der Sicht des durchschnittlichen US-Bürgers. Stephen King hat 1978 in „The Stand – Das letzte Gefecht“ die Vorlage geliefert, der auch Keene viel zu treu folgt. Nach dem großen Knall kommt entweder der Held oder die Bestie im Menschen zum Vorschein, was für entsprechende Szenen vor der Kulisse schön schauerlichen Zivilisationszerfalls sorgt. Das inszeniert Keene routiniert, aber spannend ist es nicht.

Nicht helle aber repräsentativ

Steve, Charlie und Frank sind in Wort und Tat der verkörperte US-Mittelstand plus die Arbeiterschaft. (Frank trägt einen Schutzhelm.) Sie sind ‚gute Menschen‘, d. h. nicht die Hellsten, manchmal ein wenig selbstsüchtig und vom Leben gezaust, aber insgesamt erwachsen, pflichtbewusst und von wahren Werten beseelt. Steves größte Sorge ist es denn auch, dass er seiner geliebten Terri an jenem letzten Morgen nicht deutlicher hat spüren lassen, wie sehr er sie liebt – gibt es ein grässlicheres Klischee?

Aber immer! Siehe da, unser Trio ist gar nicht so ‚normal‘: Steve ist Jude, Charlie schwul und Frank ein bisschen rassistisch. Diese ‚Eigenschaften‘ sollen sie menschlicher wirken lassen; stattdessen macht es sie politisch korrekt, und das auf zimperlich verlogene Weise.

Keineswegs glaubhaft wirken zu schlechter Letzt die flachschürfenden Gespräche, die unsere Helden in Sachen Glauben führen. Sie mögen der Realität entsprechen, sollte die Apokalypse tatsächlich so fundamentalistisch naiv und bibeltreu daherkommen. Im Alltag von Steve, Charlie und Frank spielt die Religion kaum eine Rolle; falls sie dort vorkommt, ist sie vor allem Ausgangspunkt für Streitereien. Nach dem großen Knall kratzt unser Trio mühsam die Reste ihres aus der Schulzeit geretteten Wissens zusammen und erklärt sich das schreckliche, weil schrecklich profane Ende der Welt. Als Steves Schulweisheit versagt, nimmt ihn ein zufällig des Wegs kommender Priester im Wagen mit und füllt letzte Lücken.

Nein, das ist ohne Humor, den Keene leider vollständig ausklammert, wirklich schwer oder kaum zu ertragen. Wieso ausgerechnet „Der lange Weg nach Hause“ in Deutschland veröffentlicht wird, ist eine Frage, die den Rezensenten ratlos macht; Brian Keene ist ein fleißiger Autor, der wesentlich Besseres als diese eindimensionale Fingerübung zuwege gebracht hat, die zu lesen oder gar zu besitzen nur den Komplettisten zufriedenstellen dürfte.

Autor

Brian Keene (geboren 1967) wuchs in den US-Staaten Pennsylvania und West Virginia auf; viele seiner Romane und Geschichten spielen hier und profitieren von seiner Ortkenntnis. Nach der High School ging Keene zur U.S. Navy, wo er als Radiomoderator diente. Nach Ende seiner Dienstzeit versuchte er sich – keine Biografie eines Schriftstellers kommt anscheinend ohne diese Irrfahrt aus – u. a. als Truckfahrer, Dockarbeiter, Diskjockey, Handelsvertreter, Wachmann usw., bevor er als Schriftsteller im Bereich der Phantastik erfolgreich wurde.

Schon für seinen ersten Roman – „The Rising“ (2003), ein schwungvoll-rabiates Zombie-Garn – wurde Keene mit einem „Bram Stoker Award“ ausgezeichnet. Ein erstes Mal hatte er diesen Preis schon zwei Jahre zuvor für das Sachbuch „Jobs In Hell“ erhalten. Für seine Romane und Kurzgeschichten, ist Keene seitdem noch mehrfach prämiert worden. Sein ohnehin hoher Ausstoß nimmt immer noch zu. Darüber hinaus liefert er Scripts für Comics nach seinen Werken. Außerdem ist Keene in der Horror-Fanszene sehr aktiv. Sein Blog „Hail Saten“ gilt als bester seiner Art; die Einträge wurden in bisher drei Bänden in Buchform veröffentlicht.

Brian Keene hat natürlich eine Website, die sehr ausführlich über sein Werk und seine Auftritte auf Lesereisen informiert. Über den Privatmann erfährt man allerdings nichts; es gibt nicht einmal die obligatorische Kurzbiografie.

Taschenbuch: 159 Seiten
Originaltitel: Take the Long Way Home (Escanaba/Michigan : Necessary Evil Press 2006)
Übersetzung: Manfred Krug
Cover: Claudia Flor

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