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Szerb, Antal – Pendragon-Legende, Die

_Ironischer Krimi zwischen Realität und Fantastik_

Zwei höchst unwahrscheinliche Helden geraten im England des Jahres 1933 in einen Erbschaftskrieg, in dem es durchaus Tote gibt. Der eine ist unser Berichterstatter, ein Doktor der Philosophie, der andere ein Oxforder Student von gerade mal 18 Jahren. Erstaunlicherweise behaupten sich beide gegen die Machenschaften der Gegenseite, die es auf den Earl of Gwynedd abgesehen hat. Doch sie werden von einer energischen Deutschen unterstützt, die immer den richtigen Einfall hat, wenn Not am Mann ist.

|Der Autor|

Antal Szerb, geboren 1901 in Budapest, studierte Hungarologie, Germanistik und Anglistik. 1937 wurde er Professor für Literatur an der Uni Szeged. Bis heute ist er in Ungarn einer der meistgelesenen Schriftsteller. Szerb starb 1945 im KZ Balf in West-Ungarn. In seinen wenigen Lebensjahren hat er viele Romane, Essays und Übersetzungen veröffentlicht, u. a. eine „Ungarische Literaturgeschichte“.

|Der Sprecher|

Heikko Deutschmann war nach seinem Schauspielstudium Ensemblemitglied an der Berliner Schaubühne, am Hamburger Thalia Theater, im Schauspiel Köln und Schauspielhaus Zürich. Mittlerweile ist er in zahlreichen Film- und Fernsehrollen zu sehen gewesen, so etwa „Der Laden“, „Operation Rubikon“, „Der Aufstand“ oder Die Affäre Kaminski“.

_Handlung_

London im Jahre 1933. Janos Bathoy (ausgesprochen: janosch batki), 32, geboren in Budapest, ist Historiker, Doktor der Philosophie und erzählt, wie es kam, dass er den Earl of Gwynedd kennen lernte und von diesem eingeladen wurde, seine Bibliothek zu benutzen. Aber was soll an einer Bibliothek schon Besonderes sein, fragt man sich. Allerdings wird Janos von mehreren Seiten davor gewarnt, die Einladung anzunehmen und nach Wales zu fahren. Hätte er doch auf sie gehört!

Als Philosoph beschäftigt sich Janos gerade mit den englischen Mystikern des 17. Jahrhunderts, darunter einem gewissen Robert Flood, seines Zeichens Magier und Hexenmeister, auf den der Earl große Stücke hält. Natürlich stehen dessen Bücher in seiner Bibliothek. Und was das für eine sein mag? „Seit 85 Jahren hat niemand mehr die Pendragon-Bibliothek gesehen“, sagt ein Freund. Aber ein anderer Mann erwarnt, ganz anonym: „Doktor Macgregor ist bei einem Autounfall gestorben – Janos’ Vorgänger.“ Bathoy ist perplex und untersucht diese seltsame Familie erst einmal.

Der erste Earl baute Burg Pendragon, nachdem er 1490 geadelt worden war und ein Lehen in Nordwales bekommen hatte. Pendragon bedeutet auf Walisisch „Drachenkopf“. Sehr interessant ist der sechste Earl namens Asaph, ein Rosenkreuzer und Hexenmeister, der an die Unsterblichkeit des Fleisches glaubte. Und hier kommt wieder besagter Robert Flood ins Spiel. Dieser Schüler des berühmten Paracelsus machte Burg Pendragon zu seiner zweiten Heimat. Natürlich arbeitete er mit Asaph zusammen, als dieser den Stein der Weisen suchte.

Asaph wurde nach seinem Tod noch berühmter, als er in den Sagen und Märchen der Gegend als „mitternächtlicher Reiter“ und strafender Richter auftrat. Und der aktuelle Earl, der es seit 1902 ist, soll ein Wunderheiler sein und ein neues Tier erfunden haben, das nur im Dunkeln lebe. Aber das sei natürlich Unsinn, sagen Janos’ Freunde. Bathoys Neugier ist geweckt.

|Aus Irland|

Auftritt George Maloney. Dieser irische Ex-Soldat aus dem entlegenen County Connemara ist zwar ein moderner Münchhausen, aber ein lustiger Geselle, der den Frauen keineswegs abhold ist. In der Bar des Savoy-Hotels bittet er die süße Pat O’Brien zu ihm, Janos und Osborne Pendragon an den Tisch. Osborne, der Neffe des Earls und Student in Oxford, ist zwar erst 18, aber schon zum Sterben gelangweilt von der Welt. Er produziere gerne Gespensteraufnahmen, sagt er Janos. Von Frauen hält er leider gar nichts und verabschiedet sich zeitig. Höchste Zeit, sich zu besaufen, findet Maloney.

Nicht lange und Janos fällt trotz seines Schwipses auf, dass der Ire ihn aushorcht. Er dreht den Spieß um und fühlt seinerseits Maloney auf den Zahn, um herauszufinden, was er im Schilde führt. Es stellt sich heraus, dass der Earl of Pendragon ein potenzieller Milliardenerbe ist! Sollte sich herausstellen, dass der Milliardär Roscoe eines „gewaltsamen Todes“ gestorben ist, so fiele dem Earl dessen Erbe zu – und nicht dessen Witwe, der ehemaligen Verlobten des Earl. Woher diese Verbundenheit mit den Pendragons? Roscoe hatte dem Vater des jetzigen Earls die Finanzen geführt und sein Vermögen gemehrt.

Und was hat es mit diesem „gewaltsamen Tod“ auf sich? Tja, nun, Roscoe starb an einer Tropenkrankheit mit einem unaussprechlichen Namen. Und was soll Janos dabei? Ganz einfach, meint Maloney: Als Tropenarzt könne Doktor (!) Bathoy ja wohl ohne weiteres feststellen, ob bei Roscoes Krankheit ein wenig, äh, „nachgeholfen“ wurde. Falls ja, wäre der Tatbestand des „gewaltsamen Todes“ erfüllt. Janos erkennt, dass er das Zünglein an der Waage in einem superheiklen Erbschaftsstreit spielen soll. Na prost!

|In Wales|

Maloney ist von Osborne Pendragon eingeladen worden, ebenfalls das Schloss in Wales zu besuchen – na, so ein Zufall, was? Und wie schön, dass Miss Eileen St. Clair sich bereit erklärt hat, sie bis Chester in ihrem Auto mitzunehmen. Janos lehnt zwar nicht ab, aber nun kommen ihm erste Zweifel. Denn er hat dieses Frauenzimmer in unguter Erinnerung. Drei Jahre zuvor gewährte sie seinem Freund Christofoli, einem völlig in sie vernarrten Archäologen, einen One-Night-Stand, reiste aber gleich am nächsten Morgen ohne ihn ab. Von seinem gebrochenen Herzen und seinem verwirrten Verstand erholte sich sein Freund nie wieder.

Was Eileen St. Clair im Schilde führt, wird erst am Ende der Strecke nach Chester klar, als man sich der walisischen Grenze nähert und sie sich an Janos wendet. Er möge doch bitte dem Earl einen Ring von ihr überbringen. Aber er dürfe unter keinen Umständen den Namen des Besitzers, also ihren, erwähnen. Ritterlich erklärt sich Janos dazu bereit, obwohl er angesichts dieser erneuten Intrige der Dame seine Zweifel hat.

|Auf Schloss Llanvygan|

Er reist mit Maloney weiter, bis Osborne sie vom Bahnhof abholt und zum neuen Schloss bringt, das wesentlich heiterer anmutet als die düstere Stammburg oben auf dem Felsen. Wesentlich trägt zu diesem Eindruck Cynthia, die hübsche Nichte des Earls und Osbornes Schwester, bei. Schon in der ersten Nacht ereignet sich Seltsames. Als er Stimmen hört, begibt sich Janos auf den Korridor. Er muss feststellen, dass ihm jemand die Patronen aus dem Revolver entwendet hat. Auch das Päckchen, das ihm Maloney zur Aufbewahrung übergeben hatte, ist verschwunden. Und auf dem Korridor steht ein riesiger alter Kerl, der ihn wie ein Gespenst anschaut. Es handelt sich offenbar um den Butler mit dem Namen John Griffith. „Sie sollten nachts auf Ihrem Zimmer bleiben“, empfiehlt er düster und verschwindet.

Diese gespenstische Begegnung ist nur der Auftakt zu einem unheimlichen und turbulenten Aufenthalt auf dem Schloss der Pendragons.

_Mein Eindruck_

Dieser Roman, der doch so viel mit Historie zu tun hat, hebt sich wohltuend von der aktuellen Flut historisierender Thriller Marke Dan Brown ab, indem er zwar ebenfalls uralte Geheimorden-Geheimnisse mit einer Krimihandlung verknüpft, aber dies dann doch wieder fein säuberlich zu trennen weiß. Dies gelingt mit einer ironischen Distanz, zu der vor allem die reservierte und objektiv sich zurückhaltende Erzählhaltung Janos Bathoys beiträgt. Aber auch Osborne Pendragon lässt sich in seiner englischen Unterkühltheit nicht so leicht ins Bockshorn jagen.

Bathoy, Osborne und Maloney sind drei Geisterjäger, die dem Geheimnis des „mitternächtlichen Reiters“ auf den Grund gehen wollen. Dabei gehen sie aber nie so weit, alles fein säuberlich auseinander zu klamüsern und bis ins Letzte zu erklären. Nein, der Leser bzw. Hörer muss die Schlussfolgerung, die ihm und ihr nahe gelegt wird, gefälligt selbst ziehen. Der Autor bevormundet nicht, was er für einen mündigen Leser hält, sondern fördert ihn auf dem gewünschten Weg.

Der mündige und hoffentlich auch erwachsene Leser bzw. Hörer sollte deshalb auch keinerlei Probleme damit haben, wenn sich Janos Bathoy auf eine ziemlich schräge Weise mit seiner Erzfeindin Eileen St. Clair einlässt. Das Rededuell, das sich die beiden liefern, kann sich sehen lassen, und die emotionalen Schachzüge, die Eileen einsetzt, qualifizieren sie als eine ebenbürtige Spielerin um Macht und Reichtum, vor der sich Janos wohlweislich in Acht nimmt. Was ihn nicht daran hindert, seinem körperlichen Verlangen nachzugeben und mit ihr zu schlafen. Die Folgen lassen nicht auf sich warten, aber wenigstens ist er in einer Hinsicht standhaft geblieben: Er hat die verlangte Zeugenaussage, er habe Maloneys Mörder gesehen, nicht geschrieben.

Es gibt aber eine Schwäche des Plots, die man nur mit Nachsicht hinnehmen kann. Mehrere Kapitel lang wissen die Geisterjäger Osborne und Janos, dass sich auf Schloss Pendragon ein Spion und Verräter aufhalten muss, doch es gelingt ihnen nicht, sie oder ihn ausfindig zu machen – es gibt einfach zu viel zu tun, weil die Gegenseite nicht schläft und erneute Angriffe startet. Es fällt den beiden Heroen nicht ein, einmal nachzufragen, um wen es sich bei Cynthias „bester Freundin“ eigentlich handelt. Als es dann passiert, fallen sie aus allen Wolken – das Puzzle setzt sich zusammen und alles klärt sich. Doch so viel Naivität kommt mir recht unwahrscheinlich vor. Wen mann schon jeden im Schloss verdächtigen muss, warum wird dann Cynthia davon ausgenommen?

SPOILER!

