Ramsland, Katherine – Vampire unter uns

Bram Stoker veröffentlichte 1897 einen Roman, der gleichzeitig den Höhepunkt und das Ende der Gothic Novel bezeichnen sollte: [„Dracula“ 210. Stokers Figur des Vampirs hat unsere Wahrnehmung der Blutsauger so nachhaltig geprägt, dass die Worte „Dracula“ und „Vampir“ in vielen Fällen synonym verwendet werden. Dracula ist ein Verführer, aber auch ein ruchloser Killer. Besonders interessant an Stokers Roman ist die Tatsache, dass der Vampir nur im ersten Drittel wirklich auftaucht. Danach glänzt er durch Abwesenheit und wird durch die Beschreibung der handelnden Figuren nur noch mysteriöser, grausamer, blutgieriger und unbesiegbarer. Stokers Dracula ist ein Monster, das nichts anderes verdient hat, als am Ende des Buches zu Staub zu zerfallen.

Doch wollen wir heutzutage wirklich noch, dass der Vampir am Ende unterliegt? Es scheint nicht so und ein Beweis dafür sind die erfolgreichen Vampir-Romane von Anne Rice („Die Chronik der Vampire“). Sie hat die leblose Gestalt des Untoten in eine moderne Figur verwandelt, mit der sich der Leser tatsächlich identifizieren kann. Ihre Vampire sind empfindsam, sie stellen sich die Frage nach dem Sinn des Lebens. Sie wollen ihre eigene Existenz erforschen und sie fühlen sich von der Unendlichkeit und Einsamkeit ihres Daseins erdrückt. Dies alles scheinen Eigenschaften zu sein, die heutige Leser ansprechen – so weit ansprechen, dass sie sich selbst wünschen, Vampire zu sein.

Katherine Ramsland kennt sich mit Vampiren aus, zumindest mit fiktiven. Sie hat mehrere Bücher über Anne Rice veröffentlicht, unter anderem auch eine Biographie. In ihrem hier vorliegenden Bericht (nennen wir es mal so) hat sie sich nun an den realen Vampir herangewagt. Sie wollte herausfinden, ob es tatsächlich Wesen gibt, die nachts durch die Gegend streifen und das Blut ihrer Opfer trinken. Anlass für ihre Recherchen war das Verschwinden von Susan Walsh 1996. In „Vampire unter uns“ beschreibt Ramsland Susan Walsh als aufstrebende Journalistin, die bis zu ihrem großen Durchbruch in einem Striplokal arbeitet und im Vampirmilieu von New York forscht. Das Transcript von „Unsolved Mysteries“ auf FOX spricht eine etwas andere Sprache: Susan Walsh hatte auch schon früh in ihrem Leben Bekanntschaft mit Alkohol und Drogen gemacht. War ihr Verschwinden also den Vampiren geschuldet? Wurde sie entführt, getötet, weil sie einer Verschwörung oder großen Geheimnissen auf der Spur war? Oder ist sie „einfach“ wieder ins Drogenmilieu abgerutscht – profan und überhaupt nicht übernatürlich? Fragen, die im Buch von Katherine Ramsland nicht gelöst werden. Sei’s drum – Susan Walsh ist Ramslands Vorwand, sich tief in die amerikanische Subkultur vorzuwagen.

Zunächst geht sie es allerdings vorsichtig an. Sie recherchiert im Internet und macht einige interessante, aber in ihren Ansichten auch widersprüchliche Vampirsites ausfindig. Sie verbringt Nacht um Nacht in Vampir-Chats und knüpft dort Kontakte. Bald verselbstständigen sich diese und ihr Buch bewegt sich daraufhin zwischen Conventions, wissenschaftlichen Symposien, S/M-Clubs und Fetischpartys.

Um es kurz zu machen: Ja, es gibt Vampire. Es gibt Menschen, die sich von der Natur des Vampirs genug angezogen fühlen, dass sie sich nicht nur in der Gothic-Szene bewegen (dass die Vampire aus „Vampire unter uns“ alle schwarz tragen, ist wohl selbstverständlich), sondern auch anfangen, Blutspiele in ihre Sexpraktiken einzubauen oder ihre Haustiere auszusaugen. Ramslands Interviews zeigen recht deutlich, dass der moderne Vampir sein Verlangen nach Blut oft an Sex koppelt. Die Hingabe des Opfers an eine übermenschliche Figur, die totale Aufgabe des eigenen Selbst ist dabei nur noch eine Täuschung. Denn auch Vampire können sich böse Krankheiten einfangen. So ist das Einverständnis des Opfers in der Regel Voraussetzung. Und viele der beschriebenen Vampire leben ohnehin in einer festen Beziehung. Somit ist die Rolle des Opfers gewollt – es zieht aus dem Blutaustausch ebenso seinen Vorteil wie der Vampir.

Die interessanteste Frage aber, warum nämliche Menschen zu Vampiren „werden“ (schließlich handelt es sich ja um eine bewusste Entscheidung), bleibt oberflächlich betrachtet und ungeklärt. Von einer studierten Philosophin und Psychologin (Ramsland wird nicht müde, ihre akademische Bildung zu betonen) hätte ich tiefere Einsichten in dieses kulturelle Phänomen erwartet. Sie liefert keine Lösungen; möchte man tiefer in die Materie eindringen, so muss man ihr Material genau und kritisch lesen und sich selbst seine Gedanken dazu machen. So scheint das (sehr junge) Vampirphänomen auf drei Hauptvoraussetzungen aufzubauen: Wie eingangs schon erwähnt, hat Anne Rice den Vampir zu einer romantischen Figur gemacht. Für den Leser ist es sowohl verführerisch, sich einen Vampir herbeizuwünschen, wie sich einzubilden, selbst ein Vampir zu sein. Eine Identifikation auf dieser Ebene ist mit dem guten alten Dracula nicht möglich. Anne Rice spiegelt in ihren Romanen moderne Probleme – die Probleme der Generation X nämlich. So liefert ein Psychologe in Ramslands Buch eine sehr interessante Theorie, die einen Zusammenhang zwischen Vampirkultur und Generation X zu beweisen sucht: Sie entstammen zerrütteten Familien, haben das Vertrauen in die Gesellschaft und ihre Politik verloren und nehmen ihre Zeit als eine Zeit des Niedergangs und Zerfalls wahr. In dieser Gesellschaft fühlen sie sich einsam und als Außenseiter – da wird der Vampir die perfekte Projektionsfläche.

Ein weiterer Faktor ist das Rollenspiel „Vampires: The Masquerade“, das 1991 von White Wolf entworfen wurde und eine große Anhängerschaft besitzt. Das soll natürlich nicht bedeuten, dass in Rollenspielen nur versteckte Vampire agieren: Dennoch, das Rollenspiel hat zur Popularisierung des modernen Vampirs beigetragen (unter anderem auch mit einer kurzlebigen Fernsehserie) und kann Anziehungspunkt für zukünftige Kinder der Nacht sein.

Ein dritter – und sehr wichtiger – Punkt ist meiner Ansicht nach das Internet. Katherine Ramsland ergeht sich nicht umsonst in der Beschreibung ihrer umfangreichen Online-Recherchieren und durchchatteten Nächte. Es scheint, als würde die Anonymität des Internets der Vampirsubkultur in die Hände spielen. Webseiten und Chats ermöglichen eine übergeordnete Organisation dieser Subkultur und machen es einfacher, Menschen mit den selben Vorlieben und Interessen (für Blut) ausfindig zu machen. Außerdem ist es in einem so anonymen Medium einfacher, Rollen und Identitäten auszuprobieren und zu erfinden. So kann der zukünftige Vampir im Chat zuerst virtuell testen, wie seine Vampiridentität „ankommt“.

Wenn sich Ramslands Interviews und Recherchen auch spannend lesen (und manchmal kann man sich eines gewissen „Ick-Faktors“ nicht erwehren), so haben sie doch einen fahlen Beigeschmack. Das liegt zum größten Teil daran, dass Ramsland ihre Interviews mit Vampiren unreflektiert im Raum stehen lässt. Als Psychologin versucht sie nicht, auch bei augenscheinlich schizoiden Persönlichkeiten, das Verhalten ihrer Gesprächspartner zu deuten. Sie bleibt fast immer neutral. Das lässt sie leichtgläubig scheinen und erweckt beim Leser zeitweise sogar das Gefühl, dass es sich um ein zumindest teilweise fiktionales Buch handelt. Haben sich ihr all diese Vampire wirklich so freimütig anvertraut? Ich habe nicht das Gefühl. Vielmehr schien mir bei der Lektüre, dass sie es mit drei unterschiedlichen Typen von Menschen zu tun hatte: Da waren zum einen Personen, die sie augenscheinlich auf den Arm nehmen wollten und sich Geschichten ausdachten. Manche Erzählungen klingen so phantastisch und romantisierend, dass man sich dieses Eindrucks einfach nicht erwehren kann. Dann scheint es eine weitere Gruppe von Menschen zu geben, die zwar glauben, was sie erzählen, dies aber nicht wirklich erlebt haben. Überschäumende Phantasie also oder Schizophrenie? Und die letzte Gruppe sind dann die wirklich Aufrichtigen – bei einigen Personen ist man sich sicher, dass sie die Wahrheit sagen und dass sich die Dinge so abgespielt haben können.

„Vampire unter uns“ ist damit ein Buch, das man auf jeden Fall einer kritischen Lektüre unterziehen sollte. Da die Autorin selbst kaum Antworten, sondern nur eine Stoffsammlung liefert, muss man sich darauf einstellen, eigene Denkarbeit leisten zu müssen. Ansonsten wäre das Buch nur ein weiteres im Regal „Horror“ – mit besonderem Kick natürlich, da man den Zusatz „real“ als besonders schaurig empfinden kann.

Homepage der Autorin: http://www.katherineramsland.com/