Tamora Pierce – Lia – Die Prophezeiung der Königin

Tamora Pierce ist zurück! Die Mutter der Romanzyklen um Alanna, die Löwin und erste Ritterin im Reich von Tortall seit sehr langer Zeit, und Dhana, das Mädchen, das mit den Tieren reden kann, hat dieses Jahr einen neuen Roman in der Welt von Alanna und Dhana veröffentlicht: „Lia – Die Prophezeihung der Königin“.

Wir treffen darin auf viele alte Bekannte, denn Lia ist niemand Geringeres als die sechzehnjährige Tochter von Alanna und George Cooper, dem Meisterdieb. Um zu verhindern, dass der Leser nach zwei Romanzyklen den Überblick verliert, sind im Anhang des Buches ein Personenverzeichnis und ein Glossar beigefügt, die Neueinsteigern das Lesen erleichtern.

Lia lebt am Hof ihrer Eltern und im Gegensatz zu ihren älteren Brüdern weiß sie nicht, wohin ihr Leben sie führen wird. Sie hat sich zwar einige Tricks von ihrem Vater, der den Spiondienst von Tortall leitet, das sich im Krieg mit den Nachbarstaaten befindet, abgeschaut, doch ihre Bitte, sie ebenfalls als Spionin einzusetzen, stößt auf taube Ohren. Zu gefährlich sei dieser Job, muss sie sich anhören.

Eines Tages wird das junge Mädchen bei einem Segelausflug von Piraten entführt und auf dem Sklavenmarkt auf die Kupferinseln verkauft. Sie gerät an die Familie Balitang, die sie glücklicherweise gut behandelt, und sie rechnet sich große Chancen für eine Flucht aus. Bevor sie jedoch dazu kommt, muss die Familie aus der Stadt Rajmuat fliehen, weil sie sich den Zorn des wankelmütigen Königs Oron zugezogen hat. Man beschließt, auf die Insel Lombyn zu fliehen, wo die beiden Töchter von Lias Herrn, dem Herzog Menquen, ein von ihrer Mutter ererbtes Gut besitzen. Dovas und Sarai stammen aus der ersten Ehe des Herzogs mit einer Rakafrau, was die beiden besonders macht. Sie vereinen das Blut der beiden Menschenstämme auf den Kupferinseln, den Raka und den Luarin, in sich, wobei die dunkelhäutigen Raka den weißen Luarin längst unterlegen sind.

Was sie nicht wissen: Durch eine Prophezeiung wurden sie ausgewählt, eines Tages die verfeindeten Kupferinseln zu regieren, und deshalb bedürfen sie besonderen Schutzes. Dieser kommt in Form von Lia, die vom Gott der Gauner, Kyprioth, in eine Wette verstrickt wird. Wenn sie es schafft, die beiden Mädchen bis zum Ende des Sommers zu beschützen, wird er sie aus der Sklavenschaft befreien und zu ihrer Familie zurückkehren lassen. Lia sagt zu, doch sie ahnt nicht, was für ein heißer Sommer auf sie zukommt … Einer, bei dem ihre Spionagefähigkeiten, die sie von ihrem Vater gelernt hat, gut aufgehoben sind …

Lias Job als Spionin verspricht einiges an Spannung und hält dieses Versprechen. Die Spannung kommt langsam, wie man es von Pierces früheren Büchern kennt, doch bevor man sich versehen hat, hat sie den Leser eingesponnen und lässt nicht mehr los. Die Autorin setzt dabei weniger auf Action und Gefühlskitsch, sondern erzählt sehr geradlinig, was einen Großteil der Spannung ausmacht. Zwar ist der Anfang etwas lang, weil das Verhältnis zwischen Lia und ihren Eltern ausgiebig vor dem Leser ausgebreitet wird, doch ansonsten hält sich die Autorin nicht viel mit Nebenhandlungen auf. Sie kommt auf den Punkt und packt die Geschichte voll mit Intrigen und überraschenden Wendepunkten.

Tamora Pierce hat bereits bei Dhana und Alanna bewiesen, dass sie sehr gut darin ist, authentische, starke Mädchenfiguren für ihre Bücher zu schaffen, und dies gelingt ihr auch bei Lia. Lia ist eine sehr intelligente und fähige junge Dame, deren Schlauheit allerdings nie unecht wirkt, weil ihre Gedankengänge nachvollziehbar dargestellt werden.

Das Besondere dabei ist, dass Lia von ihrer Einstellung her eher einem heutigen Menschen ähnelt und dadurch sehr authentisch wirkt. Sie ist ein pubertierender Teenager auf der Schwelle zum Erwachsenwerden, der die Liebe anhand vieler Flirts kennen lernt, Stress mit seiner Mutter hat und nicht weiß, wie seine berufliche Zukunft aussieht.

Die Welt, in der Pierce ihre Geschichte ansiedelt, ist immer noch die Gegend um Tortall, und erneut weiß sie zu überzeugen. Sie erzählt sehr einfach, doch gerade darin liegt der Reiz. Darin und in ihrem Auge für Details. So ist Dhanas Schwangerschaft zum Beispiel keine einfache. Die Magierin, die sich in Tiere verwandelt, bekommt ein Kind, das ebenfalls die Gestalt wandeln kann, was dazu führt, dass es dies bereits im Bauch tut. Dhana hat also alle Hände voll damit zu tun, ihrem sehr aktiven Kind zu folgen und ab der Bauchgegend eine andere Gestalt anzunehmen.

Der junge Mann Nawat, der eigentlich eine Krähe ist, die Menschengestalt angenommen hat, sorgt für einige Grinser, da er sich in der Menschenwelt zurechtfinden muss und einige tierische Charakterzüge einfach nicht ablegen will. Immer wieder redet er mit Dhana darüber, wie er mit ihr genug Nestlinge zeugen will, um den Feind innerhalb der Burg zu vertreiben, oder bietet ihr fette Raupen als Liebesgeschenke an. Derartige Szenen sind witzig, aber nie überzogen, was der Autorin hoch angerechnet werden sollte.

Der Schreibstil ist der alte geblieben. Einfach, so dass auch Kinder und Jugendliche ihm ohne Probleme folgen können, doch von so bestechener Aussagekraft, dass er auch Erwachsene anspricht. Das bereits erwähnte liebevolle Auge fürs Detail und der leichte Witz, der ab und an durchschimmert, sorgen dafür, dass sich der Roman flüssig lesen lässt und gut unterhält.

Wo Pierce draufsteht, ist auch Pierce drin. „Lia – Die Prophezeiung“ überzeugt durch eine mit Herz gestaltete Welt, eine sympathische Protagonistin und Spannung bis zur letzten Seite. Jung und Alt werden sich an dieser putzigen Fantasiegeschichte erfreuen, die ihre Leser aber nicht unterfordert. Fazit? Ab unter den Weihnachtsbaum damit!

Gebundene Ausgabe: 464 Seiten
Originaltitel: Trickster´s Choice
www.arena-verlag.de