Im Finale gibt es eine klischeehafte Szene, die aber äußerst ungewöhnlich präsentiert wird und zu dem positiven Eindruck des Buches beiträgt. Klischee: Ein schwarzmagisches Ritual samt menschlichem Opfer wird ausgeführt, und der Beobachter bzw. Erzähler nimmt daran teil. So weit, so schön. Ungewöhnlich ist jedoch, dass sich der Beobachter / Teilnehmer / Ich-Erzähler in einem Geisteszustand befindet, in dem es ihm so erscheint, als wäre er nicht er selbst, sondern jemand anderes. Er wird an einer Stelle von einem Gnomen als „Benjamin Avravanel“ angeredet. Dieser Name sagt unserem Gewährsmann nichts. Aber er kann nichts dagegen tun, als der Zeremonie, in der Satan angerufen wird, beizuwohnen, ob er will oder nicht. Doch dann wird eine Frau hereingeführt, die er von früher kennt …

Die Qualität dieser Szene ist die eines Traums. Doch es geschehen dabei Dinge mit realen, allzu realen Folgen, wie Janos später feststellen muss. Der einzige Mensch, dem er diesen Traum anzuvertrauen wagt, ist der Earl of Gwynedd himself. Und dieser zeigt gottlob volles Verständnis für die unglaubliche Story, die Janos ihm da auftischt. Denn wir dürfen nicht vergessen, dass der Earl in die Geheimnisse der Rosenkreuzer eingeweiht ist und sicherlich sofort das Ritual erkannt hat. So dürften Asaph Pendragon und Robert Flood seinerzeit vorgegangen sein. Doch wer war der Schwarzmagier, der das Ritual in jenem Gewölbe auf dem Bergplateau ausführte? War es der „unsterbliche“ Asaph, der „mitternächtliche Reiter“ oder der aktuelle Earl selbst? Das bleibt der Fantasie des Lesers bzw. Hörers überlassen.

SPOILER ENDE

Die Krimihandlung ist geprägt von ebenfalls ungewöhnlichen Elementen. Mehrmals sitzt Janos in der Patsche, aus der ihn das ungleiche Pärchen Osborne und Lene Kretzsch wieder heraushaut. Lene kennt er aus Deutschland, und Janos spricht, wie Osborne, ausgezeichnet Deutsch. Diese Fähigkeit ist in jener Zeit vor dem Jahr 1933 vielleicht der Vorliebe des Autors geschuldet. Natürlich erweist sie sich als höchst nützlich. Aber dass auch englische Ärzte deutsch sprechen, finde ich dann schon recht ungewöhnlich.

Die Krimihandlung, die sich um den Erbschaftskrieg zwischen den Pendragons und den Roscoes dreht, ist action- und temporeich inszeniert. Nie kommt irgendwelche Langeweile auf. Dieser Roman ist keine Romanze aus der englischen Provinz, sondern höchst kosmopolitisch. Von einer heiligen Dreifaltigkeit der Einheit von Ort, Zeit und Personen kann hier nur begrenzt die Rede sein. Die Wege der Figuren führen kreuz und quer durch England. Auch die Vergangenheit erweist sich als höchst lebendig. Der geistige Raum des Romans ist somit ziemlich groß und passt überhaupt nicht in den Schaukasten einer Bühne oder eines Fernsehers.

|Der Sprecher|

Heikko Deutschmann ist ein kongenialer Sprecher dieses szenenreichen Textes. Was die Flexibilität seines stimmlichen Ausdrucks angeht, kann er es ohne weiteres mit Rufus Beck aufnehmen. So fällt es ihm leicht, die einzelnen Figuren zu charakterisieren und unverwechselbar zu machen. So etwa ist der irische Abenteurer George Maloney stets an seiner soldatisch knappen Ausdrucksweise zu erkennen.

Der blasierte Osborne Pendragon klingt hingegen so schwach, als würde er gleich das Zeitliche segnen, obwohl er erst 18 Lenze zählt. Der Sprecher scheut sich auch nicht, sich die Nase zuzuhalten und eine durchs Telefon verzerrte Stimme nachzumachen. Und als das „Gespenst“ erstmals auftritt, besteht seine Stimme mehr aus einem Schauder erregenden Hauchen als einem Artikulieren.

Nur mit Deutschmanns Aussprache walisischer Namen habe ich meine Probleme. Ortsnamen wie Llandudno und Llanvygan, der das Schloss der Pendragons, werden nach meinen Informationen anders ausgesprochen. Deutschmann spricht die Vorsilbe Llan- immer „schlan-“ aus, dabei sollte dies ein Hauchlaut sein: „chlan“. Das klingt vielleicht nicht so flüssig beim schnellen Vorlesen, aber es wäre durchaus machbar. Dass die zweite Silbe „-vygan“ dann wie im Englischen „waig(e)n“ausgesprochen wird, kommt mir ebenfalls unpassend für ein walisisches Wort vor. Es sollte richtiger „vig(e)n“ lauten.

Ansonsten sind ungarische, französische, italienische, deutsche (sowieso) und englische Namen und Titel alle korrekt ausgesprochen, so dass ich Deutschmann ohne weiteres Mehrsprachigkeit attestieren kann.

Über Musik und Geräusche verfügt diese Lesung nicht, so dass ich sie nicht weiter zu erwähnen brauche.

_Unterm Strich_

„Die Pendragon-Legende“ bietet eine erfrischende Abwechslung in der mittlerweile als Einheitskost verabreichten Mode der historischen Thriller. Krimi ist hier mit Romanze, Erbschaftskrieg mit Geistererscheinungen auf respektlose Weise verquickt. Der Leser bzw. Hörer kann sich auf eine mit überraschenden Wendungen gespickte Handlung gefasst machen.

