Morgan, Richard K. – Profit

Aufgemerkt! Jetzt habe ich hier das Sagen. Und alles läuft so, wie ich das will. Ich bin aus guter Familie, zwischenzeitlich leider in den Slums aufgewachsen. Doch das habe ich gerächt. Mehrfach. Denn ich bin schlauer als die anderen. Und schneller. Härter. Ich habe jeden Gegner totgefahren. Jeden. Deswegen verdiene ich das hier. |“Männer wie ich, die sind nicht mehr aufzuhalten, da kannst du machen, was du willst. Verstehst du?“|

_London in 50 Jahren_

Die ganze Welt wird vermeintlich von den Kräften des Marktes regiert (im Original heißt das Buch „Market Forces“). Doch eigentlich regiert eine hoch mobile und rücksichtslose Oligarchie. Die Gesellschaften der früheren Industrieländer haben sich ausdifferenziert: Über den breiten Massen ungesund dahinkrauchender Slumbewohner braust eine schmale Kaste von Investmentbankern daher, in großem Reichtum und großer Unsicherheit. Erreichen sie doch ihren beruflichen Aufstieg nicht allein durch harte Arbeit, sondern noch vielmehr durch ihre Fertigkeiten bei tödlich endenden Crash-Duellen auf den für sie reservierten Autobahnen. Und der Held, der da oben spricht, der ist einer von ihnen.

_Wer schreibt denn so was?_

Richard K. Morgan ist gerade 40 geworden, kommt aus der Nähe von Norwich in England, lebt in Glasgow und noch nicht allzu lange von der Schriftstellerei. Sein Debütroman „Altered Carbon“ erschien 2002 beim britischen SF-Spezialisten |Gollancz| (deutsch im September 2004 als [„Das Unsterblichkeitsprogramm“ 464 bei |Heyne|). Der Roman spielt einige Jahrhunderte in der Zukunft und bietet einen gut balancierten Mix aus traditionellem Hard-Boiled-Thriller und Hard-Science-Fiction – gar nicht soo ungewöhnlich, aber halbwegs glaubwürdig. Doch nicht die schön männliche Mischung machte das Buch zu einem gewaltigen Erfolg. Wohl eher war es die sehr sehr drastisch konsequente Schilderung von hemmungsloser Gewalt um den einsamen Helden Takeshi Kovacs – ein unmenschlich kalter, ultrabrutaler Schlächter und doch irgendwie auch mitfühlender Gelegenheitsdetektiv, Frauenversteher und Sinnsucher: Ein nach Heilung und Gerechtigkeit strebender Großserienkiller von nebenan, in wechselnden Körpern. Bei aller extrem blutigen Härte bot „Altered Carbon“ offenbar genug Einfühlmöglichkeiten und kreativ-plastisches Storytelling, um Hollywood aufmerksam und interessiert zu machen.

Morgan verhandelte gut beim Verkauf der Filmrechte. Sicher half auch der zwischenzeitlich verliehene |Philip K. Dick Award| für den besten Roman des Jahres. So konnte er sich allein mit dem Geld für die Film-Option auf „Altered Carbon“ endlich ganz dem Leben als Berufsautor zuwenden (vorher war er Englischlehrer für Nicht-Muttersprachler, immerhin 14 Jahre lang, mehrere Jahre davon jeweils in Istanbul und Madrid). Einst ein nach eigener Aussage nicht wirklich bemerkenswerter Student der philosophischen Fakultät (etwas Sprache, Abschluss in Geschichte) strebt er mittlerweile als zusätzlichen Zeitvertreib einen Master in „Development Economics“ an – doch scheint die Schriftstellerei ordentlich Geld abzuwerfen.

In schneller Folge erschienen bei |Gollancz| bis heute zwei weitere Romane um Takeshi Kovacs: 2003 „Broken Angels“ (deutsch im Juni 2005 als [„Gefallene Engel“) 1509 und Anfang 2005 „Woken Furies“ (wird zum Jahreswechsel als „Heiliger Zorn“ auch auf Deutsch erscheinen). Zudem schreibt er bei |Marvel| die Texte für die Comicbuchreihe „Black Widow“ – die muss aber in Deutschland noch herauskommen.

Genau zwischen die beiden jüngeren Kovacs-Romane fällt indes die Veröffentlichung von „Market Forces“ 2004. Und das Buch hat auch etwas mit „Development Economics“ zu tun. In der deutschen Übersetzung von Karsten Singelmann ist es als „Profit“ im April bei |Heyne| erschienen. Ach ja, die Filmrechte sind auch schon wieder für schönes Geld verkauft und der |John W. Campbell Memorial Award| 2005 für den besten Roman eingesackt …

_Der Plot_

Chris Faulkner ist um die 30 und hat gerade den Job gewechselt. Er steigt neu in die Abteilung „Conflict Investment“ der Firma |Shorn Associates| ein, ein als besonders aggressiv und erfolgreich geltendes Investmenthaus – und „Conflict Investment“ ist deren erfolgreichstes Geschäftsfeld. Es geht im Wesentlichen um die Steuerung ausgewählter Entwicklungsländer zur größtmöglichen Gewinnschöpfung. Gleich zu Beginn erhält Chris seine Firmenpistole überreicht, auf dass er möglicherweise nicht ganz sauber entschiedene Duelle auf der Autobahn sicher zum Ende bringen möge.

Etwas mulmig ist ihm hier schon, erst einmal. Das ebenfalls angebotene Firmenauto (BMW) lehnt er sogar ab, fährt er doch seit Jahren einen ganz speziell verstärkten Saab, umgebaut und gewartet von seiner schwedischen Frau Carla. Die arbeitet ganz offiziell als Mechanikerin, und ihr Vater lebt freiwillig in den Slums – eine stete Quelle für Streit in der jungen Ehe.

Bei |Shorn| findet er schnell einen Verbündeten: Mike Bryant, ein paar Jahre älter, etwas höher in der Hierarchie. Zusammen werden sie bald nach einem extralangen Arbeitstag das Nachtleben in den „Zonen“ erkunden, mit Checkpoints ausgestattete verlotterte Gegenden, in denen die Mehrheit der Bevölkerung verarmt vor sich hin vegetiert. Verständlich, dass Mikes aufgerüsteter BMW hier das Interesse einer Bande von jugendlichen Autodieben hervorruft. Relativ überraschend für Chris ist allerdings die Kaltblütigkeit, mit der Mike die mit einer Eisenstange bewaffneten Diebe mit der Firmenpistole hinrichtet. Selbstverteidigung, klar.

Die Freundschaft wird anschließend durch gegenseitige Familienbesuche in den idyllisch weit vor der Stadt liegenden Häusern gepflegt und muss sich durch allerlei gemeinsame Projekte beweisen. In mehreren Duellen auf der Straße bleibt das |Shorn|-Team siegreich, und Chris trägt entscheidende Teile dazu bei. Klar, dass möglicherweise überlebende Crash-Gegner in ihren Wracks noch schnell der Kreditkarten entledigt und erschossen werden, bevor die Polizei zum Aufräumen randarf.

Chris zerreißt sich immer mehr zwischen harten langen und langen harten Arbeitstagen und den Resten eines Familienlebens. Ja, die Brutalität zerrt an ihm, und gelegentliche Zweifel im Diktatoren-Schach des Arbeitsalltags verdichten sich immer mehr. Er überlegt sogar den Ausstieg, trifft sich mit einem UN-Bürokraten. Der garantiert Immunität gegen Kronzeugendienste über das verbrecherische Treiben von |Shorn|. Ob Chris die Option wahrnehmen wird?

Die berufliche Zerrissenheit zeigt sich schließlich am deutlichsten im Fall einer kleinen unbedeutenden Diktatur in Südamerika (Kolumbien). |Shorn| finanziert seit langem den Diktator, doch der zeigt langsam Alterserscheinungen und sein Sohn ist ein großmäuliger Psychopath. Chris freundet sich sogar mit dem wesentlichen Rebellenführer und dessen Kampf für „Gerechtigkeit“ an – eine bessere Geldanlage, und dazu noch moralisch besser?

Nicht wirklich produktiv ist in der Zwischenzeit, dass Chris nach weiteren spektakulären Straßensiegen auch noch eine Affäre mit einer sehr attraktiven Fernsehmoderatorin beginnt. Die war mal Porno-Aktrice, präsentiert aber mittlerweile eine eigene Show, in der es hauptsächlich um die fahrenden Investment-Ritter geht (die sind auch noch die Popstars der 2050er). Nebenbei hatte die Dame vorher auch noch Affäre mit Mike, und der findet die neue Entwicklung gar nicht so toll, hat er doch geglaubt, mit dem Mädel echte Liebe zu erleben. So wie sich Mike allmählich zum Rivalen und Gegner entwickelt, war es Chris’ formale Chefin schon von Beginn an. Sie fühlte sich schon bei der Einstellung von Chris übergangen, setzte ihn immer wieder auf die haarsträubendsten Duelle an. Doch zu ihrem großen Ärger hat er alle Herausforderungen gemeistert und wurde immer schwerer beherrschbar.

Zeit zur Eskalation.

Bei Investmentgesprächen in London begegnen sich Altdiktator und Rebellenführer in den Räumlichkeiten von |Shorn|. Ziemlicher Mist für Chris, haben ihn seine Gegner in der Firma mit diesem Zusammentreffen doch ernsthaft bloßgestellt. Da hilft nur noch beherztes Handeln: Im Büro, vor den Augen der Kollegen und des Rebellenführers prügelt er den Altdiktator mit einem Baseballschläger zu Tode. Das ist doch mal Einsatz für einen Kunden!

Wie das so kommen muss, hat Chris nun noch eine Menge Ärger durchzustehen, bis zum finalen Showdown: Straßenduell um eine offene Partnerstelle gegen Mike Bryant. Na, wer gewinnt das wohl? Ach ja, das Zitat zum Beginn dieser kleinen Besprechung, das stammt vom Ende des Buchs …

_Gibt es was zu mäkeln?_

So richtig viele Einwände müssen gar nicht sein. Handwerklich ist Morgans drittem Roman wenig vorzuwerfen, die Sprache ist schnörkellos direkt, einfach und mitreißend. Das großzügig mit „fuck“s angereicherte Englisch des Originals hat Singelmann eher milde übertragen, das stört aber keineswegs. Etwas seltsam mutet indes die Ausstattung des mit 13 Euro recht teuren aber zumindest großformatigen |Heyne|-Taschenbuchs an: Was soll das seltsame Bergsteiger-Porträt auf dem Titel?

Die Story ist dafür in sich weitgehend stimmig und relativ sauber ausgearbeitet. Mir scheinen ein paar Details nicht allzu plausibel. Natürlich bin auch ich nicht mit der fehlerfreien Kristallkugel ausgestattet, aber ist es wahrscheinlich, dass ein Yuppie der 2050er noch mit einem Handy telefoniert und einen Saab fährt? Wenn seine härtesten Gegner BMW und Audi fahren? Nur zur Erinnerung: Zu Beginn der 1950er-Jahre hießen die prestigeträchtigsten Automarken in den USA Cadillac oder Packard, in Deutschland waren es Mercedes oder Borgward, in Großbritannien Bentley, Rolls Royce und Daimler – von anderen Ländern ganz zu schweigen. Warum sollten sich die gerade gut laufenden Marken und Produkte noch weitere 50 Jahre halten können, vor allem wenn sich doch scheinbar die böse Ökonomie zum Schaden der Menschheit verändert?

Da sitzt auch mein wesentlicher Kritikpunkt: Die von Morgan postulierte Verelendung der Massen, die scheint mir doch ein wenig altbacken klischeehaft und äußerst unwahrscheinlich. Warum sollten sich veritable Massenproduzenten der Automobilindustrie auf einmal mit der Herstellung von ein paar Hundert Sonderanfertigungen für Investment-Eliten begnügen? Wo kommen die teuren Klamotten, die Telefone, die Neubauten, wo kommt der reichlich verzehrte Malt Whisky her, wenn doch angeblich der ganze arbeitende Mittelstand in die Slums abgesunken ist? Aber egal, ein bisschen negative Utopie darf ruhig sein, auch wenn das Teil mich nicht wirklich zum „Nachdenken“ über ach so gefährliche Globalisierungstendenzen anregt. Die Stärken von „Profit“ jedenfalls liegen woanders.

_Viel Lob_

Es gibt mindestens zwei Gründe, diesen wüst brutalen Roman zu mögen, sehr sogar.
Da ist zunächst die Charakterisierung der Figuren. Chris ist zigfacher Mörder, Ehebrecher, und in seinem Handeln eigentlich auch sonst ein ziemliches Arschloch. Und doch werden sich viele Leser mit ihm identifizieren und ihn leicht schaudernd, ja, doch, sympathisch finden. Denn eigentlich, so suggeriert Morgan geschickt, eigentlich ist er auch ein ganz normaler, patenter Bursche. Er hat immer mal wieder Skrupel, und zumindest zu Beginn seiner beruflichen Karriere auch eine gerechte Motivation (sein erstes Duell-Opfer hatte einst die Familie in Armut gestürzt). Außerdem liebt er seine Carla, doch es sind halt die Lebensentwürfe, die nicht mehr zueinander passen.

Auch heute gibt es eine Reihe Leute, die sich in hoch bezahlten Dienstleistungsberufen (größere Rechtsanwaltsfirmen, Consulting, Investmentbanking) mit überlangen Arbeitstagen und heftigster Konkurrenz herumschlagen. Und auch sie verlieren oft genug die Bodenhaftung, trennen sich von Herkunft und Familie, leben in einer teuren Parallelwelt mit merkwürdig exzessiven Ritualen (habe in der Richtung selbst schon einiges erlebt). Morgan dreht die Schraube hier nur ein ganz klein wenig weiter – und Chris bleibt äußerst glaubwürdig.

Das gilt auch für seine langsam verzweifelnde Frau Clara, den ach so skrupellosen und doch verunsicherten und heillos verliebten Mike, die eiskalten und doch sentimentalen Chefs, und und. Durchgängig sauber gezeichnetes Personal bevölkert „Profit“.

Doch es gibt noch mehr zu loben. Kommen wir endlich zur wesentlichen Stärke des Buchs, und zur größten Stärke des Richard K. Morgan: Hier gibt es ACTION Writing! In den reichlich vorhandenen schnellen Gewaltszenen, besonders bei der Schilderung der Duelle, ist es absolut unmöglich, das Buch auch nur einen Moment zur Seite zu legen. Ich ertappe mich dabei, die Zähne zusammenzubeißen, die Luft anzuhalten. Beobachte, wie Muskelanspannung und Blutdruck steigen. Wahnsinn. Morgan bekommt beinharte und absolut umwerfende Actionszenen hin, die sich auch noch bis zu ihren jeweiligen Höhepunkten permanent steigern. Großer Applaus dafür, „Profit“ schlägt so ziemlich jeden Actionfilm in der schieren Präsenz und Kraft der Gewaltszenen. Kein Wunder, dass Hollywood da Interesse zeigt.

Schnell, hart, direkt, mitreißend, toll. Natürlich sollte schon eine gewisse Bereitschaft vorhanden sein, sich auf so etwas einzulassen, doch Morgan kann hier auf ganzer Linie überzeugen. Die Gewalt ist nicht ganz so überblutig wie bei den SF-Reißern um Takeshi Kovacs, doch sie unterhält wie eine gute Achterbahnfahrt.

_Und damit zum Urteil:_

„Profit“ bietet eine trotz leichter Logikmängel ordentliche und halbwegs plausible Story, schön zur Katharsis strebend. Es gibt glaubwürdige und gut gezeichnete Charaktere. Dazu atemlos machende Actionszenen, reichlich davon. In der Summe ein höchst spannender und unterhaltsamer Roman zur nahen Zukunft, der sogar bei mehreren Szenen zum wiederholten Lesen animiert. Sicher ist er eher für eine männliche Kundschaft geschrieben, doch die sollen ja durchaus auch mal was lesen … Richard K. Morgan hat den Erfolg verdient, und auch diese Empfehlung. Wenn er so weitermacht, ist er nicht mehr aufzuhalten. Kaufen!!!

http://www.richardkmorgan.co.uk/

|Originaltitel: Market Forces
Aus dem Englischen von Karsten Singelmann
Taschenbuch, 576 Seiten
ISBN-10: 3-453-52202-8
Paperback, 576 Seiten (April 2005)
ISBN-10: 3-453-40051-8 |