Ein Forscher will das Rätsel des Hill House-Anwesens lüften, in dem es umgeht. Mit zwei parapsychisch begabten Begleitern zieht er ein. Unter ihnen: eine seelisch gestörte junge Frau, die sich als idealer Katalysator für das Grauen des Hauses erweist und einen wahren Totentanz des Schreckens entfesselt … – Ein Klassiker des phantastischen Genres und einer der besten Romane um Spuk und Besessenheit. Die Autorin entwirft mit infamem Geschick eine Atmosphäre der Unsicherheit: Spukt es wirklich in Hill House, oder wird das Unheimliche ‚importiert‘? Auch sprachlich weit über dem üblichen Geisterschmarrn.
Das geschieht:
Dr. John Montague ist ein gestandener Psychologe mit einer geheimen Leidenschaft: Er jagt schon lange dem Übernatürlichen hinterher, das er unbedingt wissenschaftlich nachweisen möchte. Jetzt hat er womöglich einen kapitalen Spukfisch an der Angel: Hill House wurde vor acht Jahrzehnten vom düsteren Hugh Crain erbaut. Eine Kette mysteriöser Ereignisse hat dazu geführt, dass die riesige, verwinkelte, eigenartige öde Stätte seither als verflucht gilt. Niemand lebt in Hill House – jedenfalls niemand, mit dem man es zu teilen wünscht.
Wie spürt man einen Spuk auf? Montague wählt sich zwei parapsychisch auffällig gewordene Frauen: die exzentrische, lebenslustige, telepathisch begabte Theodora und die unsichere, nervöse, feinsinnige Eleonore Vance. Außerdem zum Team zählt der junge Zyniker Luke Sanderson, dessen Familie Hill House besitzt. Gemeinsam wird man sich einige Zeit in dem verrufenen Haus einquartieren und registrieren, was dort geschieht.
Montague wird nicht enttäuscht. Hill House lässt sich wenig Zeit, seine Kraft unter Beweis zu stellen. Die seltsamen, zunehmend beunruhigende Intensität erreichenden Phänomene scheinen sich dabei auf Eleonor zu konzentrieren. Das Haus hat die psychisch angeschlagene junge Frau als idealen Kristallisationspunkt entdeckt. In seinem Übereifer bemerkt Montague die daraus resultierende Gefahr viel zu spät: Hill House will Eleonor – oder ist es umgekehrt Eleonor, die Hill House mit schauerlichem ‚Leben‘ erfüllt?
Die Spukerscheinungen werden beängstigend handfest. Noch immer versucht Montague seine Forschungsmission zu erfüllen. Sie hat sich längst zur Expedition in ein fremdes, gefährliches Land verwandelt, das nicht alle Teilnehmer wieder lebendig verlassen werden …
Nie weiß man, was wirklich vorgeht
„Spuk in Hill House“ gehört zweifellos zu den grandiosen Höhepunkten der phantastischen Literatur. Mit einer im Genre gern behaupteten, aber selten unter Beweis gestellten Meisterschaft gelingt Shirley Jackson das Kunststück, nicht nur der strengen Kritik zu geben, was sie verlangt, sondern auch ihre Leser zu fesseln: mit einer Spukgeschichte, die ohne ‚richtige‘ Gespenster auskommt, sondern in der menschlichen Psyche wurzelt und dort Nachtmahre gebiert, die Freddy Krueger, Leatherface & Co. dorthin verbannen, wo sie am besten aufgehoben sind: in die Rummelplatz-Geisterbahn.
Da fasziniert nicht nur Jacksons Sprachgeschick, das mit wenigen, fast sparsamen Worten eine ebenso dichte wie anschauliche und zunehmend bedrohliche Atmosphäre entstehen lässt. Hier kann sich hinter jedem Wort und zwischen den Zeilen eine verborgene Bedeutung verbergen. Man muss schon aufmerksam lesen. Es fällt leicht.
Bewundern muss man Jackson außerdem für ihr Geschick, die Geschichte letztlich völlig in der Schwebe zu lassen. Ist Hill House ein Spukhaus? Ist es ‚nur‘ ein Katalysator, der Eleonores übernatürlichen Fähigkeiten ‚zündet‘? Ist es ein ganz gewöhnlicher, von abergläubischen Zeitgenossen verrufener Ort, der ausschließlich von Eleonors zerrüttetem Hirn mit allerlei Unheimlichem bevölkert wird? Sämtliche Interpretationen sind möglich und logisch.
Sie schaffen einen Sog, dem sich der Leser von Anfang an nicht entziehen kann. Wobei dieser Anfang trügerisch langsam einsetzt und zunächst irritiert. Wieso die lange Einleitung, bis Eleonore endlich in Hill House eintrifft? Weil wir sie auf ihrer Fahrt dorthin kennen lernen und bereits einen schwer fassbaren, aber deutlichen Eindruck von der Gefahr bekommen, die diese Frau für sich und ihre Mitmenschen darstellt.
Der Geist und die Psyche: ein erbarmungsloses Duell
Die Geschichte vom Spuk in Hill House ist eigentlich die Geschichte von Eleonor bzw. ist ein eindrucksvolles Beispiel für die Kraft unbewältigter Gefühle. Eleonor ist eine vom Leben enttäuschte und betrogene Frau. Das war sie offenbar immer. Schon als Kind wurde sie von ihrer dominanten, lieblosen Mutter unterdrückt, die sie als alte, kranke, böse Frau pflegen musste, während sich die Schwester drückte. In diesen Jahren zog das Leben an Eleonor vorbei. Sie blieb ohne Mann, ohne Beruf, sogar ohne eigenes Heim: Als Untermieterin muss sie unter der Fuchtel ihrer zänkischen Schwester bei deren unfreundlicher Familie hausen.
Eleonor will endlich raus. Viel hat sich in ihr angestaut – dies buchstäblich: In früher Jugend war aus heiterem Himmel ein Steinschauer auf ihr Elternhaus niedergeprasselt, als es ‚daheim‘ wieder einmal besonders unerträglich war. Da ist also eine innere Kraft, die sich aus Eleonores unerfüllten Wünschen und Sehnsüchten speist. Sie ermöglicht ihr einerseits den Ausbruch aus dem Alltagstrott, als sich endlich eine Möglichkeit ergibt. Doch ungewollt hat Dr. Montague eine wesentlich tiefere Grube geöffnet. Eleonores Frustration, ihr Zorn, ihre Schuldgefühle brechen sich ebenfalls Bahn.
Der Forscher in der Zwickmühle
John Montague ist ein kluger Mann mit Doktortitel, ein Forscher, doch gleichzeitig ein blinder Trottel, der keine Ahnung von den Mächten hat, die er heraufbeschwört. Er baut nicht wie Dr. Frankenstein ein Monster, aber auch er ist bereit, für die Wissenschaft, aber letztlich wohl für sich selbst, schwer kalkulierbare Risiken einzugehen. Als Psychologe merkt er durchaus bald, wie es seelisch um Eleonore steht. Aber er kann nicht widerstehen: So ein Versuchskaninchen wird er nie wieder finden!
Und genau das ist Eleonore für ihn. Sie verehrt den freundlichen, zuvorkommenden Doktor, der ihr so viel Aufmerksamkeit widmet. Ihr fehlt die Erfahrung, seine wahren Motive zu erkennen. Als diese endlich offenbar wird, leiten die Folgen direkt die finale Katastrophe ein.
Theodora scheint auf den ersten Blick das genaue Gegenstück von Eleonore zu sein. Sie reist, ist selbstständig, unabhängig, verfügt über eigenes Vermögen. Grundsätzlich verkörpert sie alles, was Eleonore gern sein möchte. Aber Theodora ist auch sprunghaft, launisch und egoistisch. Für Eleonore ist sie keineswegs die Freundin, die sich diese wünscht, und noch weniger die weltkundige Begleiterin für die Zeit nach Hill House. So trägt auch Theodora durch ihr Verhalten zum Spuk in Hill House bei.
Luke Sanderson ist der Rationalist unter den Anwesenden. Weder verfügt er über einen Draht zum Übernatürlichen, noch will er es rational erforschen. Klug ist er, aber faul und ein kleiner Schurke, der sich langweilt, ständig in Geldnöten steckt und in Skandale verwickelt ist. In unserer Geschichte vertritt er den skeptischen Leser, der nicht an Spuk und Geister glaubt. Luke muss sich eines Besseren belehren lassen, auch wenn das in seinem Fall bedeutet, dass er seinen zynischen Tunnelblick auf die menschliche Natur verliert.
Das Grauen fesselt – oder es langweilt
So geht es weiter. Seite für Seite, Zeile für Zeile zieht Jackson die Schraube an. Wie brillant ihr Werk gelang, verdeutlicht uns der seltene Genuss einer Verfilmung, die dem literarischen Vorbild absolut angemessen und gewachsen ist. „The Haunting“ (dt. „Bis das Blut gefriert“) wurde 1963 von Robert Wise inszeniert. Er hielt sich klug über weite Strecken außerordentlich eng an Jacksons Buch und schuf ein intensives Meisterwerk, das bis heute rein gar nichts von seiner Wirkung verloren hat.
Wie gut Wise gearbeitet hat, bewies unfreiwillig 1999 Jan de Bont mit seiner lächerlichen, von überbordenden Spezialeffekten erdrückten Neuverfilmung von „The Haunting“, die in Deutschland als „Das Geisterschloss“ für Hohn & Spott sorgte. Doch der Roman von Shirley Jackson und der Film von Robert Wise bilden eine Einheit, die kein Gruselfreund jemals vergessen wird, der (oder die) sie gelesen und gesehen hat. Tatsächlich übertrifft Wise das Vorbild vor allem im letzten Drittel bei weitem. Hier bringt Jackson in Gestalt der überdrehten Mrs. Montague und ihres tumben Begleiters unangemessenen Klamauk ins Geschehen, das indes bis zum Finale wieder auf die rechte Bahn einbiegt.
Autorin
Shirley Jackson wurde 1919 im kalifornischen San Francisco geboren. Ihre frühen Jahre verlebte sie in einem kleinen Ort namens Burlingame, dem sie 1948 in ihrem ersten Roman („The Road Through the Wall“) ein literarisches Denkmal setzte. Bereits als Kind wollte Jackson Autorin werden. Mit zwölf Jahren gewann sie mit einem Gedicht einen Wettbewerb. Während der High School begann sie ein Tagebuch, in dem sie gewissenhaft ihre schriftstellerischen Fortschritte notierte. Nach ihrem Abschluss schrieb sich Jackson an der University of Rochester ein. Doch früh musste sie aufgaben: In dieser Zeit erkrankte sie an jener Depression, die ihr für den Rest ihres Lebens zu schaffen machte. Erst 1937 fühlte sich Jackson in der Lage, an der Syracuse University ihr Studium wieder aufzunehmen. Hier veröffentlichte sie erste Kurzgeschichten, hier traf sie den Literaturkritiker Stanley Edgar Hyman, den sie 1940 heiratete. Das Paar zog nach Vermont, wo Hyman am Bennington College Literatur lehrte.
Jacksons Stories wurden ab 1941 in Zeitschriften und Magazinen gedruckt. Besonders mit „The Lottery“, einer bemerkenswert bösen Geschichte, die ihrer Zeit weit voraus war, zog die Autorin rasch Aufmerksamkeit auf sich. Als Jackson 1959 „The Haunting of Hill House“ verfasste, hatte sie bereits drei Romane veröffentlicht und war berühmt. Doch familiäre Probleme sowie eine weiterhin anfällige geistige Gesundheit beeinträchtigten ihr Privatleben. Jackson rauchte Kette, litt unter Fresssucht. Vor allem trank sie zunehmend und wurde abhängig von Medikamenten. Der uneingeschränkte Erfolg von „Hill House“ half ihr nicht. Für mehrere Jahre versank sie in einem depressiven Tief.
1962 schrieb sie in einer ihrer psychotischen Phasen „We have Always Lived in the Castle“ (dt. „Wir haben schon immer im Schloss gelebt“), eine großartige Studie innerer Ängste und Zwangsvorstellungen, die wiederum stürmisch gefeiert wurde. Während sie allmählich ihre Depressionskrankheit in den Griff zu bekommen schien, forderte der jahrelange Medikamentenmissbrauch seinen Tribut. Asthma und Arthritis schwächten die Schriftstellerin zusätzlich, die 1965 im Alter von nur 48 Jahren einem Herzschlag zum Opfer fiel.
Taschenbuch: 294 Seiten
Originaltitel: The Haunting of Hill House (New York : The Viking Press 1959)
Übersetzung: Wolfgang Krege
http://www.diogenes.de
eBook: 690 KB
ISBN-13: 978-3-94226-153-1
http://www.psychothrller.de
Der Autor vergibt: