Charles Atkins – Risiko

Der Amerikaner Charles Atkins weiß, wovon er schreibt. Genau wie die Hauptfigur in „Risiko“ ist er Psychiater, und es scheint, als ob dieser Beruf eine gute Inspirationsquelle für Geschichten darstellt. Auf seiner Website berichtet er, dass er dieses Buch schrieb, während er mit verhaltensauffälligen Jugendlichen arbeitete. Und genau darum geht es in diesem Buch. Ab wann ist ein Jugendlicher verhaltensauffällig? Wie kam es dazu? Und sind sie wirklich alle Monster?

Dr. Molly Katz arbeitet als Assistenzärztin in einer Bostoner Psychiatrie. Ihr Job macht ihr Spaß, obwohl er hart ist – gerade für eine zweifache Mutter, die sich erst nach langen Jahren als Krankenschwester und einer nervenaufreibenden Scheidung für das Studium entschieden hat. Doch nun steht sie mit beiden Beinen im Leben. Allerdings wird dieses erschüttert, als es an ihrem Arbeitsplatz zu einem tragischen Zwischenfall kommt. Eine Krankenschwester wird von Garret Jacobs erstochen. Molly hatte ihn vorher begutachtet und war zu dem Ergebnis gekommen, dass von dem vermutlich manisch-depressiven Jungen keine Gefahr ausginge. Sie ist schockiert. Kann sie so sehr mit ihrem Urteil falsch gelegen haben?

Als Garret in eine forensische Psychiatrie verlegt wird, nimmt Molly dort einen Nebenjob an, um weiter mit Garret in Kontakt zu sein. Es fällt ihr schwer zu glauben, dass tatsächlich er der Täter war. Mittlerweile katatonisch, ist dieser allerdings nicht dazu imstande, für sich selbst zu sprechen. Das braucht er auch gar nicht, denn wenig später wird eine weitere Krankenschwester ermordet aufgefunden, und dieses Mal hat Garret selbstverständlich ein Alibi – er lag in einem Krankenhausbett. Doch wer war es dann? Billy Keene, ein aggressiver und soziopathischer Jugendlicher, gerät ins Visier der Ermittler, doch auch hier hat Molly kein gutes Gefühl. Gibt es vielleicht hinter diesen seltsamen Morden eine Schlüsselfigur? Sie recherchiert auf eigene Faust und bringt dabei nicht nur ihr eigenes Leben in Gefahr …

Dass Charles Atkins sich auskennt, merkt man seiner Geschichte deutlich an. Hier hat nicht nur einfach jemand recherchiert, hier hat jemand wirklich Kontakt mit der Welt psychisch gestörter Jugendlicher gehabt. Er weiß dieses Wissen ansprechend umzusetzen, so dass auch ein Laie es versteht. Allerdings hat man als Leser des Öfteren das Gefühl, dass der Autor sich manchmal etwas darin verheddert, möglichst viel aus dem Alltag einer Kinder- und Jugendpsychiatrie zu erzählen. Anstatt die Handlung auf den Punkt zu bringen, versucht er ein möglichst umfassendes Gesamtbild inklusive sozialpolitischer Statements zu vermitteln, was ihm allerdings nicht immer gelingt. Manchmal ist es einfach ein wenig zu viel Drumherum und zu wenig Handlung. Darunter leidet Letztere. Ihr Ablauf ist mau, es fehlt an herausstechenden Ereignissen sowie einem linearen Spannungsaufbau. Im Gegenteil wirken die Mordfälle wie beiläufig eingestreut in ein Buch, das von den Gedanken seiner Hauptperson lebt und am Ende in ein allzu überraschendes Finale mündet. Als Leser ahnt man zwar, dass es noch eine abrupte Wende in der Mördersuche geben wird, doch der tatsächliche Mörder ist zu sehr aus dem Zusammenhang gerissen und aus dem Hut gezaubert. Sein Motiv wird nicht klar, und es fällt schwer, rückblickend nachzuvollziehen, warum er der Täter ist.

Trotz der laschen Handlung lässt sich „Risiko“ flüssig lesen, was vor allem an der Protagonistin liegt, die sehr sympathisch aus der Ich-Perspektive erzählt. Sie ist ein authentischer Charakter mit Ecken und Kanten sowie einer gut ausgearbeiteten Vergangenheit. Die Tatsache, dass sie sich erst spät zu einem Studium entschieden hat, macht sie interessant, da man eine solche Romanfigur doch eher seltener antrifft. Auch in ihrer Rolle als überforderte, manchmal unsichere Mutter weiß sie zu gefallen. Einziger Negativpunkt ist, dass durch die starke Konzentration auf Molly einige andere Figuren nicht wirklich zum Tragen kommen. Das ist gerade bei den verhaltensauffälligen Jugendlichen schade, die manchmal ein wenig zu eindimensional bleiben.

Der Schreibstil ist souverän und gehoben. Atkins greift auf einen großen Wortschatz zurück, bringt aber sehr viel Wärme ins Spiel. Anders als in ähnlich gelagerten Thrillern geht es ihm nicht um eine möglichst kühle, messerscharfe Atmosphäre. Molly sorgt für eine recht weibliche, häufig emotionale und nachdenkliche Herangehensweise an das Thema, das handwerklich entsprechend umgesetzt wurde. Hier kann Atkins definitiv punkten, denn er lässt eine Atmosphäre entstehen, die es schwer macht, das Buch zuzuschlagen.

Trotzdem sollten die langweilige Handlung und die fehlende Tiefe bei einigen wichtigen Personen nicht unerwähnt bleiben. Genau wie mit dem Vorgängerroman zettelt Aktins auch mit „Risiko“ keine literarische Revolution an. Allerdings kann er dieses Mal auch unter anderen Gesichtspunkten nicht überzeugen. Einzig die Person der Molly Katz sowie der runde Schreibstil sind lobend zu erwähnen.

301 Seiten, Taschenbuch
Originaltitel: Risk Factor
Aus dem Amerikanischen von Marcel Bülles
www.charlesatkins.com
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