Unterwelt-Anwalt und Strolch Messer lockt einen jungen Mann in die Falle, weil er dessen Schwester entehren will. Das ruft den „Hexer“ auf den Plan. Der selbsternannte Rächer der Enterbten straft jene, die dem Gesetz durch die Maschen schlüpfen. Da auch die Polizei vom Plan des „Hexers“ weiß, muss sich dieser besonders gut tarnen, um seine Mission zu erfüllen … – Angeblich klassischer, tatsächlich statischer, in einem Theaterstück wurzelnder, inhaltlich staubiger, mit Klischeefiguren besetzter Alt-Krimi, dessen Ruf heute eher verwundert.
Das geschieht:
Inspektor Alan Wembury von Scotland Yard übernimmt den „R-Bezirk“ im Londoner Stadtteil Deptford. Hier fühlen sich diverse Größen der Unterwelt heimisch. Zu ihnen gehört der Rechtsanwalt Maurice Messer, der Polizei verhasst als eloquenter Streiter gegen das Gesetz, dem er seine zwielichtigen Klienten immer wieder zu entreißen weiß. Dass Messer selbst ein Verbrecher ist, blieb bisher unbekannt. Aktuell schließt der junge Johnny Lenley ein Geschäft mit ihm ab. Aus vornehmem Hause stammend, aber völlig verarmt, will Johnny die Rückkehr in jene Kreise, denen er sich zugehörig fühlt, auf krummen Wegen erzwingen. Er hat die Perlenkette der Lady Darnleigh gestohlen, deren Verkauf Messer als Hehler übernehmen soll.
Die Polizei ist misstrauisch, aber machtlos, Inspektor Wembury zudem privat in den Fall verwickelt. Er kennt Johnny, desgleichen dessen blutjunge Schwester, die hübsche Mary, für die Wembury mehr als freundschaftliche Gefühle hegt. Messer verfolgt dagegen weniger ehrenhafte Absichten. Die Geldnot der Geschwister ausnutzend, stellt er Mary als ‚Privatsekretärin‘ ein. Als Johnny ihn durchschaut, lässt ihn Messer in eine Falle laufen, die ihn direkt ins Gefängnis bringt. Zwischen der unschuldigen Mary und ihrem schurkischen Arbeitgeber scheint nur noch Inspektor Wembury zu stehen, aber der hält sich fern, weil er fälschlich glaubt, von Mary für die Verhaftung des Bruders verantwortlich gemacht zu werden.
Auf anderer Richtung greift der lange Arm der Gerechtigkeit nach Messer. Der hatte Marys Vorgängerin auf sein Lotterbett gezogen, ausgiebig entehrt und dabei geschwängert. Erst (zu) spät besann sich Gwenda Milton ihrer Ehre und wählte – wie es sich gehört – den Freitod in der Themse. Das weckte den Zorn ihres Bruders, den man ungern gegen sich aufbringt: Henry Artur Milton, genannt der „Hexer“, ist ein international bekannter Verbrecher. Als moderner Vigilant hat er es sich zur Aufgabe gemacht, die Bösewichter dieser Welt dort zu strafen, wo das Gesetz machtlos bleibt: Er bringt sie kurzerhand um!
Dass Milton nach England kommen wird, gilt als sicher: Des Hexers Gattin Cora Ann ist bereits dort eingetroffen, Aber Milton trägt seinen Spitznamen nicht ohne Grund. Er ist ein Meister der Verkleidung und der Täuschung und tritt unter vielen Masken immer genau dort auf, wo ihn seine Verfolger am wenigstens vermuten …
Mythos …
„Es ist unmöglich, von Edgar Wallace nicht gefesselt zu sein!“ Mit diesen Worten warb einst der Goldmann-Verlag für die Romane dieses Verfassers. Zur Dankbarkeit bestand Grund genug, denn über viele Jahrzehnte bildeten seine Werke nicht nur ein Standbein, sondern geradezu das Fundament des Hauses Goldmann. Die fünf Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg eingeführte Reihe der „roten“ Goldmann-Krimis verdankte ihren Ruhm und ihren Erfolg Edgar Wallace; zeitweise stammte jeder zweite Band aus seiner Feder.
Mehr als vier Jahrzehnte wurden diese frühen Goldmann-Krimis immer wieder aufgelegt. In den fünfziger und sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts konnte man in Deutschland die Begriffe „Wallace“ und „Krimi“ durchaus als Synonyme verstehen. In dieser Zeit entstanden auch die unzähligen Wallace-Kinofilme, die noch heute einen festen Bestandteil in den Programmplänen deutscher TV-Sender bilden. Mehrere Generationen von Lesern, Kinobesuchern und Fernsehzuschauern wurden von Edgar-Wallace-Krimis geradezu geprägt.
… und raue Realität
Das ist heute schwer verständlich. „Der Hexer“ ist einer der bekanntesten Wallace-Thriller, doch die Lektüre lässt den Leser, der zuvor womöglich nie ein Werk dieses Schriftstellers gelesen hat, recht ratlos zurück. Nach einem verheißungsvollen Beginn, der das ganze nostalgische Inventar des britischen Kriminalromans zwischen den beiden Weltkriegen auffährt, tritt die Handlung bis zum spannungsarmen Schluss unverkennbar auf der Stelle. Sie verlässt bis auf wenige kurze Episoden nie die staubige Höhle des Übelfingers Messer, und die Protagonisten beschränken sich darauf, gern und ausgiebig zu reden … und zu reden … und zu reden. Kein Wunder, denn „Der Hexer“ hat das Licht der Künstlerwelt nicht als Roman, sondern als Theaterstück („The Gaunt Stranger“, 1925 zusammen mit Sir Gerald DuMaurier verfasst) erblickt, das vom geschäftstüchtigen Wallace kurz darauf umgeschrieben wurde. Wie es seine Art war, hat er sich dabei auf die nötigsten Handgriffe beschränkt, das Honorar eingestrichen und zum nächsten Wettschalter getragen.
Während die (in jeder Hinsicht) blutleere Handlung besonders diejenigen irritiert, die oben erwähnte Edgar-Wallace-Kinofilme kennen – offenbar haben die viel gescholtenen Zelluloid-Handwerker des deutschen Kinos vor der bleiernen Zeit des Autorenfilms doch etwas von ihrem Job verstanden -, ruft die schauerliche Figurenzeichnung echten Ärger hervor. Doppelt fremd erscheint heute die unglaubliche Popularität der Wallace-Krimis, wenn wir mit scherenschnitthaften Karikaturen konfrontiert werden, die der tiefsten Mottenkiste des Stummfilm-Melodrams entsprungen sind. Mary Lenley ist die hilflos-händeringende Schöne, die vom langweilig-edelmütigen Helden vor dem buschigbrauig-lüsternen Bösewicht gerettet werden muss. Nachdem besager ‚Held‘ dies zum tausendsten Male versucht hat und sich doch wieder nicht getraut hat, dem Objekt seiner Bemühungen endlich seine Liebe zu gestehen, während dieses schlicht zu blöd ist, seine verzweifelten Anstalten zu deuten, hat man es einfach nur satt.
Der „Hexer“ selbst kann das Eisen erst recht nicht mehr aus dem Feuer reißen. Das angebliche Genie des Verbrechens, Schrecken der Polizei diverser Kontinente, ist ein selbstgerechter und eingebildeter Rächer, unsympathisch dort, wo Wallace ihn faszinierend erscheinen lassen will, und als dunkle Heldengestalt denkbar ungeeignet.
Fleiß toppt Qualität
Der typische Wallace-Krimi entstand nach dem Baukasten-Prinzip. Drei, vier thematische Grundkonstellationen und einige wenige Knallchargen – zu den oben erwähnten Figuren gesellen sich u. a. der rasende Reporter, der kauzige Adlige, der treuherzige Kleinkriminelle – mussten ausreichen, um knapp 200 Seiten zu füllen: Wallace hatte weder die Geduld noch vor allem die Zeit, sein zweifellos vorhandenes erzählerisches Talent zu entfalten. Zahllose Gläubiger stets dicht auf den Fersen, diktierte er seine Bücher quasi direkt in die Druckerpresse. Trotzdem muss er lange Zeit einen Nerv berührt haben, auch wenn es heute schwerfällt zu entscheiden, welcher dies gewesen sein könnte. Ursprünglich war es wohl der Reiz, den rasante Trivialliteratur durchaus ausstrahlen kann. Hinzu kam die pure Quantität der einschlägigen Titel: Wallace warf einen Thriller nach dem anderen auf den Buchmarkt. Man kam gar nicht umhin, ihn zur Kenntnis zu nehmen.
