Clark, Mary Higgins – Mein ist die Stunde der Nacht

_Die Frau, die die Eule erschuf._

Mary Higgins Clark wurde 1928 geboren, und ihre Thriller führen stets die Bestsellerlisten an. So hat sich auch der |Heyne|-Verlag die „Königin der Spannung“ unter den Nagel gerissen, und die meisten ihrer Bücher veröffentlicht, das ZDF hat sich sogar die Filmrechte von zwei Erzählungen und vier Romanen gesichert: „Haben wir uns nicht schon mal gesehen?“, „Schwesterlein, komm tanz mit mir“, „Sieh dich nicht um“, „Dass du ewig denkst an mich“ und „Glückstag“.

Die Irin hat 25 Romane und zwei Bände mit Erzählungen veröffentlicht, auch weiterhin schreibt sie fleißig weiter, ihr großes Ziel ist es, eines Tages die „100-Romane-Barriere“ von Agatha Christie zu knacken.

„Mein ist der Stunde der Nacht“ ist einer dieser Romane und nun erstmals als Taschenbuch erhältlich. Er ist nicht der aktuellste ([„Hab Acht auf meine Schritte“ 1799 ist es), aber das ändert an der Qualität der Story natürlich nichts:

_Der Mörder ist immer der Loser._

Sam Deegan will in Pension gehen, der einzige Fall, der ihn noch an seinen Job fesselt, ist der Mord an Karen Sommers, ein Mord, der ohne erkennbares Motiv stattfand, und ein Mord, den Deegan zwanzig Jahre lang nicht lösen konnte. Am Ende seiner Kräfte entschließt er sich dazu, die Akte zu schließen, bis ihn die Mutter von Karen Sommers bittet, sich um einen weiteren Mordfall zu kümmern: Alison Kendall wurde tot in ihrem Swimmingpool aufgefunden, sie war eine enge Freundin von Jean Sheridan, die ihrerseits eine Freundin von Karen Sommers war.

Mörder ist ein mysteriöser Jemand, der sich selbst die Eule nennt, schon zu Beginn informiert er den Leser über seine Motive, ohne seine Identität zu lüften: Er ist ein weinerlicher Hosenpiesler, der von seinem Vater geschlagen, von seiner Mutter verhöhnt und von niemandem an der Schule ernst genommen wurde. Der Mörder in ihm wurde wach, als ihn eine Gruppe von Klassenkameradinnen verspottete, da er seine Sprechrolle als Eule nicht stotterfrei formulieren konnte: „Ich b-b-bin die Eu-Eule, und l-l-lebe in ei-ei-einem B-Baum …“ Alison Kendall war eine der Frauen, aus dieser Spöttergruppe.

Dieser Mord war sein Auftakt, der Beginn seines Planes, auch noch die letzten beiden Frauen um die Ecke zu bringen, die ihm diese Schmach angetan haben: Laura Wilcox und Jean Sheridan, und das lang geplante Klassentreffen ist die ideale Kulisse für ihn, um seinen Plan zu vollenden.

Und dieses Klassentreffen ist es dann auch, auf dem sich der Thriller abspielt: Ein ganzes Ensemble möglicher Täter trifft dort zusammen, jeder von ihnen könnte der ehemalige Loser sein, der den beiden Frauen an den Kragen will: Da wäre Carter Stewart, ein bösartiger und scharfzüngiger Dramaturg, der sich mit seinen rabenschwarzen Stücken aus der Unterschicht schreiben konnte; Robby Brent, der ungeliebte Sohn und unbegabte Schüler, der sich zum Komiker gemausert hatte und nichts mehr liebt, als Schläge unter der Gürtellinie zu verteilen; Gordon Amory, erfolgreicher Fernsehproduzent, der sich durch plastische Chirurgie seiner körperlichen Unzulänglichkeiten entledigt hat; Mark Fleischman, berühmter TV-Psychiater, dem nachgesagt wurde, seinen beliebten Bruder getötet zu haben; und Jack Emerson, ein reicher Immobilienmakler, der noch immer darunter leidet, dass ihn die schöne Laura Wilcox seinerzeit abgewiesen hatte.

Jean Sheridan ist die Erste, die die Drohung der Eule zu spüren bekommt, aber schließlich ist es Laura Wilcox, die verschwindet …

_Puzzle-Krimi´s Paradise._

Mary Higgins Clark steht nicht nur in dem Ruf, die Königin der Spannung zu sein, man sagt ihr außerdem nach, dass es ihre Spezialität sei, falsche Fährten zu legen und den Leser in die Irre zu führen. Eines jedenfalls stimmt: Sie ist eine Meisterin der Andeutung. An jedem Teilnehmer des Klassentreffen zeigt sie Verdächtiges auf, stupst den Leser an, in eine bestimmte Richtung zu denken, nur um dann woanders ein Verhalten zu zeigen, das noch viel verdächtiger wirkt. Überall sind Spuren; immer wenn man glaubt, den Täter zu kennen, oder wenn man annimmt, dass Clark zu viel verraten hat, bekommt man schon den nächsten Brocken an den Kopf geknallt.

Clark zeichnet dabei den Hintergrund der Figuren als klug verwobenes Patchwork: Manche Szenen werden aus verschiedenen Blickwinkeln erzählt; zwar werden dadurch einige Ereignisse mehrmals rückgeblendet, aber sie macht das so geschickt, dass die Rückblende weitere Feinheiten aufdeckt, und ganz nebenbei die „rückblendende“ Figur durch ihren Standpunkt mitcharakterisiert.

Eine besondere Rolle hat dabei Jake Perkins inne: Er ist Schüler der Stonecroft Academy, und interessiert sich brennend für das Phänomen der dezimierten Frauenrunde. Er möchte unbedingt einen Artikel darüber verfassen und kennt keine Skrupel dabei, sich Informationen zu verschaffen. Für den Leser ist Perkins ein Quell unbequemer Informationen über die Besucher des Klassentreffens, er stochert überall hinein und trägt einiges dazu bei, den Leser zu erhellen (und ihn dabei natürlich weiterhin auf falsche Fährten zu locken).

Jedenfalls spitzen sich die Konflikte bis zum Ende hin zu, der finale Showdown bleibt nicht aus und Clark zieht die Spannungsschraube ständig an – erst auf den letzten Seiten lüftet sich, wer die Eule tatsächlich ist.

_Schmackhaftes Thriller Fast Food._

„Mein ist die Stunde der Nacht“ bietet all die Zutaten, die einen Thrillersüchtigen zum Nägelkauen verleiten: Ein Puzzle aus Verdächtigen und Informationen, die sich nach und nach aneinander reihen, dazu Konflikte, Bedrohungen für die Protagonisten und eine Atmosphäre aus Angst und Misstrauen.

Clark hat hier wirklich solide Arbeit geleistet und unterhält bis zum Schluss, die Story steht nie still und löst am Ende alle Fragen. Um auf ihre Fähigkeiten als Fährtenlegerin zurückzukommen: Ja, sie schafft es, den Leser zu irritieren, aber sie bedient sich dabei einiger unlauterer Tricks. Clark lässt ihre Figuren Dinge tun, die nur dazu dienen, um sie verdächtig zu machen. Nicht selten handeln Figuren nach einer Art, die nicht der ihren entspricht, manchmal sogar haben diese Handlungen nicht den geringsten Sinn – außer eben den, den Leser zu irritieren.

Das wiederum hat zur Folge, dass man irgendwann aufgibt, das Rätsel selbst knacken zu wollen. Man lehnt sich zurück und lässt sich passiv durch die Geschichte treiben: Aha, jetzt soll dieser verdächtig erscheinen, oho, jetzt ist es jener.

Trotzdem. „Mein ist die Stunde der Nacht“ ist bis zum Schluss spannend und unterhaltsam, es liest sich flüssig, hat keine Längen und wurde geschickt konstruiert. Ein Thriller-Imbiss für zwischendurch, schmackhaft und sättigend, aber sobald man ihn vertilgt hat, wird man ihn vergessen. Da kann man nur noch guten Appetit wünschen.

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