Philip K. Dick – Eye in the Sky

SF-Satire: Freifahrschein für eine Himmelfahrt

Beim Besuch eines Forschungszentrums in Kalifornien geraten acht Menschen in den Strahl eines Protonenbeschleunigers. Als sie wieder aufwachen, befinden sie sich in einer seltsamen Welt. Hier herrscht ein alttestamentarischer Gott, der Lügen und Blasphemien sofort bestraft, Gebete erhört und Wunder wirkt. Jack Hamilton, ein Elektrotechniker, kapiert nach einer Weile, dass dieses Szenario nur dem Kopf eines Mannes aus ihrer eigenen Gruppe entspringen kann, dem eines Militärveteranen. Sind sie nun für immer in seiner privaten Phantesiewelt gefangen?

Die deutsche Übersetzung erschien 1971 bei Goldmann unter dem Titel „Und die Erde steht still“.

Der Autor

Philip Kindred Dick (1928-1982) war einer der wichtigsten und zugleich ärmsten Science Fiction-Schriftsteller seiner Zeit. Obwohl er in fast 30 Jahren 40 Romane und über 100 Kurzgeschichten veröffentlichte (1953-1981), wurde ihm zu Lebzeiten nur geringe Anerkennung außerhalb der SF zuteil. Oder von der falschen Seite: Das FBI ließ einmal seine Wohnung nach dem Manuskript von „Flow my tears, the policeman said“ (dt. als „Die andere Welt“ bei Heyne) durchsuchen. Okay, das war unter Nixon.

Er war mehrmals verheiratet und wieder geschieden, philosophisch, literarisch und musikologisch gebildet, gab sich aber wegen des Schreibstress durchaus dem Konsum von Medikamenten und Rauschdrogen wie LSD hin – wohl nicht nur auf Erkenntnissuche wie 1967. Ab 1977 erlebte er einen ungeheuren Kreativitätsschub, die sich in der VALIS-Trilogie (1981, dt. bei Heyne) sowie umfangreichen Notizen (deutsch als „Auf der Suche nach VALIS“ in der Edition Phantasia) niederschlug.

Verfilmungen

Er erlebte noch, wie Ridley Scott seinen Roman „Do androids dream of electric sheep?“ zu „Blade Runner“ umsetzte und ist kurz in einer Szene in „Total Recall“ (1982) zu sehen (auf der Marsschienenbahn). „Minority Report“ und „Impostor“ sind nicht die letzten Stories, die Hollywood verfilmt hat. Ben Affleck spielte in einem Thriller namens „Paycheck“ die Hauptfigur, der auf einer gleichnamigen Dick-Story beruht. Als nächste Verfilmung kam „A scanner darkly“ (Der dunkle Schirm) mit Keanu Reaves. Inzwisxchen ist eine TV-Serie auf der Basis von Dick-Storys in Auftrag gegeben worden oder schon fertig.

Handlung

Jack Hamilton ist ein Entwicklungstechniker in einem Raketenforschungslabor. Das sei ein verantwortungsvoller Posten, sagt ihm die Geschäftsführung, und vertrage sich nicht mit den kommunistischen Sympathien von Jacks Frau Marsha. Besonders ein Typ namens McFeyffe wettert gegen Marsha, als verfolge sie ihn persönlich. Leider hat dieser Typ, der bislang sein Freund war, die Unterstützung vom Boss, Colonel T.E. Edwards. Soll Jack wirklich zwischen seinem Job und seiner Frau wählen? Das findet er absurd, doch er behält sich die Entscheidung vor.

Bevatron

Zunächst schaut er sich mit Marsha und Charley McFeyffe in der Mittagspause das nagelneue Bevatron von Belmont an. Sie schließen sich einer Besuchergruppe an, die von einem Schwarzen geführt wird. Die Hebebühne, auf der sie stehen, bricht jedoch in dem Moment zusammen, als das Bevatron, ein Teilchenbeschleuniger, in Betrieb genommen wird. Alle acht Besucher geraten in die Strahlung…

Der neue alte Gott

Als Jack wieder erwacht, scheint sich zunächst nichts verändert zu haben. Doch draußen hat sich die Welt erheblich verändert. Wer flucht und den Namen Gottes missbraucht, wird mit einer biblischen Plage bestraft. Und Jacks Raketenforschungslabor arbeitet nicht mehr für die Regierung, sondern für eine allmächtige Sekte, die das gesellschaftliche Leben bestimmt. Die oberste Instanz ist der Prophet der Babiisten Horace Clamp. Der Gott dieses moslemischen Kults, der direkt mit Blitzen und Plagen zu strafen weiß, heißt [Tetragrammaton]. Die „Bibel“ des Kults trägt den Titel „Bayan of the Second Bab“ (arab. „bab“: das Tor). Gebete funktionieren, die göttliche Gnade (oder Ungnade) aber auch.

