Luzifer, der Weltenschöpfer
„Dies ist die Geschichte des legendären Diebs, den man Jack aus den Schatten nennt. Man kann ihn töten und verstümmeln – eines Tages kehrt er wieder aus dem Schattenreich durch die Dämmerungszone nach der Tagseite zurück.
Und dort holt er sich die Macht, mit der es ihm gelingt, seine Widersacher zu zerschmettern und über die Nachtseite, das Land der Seelenlosen, zu herrschen. Bis eines Tages auch seine Macht zerbricht und ein neues Zeitalter heraufdämmert.“ (Verlagsinfo)
Der Autor
Während Roger Zelazny, geboren 1937, eher für seine ausgezeichneten Science Fiction-Romane und Novellen („He Who Shapes“, 1965, oder „A Rose for Ecclesiastes“, 1966, ebenfalls HUGO) bekannt ist, wird seine Fantasy weniger geschätzt. Eine Ausnahme bilden die zehn Romane aus dem AMBER-Zyklus. Es gab sogar Fortsetzungen von der Hand anderer Autoren.
Sein Roman „Fluch der Unsterblichkeit“ („This Immortal“ ) ist ein echter Klassiker des Science-Fiction-Genres. Das 1966 veröffentlichte Buch wurde ausgezeichnet mit dem HUGO Award, und ebenso erfolgreich war er ein Jahr später mit „Herr des Lichts“. Zu Ende seiner Laufbahn veröffentlichte er zahlreiche, wenig erfolgreiche Kollaborationen mit anderen Autoren, so etwa mit Philip K. Dick und Fred Saberhagen. Zelazny starb 1995.
Der erste AMBER-Zyklus:
1) Corwin von Amber
2) Die Gewehre von Avalon
3) Im Zeichen des Einhorns
4) Die Hand Oberons
5) Die Burgen des Chaos
Der zweite AMBER-Zyklus:
1) Die Trümpfe des Jüngsten Gerichts
2) Das Blut von Amber
3) Zeichen des Chaos
4) Ritter der Schatten
5) Prinz des Chaos
Weitere wichtige Werke
1) Herr des Lichts
2) Fluch der Unsterblichkeit
Und viele weitere.
Handlung
Die Welt ist eingeteilt in die Hell- und die Dunkelseite, dazwischen liegt die Zwielichtzone. In Iglés finden im Land des Zwielichts jährlich die Höllenspiele statt. Der erste Preis besteht in einem faustgroßen Rubin, der „Höllenflamme“ genannt wird. Als zwei Spielteilnehmer namens Smage und Quazer den berüchtigten Dieb Jack aus den Schatten erspähen, melden sie dessen Anwesenheit dem Meister der Spiele. Benoni ist sogleich besorgt, denn Jacks schlechter Ruf ist auch ihm bekannt, und er sorgt sich um den Rubin.
Er lässt Jack herbeischleppen und hält über ihn Gericht. Nach dem Vorbringen der beiden Zeugenaussagen erhält Jack Gelegenheit, sich zu verteidigen. Er sei völlig unschuldig. Der perversen Logik seines Anklägers hat er aber nichts entgegenzusetzen. Immerhin erfährt, wem Smage und Quazer dienen: dem Herrn der Fledermäuse. Benoni findet nichts dabei, Jack zum Tode zu verurteilen, denn es ist hinlänglich bekannt, dass Dunkelseiter wie Jack mehr als ein Leben haben.
Der Plan
Jack wird auf der Dunkelseite in einem Berg aus Dung, umgeben von einem See aus Jauche, wiedergeboren. Sein Weg aus Glyve, der Domäne des Barons Drekkheim, zum Land des Zwielichts ist weit, doch mit der Erinnerung an die unverzeihliche Beleidigung seiner Ehre kommt auch die Entschlossenheit. Der Herr der Fledermäuse muss büßen, ebenso seine beiden Diener Smage und Quazer – und natürlich dieser fette Richter Benoni. Ein Teich aus Regenwasser bietet ihm die erste Gelegenheit, sich zu säubern und präsentabel zu machen.
Natürlich wollte Jack den Rubin stehlen. Die Höllenflamme war der Brautpreis, den er dem Obersten-der-niemals-stirbt für die Hand seiner schönen Tochter Evene versprochen hatte. Kurz vor der Grenze zum Dämmerungsreich erwischten ihn Baron Drekkheims Verfolger. Doch das tritt ein weiterer Widersacher zwischen sie und Jack: der Herr der Fledermäuse, Herr über High Dudgeon, ein Zauberer von einigem Können.
Gefangen
Er nimmt ihn Jack mit auf seine Festung High Dudgeon, wo Jack keine andere als Evene selbst erblickt. Sie hat nicht auf ihn gewartet, denn schließlich war er ihrem Vater den Brautpreis schuldig geblieben. Nun hat sie sich mit dem Herrn der Fledermäuse vermählt – und Jack fühlt sich abermals betrogen. Er hat aber nicht mit der Heimtücke seines Gastgebers gerechnet. Dieser hypnotisiert ihn mit einem magischen Kristall, der an einer Kette an seinem Hals hängt. Unversehens findet sich Jack im Inneren des Kristalls wieder, umgeben von Spiegeln und Trugbildern. Die Absicht des Lords könnte nicht abgefeimter sein: Er will Jack in den Wahnsinn treiben.
Doch er hat nicht mit Jacks Geduld und seinem Einfallsreichtum gerechnet…
Mein Eindruck
Die Geschichte weiß den Leser immer wieder in Erstaunen zu versetzen, nicht nur durch die verschiedenen Figuren, sondern vor allem durch die Umgebungen und deren jeweilige Bedingungen. Jack der Dieb kommt von der Dunkelseite einer Welt, die sich nicht dreht, aber über deren Himmel künstliche Satelliten ziehen. Er gelangt auf die Tagseite, wo er an einer ganz gewöhnlichen Universität eine ganz gewöhnliche Studentin, Clare, trifft und mit ihr schläft. Sie warnt ihn vor Dr. Quillian, der Jacks Lügen über seine Herkunft auf die Schliche gekommen ist. Jack wird gerade in die Enge getrieben, als ein Monster, das der Herr der Fledermäuse auf ihn angesetzt wird, aktiv wird und angreift. Das bedeutet das Ende von Dr. Quillian, aber das Entkommen für Jack.
An der Uni der Tagseite, wo die Wissenschaft herrscht, hat sich Jack wie so häufig Rechenzeit am Zentralcomputer erschlichen. Diesmal hat er endlich eine Art Weltformel komplett berechnen lassen können: den Schlüssel von Kolwynia. Wie er bald demonstriert, ist dieses Wissen auf der Dunkelseite, wo die Magie herrscht, pures Gold wert: Die ihm damit verliehene Macht erlaubt es ihm, nicht nur alle Fürsten zu besiegen, sondern auch die schöne Evene zu verzaubern.
Doch damit ist die Geschichte keineswegs zu Ende: Als Herrscher der Dunkelseite hat Jack freie Hand, die Maschine im Innern der Welt zu zerstören und ein völlig neues Zeitalter heraufzubeschwören. Das geht allerdings nicht unter gewaltigen Opfern vonstatten. Die Magie verschwindet, der Zauber auf Evene vergeht und erkennt ihn als das, was er möglicherweise ist: „Jack des Bösen!“
Spätestens an dieser Stelle wird dem Leser klar, dass er es im Grunde mit einem umgeschriebenen Schöpfungsmythos zu tun hat: Jack spielt die Rolle eines Rebellen gegen die Weltordnung einer mechanischen Welt, die fortan von einer neuen Sonne beschienen wird – er ist der Lichtbringer, der Lucifer. Frei nach John Miltons Versepos „Paradise Lost“ aus dem 17. Jahrhundert erhebt Zelazny Luzifer, die Verkörperung des Bösen in der „Genesis“, zum Agenten der Veränderung, zum eigentlichen Erschaffer der modernen Welt, in der das Individuum frei ist zu wählen, ob es lieber an einen unsichtbaren Gott glauben will oder an die mehr oder weniger festen Prinzipien der modernen Wissenschaft.
Die Übersetzung
Der Text liest sich flüssig, ist aber gespickt mit Druckfehlern.
