Voenix – Tolkiens Wurzeln. Die mythischen Quellen zu \’Der Herr der Ringe\‘

Noch ein Buch zum Herrn der Ringe? Gleich vorweg: Voenix ist sich der mit einem solchen Thema verbundenen Fragen und Schwierigkeiten bewusst: zu viele Tolkien-Fans haben den Deutungsrahmen dieses Buches so überstrapaziert, dass alles und jedes darin gefunden werden kann. Dagegen sprach Tolkien sich klar gegen nachträgliche allegorische o. a. Deutungen aus und hielt davon nichts. Voenix schildert im Vorwort deutlich diese konträren Positionen und findet eine gelungene Synthese, die beidem Rechnung trägt: Jedes Kapitel ist in sich unterteilt in einen beschreibenden Teil, eine mythologische Ausleuchtung und eine Charakterisierung.

Die Gefahr der Überdeutung besteht bei Voenix nicht, da er als Kenner der nordischen Mythen den Schwerpunkt auf genau diese Bereiche legt. Durch diese Hintergründe bekommt Tolkiens Werk eine Tiefe und Verbindungen, die eine große Bereicherung für den Leser darstellen. Die Charakterisierungen in den einzelnen Kapiteln orientieren sich modellhaft an der Psychologie, besonders den Archetypen C.G. Jungs. Die archetypischen seelischen Prozesse sind eine naheliegende Parallele zum Mythos, Geschehnisse und Grundfragen des Lebens in einer zeitgemäßeren Sprache anders darzustellen und dadurch eine neue Perspektive zu gewinnen. Die Wahl ist also thematisch gut begründet; darüber hinaus zeigen sich hier Verbindungen zu Akron, mit dem der Autor seit Jahren befreundet ist und deren Zusammenarbeit dieses Buch in der Form erst ermöglichte.

An manchen Stellen scheint mir die Übertragung der HdR-Geschichte auf psychische Prozesse zu holzschnittartig, zu polar konstruiert, beispielsweise, wenn an einer Stelle Triebe und Erlösung(sstreben) als Gegensätze benannt werden oder ein dunkler (verdrängter) Persönlichkeitsanteil wie eine Konstante behandelt wird. Aber das sind insgesamt Kleinigkeiten, die am gelungenen Gesamteindruck von „Tolkiens Wurzeln“ verblassen. Und ob der Leser mit einer umfangreichen Psychologie-Einführung in einem Tolkien-Buch zufriedener wäre… das ist fraglich. Vielmehr werden bestimmte psychische Aspekte betont, und Schwerpunkte muss man gerade bei einem so facettenreichen Werk wie von Tolkien setzen – es bleiben Fragen offen, an denen der Leser gewinnbringend weiterdenken kann.
Noch ein paar Worte zum Inhalt: Wie schon erwähnt, ist die systematische Trennung einzelner Bereiche der Beschreibung und Deutung sehr positiv sowohl für das Mitdenken und Nachvollziehen, als auch für das Auffinden eines Themas. Die einzelnen Kapitel sind thematisch gruppiert; einige Themen sind ‚Die Völker von Mittelerde‘, ‚Die neun Gefährten‘, ‚Die Verbündeten und Frauen im HdR‘, die Gegner der Gefährten, mythische Motive und Historisches.

Voenix hat das Buch mit zahlreichen farbigen Illustrationen versehen, bei denen er sich an den Darstellern der Verfilmung von Peter Jackson orientierte, was bei mir so manche Erinnerung weckte und die Geschichte noch lebendiger werden ließ. So „verspricht dieses Buch neben neuen Antworten und Einsichten einen doppelten Lesegenuss für alle Fans des Fantasy-Genres, Mythenliebhaber und solche, die es werden wollen.“ (Klappentext) Jo, Recht hamse.

_Knut Gierdahl_
für die Zeitschrift [AHA]http://www.aha-zeitschrift.de
Ausgabe 04/2003 (August/September)

Homepage des Autors: http://www.voenix.de
Homepage des Verlages: http://www.akron.ch/verlag/verlag.htm