Garth Nix – Grimmiger Dienstag (Lesung)

Action und Aufstand wie in Otherland

Eigentlich ist Arthur Penhaligon kein Held. Genau genommen. Ihm ist sogar ein früher Tod vorherbestimmt. Doch dann rettet ihm ein geheimnisvoller Gegenstand das Leben: Das Ding sieht aus wie ein Uhrzeiger und wird von seltsam gekleideten Männern als „Schlüssel zum Königreich“ bezeichnet.

Doch zugleich mit dem Schlüssel erscheinen bizarre Wesen aus einer anderen Dimension, die ihn um jeden Preis zurückgewinnen wollen. In seiner Verzweiflung wagt es Arthur, ein geheimnisvolles Haus zu betreten – ein Haus, das nur er sehen kann und das in andere Dimensionen führt. Dort will er nicht nur sein wahres Schicksal erkennen, sondern auch eine schier unmögliche Aufgabe erfüllen: Er soll sieben Schlüssel besorgen … für ein Königreich.

In seinem zweiten Abenteuer im HAUS, das ein vielfältiges, oftmals feindlich gesinntes Reich birgt, muss er dem zweiten der sieben Lords des Hauses gegenübertreten. Grimmiger Dienstag bedroht Arthurs Familie und den Rest der Welt. Für Arthur beginnt ein Abenteuer, bei dem er an Bord eines Sonnenschiffs gehen, sich mit einem Sonnenbären anfreunden und gefährliche Nichtlinge bekämpfen muss. Doch wie stets helfen ihm auch hierbei seine treuen Gefährten.

Der Autor

Garth Nix wurde 1963 in Melbourne / Australien geboren. Nach seinem Studium arbeitete er in einer Buchhandlung, später als Verleger, Buchhandelsvertreter, Zeitungsredakteur und Marketingsberater. Seit 2002 bestreitet er seinen Lebensunterhaltet ausschließlich als Autor. Er lebt heute mit seiner Frau, einer Verlegerin, und seinem Sohn in einem Vorort von Sydney. Zu seinen bekanntesten Büchern gehört die Abhorsen-Trilogie, die komplett bei |Carlsen| und |Lübbe| erschienen ist (Sabriel; Lirael; Abhorsen).

|Garth Nix auf Buchwurm.info:|

[„Schwarzer Montag“ 3719 (Die Schlüssel zum Königreich 1)
[„Schwarzer Montag“ 3172 (Hörbuch)
[„Grimmiger Dienstag“ 3725 (Die Schlüssel zum Königreich 2)
[„Kalter Mittwoch“ 4242 (Die Schlüssel zum Königreich 3)
[„Sabriel“ 1109 (Das alte Königreich 1)
[„Lirael“ 1140 (Das alte Königreich 2)
[„Abhorsen“ 1157 (Das alte Königreich 3)

Der Sprecher

Oliver Rohrbeck, geboren 1965 in Berlin, ist Schauspieler und Synchronsprecher. Er ist bekannt für seine Sprechrolle als Justus Jonas in der Hörspielserie „Die drei Fragezeichen“. Als Sprecher synchronisierte er Hauptrollen in vielen Filmen und ist die deutsche Stimmbandvertretung von Ben Stiller.

Rohrbeck liest eine von Frank Gustavus (|Ripper Records|) gekürzte Fassung. Regie führte Kerstin Kaiser, die Aufnahmeleitung hatte Christian Päschk. Die Musik steuerte Andy Matern bei.

Der Komponist

Andy Matern wurde 1974 in Tirschenreuth, Bayern geboren. Nach seiner klassischen Klavier-Ausbildung arbeitete er einige Jahre als DJ in Clubs. Seit 1996 ist er als freiberuflicher Keyboarder, Produzent, Remixer, Songwriter und Arrangeur tätig. Er kann trotz seiner jungen Jahre bereits mehr als 120 kommerzielle CD-Veröffentlichungen vorweisen. Darunter finden sich nationale und internationale Chart-Platzierungen mit diversen Gold- und Platin-Auszeichnungen.