Im Deutschland der Wirtschaftswunderzeit war es dann die Werbung, die erfolgreich „spannende Krimis mit Niveau“ ankündigte. Man macht sich heute keine Vorstellung mehr davon, wie dreist sich profitorientierte Verlage vor ihr Publikum hinstellen und ihm Qualität suggerieren konnten. Wer weiß heute noch, dass sich Goldmann z. B. offen damit brüstete, dem „harten“ Thriller à la Raymond Chandler oder Dashiell Hammett kein Forum zu bieten? Diese beleuchteten offenkundig zu deutlich die dunklen Seiten der zeitgenössischen Gesellschaft. Die naiven Krimis des Edgar Wallace waren dagegen ungefährlich in einem Land, das nicht nur in der Politik der Devise „Keine Experimente!“ folgte; sie spielten in einem harm- und zeitlosen Märchenland, in dem Gut und Böse auf den ersten Blick zu erkennen, die Frauen rein, die Männer hochherzig waren, väterliche Polizei-Autorität für Zucht und Ordnung sorgte und der Schurke ganz sicher im Finale seine gerechte Strafe erhielt.
Dieselben Gründe, die Edgar Wallace die oberen Ränge der Bestseller-Listen garantierten, führten später zu seinem Fall. Auch in Deutschland, wo er lange beliebter war als in seiner britischen Heimat, ist Wallace heute keineswegs vergessen, wurde aber von der Zeit eingeholt. Ein wenig erwachsener ist das lesende Publikum doch geworden. Sporadisch hält der Goldmann-Verlag seinem einstigen Goldesel die Treue und veröffentlicht einige Titel neu. Dabei wird auf den Nostalgie-Faktor gesetzt, und das ist wohl der richtige Weg, denn nur auf diese Weise lassen sich Geschichten wie der vom „Hexer“ noch unterhaltsame Seiten abgewinnen.
„Der Hexer“ erfuhr übrigens eine Fortsetzung; in diesem Punkt war Wallace ganz modern. „Again the Ringer“/„The Ringer Returns“ (dt. „Neues vom Hexer“) ist ein beinahe bizarres Werk; eine Sammlung von Kurzgeschichten um Henry Artur Milton, die der Autor durch schlampig formulierte überleitende Passagen notdürftig zu einem ‚Roman‘ zusammengeklittert hat.
„Der Hexer“ im Film
Noch zu seinen Lebzeiten konnte Edgar Wallace die ersten Filme nach seinen Romanen anschauen (und dafür kassieren). „The Ringer“ kam 1928 erstmals ins Kino. In den folgenden Jahrzehnten wurde die Geschichte vom „Hexer“ mehrfach neu aufgelegt; bereits 1932 folgte eine deutsch-österreichische Fassung.
Quasi repräsentativ für die filmische Umsetzung ist allerdings die Version von 1964. Mehrere Jahre überrollte eine wahre Flut von Wallace-Filmen die deutschen Kinos. Wie am Fließband entstand – oft unter Einsatz derselben und vom Publikum geforderten – Schauspieler Krimi auf Krimi als handwerklich kompetente B-Movie-Unterhaltung.
„Der Hexer“ von 1964 war eine Produktion der Berliner Rialto-Film. Routinier Alfred Vohrer inszenierte nach einem Drehbuch von Herbert Reinecker und u. a. mit Joachim Fuchsberger, Heinz Drache, dem Wallace-Film-Faktotum Eddi Arent sowie René Deltgen als Arthur Milton einen der erfolgreichsten Titel der Endlos-Serie. Selbstverständlich gab es deshalb schon 1965 „Neues vom Hexer“.
Autor
Angesichts des Rufes, den Edgar Wallace (1875-1932) noch heute auch bzw. vor allem in Deutschland genießt, wäre es überflüssige Arbeit, sein Leben und Werk an dieser Stelle darzustellen. Selbst der deutsche „Wikipedia“-Eintrag erfüllt seinen entsprechenden Informationsauftrag zufriedenstellend.
Taschenbuch: 190 Seiten
Originaltitel: The Ringer (London : Hodder & Staughton 1926)
Übersetzung: Gregor Müller
https://www.randomhouse.de/Verlag/Goldmann
Der Autor vergibt: