Barclay, Linwood – Ohne ein Wort

Um „Ohne ein Wort“ von Linwood Barclay wird in den Medien derzeit ein ziemlicher Wirbel veranstaltet. |Ullstein| hat sogar eigens eine [Website]http://www.ohne-ein-wort.de ins Leben gerufen und bewirbt das Buch mit einem Filmtrailer.

So viel Tamtam ist man eher von Autoren der Größenordnung einer Joanne K. Rowling gewohnt. Dementsprechend hoch sind deshalb die Erwartungen an „Ohne ein Wort“. Ist Linwood Barclay wirklich der neue Stern am Thrillerhimmel, wie der Verlag suggeriert?

Eine Supernova ist es nicht gerade, die Barclay dem Leser beschert, aber immerhin auch kein schwarzes Loch. „Ohne ein Wort“ ist ein gemütliches Büchlein, das sich hauptsächlich durch seine Alltagsnähe auszeichnet.

Nun gut. Das, was Cynthia Archer, mittlerweile 39 und Ehefrau und Mutter einer achtjährigen Tochter, mit vierzehn Jahren erlebt hat, ist alles andere als alltäglich. Nach einem heftigen Streit mit ihren Eltern wacht sie am nächsten Morgen auf und muss feststellen, dass alle verschwunden sind. Das große Haus ist leer, ihre Eltern und der ältere Bruder Todd sind samt den Autos verschwunden. Gepackt haben sie nichts, auch einen Abschiedsbrief haben sie nicht hinterlassen. Was ist passiert? Wurden die Bigges ermordet? Wieso wurde Cynthia verschont?

25 Jahre später möchte Cynthia Licht ins Dunkle bringen und wagt einen verzweifelten Versuch. Mithilfe eines lokalen Fernsehsenders dreht sie eine Reportage über ihr Schicksal und hofft, dass die Zuschauer ihr weiterhelfen können. Anfangs passiert nichts, doch dann fühlt Cynthia sich plötzlich verfolgt, in ihr Haus wird eingebrochen und am Ende stirbt auch noch ihre geliebte Tante Tess, die sie aufgezogen hat. Wenig später findet die Polizei einen zweiten Toten, Denton Abagnall. Der Privatdetektiv sollte im Auftrag der Archers ermitteln, und das hat ihn das Leben gekostet. Doch anstatt den wahren Mörder zu suchen, der laut Cynthia von den Ereignissen vor 25 Jahren weiß, ermittelt die Polizei gegen die Familie. Da trifft ein anonymer Brief ein, der mit dem Verschwinden von Cynthias Eltern zu tun hat …

Anders als man es vielleicht erwartet, ist Cynthia nicht die Erzählerin dieser Geschichte. Ihr Mann Terry berichtet, wie das Wiederaufrollen des Verschwindens die Familie zerrüttet und ihren Alltag belastet. Terry ist ein sympathischer Ich-Erzähler, wenn auch nicht sonderlich interessant. Er verkörpert den netten, aber leicht langweiligen Lehrer, der es mit niemandem böse meint. Trotzdem ist er gut ausgearbeitet und wirkt dadurch, dass er so alltäglich ist, sehr authentisch.

Der Schreibstil, der Terry Archer begleitet, ist sehr stimmig gelungen. Barclay schreibt flüssig mit einem leichtfüßigen, nie bösen Humor. Sein Wortschatz ist gewählt, aber nicht zu sehr, und sein Satzbau ist klar. „Ohne ein Wort“ lässt sich sehr flüssig und angenehm lesen.

Bei den anderen Personen ist es ähnlich. Sie sind gut ausgearbeitet, aber es fehlt ihnen an Originalität. Sie wachsen dem Leser zwar ans Herz, aber wer auf der Suche nach etwas Neuem und Besonderem ist, wird bei „Ohne ein Wort“ nicht fündig. Insgesamt präsentiert sich das Buch mehr als Hausmannskost denn als echte Delikatesse.

Das merkt man auch der Handlung an, die recht konventionell aufgebaut ist. Alle Ereignisse, die darauf hindeuten, dass es hier nicht mit rechten Dingen zugeht, bleiben in einem Rahmen, der nur wenig Spannung zulässt. Das bedeutet nicht, dass die Story schlecht wäre. Im Gegenteil baut Barclay sein Buch logisch auf und steigert die Spannung schön zum Ende hin. Dennoch ist das Buch nicht so fesselnd wie manch anderer Psycho-Thriller. Dafür fehlen die wirklich ausgefallenen Ereignisse und weniger leicht durchschaubare Ungereimtheiten.

Was Barclay sich über das Buch hinweg aufbaut, hält er am Ende leider nicht ein. Die Auflösung des Falls ist nicht wirklich spektakulär, auch wenn sie überrascht. Trotzdem hätte es sich gelohnt, das Ende so zu gestalten, dass die Auflösung auch wirklich am Ende steht. An dieser Stelle verschießt Barclay sein Pulver ein wenig zu früh, auch wenn man seiner sauberen Handarbeit keinen Vorwurf machen kann.

Insgesamt ist „Ohne ein Wort“ ohne Frage ein Psycho-Thriller der besseren Sorte. Der Schreibstil ist gelungen und reißt mit, und die Personen sind sympathisch, wenn auch nicht gerade Originale. Barclays Art, auf Qualität statt auf Innovation zu setzen, rächt sich erst bei der Handlung. Der Aufbau ist konventionell und das Ende wenig spektakulär. Dadurch hat die Spannung wenig Gelegenheit, um sich wirklich gut zu präsentieren, verschwindet aber nie von der Bildfläche.

http://www.ullstein-taschenbuch.de

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