Im Gegensatz dazu steht das Titelbild, das einen eher kontemplativ veranlagten Mann beim Rauchen und Sinnieren zeigt. Nichts könnte der Story ferner liegen. Janos Bathoy mag ja ein Philosoph und rechter Bücherwurm sein, doch man lässt ihn nicht zur Ruhe kommen. Dafür sorgen schon die Frauen und Scherzkekse wie Maloney und Osborne Pendragon. Die Rätsel, die sich ihm bieten, löst er nicht restlos auf. Dem Publikum bleibt also noch etwas zu tun übrig – ein weiterer Unterschied zu Thrillern wie „Sakrileg“ und „Illuminati“.

Heikko Deutschmann macht den Text zu einem lebhaften akustischen Erlebnis. Selten habe ich Besoffene so humorvoll und hinterhältig nuscheln gehört, selten haben sich Mann und Frau verbal einen so durchtriebenen Schlagabtausch geliefert. Da fallen die Eigenwilligkeiten in der walisischen Aussprache nicht mehr ins Gewicht.

Wem „Die Pendragon-Legende“ gefallen hat, sollte auch „Die Reise im Mondlicht“ lesen oder hören.

|Originaltitel: A Pendragon legenda, 1934
Aus dem Ungarischen übersetzt von Susanna Großmann-Vendrey
383 Minuten auf 5 CDs
Siehe auch unsere [Rezensionen 955 zur Buchfassung der „Pendragon-Legende“.|

Antal Szerb – Reise im Mondlicht (Lesung)


Selbstfindung: Odyssee des traurigen Narren

Was als Hochzeitsreise durch Italien beginnt, endet als Entdeckungsfahrt zum eigenen Ich. Erzählt wird die von heimtückischer Komik durchsetzte „éducation sentimentale“ eines Mannes, der während der Flitterwochen seine Frau verliert, weil er den Zug verpasst.

Der Autor

Antal Szerb, geboren 1901 in Budapest, studierte Hungarologie, Germanistik und Anglistik. 1937 wurde er Professor für Literatur an der Uni Szeged. Bis heute ist er in Ungarn einer der meistgelesenen Schriftsteller. Szerb starb 1945 im KZ Balf in West-Ungarn. In seinen wenigen Lebensjahren hat er viele Romane, Essays und Übersetzungen veröffentlicht, u. a. eine „Ungarische Literaturgeschichte“.

Der Sprecher

Heikko Deutschmann war nach seinem Schauspielstudium Ensemblemitglied an der Berliner Schaubühne, am Hamburger Thalia-Theater, im Schauspiel Köln und Schauspielhaus Zürich. Mittlerweile ist er in zahlreichen Film- und Fernsehrollen zu sehen gewesen, so etwa „Der Laden“, „Operation Rubikon“, „Der Aufstand“ oder „Die Affäre Kaminski“.

Bei dieser gekürzten Lesung führte Margrit Osterwald Regie und für den guten Ton sorgte Ansgar Döbertin.

Handlung

Der Ungar Mihaly, 36, und seine neue Frau Erzy machen auf ihrer Hochzeitsreise Anfang der 1930er Jahre auch in Venedig Station. Er hat schon in Großbritannien und Italien gelebt, aber in Venedig ist er das erste Mal. Für Erzy, die von der Kunstgeschichte der Stadt begeistert ist, ist Mihaly der zweite Mann, nach einem gewissen Zoltan Pataki. Warum hat sie Zoltan bloß ziehen lassen, fragt sie sich. Mihaly ist ein Hypochonder, ein Angsthase, schwach, wirkt wie gehetzt. Sein Geheimnis: Er hat eine besondere Form der Agoraphobie, der Furcht vor weiten Plätzen. Wie in einem Anfall erblickt er einen Wirbel im Boden, der ihn einsaugen und in die Tiefe zerren will …

In Ravenna stolpert Mihaly über einen ungarischen Bekannten, doch von Janos, diesem „Hochstapler“, will er nichts wissen, obwohl der ein ehemaliger Klassenkamerad ist. Er glaubt, dass Janos ihm eine Uhr gestohlen hat. Janos erzählt, er habe den Klassenkameraden Erwin in einem Kloster nahe Rom gefunden. Man stelle sich vor: Erwin als Mönch!

Budapest, 1914 bis ca. 1933

Um seiner Frau seine Reaktion zu erklären, muss Mihaly ihr des Langen und Breiten von seiner Jugend in Budapest erzählen. Ich muss das nicht tun, aber es gibt ein paar enge Freunde, die zu erwähnen sind, weil Mihaly sie im Verlauf der Geschichte wiedersehen wird.

In der alten Burg von Buda lebte damals, während des 1. Weltkriegs, das Geschwisterpaar Tomás und Eva Ulpius. Sie standen einander so nah, dass sie sogar im gleichen Zimmer schliefen! Aber sie sind auch eifersüchtig aufeinander und kabbeln sich ständig. Mihaly betrachtet Tomás als seinen Freund und spirituellen Lebensretter, weil er ihn vor einem dieser imaginären Wirbel gerettet hat.

Gerne schließt er sich der kleinen Theatergruppe der Geschwister an, mit denen er die Commedia dell’arte pflegt. Alle diese improvisierten Stücke enden mit einem gewaltsamen Tod. Tomás gab den tragischen Prinzen, Eva natürlich die edle oder auch weniger edle Dame und Mihaly liebte es, das Opfer aus erotischen Gründen zu spielen. Wobei seine Liebe natürlich Eva gehörte, denn sie war sehr schön. Doch Tomás war sein Ideal. Dies war Mihalys „glücklichste Zeit in seinem Leben“.

Aber der achten Klasse kamen auch Erwin, 16, ein zum Katholizismus konvertierter Jude, und der schon erwähnte Janos hinzu. Doch der poetische Erwin ist auch ein Rebell und Casanova. Als er Eva anbaggert, macht er sich Mihaly zum Feind. Erst nach dem Abitur versöhnen sich alle wieder und spielen Theater. Ein Jahr vergeht, dann fällt alles auseinander. Getrennt von Eva, begeht Tomás seinen zweiten Selbstmordversuch, doch auch dieser misslingt. Er wollte halt wissen, wie es ist. Mittlerweile sind sie 20 Jahre alt, müssen arbeiten oder studieren. Das ist so frustrierend, dass Tomás mit Mihaly einen erneuten Suizid versucht, diesmal mit Morphium, das Eva besorgt. Aber sie ruft auch die Ambulanz rechtzeitig, und deshalb überleben beide.

Als Evas Vater Erwins Antrag um die Hand Evas ablehnt, geht Erwin ins erwähnte Kloster bei Rom. Die sitzen gelassene Eva wird von Janos mit kriminellen Mitteln ausgehalten. Zu diesen Mitteln gehörte offenbar auch, Mihalys goldene Uhr, ein Erbstück, zu klauen. Sie fuhr dann mit Tomás zur Kur nach Hallstatt, wo sich Tomás umbrachte, diesmal aber erfolgreich. Eva kehrte nie zurück, denn angeblich holte ein ausländischer Offizier sie ab. Ihr Vater starb bald danach.

Jetzt kann der Leser bzw. Hörer endlich verstehen, warum um Mihaly stets der Atem des Todes weht. Er sehnt sich nach der verschwundenen Eva, und die in Venedig präsente Erzy ist sein Versuch, bürgerliche Respektabilität zu erlangen, besonders in den Augen seiner Familie. Aber ob das auf Dauer gut geht?

Florenz ff.

Nicht lange danach kommt es dann zur Katastrophe. In Florenz erhält Mihaly einen Brief von Erzys Ex, der ihm nicht nur nur gute Ratschläge bezüglich der sorgsamen Behandlung des kostbaren Frauenzimmers – Pataki liebt sie immer noch – erteilt, sondern auch die Stirn besitzt, ihm, Mihaly, ein Darlehen anzubieten! Um sich als Mann und Gatte zu bestätigen, liebt Mihaly seine Frau in dieser Nacht besonders heftig. Dennoch will sie weiterreisen, nach Capri, zur Erholung. Klammheimlich klaut er ihr einen Scheck. Sie ist weitaus betuchter als er.

In Terontola trinkt er kurz mal einen Kaffee und steigt dann wieder in den Zug, der gerade abfährt. Zu blöd – es ist der falsche Zug! Dieser hier fährt nach Perugia statt nach Rom. Nun beginnt für Mihaly, der immerhin sowohl Geld als auch Pass besitzt, eine kleine Odyssee durch Mittelitalien: Assisi, Spoleto – lauter schön Städtchen. Aber keine Erzy. Er ahnt nicht, dass er nach ein paar Tagen von den faschistischen Polizeibehörden des Duce steckbrieflich gesucht wird. Erzy lässt ihn in ganz Italien suchen.

Doch Mihaly hat sich selbst verloren und sucht sich auf seiner Odyssee, die ihn schließlich bis nach Rom und zu Eva führt. Erst dann kann er sich wieder nach Ungarn begeben. Aber ob er dann von seiner Todessehnsucht geheilt ist, sei hier nicht verraten.

Mein Eindruck

Antal Szerbs Roman müsste eigentlich „Eros und Thanatos“, die Liebe und der Tod, heißen. Diese beiden Pole des Lebens sind es, zwischen denen Mihaly gefangen ist. In den Theaterstücken, die er mit Tomás und Eva improvisierte, spielten Eros und Thanatos stets eine wichtige Rolle, und er ergab sich gerne dem Tod, solange er damit der Liebe dienen konnte. Doch nach dem Auseinanderfallen dieser Dreieinigkeit findet Mihaly nichts mehr, in dem sich seine Sehnsucht erfüllen könnte.

Deshalb sucht er nach Tomás’ Tod hartnäckig nach den alten Gefährten, allen voran natürlich Eva. Während Erwin als Pater Severinus der Welt entsagt hat, tritt Janos immer noch als gauklerischer Mephisto-Verschnitt auf. Er verkuppelt Mihaly mit dem italienischen Mädchen Vanina, die im Armenviertel Romas lebt. In dieser tief verwurzelten Kultur bekommt Mihaly, der ja Religionsgeschichte studiert hat, eine Ahnung davon, wie früher die einfachen Leute dem Rad des Lebens gegenüber standen: Tod und Geburt waren nur Stationen in einem natürlichen Zyklus.

Und wie ihm Mihalys Studienfreund Lorenzo Waldheim bei einem Museumsbesuch erklärt, waren Eros und Thanatos schon immer sehr eng miteinander verbunden. Thanatos, der Tod, war in der Frühzeit und der Antike nicht tabuisiert wie heute. „Sterben ist ein erotischer Akt“, weiß Waldheim. Das kapiert Mihaly jedoch nicht, weshalb sein Freund weiter ausholen muss.

Für den archaischen Menschen – wie auch für Vanina – war der Tod ständig präsent. Für den Mann war er eine Hetäre (Prostituierte) mit einer großen Vagina, in welche der Mann wie in einer Umkehrung des Geburtsvorgangs zurückkehrte (der Unbirth-Mythos). Frauen sehnten sich nach dem Tod wie nach einem Mann und träumten von Todesdämonen. Diese nannte man später Satyrn, dargestellt mit Bocksbeinen und großem Phallus. Um den Todestrieb – hier wird Waldheim freudianisch – zu betäuben, habe der moderne Mensch den Tod tabuisiert – außer in Zeiten der Dekadenz, beispielsweise in Ungarn. Mihaly fühlt sich angesprochen und wird bleich.

In Rom hat Mihaly mehrere Erlebnisse des Realitätsverlustes, so etwa, als ihm eine adrette englische Familie wie eine Schar Puppen vorkommt. Als Janos auftaucht, ihn zu Vanina bringt und diese ihn zu dem Patenonkel eines Kindes macht, wird Mihaly ganz blümerant. Nur so ist zu erklären, dass er sich von Janos’ Intrige aufs Kreuz legen lässt. Janos will ihn Patakis Auftrag Mihaly dazu bewegen, Erzy zu entsagen. Dafür solle er eine finanzielle Entschädigung erhalten. Das ist Mihaly recht, denn er hat sowieso vor, sich demnächst umzubringen. Eva soll ihm dabei helfen. Doch dann läuft alles schief: Mihaly ist zum Leben verdammt. Ganz besonders dann, als auch noch sein Vater auftaucht, um ihn abzuholen.

Mihalys Problem der Nostalgie und der Todessehnsucht ist damit natürlich nicht gelöst. Er kann sich einfach nicht mit dem Verlust von Idealen und Mysterien abfinden, die er in der Verbindung zu Eva und Tomás ja zum Leben erweckt hatte. Doch leider ist das Leben kein Theaterstück, auch wenn es manchmal als eine Tragödie oder Komödie bezeichnet wird. Letzten Endes, findet Mihaly, obsiegt immer die Banalität des Absurden.

Erzys Odyssee

Es soll aber nicht der Eindruck vermittelt werden, in dieser Geschichte ginge es ausschließlich um die Leiden eines Hypochonders aus Ungarn. Nein, die Geschichte verfolgt den weiteren Lebensweg von Erzy in gleicher Weise. Sie reist nach Paris zu einer Bekannten, bei der sie unterkommt. Hier trifft sie auf Janos, der als Handelsreisender des Dritten Reiches unterwegs sei, wie er behauptet. Aber was macht er dann im Filmgeschäft?

Wie auch immer: Erst versucht er, sie an einen persischen Opiumschmuggler und Filmproduzenten zu verkuppeln. Das kapiert sie gerade noch in letzter Sekunde und findet es gar nicht witzig. Dann übermittelt Janos auch gewisse Briefe von Zoltan Pataki, in denen dieser ihr wieder seine Liebe anträgt und sie bittet, zu ihm zurückzukommen. Wie sich herausstellt, kann sie dieses Angebot nach einem gescheiterten Wiedersehen mit Mihaly in Rom nicht zurückweisen. Besonders dann, als Janos und Zoltan ihr Mihalys Brief vorlegen, in dem er sich mit seiner Scheidung einverstanden erklärt …

Eine Frage der Haltung

Diese Geschichte kommt einem vielleicht besonders traurig vor, aber der Schein trügt. Das Buch funkelt und wirbelt vor Abwechslung, und ständig bieten sich den zwei Hauptfiguren neue Chancen und Herausforderungen. Der Autor hasst seine Figuren in keiner Weise, sondern stellt sie uns als liebenswerte Menschen mit allen Schwächen vor. Dass uns Mihaly als der Schwächere vorkommt, liegt natürlich an seinem lädierten Innenleben. Aber er erlebt erotische Abenteuer und trifft Eva wieder, so dass er über Erwin, Tomás und sogar Eva hinwegkommt. Als er „schicksalsergeben“ nach Hause fährt, gesteht er dem Leben zu, dass „man, solange man lebt, nicht weiß, was noch geschehen kann“.

Der Sprecher

Heikko Deutschmann ist ein kongenialer Sprecher dieses szenenreichen Textes. Was die Flexibilität seines stimmlichen Ausdrucks angeht, kann er es ohne weiteres mit Rufus Beck aufnehmen. So fällt es ihm leicht, die einzelnen Figuren zu charakterisieren und unverwechselbar zu machen. Der Franziskanermönch Pater Severinus alias Erwin hat beispielsweise eine heisere Stimme, denn er ist lungenkrank durch die einfachen Verhältnisse, unter denen er im Kloster lebt.

Was mir dabei auffiel, ist der Eindruck, dass Deutschmann Mihalys Abenteuer und Missgeschicke mit einem Schmunzeln wiedergibt, so als wären sie ein Anlass, sich ein wenig über diesen „Jammerlappen“ zu mokieren. Dazu mag manchmal Anlass bestehen, aber Mihaly beweist angesichts des nahen Todes seines Freundes Erwin doch eine erstaunliche Seelenstärke – und da hat er nichts von einem Jammerlappen an sich. Wichtig ist aber, dass Szerb seinen Antihelden mit Sympathie schildert.

Wunderschön erzählt Deutschmann die absonderliche und beinahe schon makabre Geschichte von der Dame (Eva) und der Totentür, die sich in Erwins Kirchensprengel Gubbio abspielt. (Diese Story hier wiederzugeben, würde zu weit führen.)

Über Musik und Geräusche verfügt diese Lesung nicht, so dass ich sie nicht weiter zu erwähnen brauche. An Geräusche erinnert allenfalls Deutschmanns Methode, auch in die Sprechweise der dargestellten Figuren gewisse Befindlichkeiten einfließen zu lassen. So lallt beispielsweise ein Besoffener allerliebst, und jemand, der gerannt ist, keucht und hechelt. Aber der Sprecher gibt auch eindeutige Gefühle wieder, so etwa, als Mihaly Eva anfleht, ihm beim Sterben zu helfen.

Ansonsten sind ungarische, französische, italienische, deutsche (sowieso) und englische Namen und Titel alle korrekt ausgesprochen, so dass ich Deutschmann ohne weiteres Mehrsprachigkeit attestieren kann.

Unterm Strich

„Reise im Mondlicht“ schildert ein Europa unter dem institutionalisierten Faschismus in Deutschland und Italien. Ungarn hingegen ist eine junge Republik, die auch von Sandor Marai als noch unsicher und wirr porträtiert wird. Von Szerbs Figur Waldheim wird Ungarn sogar als „dekadent“ bezeichnet, als handle es sich noch um die k.u.k. Monarchie der Habsburger. Die drei Gesellschafts- und Kulturformen entsprechen drei Zeitschichten, die allesamt in diesem Roman miteinander verwoben sind. Das kann die Lektüre bzw. das Anhören der Geschichte ein wenig verwirrend machen.

Aber da der Autor von vornherein kein Unterhaltungsautor ist, der Schund verkauft, kann er durchaus einen gewissen Anspruch erheben. „Reise im Mondlicht“ ist keine Geschichte, um sich abzulenken, sondern um genau hinzuhören, denn es sind die ungesagten Zwischentöne, in denen die Bedeutung der Geschichte erfassbar wird. Diese Bedeutung habe ich in den Abschnitten über „Eros und Thanatos“ deutlich zu machen versucht. Dem ist nichts mehr hinzuzufügen: Sowohl Liebe (vulgo „Sex“ genannt) als auch Tod kommen reichlich vor. Mir hat die Geschichte in ihrer ungewohnten Eigenart gut gefallen. Was ich jedoch vermisse, sind Action und Spannung. Es gibt zwar eine dramatische Zuspitzung, als Mihaly sich mit Evas Hilfe ins Jenseits befördern will, doch auch das stellt sich als halb so wild heraus.

Der Sprecher

Heikko Deutschmann macht den Text zu einem lebhaften akustischen Erlebnis. Wem „Die Reise im Mondlicht“ gefallen hat, sollte auch „Die Pendragon-Legende“ lesen oder hören.

Originaltitel: Utas és holdvilág, 1937
398 Minuten auf 5 CDs
Aus dem Ungarischen übersetzt von Christina Viragh

http://www.hoerbuch-hamburg.de

Ergänzend dazu: Dr. Maike Keuntjes [Rezension der Buchfassung 1292

Szerb, Antal – Pendragon-Legende, Die

Ende 2004 erschien im |Deutschen Taschenbuchverlag| eine Neuübersetzung der „Pendragon-Legende“, die der ungarische Literaturprofessor Antal Szerb bereits im Jahre 1934 verfasste. Szerb ist in Ungarn bis heute berühmt, obwohl er bereits 1945 im Alter von nur 43 Jahren im Internierungslager Balf in West-Ungarn starb.

Im Alter von 32 Jahren lernt János Bátky auf einer Soiree bei Lady Malmsbury-Croft den Earl of Gwynedd kennen, der auch unter dem Namen Owen Pendragon bekannt ist. Die beiden unterhalten sich gut und diskutieren unter anderem über Fludds Naturphilosophie. Am Ende des Abends erhält Bátky eine Einladung nach Wales auf das Schloss Llanvygan der Pendragons, wo ihm eine ausführliche Sichtung der dortigen Bibliothek ermöglicht werden soll. Bátky freut sich zwar über das Angebot, fühlt sich allerdings viel zu träge, um wirklich nach Wales zu reisen. Dennoch wird seine Neugierde geweckt, als er erfährt, dass die Pendragon-Bibliothek weltweit berühmt ist für ihre Werke aus dem Gebiet der Mystik und des Okkultismus im 17. Jahrhundert. Kurze Zeit später erhält Bátky einen mysteriösen Anruf, der ihn vor einer Reise nach Wales warnen will, da dort sein Leben in Gefahr sei. Doch Bátky versucht, dieses Telefonat wieder zu vergessen.

Durch einen Zufall (?) lernt er bei seinen Studien zur Familiengeschichte der Pendragons im |British Museum| den lebens- und reiselustigen George Maloney aus Connemara kennen, der sogleich von seinen zahlreichen und aufregenden Auslandsaufenthalten erzählt. Bei einem gemeinsamen Abendessen stellt Maloney seinem neuen Bekannten Bátky den Neffen des Earl of Pendragon vor. Der gebildete Osborne Pendragon studiert in Oxford, möchte aber seine Ferien auf Llanvygan verbringen und hat dazu auch seinen Freund Maloney eingeladen. So beschließen Maloney und Bátky, gemeinsam nach Wales zu reisen.

Schon die Begrüßung auf dem Schloss verläuft nicht so erfreulich, wie Bátky sich das erhofft hat, und gleich in der ersten Nacht wird er von merkwürdigen Geräuschen geweckt. Als er seinen Revolver aus dem Nachtschrank holen will, muss Bátky erstaunt feststellen, dass sämtliche Patronen aus der Waffe entfernt worden sind und auch ein Päckchen fehlt, das er für Maloney mit sich geführt hat. Auf dem Gang vor seinem Zimmer trifft er auf eine mittelalterlich gekleidete Gestalt, die sich als Hausdiener vorstellt, doch bei einem Blick aus seinem Zimmerfenster kann Bátky einen schwarzen Reiter mit Fackel und Hellebarde beobachten. Kurz darauf wird ein Mordanschlag auf den Earl verübt, dem er nur mit viel Glück entkommen kann. Es scheint, als könnte der Earl drohendes Unglück spüren, denn dies war bereits der dritte Mordversuch, den er vereiteln konnte. Langsam aber sicher verdichten sich die Verdachtsmomente, bald ist ein angeblich Schuldiger gefunden, doch was steckt wirklich hinter den Mordanschlägen?

„Die Pendragon-Legende“ ist aus der Sicht des János Bátky geschrieben, der seine Lebensgeschichte erzählen möchte. In seinen ersten 32 Lebensjahren ist außer dem ersten Weltkrieg nichts Entscheidendes passiert; so entschließt sich Bátky, gleich beim Soiree der Lady Malmsbury-Croft einzusetzen und damit bei seiner ersten Begegnung mit dem Earl of Pendragon. Obwohl sofort offensichtlich wird, dass dieses Kennenlernen für den Ich-Erzähler von entscheidender Bedeutung gewesen sein muss, lässt Szerb sich in seiner Erzählung viel Zeit. Zunächst entwickelt er seine Charaktere und verleiht Bátky einige selbstkritische Züge, da er immer wieder einstreut, mit welchen Charakterzügen er an sich selbst unzufrieden ist. Die Charakterzeichnungen sind ein Punkt, der sofort positiv auffällt an diesem Buch, denn neben János Bátky lernt der Leser auch die anderen Hauptfiguren recht gut kennen. Eine besonders sympathische Figur ist dabei Maloney, der immer wieder unglaubliche Geschichten aus Connemara von sich gibt, die ihn ein wenig spleenig, aber auch nett erscheinen lassen. Aufgrund der abstrusen Geschichten bezeichnet Bátky Maloney wenig schmeichelhaft als Münchhausen, doch kommt der Leser nicht umhin, diesen Geschichten doch ein wenig Glauben zu schenken. Maloneys extravagante Hobbys tragen dazu bei, dass der Leser sich ein gutes Bild von diesem überdrehten und lebenslustigen Charakter machen kann. Szerb entwickelt Charaktere, wie es sie im wahren Leben möglicherweise eher weniger geben mag, dennoch kann man ihm dies nicht übel nehmen, da einem die Personen einfach ans Herz wachsen durch ihre menschlichen Macken und Eigenarten. Der Autor zeigt an vielen Stellen eine erstaunliche Beobachtungsgabe, da er in etlichen weiteren Situationen Eigenschaften und Merkmale seiner Charaktere anbringt. Als dritte Figur tritt Osborne Pendragon in Erscheinung, der zwar gebildet und intelligent ist, aber seine Schwierigkeiten mit Frauen zu haben scheint; auch er vermag es durch sein leicht schrulliges Verhalten, dem Leser in einigen Situationen ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. Besonders Lene Kretzsch weiß eine sehr amüsante Episode über Osborne zu berichten, als sie nämlich versucht, den reservierten und wohlerzogenen Osborne zu verführen, was sich als äußerst kompliziert erweist. Natürlich fehlen auch nicht die Frauenfiguren in diesem Roman; so treten die ominöse Eileen St. Claire, die bezaubernde Cynthia Pendragon und die toughe Lene Kretzsch in Erscheinung. Hier prallen drei völlig unterschiedliche Frauentypen aufeinander, die sich Antal Szerb wahrlich meisterhaft ausgedacht hat.

Szerbs Erzählweise ist gemächlich, aber unheimlich sympathisch, in vielen Sätzen verstecken sich sensibler Humor und feine Ironie, die uns nicht vor lauter Lachen vom Sofa fallen lassen, aber immer wieder zum Schmunzeln bringen. Der besondere Reiz liegt hier in den Feinheiten, die am Rande fallen und auf die man genau Acht geben sollte. „Die Pendragon-Legende“ sollte daher mit etwas erhöhter Aufmerksamkeit gelesen werden, da Szerb viel zu sagen hat und dem Leser zahlreiche Informationen mit auf den Weg gibt. So erfährt der Leser während Bátkys ausführlicher Literatursichtung vor seiner Reise nach Wales einiges aus der Familiengeschichte der Pendragons, die eng verwoben ist mit der Geschichte der Rosenkreuzer. Stein um Stein baut Szerb dadurch seine Geschichte auf. Oftmals wird die eigentliche Erzählung ein wenig unterbrochen durch diverse Einschübe, wenn beispielsweise eine neue Person auftaucht, die János Bátky zunächst vorstellen möchte, oder wenn aus der Historie der Pendragons berichtet wird. Obwohl ich derlei Einschübe sonst eher lästig finde, muss ich zugeben, dass sie hier in die Geschichte passen, zumal die eingeschobenen Szenen meist interessant oder auch amüsant sind.

Allmählich wird fast schon unmerklich Spannung aufgebaut durch kleine Hinweise auf mysteriöses Treiben im Hause Pendragon. Bátky kommt im Schloss kaum zum Schlafen, da nächtens die merkwürdigsten Dinge geschehen, darüber hinaus schwebt der Earl of Pendragon in Lebensgefahr, da er bereits drei Mordanschlägen durch schicksalhafte Mithilfe entkommen konnte. In Pendragons Labor entdeckt Bátky unglaubliche Dinge, die mit der Geschichte der Rosenkreuzer zusammenzuhängen scheinen. Doch bleibt lange unklar, worauf das Buch eigentlich hinauslaufen möchte.

Eine Einteilung in ein Genre ist bei der „Pendragon-Legende“ äußerst schwierig, da Szerb auf der einen Seite eine Geistergeschichte schreibt, auf der anderen aber auch ein Familienbild der Pendragons entwirft. Beide Handlungszweige sind eng verwoben und werden gleichberechtigt weitergeführt. Obwohl die Rosenkreuzer auftauchen und eine nicht unwesentliche Rolle spielen, darf man keinen Verschwörungsthriller im Stile eines Dan Brown erwarten, denn Szerb lässt seine „Pendragon-Legende“ in eine völlig andere Richtung gehen. Im Grunde genommen kann man das Buch als eine Gruselgeschichte mit ausführlichen Charakterzeichnungen und sympathisch erzählter Rahmengeschichte bezeichnen.

Die „Pendragon-Legende“ reißt nicht durch übergroße Spannung mit, sondern hat ihren ganz eigenen Charme, das Buch ist eine kleine literarische Perle, die man aufmerksam lesen sollte, um alle Feinheiten aufzunehmen. Antal Szerb lässt herrliche Charaktere entstehen, die allesamt irgendwo sympathisch werden, allen voran der philosophisch interessierte, schüchterne und ängstliche Ich-Erzähler Bátky, der auch den Reizen einer schönen Frau nicht widerstehen kann. Die eigentliche Gruselgeschichte passiert fast schon am Rande, obwohl sie doch eigentlich Anlass gegeben hat zu Bátkys Erzählung. Doch der besondere Reiz dieses Buches liegt in den Geschichten, die drumherum erzählt werden. Der Leser sollte sich allerdings auf Szerbs Erzählweise und die manchmal etwas schwerfällig anmutende Sprache einlassen, dann wird die „Pendragon-Legende“ für einige sehr unterhaltsame und interessante Stunden sorgen.