Bereits Andy Materns erste Hörbuch-Rhythmen erreichten schnell Kultstatus bei den Fans und der Fachpresse. Durch seine musikalische Mitarbeit wurde „Der Cthulhu-Mythos“ zum besten Hörbuch des Jahres gewählt (Deutscher Phantastik Preis 2003). Andy Matern lebt und arbeitet in München. (Verlagsinfos)

Der Hintergrund

Gepriesen sei die Architektin! Sie schuf die wahre Welt, das HAUS. Dies ist der Mittelpunkt aller Schöpfung, das Königreich aller Realität. Es ist eingeteilt in die sieben Wochentage von Montag bis Sonntag, und diese wiederum sind in jeweils zwölf Stunden eingeteilt. Minuten- und Stundenzeiger sind die Insignien eines jeden Tages – und mächtige Instrumente.

Rundherum liegen die sekundären Reiche, zu denen auch unsere bescheidene Welt zählt. Und SIE ließ alles darin archivieren. Als SIE sah, dass es gut war, verabschiedete SIE sich, hinterließ jedoch das VERMÄCHTNIS, in dem sie bestimmte, dass nur Sterbliche das Königreich erben können. Das VERMÄCHTNIS besteht vollständig aus Text, wie sich denken lässt. Doch die sieben Treuhänder vollstreckten das VERMÄCHTNIS nicht, sondern teilten sich die Macht in ihren sieben Herrschaftsbereichen. Das VERMÄCHTNIS teilten sie in sieben Stücke, von denen jedes woanders versteckt wurde.

Eines Tages begab es sich, dass das Bruchstück von MONTAG, ein auf einem toten Stern in Glas versiegelter Kristall, der von metallischen Wächtern bewacht wurde, von einem Inspektor des ARCHIVs begutachtet wurde. Die Wächter, nach Äonen des Wachens müde geworden, meldeten dem Inspektor keinerlei besonderen Vorkommnisse. Doch als er sich die Nase putzte, bemerkte er aus dem Augenwinkel ein kleines flinkes Etwas vorbeihuschen. Nein, dachte er, ich muss mich getäuscht haben.

Doch er hatte sich nicht getäuscht: Ein kleines Stück VERMÄCHTNIS-Text bemächtigt sich der Transferplatte, mit der er vom ARCHIV gekommen ist, und verschwindet damit. Oh-oh, denkt der Inspektor. Damit hat er Recht. Wenig später kommen zwei großmächtige Herren, die Silberstöcke tragen. Sie sagen, sie kämen von einem, der sogar noch höher stehe als MONTAG. Oh-oh, denkt der Inspektor. Das gibt großen Ärger.

Und so beginnt es.

Handlung

Im HAUS fährt eine 300 Jahre alt Dampflokomotive über ein Loch im NICHTS. Der Zug gehört dem hohen Lord Grimmiger Dienstag, Herr des Zweiten Schlüssels. Inzwischen hat der Lord die beunruhigende Nachricht erhalten, dass ein Erdenjunge namens Arthur Penhaligon den Ersten Schlüssel des Königreichs erlangt habe, indem er Lord Montag besiegte. Das kann ihm, Dienstag, gewiss nicht passieren! Als zwei Boten auftauchen und ihm ein verlockendes Angebot machen, unterschreibt er den Rechtsanspruch auf die Domäne Montags deshalb ohne Zögern. Denn Montag hatte Schulden bei ihm, und Arthur hat sie übernommen. Als Gegenleistung verlangt Dienstag nur eine Kleinigkeit: den Ersten Schlüssel.

Arthur ist gerade mal acht Stunden der neue Lord Montag, als die Schwierigkeiten erneut beginnen. Das VERMÄCHTNIS ruft ihn an und teilt ihm mit, dass Dienstag die Schulden Montags in Höhe von 363 Tonnen Gold eintreiben wolle. Habe er so viel Gold? Natürlich nicht. Aber es gebe einen Ausweg. Da wird die Verbindung unterbrochen.

Draußen vor seinem eigenen Haus erspäht Arthur zwei mittelalterlich gekleidete Typen, die gerade ein Schild aufstellen: „ZU VERKAUFEN“. Arthur befragt den Atlas des HAUSes nach Dienstag. Dieser baue das Erz unter dem HAUS ab, dringe aber immer weiter ins NICHTS vor und bedrohe so die Existenz des HAUSes. Er habe sogar Bürger zum Bergbau versklavt. Dienstag verfüge über sieben Diener: die „Grotesken“, boshaft, grausam, missgestaltig und sehr kräftig. Und giftig. Ups! Zwei von denen stehen gerade vor Arthurs Haus …

Nach einer fruchtlosen Auseinandersetzung mit den zwei Kerlen weiß Arthur, dass ihm nur noch bis Mittag Zeit bleibt. Doch das HAUS ist weg, ebenso der Zugang. Da taucht ein seltsames Monster mit Tentakeln auf: ein Nichtling, informiert ihn sein Atlas. In letzter Sekunde kann sich Arthur in das Haus seiner Freundin Blatt retten. Doch auch dort ist er nicht sicher. Laut Atlas kann nur Silber gegen die Tentakel des Nichtlings helfen. Doch woher nehmen? Blatt weiß: in der Garage sind Medaillen aus Silber. So werden sie das Monster los.

Blatt hat eine Eingebung und verrät Arthur, dass er den Zugang zum HAUS vielleicht in einer alten verlassenen Papiermühle findet. Er darf ihr Fahrrad ausleihen. Doch in der Fabrikhalle der verlassenen Papiermühle hält sich bereits ein gefährlicher Grotesker auf. Er hantiert an einer seltsamen Maschine herum. Sie scheint Nichtlinge zu produzieren. Einen davon vernichtet er mit einem Silberring. Als sich Arthur bewegt, bemerkt der Groteske ihn und bietet ihm einen Vorgeschmack an. Diese Maschine beeinflusse direkt die Börse an der Wall Street und bringe die Aktienkurse zum Fallen.

Arthur verzichtet dankend auf näheren Kontakt mit Nichtlingen und Grotesken. Als er eine Inspektionsluke findet, geht er hindurch, stößt an einem Fluss auf eine weitere Tür – und fällt hinunter ins HAUS …

So beginnt sein langer Kampf gegen den zweiten Widersacher, den Lord Grimmiger Dienstag.

Mein Eindruck

Die Dinge stehen nicht zum Besten in den Fernen Weiten, wo Arthur in die Domäne von Lord Dienstag eintritt. Hier geht es nämlich zu wie im tiefsten, schmuddeligsten 19. Jahrhundert. Dienstag herrscht als absolutistischer Ausbeuter über die Bürger, die, da bald zahlungsunfähig, zu Arbeitssklaven degradiert werden, die in Dienstags Bergwerken schuften müssen. Auch Arthur wird zu einem Sklaven degradiert, bekommt einen Ohrring und eine Nummer verpasst, das Brandzeichen auf der Fußsohle muss warten.

Offenbar hat der Autor ein Menge Charles Dickens und Emile Zola gelesen oder „Metropolis“ gesehen. Er gestaltet seine frühindustrielle Welt entsprechend düster und realistisch, Das ist für einen Leser, der jünger als zwölf Jahre ist, ganz schön bedrückend und möglicherweise furchteinflößend. Aber Rettung naht in Gestalt von Arthurs Freundin Susi, die Arthurs Befreiung aus dieser Fronarbeit erwirkt. Doch Arthur, als Lord Montag seiner Verantwortung bewusst, würde zu gerne die versklavten Bürger befreien. Das muss jedoch warten. Immerhin wird er die Erfahrung an einem dramatischen Höhepunkt der Handlung nutzbringend einsetzen können und das HAUS vor größtem Schaden, wenn nicht sogar vor der Zerstörung bewahren.

Doch zunächst gilt es, eines von zwei essenziellen Dingen zu finden und zu erobern, wie in jeder Domäne. Das erste ist die Gabe des VERMÄCHTNISses, das zweite der Schlüssel der Domäne. Und diesen hat bekanntlich der gegenwärtige Lord, Grimmiger Dienstag. Um diese Dinge zu erobern, stehen Arthur eine Menge Überzeugungsarbeit bevor, doch neue Gefährten und die treue Susi stehen ihm zur Seite. Außerdem hat Arthur ja bereits eine Machtbasis, und deren Verwalterin Dame Primus eilt ihm zu Hilfe. Leider bricht er sich bei einer Kletterpartie auf der Pyramide, die den Schatzturm Dienstags schützt, doch das Bein. Es ist eben immer ein Preis zu zahlen. Doch es lohnt sich: Die Revolution der Bürger fegt das oppressive Regime Dienstags hinweg.

Der Sprecher

Oliver Rohrbeck ist ja schon ein alter Hase im Synchronsprechergeschäft und in Sachen Hörspielserie (s. o.). Seine „normale“ Stimme eignet sich gut für Kinderstoffe, also Märchen, Fantasy und Ähnliches, denn sie erklingt nicht besonders tief oder autoritär, ist also sympathisch. Jedenfalls alles andere als furchteinflößend.

