Ishiyama, Ken – Grimms Manga

Es mag auf den ersten Blick ein wenig ungewöhnlich erscheinen, dass die legendären Gebrüder Grimm auch auf dem Manga-Markt präsent sind. Aber wer das japanische Faible für Märchen kennt, sollte eigentlich weniger erstaunt sein, dass man sich früher oder später einiger [berühmter Märchen 3456 des wohl berühmtesten Brüderpaars des Genres angenommen und sie in Form eines illustrativen Sammelbands veröffentlicht hat.

Der Mann hinter dieser Idee heißt Ken Ishiyama, ein bislang eher unbekannter Autor auf dem Spartenmarkt, der fünf Geschichten der Grimms aufgegriffen und sie in kurzweiliger, unterhaltsamer Form wiedergegeben, jedoch auch neu interpretiert hat. Den Start macht dabei die Geschichten von Rotkäppchen und dem bösen Wolf. Letzterer ist jedoch in Ishiyamas Fassung der heimliche Held und nicht der Bösewicht. Zwar ruhen in ihm mächtige Kräfte, doch setzt er diese lediglich dazu ein, um sich seiner Häscher zu erwehren und Rotkäppchens Großmutter zu imponieren, damit diese bei der Rückkehr ihrer Enkeltochter von der Betriebsamkeit des Wölfchens berichten kann. Dann jedoch greift der Jäger ein, der das Wesen mit den zwei Gesichtern seit längerer Zeit sucht und es töten will. Dabei hat das Wölfchen gar nichts Böses im Sinne.

Die zweite Geschichte erzählt von der verzweifelten Liebe zwischen Rapunzel und Eva, die jäh unterbrochen wird, bevor das Schicksal die beiden wieder zusammenbringt. Auch hier distanziert sich der Autor ein ganzes Stück weit von der Original-Geschichte und betont stattdessen die Liebe zwischen Rapunzel und Eva – eine Liebe, wie sie bei den Gebrüdern Grimm noch ganz anders definiert und vor allem ausgelebt wurde. Aber es ist schon angenehm, dass Ishiyama hier seine eigene Note mit einbringt.

Hänsel und Gretel stehen dem in nichts nach. Jedoch variiert die Geschichte ab dem Zeitpunkt, an dem die Geschwister von ihrem armen Vater und der Stiefmutter ausgesetzt wurden. Hänsel ist in der japanischen Variante der Geliebte der Hexe und verstößt seine Schwester. Erst sein Verantwortungs- und Pflichtgefühl bringt ihn wieder zur Besinnung. Spätestens hier wird deutlich, dass der Autor das Schwergewicht seiner improvisierten Märchen auf die Betonung der Liebschaften legt, was einerseits dazu führt, dass seine Interpretationen vorhersehbar werden, andererseits aber auch einige frische Nuancen offenbart, die der Story schließlich eine ganz andere, aber dennoch interessante Bedeutung verleihen. Aber auch hier stellt sich ein wesentliches Problem ganz deutlich dar: Die Erzählungen sind teilweise viel zu kurz und wirken eher sprunghaft als detailverliebt. Gerade ‚Hänsel und Gretel‘ und ‚Rapunzel‘ hätten etwas mehr Tiefe sehr gut vertragen können.

In der zweiten Hälfte ist diesbezüglich aber dann eine spürbare Verbesserung ersichtlich. Die nächste Liebesgeschichte ‚Die zwölf Jäger‘ gehört deutschlandweit nicht gerade zum Märchen-Mainstream. Es ist eine der weniger bekannten Geschichten der Gebrüder Grimm, aber definitiv eines der versteckten Juwelen der Sammlung der beiden Märchenforscher. Sie erzählt vom Leben eines jungen Prinzen, der gerade seine große Liebe entdeckt hat, am Sterbebett seines Vaters aber geloben muss, die auserwählte Prinzessin zu ehelichen, um die Zukunft des Landes zu sichern. Widerwillig lässt sich Maximilian auf den Pakt ein und regiert zunächst mit gebrochenem Herz. Dann taucht jedoch ein merkwürdiger Jäger auf und wird zum engsten Verbündeten des neuen Königs. Und natürlich handelt es sich hierbei um die unfreiwillig verstoßene Christina, die mit aller Macht um die Liebe kämpft.

Das Highlight hat man sich schließlich bis zum Schluss aufbewahrt und auch entsprechend ausgeschmückt. ‚Die zwei Brüder‘ wird als Zweiteiler publiziert und hält sich von allen fünf Neufassungen am nächsten am Original. Hier zeigt sich zu guter Letzt, dass die Geschichten erst dann so richtig aufleben, wenn der nötige Entfaltungsspielraum gewährleistet ist. Das Ganze wirkt weitaus weniger gedrungen und gestrafft als noch die ersten Kapitel, sondern ist gegenteilig auch weitaus spannender und abwechslungsreicher aufgebaut. Einfach ein perfektes Märchen mit deutlicher Botschaft, feiner Moral, sympathischen Charakteren und einer ausgeprägten Auseinandersetzung zwischen Gut und Böse. Genau dies hätte man sich insgesamt für alle Märchen gewünscht.

Der wesentliche Kritikpunkt ist somit leicht formuliert; Ken Ishiyama kommt teils viel zu schnell auf den Punkt und nimmt den einzelnen Handlungen oft den größten Teil ihrer Lebendigkeit. Dass es durchaus anders geht, beweist er im mit Abstand besten Teil, dem abschließenden ‚Die zwei Brüder‘, welches als Kaufanreiz das einzige wirklich schlagkräftige Argument darstellt. Die übrigen Geschichten sind zwar allesamt toll gezeichnet, aber schlichtweg viel zu kurz in ihrer Darstellung. Wobei Potenzial natürlich – nicht nur wegen der Vorlage – ganz bestimmt in allen hier vorliegenden modernen Versionen vorhanden ist und der geneigte Interessent nicht abgehalten werden sollte, mal einen Blick zu riskieren.

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