W. Michael Gear – Spinnennetze (Spinnen-Trilogie 3)

Actionreicher Höhepunkt der Spinnen-Trilogie

Im actionreichen, weit gespannten Spinnen-Zyklus des amerikanischen Anthropologen W. Michael Gear findet im dritten Band „Spinnennetze“ endlich die Entscheidungsschlacht über die Zukunft der Menschheit statt. Und ein Epilog lässt ein Schlupfloch für Fortsetzungen dieser Geschichte.

Band 1: Spinnenkrieger
Band 2: Spinnenfäden
Band 3: Spinnennetze

Der Autor

W. Michael Gear studierte Anthropologie und Archäologie und hat mehrere Jahre im Mittleren Westen der USA in Ausgrabungs- und Forschungs-Camps verbracht, so dass man ihn als Kenner der nordamerikanischen Urzeit bezeichnen kann.

Von ihm und seiner Frau Kathleen erscheint seit mehreren Jahren ein Zyklus, der die frühen Völker des nordamerikanischen Kontinents vorstellt. Der Titel des ersten Bandes: „Im Zeichen des Wolfes“. Gear hat noch einen weiteren, bislang unübersetzten Science-Fiction-Zyklus namens „Forbidden Borders“ und den Science-Fiction-Roman „The Artifact“ geschrieben.

Handlung

Im dritten und umfangreichsten Band der Spinnen-Trilogie findet der Endkampf gegen den wieder erstarkten Rebellenführer Ngen Van Chow statt. Ihm ist es nach seinem Untertauchen gelungen, eine religiöse Herrschaft auf einem Wüstenplaneten zu errichten. Und er macht sich daran, mit Hilfe verfeinerter Gehirnwäschetechniken die benachbarten Menschenwelten zu „bekehren“ und dort ihm ergebene Soldaten „herzustellen“.

Nach einem halben Jahr gehört ihm praktisch schon mehr als ein Drittel des besiedelten Weltraums. Das Direktorat, überfordert von den ständigen Niederlagen, bricht zusammen und tritt das Oberkommando an die Raumpatrouille der Spinnenkrieger ab, um kein Machtvakuum entstehen zu lassen. Die Superhirne können nur den Frieden verwalten, nicht aber Krieg führen.

Die Flotte der Patrouille, mit Kreuzerkapitän Ree, Rita Sarsa, John Smith Eisenauge (alle aus Band 1) und Susan Andojar (aus Band 2) an der Spitze, vermag Chows Truppen nur nadelstichartige Niederlagen beizubringen, ohne ihn jedoch selbst zu erwischen. Der Religionsspezialist Darwin Pike, ein Mann von der alten Erde, zufällig (?) auch trainiert im Jagen in der Wildnis, soll eine Gegenstrategie zu Chows Vorgehen liefern.

Einer der Propheten der Romananer, Patan, erklärt sich daraufhin bereit, als Widersacher gegen den falschen Messias Chow aufzutreten. Mit durchschlagendem Erfolg: Immer mehr Welten erheben sich gegen Chows Zombiesoldaten.

Schließlich kommt es zur Entscheidungsschlacht, wie sie Patan vorhergesagt hatte. In deren Verlauf schalten die Romananer (darunter Susan Andojar) die stärkste Waffe Chows aus, einen Singularitätserzeuger (Singularität = Schwarzes Loch), und bringen ihn selbst um.

Chows Sohn, der von einem der Propheten gerettet wurde, wächst auf der Heimatwelt der Romananer heran und erfährt im Alter von acht Jahren, wer seine Eltern und ihre Mörder waren – und entscheidet sich dennoch für den Dienst an der Menschheit. Er will mit Susan Andojar den Weltraum erforschen.

Mein Eindruck

Schwierigkeiten hat W. Michael Gear weder mit der Charakterisierung noch mit der Schilderung fremder Welten, Kulturen oder Wesen. Problematisch ist eher das Glaubhaftmachen der Spinnenreligion und ihrer raschen Ausbreitung in einer bürokratischen, durchorganisierten Menschheit.

Offenbar stellt sich Gear vor, dass eine Menschheit, der die Neugier, der freie Wille und der Drang zu entdecken ausgetrieben worden ist, vor dem Aussterben nur durch eine Infusion von spiritueller Kraft bewahrt werden kann, wie sie in der kriegerischen Lebensweise und im Glauben des Spinnenvolks vorgestellt wird.

