Sterling Noel – Die Fünfte Eiszeit

_Das geschieht:_

Ein kalter, verregneter Frühling hat es schon angekündigt, aber dennoch erwischt es die Republik Nordamerika buchstäblich kalt, als im Spätsommer 2203 eine neue Eiszeit einsetzt. Schneefälle und Minustemperaturen jenseits aller Erträglichkeit lähmen die gesamte Erdzivilisation und bringen sie schließlich zum Zusammenbruch. Kaum eine Million Nordamerikaner überleben das Fiasko. Ihre einzige Chance bedeutet der Zug in die schmalen Landstriche, die am Erdäquator vom Eis und von der schlimmsten Kälte verschont blieben. Doch der Weg dorthin ist weit, gefährlich und strapaziös.

Dr. Gabriel Harrow, Meteorologe und Nobelpreisträger, muss die Erfahrung machen, von seiner Regierung ignoriert zu werden, als er ein baldiges Ende der Eiszeit für unmöglich erklärt. So beschließt er, kluge Köpfe, Freunde und einige Arbeiter fürs Grobe um sich zu scharen, eine fahrbare Miniatur-Arche zu bauen und wohl ausgerüstet gen Süden zu reisen. Victor Savage, ein ehemaliger Soldat und Harrows Schüler, übernimmt das Kommando.

Über bald kilometerdickes Eis und durch Schneestürme kämpft sich die kleine Gruppe voran. Hin und wieder treffen sie auf andere Überlebende, von denen sich jedoch kaum jemand anschließen mag. Die Strapazen der Reise werden geschürt durch interne Querelen. Geile Töchter, dumme Kerls, überschnappende Ausländer und Meuterer sorgen dafür, dass sich die Harrow-Gruppe stetig dezimiert. Aber man schlägt sich bis an die Atlantikküste durch, wo man hofft, ein Schiff zu bemannen und Brasilien ansteuern zu können …

_Apokalypse in Abschnitten_

Zur Abwechslung lösen also nicht die bösen Sowjets erst den Dritten Weltkrieg (atomar) und dann den Untergang der Erde aus. (Tatsächlich hat man bereits WK Nummer IV hinter sich; die Chinesen warens!) Das Wetter ist es, das verrücktspielt. Als dieser Roman entstand, war noch nicht Umweltverschmutzung mit nachfolgender Global-Erwärmung der Auslöser; dies waren damals nur Themen für Eierköpfe und Konsum-Spielverderber. Stattdessen muss die Erde durch ein kosmisches Staubfeld sausen, das für die dramaturgisch erwünschte Abkühlung sorgt.

Verfasser Sterling Noel holt aus der Kulisse der in Eis und Schnee erstarrenden Erde viel heraus, wobei er sich ungeschickt auf einen Ausschnitt des Geschehens beschränkt. Von den Tragödien, die der Zusammenbruch mit sich bringt, erfahren die Personen der Handlung ebenso wie die Leser nur zufällig und indirekt durch TV-Sendungen und Funksprüche, später durch den Besuch von Orten, an denen sich Schauerliches meist schon abgespielt hat.

Obwohl die Erde friedlich einfriert, ist „Die Fünfte Eiszeit“ (Nr. 1-4 sind übrigens die uns bekannten Eiszeiten der Vergangenheit) eine „Post Doomsday“-Geschichte, wie sie genau in die Zeit des Kalten Krieges zwischen den Supermächten USA und UdSSR (plus andere rote Schurkenstaaten) passt, zu der bereits den Schulkindern das Verhalten bei einem Atomschlag eingeübt wurde. Insofern stellt „Die Fünfte Eiszeit“ eine weitere Lektion dar. Wenns tatsächlich mal schiefgehen sollte mit dem Gleichgewicht des Schreckens, musste das nicht das Ende bedeuten; einige starke Männer & Frauen konnten durchaus überleben. Tröstlich, nicht wahr?

|Sie streiten viel und lernen wenig|

Die Figurenzeichnung kann mit der fast dokumentarisch präsentierten Handlung nicht mithalten. Noel präsentiert uns eine denkbar unsympathische Gruppe. Harrow und die Seinen klinken sich aus der Rettung dieser Welt aus, weil die dumme Regierung nicht auf sie hören will. Stattdessen bunkern sie sich an einem zunächst sicheren Ort ein, nutzen ihren Informationsvorsprung, um sich mit Technik und Lebensmitteln einzudecken, sorgen ausschließlich für ihr eigenes Wohl und entdecken ihre Nächstenliebe erst wieder, als das Kind in den Brunnen gefallen ist bzw. die meisten Menschen tot sind.

Das ist vermutlich realistisch. Auch die Auseinandersetzungen innerhalb der Gruppe wirken überzeugend. Angst und Dauerkrisen locken einerseits die guten Eigenschaften des Menschen hervor. Andererseits aber auch nicht, was Noel zum Teil anschaulich in fast unwirklichen Szenen zu schildern weiß. Sie zeigen immer wieder Menschen, die über die Katastrophe zu triumphieren versuchen, indem sie diese schlicht ignorieren.

Positiv fällt weiterhin der grimmig-realistische Tenor dieser Geschichte auf. Sicherheit gibt es weder für die Protagonisten noch für die Leser. Immer wieder müssen wir uns überraschend von (halbwegs) lieb gewonnenen Charakteren verabschieden: Die Apokalypse verschont nicht einmal jene, die sich an die neuen Spielregeln halten.

|Expedition der Klischee-Exemplare|

Andererseits stellt sich Noel allzu oft selbst ein Bein, indem er sich auf die bekannten Klischees des Katastrophen-Romans verlässt. Seine Darsteller bilden einen schematischen Querschnitt durch die Bevölkerung. Auf diese Weise ist sichergestellt, dass jede gesellschaftliche Schicht (oder wenigstens die relevanten Kasten) ihre Identifikationsfigur bekommt, was dem Erfolg des Werkes nur zuträglich sein kann.

Also treten auf: Schwächlinge und Verräter. Hier bilden u. a. eine liebestolle Farmerstochter, ein disziplinloser Mechaniker oder ein amoklaufender Araber (ja, ja, die Ausländer …) die Gegner der hart für das Überleben der Gruppe schuftender Militärs und Wissenschaftler. Zum Wohle der Gemeinschaft ist hart durchzugreifen, was es manchmal auch erforderlich macht, einen ganz üblen Schurken mit der Strahlenkanone hinzurichten. Es muss sein – und stellt Euch schon einmal darauf ein, liebe Leser, dann seid auch Ihr bereit, sollten Euch ähnliche Katastrophen heimsuchen!

So wird jedenfalls im Zeitalter des Kalten Krieges sacht mit dem Schlimmsten gerechnet. Wenn es ganz dick kommt, werden und dürfen nur die Besten überleben: entschlossene Führergestalten und junge, starke Männer, die ihnen folgen; dazu noch jüngere Frauen, die treu zu ihnen halten und zukünftige Generationen von Pionieren (und Soldaten) gebären …

_Autor:_

Es gibt kaum Informationen über Noel Sterling (1903-1984) im Internet. Ein typischer Magazin- und Taschenbuch-Autor der ersten Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg ist er wohl gewesen, der alle Sparten der Unterhaltungsliteratur bediente und neben weiteren Science-Fiction-Romanen u. a. Krimis schrieb. Gemeinsam ist seinen Werken die inhaltliche Anlehnung an wirklich originelle oder doch wenigstens beliebte Vorbilder. Dass er diese zwar handwerklich kompetent, aber eher mechanisch kopiert, trug sicherlich entscheidend dazu bei, ihn zu einem vergessenen Autor werden zu lassen.

|Taschenbuch: 154 Seiten
Originaltitel: We Who Survived (New York: Avon Books 1959)
Übersetzung: Fritz Moeglich
Deutsche Erstausgabe: 1962 (Wilhelm Heyne Verlag/Allgemeine Reihe Nr. 267, neu aufgelegt als Heyne Science Fiction Nr. 06/3022)
ASIN: B0000BM0ZE|
[www.randomhouse.de/heyne]http://www.randomhouse.de/heyne