S. 5: Statt „Inglés“ muss es „Iglés“ heißen, wie im Rest des Textes.
S. 14: Statt „Richtblick“ muss es „Richtblock“ heißen.
S. 15: „Fäden eines Fetzes“: Wahrscheinlich soll es „Fäden eines Netzes“ heißen.
S. 43: „Er seufzte und lächelte dann? Er war noch immer in Sicherheit.“ Statt des unmotivierten Fragezeichens sollte besser ein Gedankenstrich stehen.
S. 66: „Similacrum“: Dieser Begriff wird mehrfach so verwendet. In der gesamten anderen Literatur wird hingegen „Simulacrum“ (falsches Abbild) verwendet, so etwa in Philip K. Dicks Roman „Simulacra“.
S. 103: „Dann kircherte er.“ Das R ist überflüssig.
S. 107: „ins Sonnenlich[t] zu treten“: Das T fehlt.
S. 140: „in den Dunggraben von Glyve“. Korrekt sollte es „Dunggruben“ heißen.
S. 166: „Weinkurg“ sollte „Weinkrug“ heißen.
S. 173: „als du danach am Strand entlanggin[g]st.“ Das G fehlt.
S. 187: „wie von einem sch[w]arfen Wind“: Das W ist überflüssig.
Unterm Strich
Dieser Roman ist angeblich Fantasy, doch der Leser staunt, als Jack in die Eingeweide jener gigantischen Maschine hinabsteigt, die offenbar für die Drehung und Bewegung der Weltkugel verantwortlich ist. Natürlich sind Maschine wie diese nur Metaphern für ein mechanistisches Weltbild, aber nichtsdestotrotz treffen hier die Welt der Magie, verkörpert durch Jack, und Wissenschaft, verkörpert durch die Maschine, auf interessante Weise aufeinander. Der Leser, der Jacks Beobachtungen von Satelliten und so weiter aufmerksam verfolgt hat, fragt sich nun, da der Weltuntergang in Gang gesetzt worden, verwundert, warum der Roman dann noch 30 Seiten weitergeht; ist denn 1 Weltuntergang nicht genug?
Mehr darf nicht verraten werden, aber die Geschichte, die mir niemals langweilig wurde, wartet doch mit etlichen Überraschungen auf, darunter einem gegen den Strich gebürsteten Schöpfungsmythos: Es war nicht Gott, sondern Lucifer, der Lichtbringer, der die moderne Welt schuf. Die Frage ist allerdings, ob die Prinzipien der Magie oder die der Wissenschaft die Zukunft bestimmen werden. Nur eines ist sicher: Das Individuum ist frei zu wählen.
Die Kapitel sind gut, die Zahl der Figuren begrenzt, die Dialoge von bitterer Eleganz, die typisch ist für den Autor. So erlaubt es Jack etwa Evenes Vater, Selbstmord zu begehen und warnt ihn davor, sich wie ein Amateur die Pulsadern aufzuschneiden, sondern zeigt ihm vielmehr, wie es „richtig“ gemacht wird, will man Erfolg haben.
Es gibt viele unerwartete Wendungen, so etwa Jacks Auftauchen in einer modernen Universität (anno 1971) oder einen Berg, der sprechen kann, oder einen Drachen, den Jack mit seinen eigenen Mitteln schlägt. Durchweg ist ironischer Humor am Werk, aber auch eine unerbittliche Entschlossenheit, was das Erreichen von Jacks Zielen anbelangt. Wie diese aussehen, ist die spannende Frage, auf deren Antwort der Leser bis zum Schluss gespannt wartet. Und selbst dann noch warten nette Einfälle.
Dieses Buch wird um zahlreiche schwarzweiße Illustrationen des italienischen Künstlers Giuseppe Festino bereichert. Solche Zeichnungen würden heute viel zu viel kosten, aber damals, ca. 1982, waren sie ein guter Grund, dieses Buch zu kaufen. Und Zelazny-Fans gab es damals, als der doppelte AMBER-Zyklus (s. o.) zum Bestseller wurde, noch jede Menge. Einen Wermutstropfen bildet wieder mal die mit Druckfehlern gespickte Übersetzung.
Taschenbuch: 187 Seiten
Info: Jack of the Shadows, 1971
Aus dem US-Englischen von Hans Maeter, illustriert von Giuseppe Festino
www.heyne.de
Der Autor vergibt: