Bass, Bill / Jefferson, Jon – Eine Hand voll Asche

_Das geschieht:_

Viel Arbeit und Aufregung warten auf Dr. Bill Brockton, Leiter des Anthropologischen Instituts der University of Knoxville im US-Staat Tennessee, der außerdem oft von der Polizei oder den Justizbehörden zu Rate gezogen wird, wenn es gilt, einer durch Verwesung oder anderweitig den normalen Untersuchungsmethoden der Kriminologie entzogenen Leiche das Geheimnis ihres Todes zu entlocken. Als Gründer der berühmt-berüchtigten „Body Farm“, auf deren Gelände das Verrotten von Menschenkörpern studiert wird, ist er darin zum Meister avanciert.

Dr. Edelberto Garcia, der Medical Examiner von Knox County, bittet ihn um Rat in einem möglichen Mordfall. In einem ausgebrannten Autowrack wurde die Leiche von Mary Latham gefunden. Sie wurde womöglich von ihrem Gatten ermordet, doch das Feuer hat offenbar sämtliche Indizien vernichtet. Brockton entdeckt, dass die Frau schon Tage tot war, bevor sie verbrannte, was die Ermittlungsarbeit noch kompliziert, denn der Gatte hat für den in Frage kommenden Zeitraum ein ausgezeichnetes Alibi.

Zunächst als Gefallen beginnt Brockton Nachforschungen für den Strafverteidiger Burt DeVries. Er wurde von seinem Onkel alarmiert, nachdem dieser in der Asche seiner feuerbestatteten Gattin deren künstlichen Kniegelenke vermisste. Brockton soll klären, was in dem Bestattungsinstitut falsch gelaufen ist. Stattdessen kommt er einem anrüchigen aber lukrativen Betrug auf die Spur.

Schließlich wird Brockton von der Vergangenheit eingeholt. Im Vorjahr hatte ein alter Widersacher, der Gerichtsmediziner Garland Hamilton, erst seine Lebensgefährtin umgebracht und dann versucht, Brockton als Mörder zu diskreditieren (s. „Bis auf die Knochen“). Hamilton wurde gefasst und wartete im Untersuchungsgefängnis von Knox County auf seinen Prozess. Jetzt ist er entkommen und spurlos verschwunden; man muss damit rechnen, dass er seine noch offene Rechnung mit Brockton endgültig zu begleichen versucht …

_Scheußlich genug gibts gar nicht_

|O tempora, o mores| … Viele Jahre haben sie ihre wichtige und verantwortungsreife Arbeit im Schutze abgelegener Labors geleistet. Zum Vorschein oder gar ans Licht der Öffentlichkeit gerieten sie höchstens, wenn sie als Sachverständige vor Gericht geladen wurden, wo sie sich so lange mit komplizierten Fachausdrücken artikulierten, bis den Geschworenen die Köpfe schwirrten. Kaum zu glauben, dass ausgerechnet die Zunft der Gerichtsmediziner heutzutage regelrechte Medienstars hervorbringt.

Wie so oft verdanken sie ihren Aufstieg den Medien. In den 1990er Jahren wurde die ehemalige Polizeireporterin Patricia Cornwell mit ihrer Serie um die Gerichtsmedizinerin Kay Scarpetta zur Bestseller-Autorin und folgerichtig zur Wegbereiterin unzähliger vom Erfolg des Themas „inspirierter“ Schriftsteller. Bald wurden Film und vor allem Fernsehen aufmerksam. Spätestens der phänomenale Siegeszug der „CSI“-Serien und ihrer Nachzügler schufen dem jungen Sub-Genre ein solide zementiertes Fundament, auf dem – der Kreis schließt sich – auch die Sachbücher ruhten, mit denen mancher alte Forensiker-Kämpe sich seinen Teil vom Kuchen sicherte.

|Leichen sind sexy|

Zu ihnen gesellte sich 2004 William M. Bass, der zwei Jahre nach einer (ersten) Autobiografie mit seinem Co-Autor Jon Jefferson die Erfahrungen seiner langen Karriere lukrativ trivialisierte. Die Realität dient den Romanen um Dr. Bill Brockton als Vorlage. Sie wird primär dort variiert bzw. vereinfacht, wo es der Handlung dienlich ist. Da das Leben selbst bekanntlich die besten Ideen liefert, werden Bass die Einfälle für weitere Bände der erfolgreich gewordenen Serie sicher nicht ausgehen – für ihn ist quasi Alltag, was den lesenden Laien aus sicherer Entfernung angenehm gruselt.

Denn Leichen faszinieren, wenn man ihrem Anblick gefiltert durch bedrucktes Papier oder die Mattscheibe ausgesetzt wird. Das Interesse am toten Körper ist durchaus verständlich, da der Mensch neugierig ist und wissen möchte, was nach dem unausweichlichen Ende mit ihm geschehen wird. Die Begeisterung über die Leiche als Archiv aus Fleisch, Knochen & Blut, das Informationen über Leben und Tod buchstäblich speichert, wird noch gesteigert, wenn letzterer durch ein Verbrechen verursacht wird. Was Polizei und Justiz verborgen bleibt und den Mörder entkommen lässt, kann der Gerichtsmediziner womöglich dechiffrieren, weil er über die notwendigen Schlüsselkenntnisse verfügt.

Die realiter langwierige und langweilige Routinearbeit im Labor wird dabei gerafft bzw. unterhaltsam aufbereitet. Was eigentlich lange währt, bricht deshalb gern in Gestalt plötzlicher Geistesblitze über einen ohnehin latent genialen Dr. Brockton herein, der sich außerdem auf einen Stab ihm verbundener bis höriger Mitarbeiter und Zuträger stützt, die Recherche- und Laufarbeiten für ihn erledigen, der sich – zum Vorteil der Leserschaft – auf die zentralen Ereignisse konzentrieren kann.

|Heißer Sommer in Tennessee|

Für diejenigen Leser, die von einem Kriminalroman mehr als das Stochern in Leichen und Knochenresten erwarten, zeigt sich genau darin der Schwachpunkt. „Eine Hand voll Asche“ ist ein Thriller ohne straff gespannten roten Faden. Gleich drei Plots sollen für Spannung sorgen, zwischen denen Hauptdarsteller Brockton ruhelos hin und her mäandert. Die Handlung zerfällt in Episoden, die nie wirklich zueinander finden. Sie werden durch die Figur des Dr. Brockton verklammert, der zwar in Gefahr gerät aber niemals den Boden unter den Füßen verliert. Seine inneren und äußeren Konflikte wirken aufgesetzt; sie berühren die recht langweilige Figur kaum. Die dramatischen Ereignisse folgen einschlägigen Klischees und sind niemals wirklich überraschend. Besonders missglückt ist die Wiederkehr des Garland Hamilton, der in einem plump inszenierten Finale wie eine literarische Altlast verklappt wird.

Die Lücken zwischen dem, was eigentlich eine stringente Handlung bilden sollte, füllt Autor Bass mit wissenschaftlich abgespeckten Vorträgen über sein Fachgebiet (s. o.) oder Auszügen aus dem Handbuch für den modernen Feuerbestatter. Im Anhang werden Zeichnungen des menschlichen Skeletts abgebildet, die wohl vor allem dem Leser die Lektüre eines Romans vorgaukeln sollen, aus dem er (oder sie) etwas lernen können. Stattdessen setzt Bass unverhohlen auf den Grusel- und Ekel-Effekt dieser Szenen und hofft, das Durchhängen der Handlung auf diese Weise zu übertünchen.

Wenn alle Stricke reißen, schiebt Bass einen Besuch auf Brocktons „Body Farm“ ein. Die gibt es tatsächlich, und dort verrotten Leichen zum Nutzen von Forschung und Kriminologie unter freiem Himmel, in Tümpeln, Kofferräumen sowie überall dort, wo ihr Studium Rückschlüsse auf reale Todesfälle gestattet. Vor allem die Medien haben den Geisterbahn-Faktor dieses Ortes gierig aufgegriffen und ausgeschlachtet, aber auch William M. Bass, ihr Gründer, nutzt ihn, um die Werbetrommel für die Forensik zu rühren.

