McLiam Wilson, Robert – Eureka Street, Belfast

Rob, bist du das? Ich hatte kaum zwei Sätze gelesen, schon fühlte ich mich stark an Rob, den Plattenladenbesitzer aus Nick Hornbys „High Fidelity“, erinnert. Kritischer Blick auf den Buchdeckel. Nein, kein Hornby. Also doch nicht Rob, auch wenn die ersten Sätze aus „Eureka Street, Belfast“ auch von ihm stammen könnten: |“Es war an einem späten Freitagabend, vor sechs Monaten, sechs Monate, seit Sarah weg war. Ich saß in einem Pub und plauderte mit einer Kellnerin namens Mary. Sie hatte kurzes Haar, einen sehr runden Arsch und große, traurige Kinderaugen. Ich kannte sie gerade mal drei Stunden und kriegte schon die Zweijahreskrise.“|

Der Mann mit der Zweijahreskrise ist Jake. Von der Freundin verlassen, lebt er allein mit seinem Kater in Belfast und geht miesen Jobs nach, für die er eigentlich überqualifiziert ist. Seit er von seiner Freundin verlassen wurde, die es in Nordirland nicht mehr ausgehalten hat, hat er kein gutes Händchen mehr in Bezug auf Frauen. Die meisten Annäherungsversuche enden entweder damit, dass er beschimpft oder verprügelt wird oder beides.

„Eureka Street, Belfast“ erzählt die Geschichte von Jake, allerdings nicht nur die Geschichte von Jake. Im Grunde geht es um eine Clique schräger Vögel, von denen einer Jake ist. Ein anderer schräger Vogel und Jakes bester Freund ist Chuckie. Chuckie ist ein Spinner, ein Phantast. Er ist dreißig, hat aber noch immer kein eigenes Geld verdient. Dennoch träumt er davon, reich zu werden, und wie durch ein Wunder kommt der Träumer schon bald seinem Ziel ein Stückchen näher, als er merkt, dass er die verrücktesten Ideen zu Geld machen kann.

|“Als Chuckie noch arm war, waren auch seine Tagträume eher bescheiden gewesen: ein Auto, ein leichter Job, oraler Sex mit Filmstars, den Mädchen von der Wettervorhersage und Gameshowmoderatorinnen. […] Jetzt aber träumte Chuckie davon, das Sozialministerium und die Royal Ulster Constabulary aufzukaufen. Vor allem aber träumte Chuckie davon, Irland aufzukaufen. Er sah die Anzeige des Immobilienmaklers für die Irland-Auktion schon vor sich: Schönes altes Land, kürzlich geteilt. Politisch leicht reparaturbedürftig. Sofort zu verkaufen.“|

Zugegeben, sowohl Chuckies Träumereien als auch seine „Projekte“ muten etwas absurd und merkwürdig an, dennoch verleihen sie dem Buch einiges an Witz. Chuckies Aufstieg vom armen Schlucker zum Selfmade-Man hat schon etwas unglaublich Skurriles. Dennoch wird er, teils durch seinen geschäftlichen Aufstieg, teils durch seine Liebe zu Max, einer Amerikanerin, im Laufe des Buches langsam erwachsen.

Jake dagegen scheint immer wieder auf der Stelle zu treten. Gerade anfangs konnte ich mich nie so recht entscheiden, ob ich ihn mögen soll oder nicht. Einerseits ist er ziemlich rücksichtslos und gleichgültig, andererseits zeigt er auch immer mal wieder, dass unter der harten Schale ein weicher Kern steckt und dass er doch vernünftigere Ansichten hat, als man ihm zunächst zutraut.

Besonders deutlich wird dies immer wieder in seinen politischen Auseinandersetzungen mit Aoirghe, einer ebenso überzeugten wie radikalen Republikanerin. In diesen Momenten kommt, wie an vielen anderen Stellen auch, immer wieder der Nordirlandkonflikt zum Tragen. Jake ist Katholik, Chuckie Protestant. Die beiden haben keinerlei Probleme mit der religiösen Gesinnung des anderen. Für sie zählt die Freundschaft mehr als republikanische oder unionistische Interessen.