Doch da es in der Geschichte einige bedrohliche Situationen darzustellen gilt, muss Rohrbeck zu ein paar Hilfsmitteln greifen. Er kann ohne weiteres seine Stimmlage absenken, um Lord Dienstag grimmig und autoritär klingen zu lassen. Das VERMÄCHTNIS ertönt hingegen stark verzerrt, da es sich über eine Telefonleitung bei Arthur meldet. Mit der Leitung sind auch Pieptöne verbunden. Wenn der Sprecher die Grotesken darstellt, so klingen sie sanft und schmeichelnd, jedoch auch scheinheilig.

Alles wird etwas turbulenter und bunter, als Arthur in die Welt des HAUSes eintritt. Hier klingen manche Stimmen ebenfalls durch Filter verzerrt und bizarr, und einmal dröhnt sogar die Signalpfeife eines Zuges – eben jener Lokomotive, die Grimmigem Dienstag gehört. Insgesamt wird dem Hörer also eine reichhaltige Palette von Klangeffekten und Stimmfarben geboten. Dabei zeigt sich, dass der Sprecher sowohl Figuren auf unterscheidbare Weise charakterisieren als auch Situationen zum Leben erwecken kann, so dass sie dem jungen Publikum fast plastisch vor Augen stehen.

Die Musik

Die Hintergrundmusik von Andy Matern wird sehr dezent eingesetzt. Sie drängt sich niemals in den Vordergrund, sondern bildet einen Klangteppich, der unterbewusst die Emotionen des Zuhörers steuert. Die Instrumente sind in der Regel elektronisch, nur bei einem wiederkehrenden Leitmotiv – eine kurze Abfolge von elegischen Tönen – wird ein elektrisches Piano eingesetzt. Geräusche gibt es keine.

Unterm Strich

Diese neue Fantasyreihe wartet mit einem recht gut durchdachten Paralleluniversum auf, das erstens die Bestimmung des Helden bereithält und zweitens natürlich die Lösung zu allen Rätseln. Aber diese Bestimmung fällt dem denkbar ungeeigneten Asthmatikerhelden nicht in den Schoß, wie man sich leicht denken kann, sondern muss in sieben Kämpfen errungen werden.

Da sich diese Kämpfe auch auf die Welt des Helden erstrecken, gerät er mit seiner Familie in alle möglichen gefährlichen Situationen. Der Angriff der Grotesken und Nichtlinge dürfte nur ein Vorgeschmack auf das sein, was noch kommen könnte. Doch wie im HAUS die treue Susi Arthur beim Bestehen von Abenteuern beisteht, so tut dies in der Realwelt die treue Blatt.

Mir hat die Geschichte viel Spaß gemacht, denn der Autor überrascht mit einigen doch recht interessanten Einfällen, wie etwa dem verschlafenen Sonnenbären, dem Geschenk des VERMÄCHTNISses, das ganz aus Buchstaben besteht. Natürlich erinnert der Aufbau der Geschichte ein wenig an Tad Williams‘ Zyklus „Otherland“, und hier wie dort durchstreift der Held eine virtuelle Welt, die er heilen muss.

Aber er hat sie auch zu erobern und dafür etliche Kämpfe zu bestehen. Denn damit heilt er zugleich auch seine eigene Welt. Beides gehört zusammen, und der Weg ist das Ziel: Arthur findet nicht nur zu sich selbst, sondern erkennt auch seinen Platz und seine Aufgabe in der Welt. Das ist eine wertvolle Lektion, wie sie nur sehr gelungene Jugendbücher glaubwürdig zu vermitteln vermögen, so etwa die Harry-Potter-Reihe oder der Wintersonnenwende-Zyklus von Susan Cooper.

Das Hörbuch

Der Sprecher Oliver Rohrbeck bietet dem Hörer, vor allem dem kindlichen Zuhörer ab zwölf bis dreizehn Jahren, eine breite Palette von stimmlichen Tonlagen und Klang-Effekten, die zu einer Charakterisierung verschiedenster Wesen beitragen. Mit ein wenig Phantasie kann sich der Zuhörer daher die fremde Welt des HAUSes viel besser vorstellen. Am Schluss bekommt Arthur eine Einladung von Lady MITTWOCH von der Grenzsee. Das Abenteuer geht also weiter (und dieses Hörbuch ist bereits erschienen).

Originaltitel: Grim Tuesday – The Keys to the Kingdom, 2004
Aus dem australischen Englisch übersetzt von Axel Franken
271 Minuten auf 4 CDs

http://www.luebbe-audio.de/

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