Mike Lupica – Robert B. Parker’s Fool’s Paradise (Jesse Stone Krimi 19)

Narren im Paradies

Die Leiche eines Mannes wird am See in Paradise gefunden. Polizeichef Jesse Stone erkennt ihn als einen weiteren Teilnehmer bei einem Treffen der Anonymen Alkoholiker (AA). Doch niemand kennt die Identität des Mannes. Selbst ein Taxifahrer weiß nur zu berichten, dass er ihn vor dem Haus einer der reichsten Familien abgesetzt hatte.

Unterdessen wird Jesse Stone unter Feuer genommen. Ist das eine persönliche Vendetta, fragt er sich. Als auch seine Mitarbeiter Luther Simpson und Molly Crane beschossen werden, wird ihm klar, dass jemand das gesamte Police Department im Visier hat…

Die Autoren

1) Mike Lupica ist ein erfolgreicher Sportjournalist und der Autor von über 40 belletristischen und Sachbüchern. Als langjähriger Freund von Robert B. Parker ist er dazu ausersehen worden, die Jesse-Stone- und die Sunny-randall-Reihen weiterzuführen.

2) Der US-Autor Robert B. Parker, geboren 1932, gehörte zu den Topverdienern im Krimigeschäft, aber auch zu den fleißigsten Autoren – er hat bis zu seinem unerwarteten Tod im Januar 2010 über 50 Romane veröffentlicht. Am bekanntesten sind neben der Spenser-Reihe wohl seine etwa acht Jesse-Stone-Krimis, denn deren Verfilmung mit Tom Selleck in der Titelrolle wird regelmäßig vom ZDF gezeigt.

Jesse-Stone-Krimis:

1) Night Passage (1997, „Das dunkle Paradies“)
2) Trouble in Paradise (1998, „Terror auf Stiles Island“)
3) Death in Paradise (2001, „Die Tote in Paradise“)
4) Stone Cold (2003, „Eiskalt“)
5) Sea Change (2006, „Tod im Hafen“)
6) High Profile (2007, „Mord im Showbiz“)
7) Stranger in Paradise (2008, „Der Killer kehrt zurück“)
8) Night and Day (2009)
9) Split Image (2010)
10) Killing the Blues (M. Brandman)
11) Fool Me Twice (M. Brandman)
12) Damned If You Do (M. Brandman)
13) Blind Spot (von Reed Farrel Coleman)
14) The Devil Wins (von Reed Farrel Coleman)
15) Debt to Pay (von Reed Farrel Coleman)
16) The Hangman’s Sonnet (von Reed Farrel Coleman)
17) Colorblind (von Reed Farrel Coleman)
18) The Bitterest Pill (von Reed Farrel Coleman)
19) Fool’s Paradise (von Mike Lupica)
20) Stone’s Throw (von Mike Lupica)

Handlung

Sonntagmorgen um sechs. Jesse Stone der Polizeichef von Paradise, ist stocknüchtern. Das ist insofern bemerkenswert, als es Jahre gab, in denen er keinen Morgen ohne einen Kater aufwachte. Das Handy trillert: Die Leiche eines Mannes ist am See in Paradise gefunden worden. Jesse kann Wasserleichen nicht ausstehen, denn erstens hat er in dem Küstenort jede Menge davon gesehen und zweitens sehen die meisten übel zugerichtet und aufgedunsen aus. Aber der Fundort liegt am Binnensee von Paradise. Sein Team ist bereits vor Ort, unter der Leitung des frischgebackenen Detectives Luther „Suitcase“ Simpson.

Der Tote

Jesse ist der einzige, der den toten Mann, der mit einem Kopfschuss getötet wurde, wiedererkennt. Er berichtet, dass dieser Typ kürzlich als Teilnehmer bei einem Treffen der Anonymen Alkoholiker (AA) in der Nachbarstadt Marshport auftauchte. Er wollte angeblich etwas „wiedergutmachen“. Doch niemand kennt die Identität des Mannes: Er nannte sich schlicht „Paul“. Selbst ein Taxifahrer weiß nur zu berichten, dass er ihn vor dem Tor zum Anwesen einer der reichsten Familien abgesetzt und der Fahrgast bar gezahlt hatte.

Die Cains

Dieses Anwesen gehört Lily Cain, der wohltätigen Gönnerin der Stadt und Vorsitzenden der „Friends of Paradise“, und ihrem Mann Whit. Dieser weilte aber die meiste Zeit im sonnigen Staat Florida, sitzt jetzt aber zu Hause krank im Rollstuhl. Auf diesen mysteriösen Paul hin angesprochen, antwortet Lily, dass sie den Toten nicht kenne. Sie habe keine Ü-Kameras an ihrem alten Haus angebracht, und niemand schob Wache am Abend zuvor. Und sie selbst war, wie Jesse sehr gut weiß, bei der Einweihung und Eröffnung der lokalen Kinos gewesen. Das Feuerwerk übertönte den Schuss, der diesen Paul tötete. Lilys Sohn und Alleinerbe Bryce empfiehlt Jesse, sich um seinen eigenen Kram zu kümmern und daran zu denken, wem er diene. Offenbar meint er sich und die anderen Cains. In Jesses Augen ist Bryce ein „Arschclown“.

Beinahe vergewaltigt

Molly Crane, Jesses Stellvertreterin, berichtet von ihrer Freundin Annie, die nach einem Barbesuch um ein Haar von einem unbekannten Mann mit Trucker-Hut vergewaltigt worden wäre. Zwei Dinge sind daran interessant: Der Ort lag nahe des Leichenfundorts am See und beide Beteiligten hörten einen Schuss. Der störte den Mann derart, dass er aufgab und verschwand. Annie will um keinen Preis eine Aussage machen. Jesse beschließt, nach diesem Unbekannten Ausschau zu halten.

Auf eine öffentliche Suchmeldung hin meldet sich die Barkeeperin Ellen Chagnon. Sie kommt aus Florida und zwar aus der kleinen Stadt Wellington, die nahe West Palm Beach liegt. Dort habe sie den Mann namens Paul kennengelernt. Er habe angegeben, dass er in den zahlreichen Pferdegestüten der Gegend arbeite, aber was genau, sagte er nicht. Jesse kontaktiert den zuständigen Sheriff, und der verspricht nachzuforschen.

Um Haaresbreite

Am Vorabend seines Aufbruchs nach Florida regnet es heftig, und weil es nichts zu tun (und zu trinken) gibt, übt Jesse wieder mal Baseball-Fangen auf seiner Terrasse. Als ihm der Ball aus der Hand fällt und er sich danach bückt, geht sein Fenster klirrend in Trümmer: Er ist beschossen worden! Wer wagt es, den Polizeichef auf seinem eigenen Grund und Boden anzugreifen? Er fackelt nicht lange, holt seine Dienstwaffe und macht sich im Regen auf die Suche nach dem Schützen. Da Jesse mittlerweile mitten in der Stadt lebt, braucht er nicht lange, bis er ans den Hafen gelangt. Keine Spur von dem Unbekannten.

Beinahe vergewaltigt

Während Jesse in Florida die Identität des Toten als Paul Hutton eruiert, wird Molly Crane in der Nacht von einem unbekannten Mann um ein Haar vergewaltigt wie ihre Freundin Annie. Molly hat Glück und kann dem Typen mit einer spitzen Gartenschippe zwei Stiche ins Bein beibringen. Er nimmt Reißaus. Auch Mollys Verfolgung verläuft ergebnislos.

Beinahe in die Luft gejagt

Nachdem Jesse seine Kollegen von seinen bescheidenen Ermittlungsergebnissen in Kenntnis gesetzt hat, geht er mit Molly alte Fallakten durch, während Simpson nach Finanz- und Kriminaldaten zu „Paul Hutton“ sucht. Ein weiterer besuch bei Bryce Cain ist ebenso frustrierend verlaufen, bis auf die Tatsache, dass Bryce wusste, wie dieser Paul mit Nachnamen hieß, obwohl Jesse diesen gar nicht erwähnt hatte.

Da kommt die Meldung rein, dass vor dem Haus der Simpsons eine Rohrbombe platziert worden sei. Simpson glaubt sofort, dass seine Frau Elena in Gefahr sei und ruft das Bombenentschärfungsteam der Staatspolizei zu Hilfe…

Mein Eindruck

Mike Lupica, der Autor, gibt in seinem Nachwort an, er habe Robert B. Parker bereits seit dessen erstem Spenser-Krimi „The Godwulf Manuscript“ gekannt. Das ist schon eine ganze Weile her: 1973. Weil er Parker, dessen Romanfiguren und die Geisteshaltung und Weltanschauung Parkers kennt, kann er sie auch in den neuesten Fortführungen der Serien um Jesse Stone und Sunny Randall stilecht umsetzen. Wer die TV-Verfilmungen mit Tom Selleck gesehen hat, wird die gesamte Jesse-Stone-„Familie“ wiederfinden. Nun kommt auch noch Jesses Sohn Cole hinzu, der bei der State Police einen Job gefunden hat.

Das bedeutet: Nicht nur engagierte, unorthodoxe Ansichten zu Themen wie Alkoholismus, Homosexualität und Feminismus, sondern auch viel Humor und Erotik. An einer Stelle sagt die nackte Sunny Randall zu ihrem Freund Jesse Stone: „Ich bin nicht bewaffnet!“ Auch Vergewaltigung damals und heute ist ein Thema des vorliegenden Romans, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen.

Flashback

Molly und ihre Freundin Annie werden beinahe vergewaltigt, und das ist ebensowenig ein Zufall wie die Anschläge auf Jesse Stone und Luther Simpson. Die Fälle führen Jesse und seien Polizeitruppe zurück zum Fall Candace Pennington (in „Stone Cold“, 2004). Stone-Fans erinnern sich: Die Schülerin Candace wurde von drei oder vier Jungs vergewaltigt, und weil sie Fotos machten, konnten sie das Mädchen zu weiteren Sexdiensten erpressen. Aber ihr Vater zeigte die Schüler an, woraufhin Jesse eine Ermittlung einleitete.

Inzwischen sind alle Beschuldigten wieder auf freiem Fuß, und Candace hat sich mit einer Frau verheiratet, um Unternehmerin zu werden. Ihre Frau erzählt, dass Candace inzwischen das Schießen gelernt hat und eine Waffe bei sich trägt. Man weiß nie heutzutage. Wie auch immer: Einer der Typen von damals wird erschossen und Candace entführt. Doch die Suche nach ihr und ihrem Kidnapper ist wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Zum Glück hinterlässt heutzutage jeder Mensch eine digitale Spur, der man folgen kann.

Der Leser könnte sich fragen, was das alles soll, wo doch eigentlich die Suche nach Paul Hutton Priorität haben müsste. Doch Jesse teilt seine Prioritäten selbst ein. Das bedeutet, dass Candace Vorrang hat. Und das lohnt sich auch, denn ihr Entführer ist dem Mörder von Paul Hutton in jener Nacht begegnet, als er nämlich versuchte, Annie zu vergewaltigen. Mit dieser Personenbeschreibung und anschließender Rettung von Candace – ein actionreicher Showdown – kann Jesse zurück zu den Cains. Doch diese reichen Leute dingfest zu machen, erweist sich als gar nicht so leicht.

Unterm Strich

Mir hat diese Fortsetzung der Jesse Stone-Reihe, mit der Lupica den glücklosen, wenn auch kompetenten Autor Coleman ablöst, sehr gut gefallen. Der Ton ist nicht mehr so dramatisch, sondern viele Dialoge extrem witzig und hintergründig. Besonders Molly Cranes und Sunny Randalls Auftritte wussten mir zu gefallen, und als ob sich der Autor das selbst gedacht hätte, schickt er die beiden auf Entführerjagd. Sunny, die Privatdetektivin, und Molly, die Vize-Sheriffin, bilden ein kompetentes Paar, das sich ausgezeichnet versteht.

Jesse arbeitet eng mit seinem „Detective“ Simpson zusammen, der sich in Sachen elektronische Ermittlung schlau gemacht hat. Zusammen kommen sie der Sache Cain wie auch Pennington schnell auf die Spur. Leider sind die Akten in Sachen Cain geschlossen, und einen Anwalt von Weltklasse käme Jesse bei dieser Familie nicht weiter. Immerhin verrät ihm der alte Whit Cain, er habe nicht nur zahlreiche Kinder gezeugt – und Paul Hutton war wohl eines davon -, sondern er habe auch „ab und zu“ mal mit den Anführern des Bostoner Mobs – etwa mit Gino Fish seligen Angedenkens – ein paar Dinger gedreht.

Leider gibt Whit schon bald den Löffel ab, und seine Witwe Lily wie auch sein Sohn Bryce erweisen sich als harte Nüsse. Deshalb muss Jesse mit Simpson sich auf die DNA-Spur setzen und digitale Stammbaumforschung betreiben. Natürlich gibt ein solches Stammbaumanalyse-Unternehmen keine vertraulichen Daten heraus – siehe auch Michael Connellys ausgezeichnet recherchierten Thriller „Fair Warning“ (2020) zu diesem Thema. Deshalb muss Jesse seinen speziellen Charme spielen lassen. Das ist eine köstliche Szene, die absolut Gold wert ist. Diese Goldader führt ihn ins Herz der Familie Cain – und das ist ziemlich schwarz.

Englischniveau

Die Sprache ist dem verzweigten Geschehen genau angepasst – und verlangt vom Leser entsprechend gute Kenntnisse im amerikanischen Englisch. Viele Sätze lassen zudem das Hilfsverb weg, etwa „does“, „is“ und „has“. Diese Steno-Fassung in der Umgangssprache hat sich ja inzwischen auch im Hochdeutschen eingebürgert. In den Dialekten ist das schon lange gang und gäbe. Was die Elektronik, das Internet und diverse unsoziale Medien angeht, setzt der Autor den neuesten Stand (von 2020) als bekannt voraus.

Lesehinweise

Der nächste Jesse-Stone-Krimi trägt den Titel „Stone’s Throw“. Eine Leseprobe ist in „Fool’s Paradise“ enthalten. Lupica hat bereits zwei Sunny-Randall-Krimis im Taschenbuch veröffentlicht: „Blood Feud“ und „Grudge Match“. Der dritte, „Payback“, ist als Hardcover erhältlich.

Taschenbuch: 372 Seiten inkl. Leseprobe aus „Stone’s Throw“
Originaltitel: Fool’s Paradise, 2020; TB 2021
ISBN-13: 9780525542100

www.penguin.com

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