In irdischen Begriffen entsprechen die Romananer den Völkern der Lakota (= Sioux) und der Arapaho des 18. und 19. Jahrhunderts, mit dem gravierenden Unterschied, dass sie voll ausgebildete Propheten à la Tensquatawa, Häuptling Tecumsehs Bruder, haben. Diese Propheten ermöglichen ihnen das Überleben in einer feindseligen Umwelt und die Ausbreitung in völlig fremde Kulturbereiche, wie sie die Direktoratswelten des 28. Jahrhunderts darstellen.

Soll also am indianischen Wesen der technisierte, gezähmte Mensch genesen? Diese Frage ist für Gears Direktoratswelten keine politische oder moralische Frage mehr, sondern eine des eigenen Überlebens. Und die Antwort lautet ganz klar „ja“. Darüber ließe sich trefflich streiten. George W. Bush würde sich sicherlich auf die Seite des Autors stellen.

Das Problem der Prophetie

Das zweite Problem, das Gear im Gegensatz dazu recht gut löst, sind die Auswirkungen sowohl kultureller als auch individueller Natur, die das Vorhersehen der Zukunft durch die Propheten hat. Die Frage ist nämlich die: Wenn alles schon geschehen ist (so dass es „gesehen“ werden kann), kann es dann noch den freien Willen geben?

Gear sagt Ja, denn es gebe so viele mögliche Zukünfte, dass Propheten es nicht wagen dürften, zu weit vorauszuschauen oder gar aktiv einzugreifen, sonst würden sie wahnsinnig werden. Also sei der freie Wille jedes Einzelnen unabdingbar, um die Zukunft zu gestalten. Der freie Wille erscheint übrigens als Spinnes/Gottes Gebot: Da die Seele Teil Spinnes ist und Spinne, wenn sie zu ihm heimkehrt, von ihr lernen will, lehren ihn nur freie und erfahrungsreiche Seelen etwas von Wert. Passive und lethargische Seelen hingegen sind für ihn praktisch wertlos, so Gears Romananer. Und Menschen, die anderen die Seele rauben, wie Chow dies tut, seien Spinne ein Gräuel.

Unter Einsatz des Lebens

Daher bieten die Romananer alles auf, um Chow das Handwerk zu legen. Alle ihre Hauptfiguren, die erwähnt wurden, haben im Laufe ihrer entsprechenden Bemühungen einen geliebten Menschen verloren oder am eigenen Leib viel Leid erfahren (Susan Andojar, Leeta). Susan Andojar beispielsweise verliert drei Liebhaber und daher um ein Haar ihr seelisches Gleichgewicht.

Wer die Zukunft zum Besseren hin beeinflusst, muss also sein Leben in die Waagschale werfen und damit rechnen, größtes Leid erdulden, ja, den höchsten Preis zahlen zu müssen: das Leben. Den Romananern ist dieses Wissen quasi in die Wiege gelegt; das macht sie so stark. Alle anderen, längst kulturell verfeinerten Völker aber müssen es erst am eigenen Leib erfahren, um es zu glauben.

Warnung

Dies ist auch einer der Gründe, warum die Lektüre der drei Romane wirklich „an die Nieren geht“: Szenen größter Grausamkeit, wie etwa das Skalpieren, wechseln sich mit Abschnitten wunderbarer Zärtlichkeit und Zuneigung ab. Leser mit schwachen Nerven seien gewarnt.

Die Übersetzung

Die Übersetzung von Star-Übersetzer Horst Pukallus ist ausgezeichnet gelungen, aber wie stets etwas gewöhnungsbedürftig. Wer sonst als er würde sich trauen, „Herrjesses“ zu schreiben?

Unterm Strich

Gear ist eine faszinierende und spannende Schilderung des Kampfes menschlicher Wesen (Romananer, restliche Menschheit) um freie Entfaltung ihrer Eigenart in Freiheit gelungen: der Amerikanische Traum. Gears Figuren sind keine Schablonen, obwohl er das eine oder andere Klischee (ein paar Zufälle zu viel!) nicht zu vermeiden vermag.

Die ersten beiden Bände sind flott verschlungen. Für den dritten sollte man sich viel Zeit lassen.

Taschenbuch: 1088 Seiten
Originaltitel: The Web of Spider, 1992
Aus dem Englischen von Horst Pukallus.
ISBN-13: 9783453066182

www.heyne.de

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