Inzwischen hat Jack den Verdacht, dass dieses alttestamentarische Szenario dem Bewusstsein eines Einzelnen entspringt. Dass er sich in der Welt eines Psychotikers befindet. Nur durch das Bevatron und seine Strahlung kann dies bewerkstelligt worden sein. Aber wessen Welt ist dies? Er muss es herausfinden. Zusammen fahren sie zur Zentrale der Sekte nach Cheyenne in Wyoming.

Himmelfahrt

Sie besuchen eine Non-Babiisten-Kirche und erhalten einen Freifahrschein für eine Himmelfahrt. Ihre Gebete wurden erhört. Der Priester sprenkelt geweihtes Wasser auf ihren Regenschirm und schon geht’s los! Ho, immer höher hinauf, an den Feuern der Hölle vorüber, bis die Erdscheibe des ptolemäischen Sonnensystems sichtbar wird, in dem die Sonne um die zentrale Erde kreist. Und da kommt auch schon [Tetragrammaton] in Sicht. Ein riesiger Augapfel, so groß und blau wie ein See. Das Auge sieht sie an, fokussiert, und der Regenschirm geht in Flammen auf! McFeyffe und Jack stürzen zur Erdscheibe zurück. (Seite 84-88)

Als Jack und Charley wieder in Wyoming erwachen, betet Jack um Geld. Doch statt der erbetenen 400 Dollar bekommt er nur 40 Dollar 75 – in Kleingeld. Besser als nichts, sagt er sich, und es reicht für zwei Bustickets. McFeyffe hat es bös erwischt: Er ist ein gebrochener Mann, der innerlich erschüttert ist und äußerlich mit Furunkeln und Abszessen übersät ist. Kein Wunder, dass er für seine Sünden büßt und schnellstmöglich nach Hause will. Jack begibt sich daher alleine in den Tempel des Einen Wahren Glaubens.

Der Prophet

Der Prophet Horace Clamp ist so gnädig, ihn persönlich zu empfangen und ist erstaunt wie auch erfreut, von einer Welt zu erfahren, die die Gnade [Tetragrammatons] noch nicht erfahren hat und die es nun mit Langstreckenraketen voller Flugblätter und mit Gehirnwäscheteams zu bekehren gilt! In seiner Güte gewährt er Jack einen Blick auf die eingetragenen Ordensmitglieder. Hier endlich stößt Jack auf den namen, den er schon die ganze Zeit gesucht hat: den des Kriegsveteranen Arthur Silvester. Des Mannes, der mit ihm in den Strahl des Bevatrons fiel und diese Welt des religiösen Fundamentalismus erschaffen hat.

Jack beschließt, nach Belmont zu reisen, um Silvester unschädlich zu machen. Aber das heißt nicht, dass er auch seine eigene Welt zurückbekommt…

Mein Eindruck

Philip Dick schrieb diesen abgefahrenen Roman in nur zwei Wochen Anfang 1955, als er 28 Jahre alt war und um den Lebensunterhalt seiner Familie schrieb. Für die rund 40.000 Wörter bekam er maximal 1500 Dollar, scheinbar eine fürstliche Summe für 1955, aber über diesen Vorschuss hinaus, so verrät Ace-Books-Herausgeber Donald A. Wollheim (DAW Books), wurden praktisch nie Tantiemen gezahlt. Deshalb fing Dick auch gleich mit dem nächsten Buch für Ace Books an: „The Man Who Japed“ („Der heimliche Rebell“, bei Moewig). Es war für ihn ein guter Deal, denn er konnte seine Meisterschaft im Erzählen ausbauen und zugleich sein Kritikerbeil schärfen.

Einmischung

Leider machte ihm den Verlagsmitherausgeber A.A. Wyn zuweilen einen Strich durch die Rechnung. Er änderte nicht nur Dicks Originaltitel, sondern nahm auch inhaltliche Änderungen vor. Dazu gehörte, dass aus den christlichen Fundamentalisten die moslemischen Babiisten wurden und aus dem biblischon Gott Jahwe ein gewisser [Tetragrammaton] (griechisch für „vier Buchstaben“), dessen Namen man nicht aussprechen dürfe. Dick musste Wyns Änderungen hinnehmen.

Satire

Dennoch macht es großen Spaß, seinen Roman „Eye in the sky“ zu lesen. Es ist eine Satire auf viele Dinge, die ihm nicht passten. McFeyffe ist beispielsweise ein Vertreter von Senator McCarthys Hexenjagd und wird so lange bekehrt, bis sich herausstellt, dass er selbst ein verkappter Sympathisant der Kommunisten ist. Also das gleiche „Verbrechen“ begeht, dessen er zunächst Marsha Hamilton beschuldigt.

Arthur Silvesters Universum ist die exakte Umsetzung von Vorstellungen der christlichen Fundamentalisten. Es ist ein strafender, „eifersüchtiger“ Stammesgott, den sie sich über ihren Köpfen vorstellen, und er straft höchstpersönlich mit Plagen und Blitzen, belohnt aber auch mit Geld und Gnade. Diese Gnade ist sogar ein physikalisches Wirkungsprinzip, so dass sich mit Gottes Gnade sogar Automotoren „heilen“ lassen („Auto-healing“, was wiederum auch „Selbstheilung“ bedeuten kann).

Es gibt noch viele weitere Phänomene dieses fundamentalistischen Universums, so etwa die Hölle, die als klassische „dark satanic mill“ dargestellt wird, wie es schon der englische Dichter, Maler und Visionär William Blake (1757-1827) tat. Leider hat sich Dick nicht der Kreationisten angenommen. Das wäre ein Spaß geworden, wenn statt Darwins Evolution die göttliche Gnade die Entwicklung der Lebewesen vorantriebe!

Philosophie

Es bleibt nicht beim Universum Arthur Silvesters. Jack und Marsha müssen auch das Universum von Mrs. Reiss, der viktorianisch-prüden Lehrerin durchleiden, und weitere. Wer für die Veränderungen verantwortlich ist, muss zunächst ermittelt werden. Aber stets lassen sie sich mit ihren Anhängern unter den Bevatron-Opfern etwas einfallen. Wie dies aussehen könnte, macht die Spannung aus, und der Spaß folgt dann in der Ausführung. Der Erzähler tritt niemals hervor, um uns zu zeigen, wie toll er das jetzt wieder gemacht hat oder wieviel Spaß ihm diese Szene bereitet. Nein, wir müssen selbst auf den Witz bei der Geschichte kommen. Der Autor bevormundet uns nicht, er klärt uns durch Anschauung auf.

In „Eye in the Sky“ beschäftigte sich Dick erstmals künstlerisch erfolgreich mit der Frage, was real ist. Er hate sich mit dem Philosophen David Hume beschäftigt: Die Wirkung B folgt nicht unbedingt aus einer Ursache, nur weil B auf A folgt. Und Bischof Berkeley hat demonstriert, dass die physische Realität sich nicht objektiv beweisen lässt, weil wir alle nur auf unsere subjektiven Sinneseindrücke angewiesen sind. Seine berühmte Frage war deshalb: Verursacht ein Baum, der im Wald zu Boden fällt, einen Laut, wenn keiner da ist, um ihn zu hören?

Kant

Von Immanuel Kant hatte Dick die Unterscheidung zwischen den noumena, den absoluten Ideen, und den phenomena, jenen Kategorien wie Zeit und Raum, die der menschliche Verstand den Dingen aufzwingt. Von Carl Gustav Jung entlieh er sich die Idee der Projektion: Die Inhalte unserer Psyche färben unsere Wahrnehmung stark ein. Will heißen: Wir sehen nur das, was wir sehen wollen. Schließlich nahm Dick noch Ideen aus dem Buddhismus und den indischen Veden auf, insbesondere über „maya“, die irdische Realität. Die wahre Realität bliebe dem unerleuchteten menschlichen Bewusstsein stets verborgen. Wir erschaffen daher illusorische Reiche, die auf unseren Ängsten und Wünschen basieren. Daher lautete der Originaltitel, den Dick für das Manuskript wählte, „With opened mind“.

Hauruck

Am Schluss, nachdem Jack, Marsha und all die anderen ihre Martyrien überstanden haben, krempeln Jack und sein schwarzer Freund Lewis, der vormalige Fremdenführer, die Ärmel hoch und wollen einen Laden für elektrische Geräte aufmachen: „Let’s get to work!“ So lautet immer wieder der Schlachtruf am Ende von Dicks Romanen. Er selbst arbeitete zeitweise in so einem Laden, insbesondere für HiFi-Geräte und kannte sich bestens damit aus (vergleiche auch „Nach der Bombe“), denn er war ein großer Fan klassischer Musik, die nur auf erstklassigem Equipment gut klingt. Mit „Let’s get to work“ sollen Dicks Helden die falschen Entwicklungen der gesellschaft wieder zurechtrücken. Vielleicht ein naiver Gedanke, aber besser als Nichtstun und Däumchendrehen.