Dass eine solche Haltung in Belfast nicht selbstverständlich ist, zeigt sich immer wieder sehr deutlich an den teils wirklich absurden Auswüchsen, die der Nordirlandkonflikt im Alltag annimmt. Sei es der Friedenszug von Belfast nach Dublin, der gegen den ständigen Bombenterror auf der Bahnstrecke protestieren will und seine Fahrt prompt wegen einer Bombendrohung abbrechen muss, oder die haarsträubenden Gespräche, die Jakes Arbeitskollegen mit ihm führen, in dem Glauben, er wäre wie sie Protestant. An solchen Punkten stimmt einen das Buch immer wieder nachdenklich, auch wenn in den Worten des Autors oft ein Prise Sarkasmus mitschwingt.

Was an „Eureka Street, Belfast“ besonders fasziniert, sind die Beschreibungen des alltäglichen, ganz normalen Wahnsinns zwischen Bombenterror und UVF- bzw. IRA-Slogans. |“Du hast die Fahnen gesehen, die Schrift auf den Wänden, die Blumen auf dem Pflaster. Das hier ist eine Stadt, in der die Menschen bereit sind, für ein paar bunte Stofffetzen zu töten und zu sterben. Das sind die Normen zweier Völker, die ein vier- oder achthundertjähriger nationaler und religiöser Unterschied spaltet.“|

Es ist schon schockierend und faszinierend zugleich, wie sich unter solchen Bedingungen etwas wie Alltag einstellen kann. Jake und seine Freunde scheinen aus dem Chaos inmitten all des Terrors das Beste zu machen. Der Terror ist allgegenwärtig, und dennoch scheint er weder Chuckie noch Jake sonderlich zu beeindrucken. Der Alltag läuft weiter: |“Es war natürlich nichts Ernstes. Ein stinknormales Belfaster Bombenattentat. Nicht viel zu erzählen. Niemand ist gestorben, niemand hat geblutet. Nichts Besonderes. […] Was war uns denn schon passiert? Seit wann macht einer Piep, wenn’s bei den Nachbarn knallt?“|

Die fast schon spielerische Art, mit der Autor Robert McLiam Wilson den Terror teilweise bis ins kleinste Detail beschreibt, und die Art, wie er anschließend wieder zur Tagesordnung übergeht, hat schon etwas Schockierendes und Brutales. Dadurch wird deutlich, wie das Leben der Menschen in Belfast inmitten des Terrors abläuft. Auf jede Bombe folgt auch wieder Alltag. Für die Menschen, die nicht in so einem Konflikt aufgewachsen sind, undenkbar. Doch auch Kritik schwingt in vielen Beschreibungen Wilsons von Belfast mit: |“Man hat Erde ins Meer gekippt, und darauf wurde Belfast gebaut. Morast, Neuland. Die Stadt ist eine Düne, ein Widerlager. Die Einheimischen sagen, sie sei dem Wasser entstiegen wie ein Gott, die Wahrheit aber ist, man hat sie ins Meer gekippt, doch sie ist nicht versunken.“

Viele der Szenen des Buches spielen in den ärmeren Stadtteilen von Belfast, wo die Extremisten beider Seiten noch die Zügel in der Hand halten. Eine Stadt zwischen Ausnahmezustand und Alltag. Menschen zwischen Aufruhr und alltäglichem Trott. So in etwa sieht das Bild aus, das Wilson von Belfast zeichnet. Eine Stadt, wie es in England oder Irland viele gibt, und dennoch ist alles anders.

Der Klappentext versteht Wilsons Sicht der Stadt als Liebeserklärung an Belfast und tatsächlich scheint es stellenweise so zu sein. Inmitten all des Terrors schafft er es, Belfast mit seinen Bewohnern immer wieder von einer faszinierenden, fast liebenswürdigen und menschlichen Seite zu zeigen.

„Eureka Street, Belfast“ scheint irgendwie immer zwischen Dramatik und Leichtigkeit hin und her zu pendeln. Es gibt genauso viele Szenen zum Schmunzeln, wie es Augenblicke zum Innehalten und Nachdenken gibt und Momente, die einen schockieren. Die Story hat viel „Drive“, entwickelt sich flott und mit einem durch ständige Perspektivenwechsel angeheizten Tempo.

Gesamturteil: Lesenswert, um es kurz und knackig auf den Punkt zu bringen. „Eureka Street, Belfast“ vereint schräge Figuren, alltägliches Leben und den Herzschlag einer vom Terror geplagten Stadt. Und Robert McLiam Wilson versteht sich genug aufs Geschichten erzählen, dass er daraus ein wirkliches mitreißendes Buch macht.