Stefan Lehnberg – Die Affäre Carambol. Die criminalistischen Werke des Johann Wolfgang von Goethe. Aufgezeichnet von seinem Freunde Friedrich Schiller

Goethe & Schiller unter Verschwörern in Franckfurth

„Das scurrilste Ermittlerduo vor Sherlock Holmes und Dr. Watson!
Gerade saßen Goethe und Schiller noch bey der Mama zum Tee, schon sind sie wieder in einen criminalistischen Fall verwickelt! Geheime Depeschen an Napoleon Bonaparte wecken Befürchtungen, dass sich in Franckfurth eine Verschwörung anbahnt. Ein Glück, dass die scharfsinnigen Dichter zur Stelle sind, um die Stadt vor einer Catastrophe zu bewahren.“ (Verlagsinfo)

Der Autor

Stefan Lehnberg, geboren 1964, ist Autor der Radio-Comedy „Küss mich, Kanzler!“, die seit 2008 ununterbrochen gesendet wird. Seit Jahren ist er in der Berliner Comedy-Szene aktiv und hat als Autor für Harald Schmidt, Anke Engelke, 7 Tage 7 Köpfe, „Titanic“ u.v.a.m. gearbeitet. Sein Roman „Mein Meisterwerk“ wurde mit dem Ephraim-Kishon-Literaturpreis ausgezeichnet. Er lebt in Berlin. (abgewandelte Verlagsinfo)

Handlung

Goethe und Schiller reisen von Weimar nach Frankfurt, um dort den Geburtstag von Goethes Mutter zu feiern. Schon die Hinreise per Kutsche war mit Unfällen gespickt, doch die Plaudereien bei Frau Mama sind hirntötend. Goethe bucht alsbald die Rückreise, als einer der Besucher bei den Geburtstagstees ihn dringend einlädt, sich beim Fürsten von Thurn und Taxis einzufinden. Der Fürst ist nicht irgendjemand, sondern der Reichserbpostminister, also ein Hochwohlgeborener.

Beim Fürsten sitzen nur wenige Herren, doch diese haben ein dringendes Anliegen. Durch abgefangene Depeschen ist ans Licht gekommen, dass eine Verschwörung gegen die Franzosen, die bekanntlich fast ganz Deutschland (bis auf Preußen) besetzt halten, im Gange ist. Die Stadt Frankfurt hat bereits mehrere Belagerungen und Besetzungen erleiden müssen – die zerstörten Häuser konnten noch nicht renoviert werden, weil die Tributzahlungen an Consul Bonaparte alle Kassen ausgetrocknet haben. Nicht auszudenken, wenn die Franzosen noch einmal auftauchen würden, um die Frankfurter zu bestrafen! Und solche Aktion würde sicherlich auch Mama Goethe negativ treffen…

Der oberste Geheimdienstler der Franzosen ist ein Monsieur Montfort, der in Schloss Grüneburg residiert. Doch kein Empfangskomitee nähert sich den beiden dichterischen Ermittlern, sondern – sie trauen ihren Augen kaum – eine brennende Kutsche! Und in dieser sitzt, gefesselt und zappelnd, hilflos eben besagter Montfort. Der Schrecken, der den Ermittlern in die Glieder wird nur übertroffen durch den Anblick des Schlosses, das ebenfalls lichterloh in Flammen steht.

Nachdem sie sich ausgemalt haben, was der französische Polizeiminister Fouché davon zu halten haben würde, bittet Goethe seinen Freund und Verleger Cotta um Vermittlung über dessen Kontakte in Paris. Unterdessen bekommt er eine Einladung zu einer Soiree bei der Baronin von E., die für ihre Unterstützung notleidender Künstler bekannt ist. Schiller darf selbstverständlich mit, doch er ist auf der Hut. Jemand muss ja von ihrem geplanten Besuch bei Montfort Wind bekommen haben und könnte sich auf eben dieser Abendgesellschaft einfinden. Bislang gibt es nur die Beschreibung des Täters, abgegeben von der einzigen Überlebenden des Schlossbrandes: „Es ist Adonis!“, lauten ihre rätselhaften letzten Worte.

Die Soiree beginnt hoffnungsvoll, als Goethe seinen „Jupiterblick“ aufsetzt und entschlossen auf die schöne Baronin zumarschiert. Doch er wird abgefangen von den Herren des geheimen Stadtrats, die Goethe und Schiller engagiert haben. In ermüdenden Gesprächen machen diverse Stadträte – zwei von ihren haben bereits unfreiwillig das zeitliche gesegnet – ihre heimliche Aussage bei den Ermittlern. Schiller registriert mit wachsender Besorgnis, wie sich sein Freund am Alkohol bedient bzw. damit versorgt wird und in eine ausgelassen Stimmung verfällt. Aus der Heiterkeit wird Pöbelei, schließlich Wahnwitz. Da fällt es Schiller als Mediziner wie Schuppen von den Augen: „Vergiftet! Goethe ist vergiftet worden!“

Mein Eindruck

Hilfe erreicht Goethe in letzter Sekunde, doch damit sind die Gefahren und Anschläge auf die beiden wackeren Ermittler noch längst nicht vorüber. Wenig später sieht sich Schiller in einer nächtlichen Gasse von vier abgerissenen Männern umzingelt. Gerade noch rechtzeitig fällt ihm ein, dass er ja eine Pistole bei sich trägt. Er zieht und feuert…

Die Verschwörung, auf die Goethe und Schiller stoßen, involviert Mehl, aber das in ungeheuren Mengen. Warum und wozu derart viel Mehl in die Stadt geschafft wird, noch dazu an einen unbekannten Ort, ist vorerst schleierhaft. Doch die Gefahr, die von einer Verschwörung droht, ist offensichtlich: Die einstmals Freie Reichsstadt, in der 21 europäische Straßen zusammenlaufen, steht unter Kuratel der Franzosen und jede gegen Frankreich gerichtete Verschwörung dürfte schwere negative Folgen haben, bis hin zur Zerstörung.

Wegen des Zeitdrucks irritiert es daher Schiller nicht wenig, dass sich sein Freund auf amouröse Weise mit der Baronin von E. einlässt. Zugegeben, die Dame ist nett, hübsch und nicht auf den Kopf gefallen, doch gäbe es nicht Wichtigeres zu erledigen? Es gäbe beispielsweise ein Bildnis dieses Adonis zu finden. Außerdem kann das viele Mehl, um das es geht, nicht spurlos in der Stadt verschwunden sein. Da kommt den beiden Kriminalern Kommissar zu Hilfe: Adonis gibt es wirklich, und er spielt Billard!

Anders als im ersten Fall “ Durch Nacht und Wind“, in dem Schiller von gewissen Vorfällen anno 1799 berichtet, steht trügerische Schönheit im Mittelpunkt des Falles. Neben all der Action, die ja obligatorisch ist und eine brennende Windmühle involviert, treten zwei ausnehmend schöne Menschen auf: der Adonis selbst, der fortan „der Graf“ genannt wird, und die Baronin von E. Der gewiefte Krimikenner wird schon bald eine Verbindung zwischen ihnen wittern und seine Schlüsse zittern. Doch die Aufklärung über diesen Zusammenhang bringt erst ein Brief aus Lissabon, der Goethe Monate später erreicht. Die Lektüre ist ebenso erhellend wie niederschmetternd.

Die trügerische Doppelbödigkeit der körperlichen Schönheit spiegelt sich in der Architektur der Stadt Frankfurt wider. Der Autor hat ja schon seine Vorliebe für städtische Labyrinthe und Unterwelt in „Durch Nacht und Wind“ bewiesen (in Nürnberg, wenn ich mich recht entsinne). Diesmal zeigt sich Frankfurt von seiner finsteren, verborgenen Seite: eine Unterwelt, die sich das Böse angeeignet hat und von deren Existenz brave Stadtväter nicht einmal zu träumen wagen.