Überwacht

War Dick jemals ein Kommunist, mag man sich heute bang fragen. Er selbst verneint dies ist seiner „Exegesis“, doch er habe sich in den Fünfzigern die marxistische Sicht auf den Kapitalismus angeeignet, nämlich eine negative Kritik. Als dies den Sicherheitsbehörden bekannt wurde, setzte sich das FBI auf seine Fersen. Das erzeugte in Dick eine latente Paranoia, die wohl in seinem Verstecken des Manuskriptes für „Flow, my tears, the policeman said“ („Eine andere Welt“, veröffentlicht im Februar 1974) bei einem Anwalt ihren Höhepunkt fand.

Wer sich für Dicks zahlreiche Psychosen interessiert, der findet in Lawrence Sutins Biographie „Divine Invasions. A Life of Philip K. Dick“ eine kritische, umfassende Betrachtung. Es wird klar, dass Dick immer wieder Kontakte zum FBI hatte, und einmal sogar seine Dienste antrug, um Stanislaw Lem aus einem Schriftstellerverband ausschließen zu können. Es ist kaum zu glauben. Aber Sutin hat noch viel härtere Geschichten auf Lager.

Unterm Strich

„Eye in the sky“ ist nicht so ausgefeilt wie „Zeit aus den Fugen“ von 1959 (siehe meinen Bericht), aber das Buch macht – zumindest im Original – sehr viel Spaß. Die Einfälle Dicks sind recht abgefahren, weisen aber eine innere Folgerichtigkeit auf. Wenn schon ein leibhaftiger Gott über die Erde wacht, dann muss man ihn auch erreichen können. Und warum nicht mit etwas Weihwasser und einem Regenschirm? Denn wo die Gesetze der Physik eh keine Gültigkeit mehr haben, kann es auch durchaus märchenhaft zugehen. Und wo die Kräfte des menschlichen Bewusstseins die Welt verändern können, da kann man sich auch kurzerhand mal einen Ozean wegdenken – schwupps! Weg war er (mit allen dazugehörigen Konsequenzen).

Wenn das Buch eines lehrt, dann ist es Rücksichtnahme und Respekt. Jack Hamilton und seine Frau marsha lernen erst Demut, dann Freundlichkeit und Solidarität, schließlich Rücksichtnahme auf diejenigen, die die Welt um sie herum formen. Aber sie lernen auch Widerstand. Die Mächte, die herrschen, sind nämlich nicht daran interessiert, in Verlegenheit gebracht und entlarvt zu werden (man denke ans FBI). Sie stützen vielmehr Illusionen, Selbstbetäubung, Ersatzreligionen und dergleichen, bloß damit die Menschlein nicht die wahre Realität (maya, noumena) erkennen und ihnen weiterhin ihre Vorgaben abkaufen.

Das Englisch, das Dick in diesem Buch verwendet, sieht sehr einfach aus, ist es aber nicht. Die Sätze sind kurz, doch die Wörter sind tief. Die Wörter rufen nämlich umfangreiche Begriffe wie „faith“, „illusion“ usw. ab, die jeder Leser mit eigenen Inhalten aufladen muss. Es ist eine lustige Satire, doch hat eine breite philosophische Basis, wie schon oben angedeutet. Je nach Übersetzung kann man das eine oder das andere betonen. Aber im Original sollte man beides beachten und sich Zeit nehmen, auch über die Philosophie nachzudenken.

Meine Ausgabe

Die vorliegende Vintage-Ausgabe erschien 1985 und wird von Jahr zu Jahr teurer. Was 2006 noch 10,95$ kostete, ist 2008 mit 12,95$ deutlich teuer. Das ist eine recht unheilvolle Entwicklung, die den Fan drängt, alle Werke gleichzeitig zu kaufen. Ich habe jedenfalls gleich einen ganzen Stapel eingekauft. Die Vintage-Ausgabe bietet keinerlei Bonusmaterial wie etwa Vor- oder Nachwort eines gelehrten Kopfes. Das macht diese Preistreiberei umso ärgerlicher, vergleicht man sie mit den Heyne-Ausgaben, die alle wenigstens ein Vorwort aufweisen.

Paperback: 243 Seiten
Sprache: Englisch
Originaltitel: Eye in the sky, 1957
ISBN-13: 978-1400030101

www.randomhouse.com

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