Dübell, Richard – Eine Messe für die Medici

_Story_

Es ist das Jahr 1478, und Italien durchlebt gerade den Machtkampf zweier herrschender Parteien: Der Papst Sixtus IV. versucht, der Familie de Medici ihren alleinigen Machtanspruch über Florenz, dessen Umgebung und einige weitere Regionen abzuschnüren. Somit befindet sich das Land in dem dazugehörigen Zustand: Überfälle gesetzloser Banden machen die Straßen unsicher, italienische Kaufleute fragen sich, mit welcher Partei sie ihre Geschäfte abwickeln sollen, und daraus wiederum ergibt sich ein Andrang ausländischer Handelshäuser, die die großen Gewinne riechen. Zu eben jenen zählt auch die polnische Kauffrau Jana Dlugosz, deren Vater gerade verstorben ist und ihr das Handelshaus Dlugosz hinterlassen hat. Da ihre Verwandten aber gegen die Führung einer Frau sind und ebenfalls ein Auge auf das gutgestellte Unternehmen werfen, haben sie Jana einen Dienstboten namens Stepan Tredittore zur Überwachung geschickt. Dieser soll jegliche Verfehlung Janas sofort berichten, damit ihre Absetzung beschlossen werden kann. Allerdings hat die junge Frau in ihrem Gefährten, dem Landshuter Kaufmann Peter Bernward, eine tatkräftige Unterstützung, die auch Tredittore unter Kontrolle halten kann.

Nachdem Jana in Prato, 20 Kilometer von Florenz entfernt, ein gutes Geschäft abschließen konnte, will sie weiter nach Florenz, um dort mit noch mehr Gewinn ihre Verwandten von ihren Fähigkeiten überzeugen zu können. Bernward ist aufgrund der Unruhen im Lande zwar dagegen, stimmt der Reise aber letztendlich zu – immerhin bestehen in der noch jungen Beziehung zwischen ihm und Jana genug Differenzen. Doch in Florenz angekommen, geraten beide sehr schnell in einen Alptraum: Während der Ostermesse im Dom Santa Maria del Fiore wird ein Attentat auf Giuliano und Lorenzo de Medici ausgeführt – Giuliano wird von einem Priester mit einem Messer erstochen, Lorenzo kann verwundet entkommen. Sofort lässt Lorenzo nach den Verschwörern fahnden, und im Zuge seiner Verfolgung wird auch Jana verhaftet. Bernward macht sich auf die Suche nach Beweisen für die Unschuld seiner Gefährtin. Er findet Verbindungen von Jana zu Anhängern der Pazzi-Familie, der Familie, die mitunter die Hauptbeteiligten der Verschwörung sind. Und je weiter er forscht, desto mehr Zweifel kommen auf: Hat Jana sich in ihrem Wunsch nach dem dicken Fang blenden lassen? Während der Kaufmann immer tiefer in die Pazzi-Verschwörung eintaucht, legen ihm sowohl Tredittore als auch sein eigener Schwiegersohn Kleinschmidt Steine in den Weg. Dabei läuft dem alten Mann die Zeit davon, denn auf Jana wartet bereits die Folterkammer …

_Meine Meinung_

Der Roman erzählt über einem Zeitraum von genau fünf Tagen: Am 24. und 25. April 1478 weilen Jana und Bernward in Prato. Sie erleben die Hinrichtung einer Sklavin, die ihren Herrn vergiftet hat. Diese Szene verdeutlicht den Machtverlust, den die Medici-Familie bereits 20 Kilometer von Florenz entfernt hinnehmen muss. In den politischen Kampf gegen den Papst verstrickt, vernachlässigen sie ihre Gerichtsausübung in der Umgebung und verlieren damit den Einfluss über die Menschen. Am 26.04. findet das Attentat auf die ranghöchsten Mitglieder der Medici statt, und Florenz erhebt sich danach zu einem Berg aus Gewalt und Angst. Einer der Hauptverschwörer, der 70-jährige Jacopo de‘ Pazzi, wird von der rachsüchtigen Meute auf der Straße quasi in Stücke gerissen und danach in den Fluss Arno geworfen, seiner Familie werden die florentinischen Besitztümer weggenommen. Ein weiterer Verschwörer, der Erzbischof Francesco Salviati, wird an der Mauer des Palazzo della Signoria (dem Regierungsgebäude von Florenz) aufgehängt, mit ihm die zwei tatausführenden Priester. Obwohl Lorenzo gegen diese Lynchmorde war, gelang es ihm nur, den dritten Hauptbeteiligten, den Kardinal Raffaele Riario, zu retten.

Der Tag des 27.04. ist von Bernwards Nachforschungen ausgefüllt, die ihn sowohl Ungereimtheiten als auch Beweise für Janas Schuld finden lassen. Seine Zweifel, seine Verzweiflung und seine immer wieder erwachenden Hoffnungen stellen den zweiten wichtigen Bestandteil des Romans dar. Zudem gesellt sich die Verlockung in Form von Beatrice Pratini hinzu, eine Frau, die den alten Kaufmann dazu bringt, seine Liebe zu Jana zu hinterfragen und schließlich zu bestätigen. Erst da kann Bernward mit ganzem Herzen und sogar unter Einsatz seines eigenen Lebens die Gefährtin unterstützen. Schlussendlich bleibt der 28.04., der Tag, der die Auflösung um die Schuld oder Unschuld Jana Dlugoszs bringt, der die Hintergründe von Janas Geschäften aufzeigt und der vermeintlich Unschuldige plötzlich in einem ganz anderen Licht dastehen lässt.

Dübell kann es einfach! Der Autor hat einen guten Riecher für Storys, ein geschicktes Händchen für die Ausarbeitung der Charaktere und ein schriftstellerisches Talent, um das Ganze zu einem fesselnden Buch zusammenzufügen. Das Medici-Attentat war wohl weit umfangreicher und komplizierter ausgefallen, als Dübell es schildert, allerdings sind die wichtigsten geschichtlichen Ereignisse und Personen korrekt eingefügt. Dübell selbst erläutert die Freiheiten, die er sich für den Roman herausgenommen hat, wie so viele Autoren in einem Nachwort, das ebenfalls noch zusätzliche Informationen zu der Pazzi-Verschwörung enthält.

Sehr zu meiner Freude ist Peter Bernward, der Landshuter Kaufmann, mit von der Partie. Bereits in Dübells Debüt [„Der Tuchhändler“ 2750 war ich von diesem Charakter sehr angetan und auch bei seinem zweiten Auftritt bleibt er der Freund für mich. Bernward ist durch und durch menschlich – obwohl der offensichtliche Held der Geschichte, hat er Ängste, Zweifel und Hoffnungen. Er ist nicht der Heroe, sondern darf Fehler machen, er darf Schwäche zeigen, und das macht ihn zur Identifikationsfigur schlechthin. Und er fällt nicht aus seiner Zeit heraus, wie die Hauptpersonen anderer historischer Romane, die irgendwie immer ihrer Zeit voraus sind und nur damit einen Konflikt erzeugen können. Nein, Bernward ist ein Kaufmann des 15. Jahrhunderts, er ist eingespannt in die mittelalterliche Glaubenswelt, er hat Angst vor der großen Welt außerhalb seines kleinen Landshuts. Er ist mit seinen über 40 Jahren bereits alt – und so wird er auch beschrieben, als alter Mann, der nur aufgrund seines Köpfchens seiner Gefährtin helfen kann. Mit Bernward steigt oder fällt der Spannungsbogen der Geschichte, und da ihm Auszeiten zugestanden werden – die ein alter Mann ja auch braucht -, kann der Leser immer wieder das gerade Erzählte reflektieren und seine eigenen Überlegungen anstellen. Das ist von Dübell sehr geschickt gemacht und führt zu einem spannungsgeladenen Übergang zur nächsten Szene, die sich garantiert wieder überschlägt und den Leser atemlos zurücklässt.

Und noch etwas spricht für Dübell: Seine Ortsbeschreibungen lassen jedes Dorf und jede Stadt lebendig werden. Florenz erstrahlt im Angesicht von Kunstwerken, versumpft in der Armut von Elendsvierteln, wird zur reißenden Bestie, wenn ihre Bewohner Rache üben, und wird zum Bollwerk für ausländische Besucher, wenn sich Florenz innerhalb seiner Mauern uneins ist. Florenz ist das Zentrum der Macht der Medici-Familie, und Lorenzo de Medici verkörpert Florenz. Viele der Verschwörer hassten ihn nicht, sondern sie neideten ihn; um sein Geld, seinen Einfluss und wohl auch um seine Beliebtheit. Dübell schildert eindrucksvoll das Entsetzen der Florentiner nach dem Angriff, aber noch lebhafter und nachhaltiger bleiben mir wohl die Racheakte dieser unaufhaltsamen Menschenmenge im Kopf, die einen der Mörder mitten auf dem Platz vor dem Palazzo in Stücke reist – Menschen, die zusammen ein Ungeheuer bilden, dessen Wut und Zorn erst abebbt, als der Priester ein Haufen Fleischklumpen ist. Das Ungeheuer fällt in Ungläubigkeit und Scham ob des eigenen Tuns panikartig zusammen. Was für ein Bild!

Somit hat mich auch das dritte Buch von Dübell begeistert. „Ich darf Ihnen versichern, dass ich mich gesegnet fühle, meinen Traumberuf zum Broterwerb gemacht zu haben …“, schreibt Dübell auf seiner Homepage. Ich darf sagen, ich freue mich riesig, dass er das geschafft hat, und werde mir gleich den nächsten Roman um Bernward vornehmen. Wie schön das Lesen doch sein kann!

Homepage des Autors: http://www.duebell.de
http://www.bastei-luebbe.de