Die abschließende Verfolgungsjagd quer durch die Frankfurter Innenstadt steht einem Hollywood-Thriller in nichts nach. Sie wird auf dem Main weitergeführt und mündet in eine dramatische Szene, die das Buch „unputdownable“ macht. Der oben erwähnte Brief bringt an den Tag, dass nicht alles an dieser turbulenten Fahrt dem Anschein entspricht: So einiges war ganz anders.

Textfehler

Ich fand nur einen Textfehler, der war jedoch recht unschön.

S. 119: „Wohl wa[h]r.“ Das H fehlt.

Unterm Strich

Selbstredend ist das Ermittlerduo an das weltbekannte Duo Sherlock Holmes und Dr. John H. Watson angelehnt. Letzterer ist wie Schiller ein Arzt von Profession, doch Goethe unterscheidet sich deutlich in Anatomie und Geist von Sherlock, so dass er fast noch der interessantere Teil des dynamischen Duos darstellt. Er mag ja in den Dialogen mit anderen das Sagen haben, aber Schiller ist nicht der Bauch und das Herz des Duos, sondern dies trägt Goethe bei. Schiller wäre gerne der einfallsreiche Kopf des Duos, doch mehr als einmal „zermartert er sich das Hirn“ auf der Suche nach einem Einfall, einer spitzen Replik oder auch nur einem guten Reim. Manchmal erweist sich ein drohend erhobener Degen (den unter den Zivilisten nur Hofräte und Adlige führen durften) oder ein abgefeuertes „Terzerol“ als wirkungsvoller.

Beide Spürnasen sind menschlich-allzu-menschlich, und das macht sie sowohl sympathisch als auch nahbar. Die Dichterfürsten gibt es hier nicht – sie werden auf den Boden der banalen Realität heruntergeholt. Der Fall führt nämlich in die letzten Jahre des Deutschen Reiches, das vor 1806, als Napoleon es auflöste, in zahlreiche Fürstentümer gespalten war – mit Ausnahme von Preußen und Österreich-Ungarn, versteht sich, zumindest vorerst.

Der Fall selbst entbehrt nicht einer realen Grundlage, wie uns das Nachwort des Autors aufklärt: Ende 1801, kurz nach den geschilderten Vorgängen, wurde Frankfurt erneut von den Franzmännern besetzt. Eine Verschwörung wie die „Affäre Carambol“ ist deshalb durchaus vorstellbar, denn Kriegsgewinnler gibt es überall. Für Action ist ebenso gesorgt wie für zahlreiche Rätsel. Sehr schön fand ich die skurrilen Figuren, mit denen die Stadt aufwartet, besonders der britische Kunsthändler, der sich als äußerst geschäftstüchtig erweist.

Besonders schön fand ich, dass im Gegensatz zum ersten Band eine richtige Liebesgeschichte vorkommt. Die Baronin von E. und der geheime Geheimrat Goethe – Schiller hat genug davon, das fünfte Rad am Wagen dieser Liebschaft zu spielen und verzieht sich. Am Schluss muss er wie Goethe erkennen, dass auch das Interesse der Baronin an Goethe keineswegs nur dem Dienst Amors geschuldet war, sondern noch einem anderen Zweck diente. So endet dieses vielgestaltete Abenteuer mit einem bittersüßen Nachgeschmack.

Meine Lektüre

Das Buch kommt im idealen Taschenbuchformat daher, ist aber in stabiles Leinen gebunden – siehe Titelbild. Nach einer gewissen anfänglichen Verwirrung über die mehreren Fehlstarts dieser Ermittlung fand ich mehr und mehr Vergnügen an der rasanten Entwicklung des Falls, so dass das Buch zum Pageturner wurde – ideal für Zugfahrten und lange Flüge.

Ich bewältigte die kurtzweylige „lecture“ trotz der vielen seltsamen Schreibweisen – siehe Verlagsinfo – in nur zwei Tagen. Sicherlich ließe sich die Lektüre an nur einem Sonntagnachmittag bewältigen, doch wo bliebe da das Pläsier der Reflexion über das Gelesene?

Hardcover: 237 Seiten
ISBN-13: 9783608503760

www.klett-cotta.de

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