|Sie mögen ihn trotzdem|

Was macht die mittelmäßigen Brockton-Krimis so erfolgreich? Wahrscheinlich genau das: Sie erfüllen ihren Unterhaltungszweck ohne Ecken und Kanten, ohne Widerhaken, an denen ein auf feierabendliches Lektürevergnügen geeichter Leser hängenbleiben kann. Freundlich und flüssig spult der Verfasser seine Handlung ab, würzt sie mit gar erschröcklichen aber nie schockierenden Gruseleien und schmeckt das Ergebnis mit freundlich-unverbindlicher „buddy“-Atmosphäre ab, für die Büro-Inventar Miranda, Kumpel Art Bohanan oder Sohn Jeff zuständig sind. Auf diese bewährte Weise kann Jefferson Bass sein Garn geruhsam und vor allem noch lange weiterspinnen!

|Anmerkung|

Wer übrigens meint, Bass habe es übertrieben mit der Schilderung eines Bestatters, der seine tote „Kundschaft“ wie Abfall in seinem Hinterhof stapelt, irrt gewaltig. Die Realität schlägt weiterhin jede Fiktion: Bass erzählt quasi nach, was die schockierte Polizei 2002 auf dem Gelände des Tri-State-Krematoriums im US-Staat Georgia entdeckte – ein Fall, der inzwischen u. a. für die TV-Serie „CSI Las Vegas“ aufgegriffen wurde.

_Autor/en:_

William M. Bass (III.) wurde 1928 in Staunton (US-Staat Virginia) geboren. Er studierte Psychologie an der University of Virginia. Nach seinem Abschluss 1951 leistete Bass seinen Wehrdienst bei der US Army. 1953 ging er an die University of Kentucky und studierte Anthropologie; den Doktortitel in diesem Fach verlieh ihm 1961 die University of Pennsylvania. Bass wechselte ins Lehrfach. Zwischen 1960 und 1971 lehrte er an der University of Kansas, bevor ihn die University of Tennessee die Leitung des Anthropologischen Fachbereichs übertrug. Bis zu seiner Emeritierung (1995) hatte Bass diese Position inne; darüber hinaus war er von 1992 bis 1994 Direktor des „Forensic Anthropology Center“.

Seine einschlägigen Kenntnisse ließen Bass zum oft frequentierten Berater des FBI avancieren, der an der Lösung zahlreicher Kriminalfälle beteiligt war. Vor allem dieser Aspekt seiner Forschertätigkeit (sowie natürlich sein Amt als Leiter der Body Farm) machten Bass für die Medien interessant. Das verstärkte sich 2003, nachdem Bass unter dem Titel „Death’s Acre“ erfolgreich seine Memoiren (dt. „Der Knochenleser“) veröffentlichte. Er hatte sie gemeinsam mit dem Journalisten und Schriftsteller Jon Jefferson geschrieben. (Eine „Fortsetzung“ erschien 2007.)

Mit Jefferson als Co-Autor (aber wohl unter dessen Federführung) verfasste Bass ab 2006 als „Jefferson Bass“ eine Serie von Kriminalromanen um den forensischen Anthropologen Dr. Bill Brockton – die Verfasser machen keinen Hehl daraus, an welches reale Vorbild sich diese Figur anlehnt -, der unter Einsatz jenes Leichenlabor-Ambientes, welches sich dank Patricia Cornwell, Kathy Reichs und „CSI“ großer Publikumsbeliebtheit erfreut, eigentlich unmögliche Fälle löst.

Über „Jefferson Bass“ informiert diese Website: [www.jeffersonbass.com]http://www.jeffersonbass.com.

|Taschenbuch: 349 Seiten
Originaltitel: The Devil’s Bones (New York : William Morrow/HarperCollins 2008)
Übersetzung: Elvira Willems
Deutsche Erstausgabe: Juni 2009: (Goldmann Verlag/TB Nr. 45920)
ISBN-13: 978-3-442-45920-9|
[www.goldmann-verlag.de]http://www.goldmann-verlag.de

_Jefferson und Bass bei |Buchwurm.info|:_
[„Der Knochenleser“ 465

Schreibe einen Kommentar