Jeschke, Wolfgang; Aldiss, Brian W. (Hrsg.) – Titan-20

_Die Erde wird verschachert: klassische SF-Erzählungen _

In der vorliegenden Ausgabe des Auswahlbandes Nr. 20 von „Titan“ sind nicht Beiträge zur „Science Fiction Hall of Fame“ gesammelt, sondern klassische SF-Erzählungen der 1950er Jahre – Thema sind „Galaktische Imperien“. Dies ist der dritte von vier TITAN-Bänden zu diesem Thema.

Die Kriterien der deutschen Bände waren nicht Novität um jeden Preis, sondern vielmehr Qualität und bibliophile Rarität, denn TITAN sollte in der Heyne-Reihe „Science Fiction Classics“ erscheinen. Folglich konnten Erzählungen enthalten sein, die schon einmal in Deutschland woanders erschienen waren, aber zumeist nicht mehr greifbar waren.

TITAN sollte nach dem Willen des deutschen Herausgebers Wolfgang Jeschke ausschließlich Erzählungen in ungekürzter Fassung und sorgfältiger Neuübersetzung enthalten. Mithin war TITAN von vornherein etwas für Sammler und Kenner, aber auch für alle, die Spaß an einer gut erzählten phantastischen Geschichte haben.

_Die Herausgeber _

1) Wolfgang Jeschke, geboren 1936 in Tetschen, Tschechei, wuchs in Asperg bei Ludwigsburg auf und studierte Anglistik, Germanistik sowie Philosophie in München. Nach Verlagsredaktionsjobs wurde er 1969-1971 Herausgeber der Reihe „Science Fiction für Kenner“ im Lichtenberg Verlag, ab 1973 Mitherausgeber und ab 1977 alleiniger Herausgeber der bis 2001 einflussreichsten deutschen Sciencefiction-Reihe Deutschlands beim Heyne Verlag, München. Von 1977 bis 2001/02 gab er regelmäßig Anthologien – insgesamt über 400 – heraus, darunter die Einzigen mit gesamteuropäischen Autoren.

Seit 1955 veröffentlicht er eigene Arbeiten, die in ganz Europa übersetzt und z.T. für den Rundfunk bearbeitet wurden. Er schrieb mehrere Hörspiele, darunter „Sibyllen im Herkules oder Instant Biester“ (1986). Seine erster Roman ist „Der letzte Tag der Schöpfung“ (1981) befasst sich wie viele seiner Erzählungen mit Zeitreise und der Möglichkeit eines alternativen Geschichtsverlaufs. Sehr empfehlenswert ist auch die Novelle „Osiris Land“ (1982 und 1986). Eine seiner Storysammlungen trägt den Titel „Schlechte Nachrichten aus dem Vatikan“.

2) Brian W. Aldiss (* 1925) ist nach James Graham Ballard und vor Michael Moorcock der wichtigste und experimentierfreudigste britische SF-Schriftsteller. Während Ballard nicht so thematisch und stilistisch vielseitig ist, hat er auch nicht Aldiss’ ironischen Humor.

Aldiss wurde bei uns am bekanntesten mit seiner Helliconia-Trilogie, die einen Standard in Sachen Weltenbau in der modernen SF setzte. Das elegische Standardthema von Aldiss ist die Fruchtbarkeit des Lebens und die Sterilität des Todes. Für „Hothouse/Der lange Nachmittag der Erde“ bekam Aldiss den HUGO Award. Er hat auch Theaterstücke, Erotik, Lyrik und vieles mehr geschrieben.

_Die Erzählungen_

_1) John D. MacDonald: „Flucht ins Chaos“ (1951)_

Andro ist der dritte Kronprinz von Kaiser Shain, doch der missratene Sohn rebelliert gegen seinen Vater. Der Kaiser verfügt mit einem Wink seinen Tod. Die Brüder Andros mühen sich zusammen mit Delaran, dem Feldherrn, Andro zur Strecke zu bringen. Doch es ist wie verhext: Ein ums andere Mal entschlüpft ihnen der Gejagte, als ob er einen Schutzengel hätte. Und beim sechsten Mal verschwindet Andro einfach spurlos …

Er erwachst auf einer fremden Welt, stellt sich aber weiterhin bewusstlos. Schließlich ist er ja ein ausgebildeter Krieger. Kaum beugt sich die fremde Frau über ihn, versetzt er ihr einen Faustschlag, dass sie bewusstlos umkippt. Er schaut sich um, betrachtet die Fremde. Er hat alle seine Kampfesgenossen und seine Geliebte verloren, also muss dies eine Feindin sein. Sie trägt eine zitronengelbe Toga und am Gürtel sechs glänzende Instrumente, die er ihr abnimmt und versteckt.

Sie nennt sich Calna und behauptet, sie sei Agentin einer geheimen Macht, die die Welten des Universums zu einem einheitlichen Entwicklungsstand zusammenführen wolle. Sie habe Andro schon mehrfach das Leben gerettet. Er glaubt ihr nicht, denn welchen Grund hätte sie dazu. Mit geschickten Akupressurgriffen setzt sie ihn außer Gefecht, bevor sie ihre Instrumente wieder am Gürtel befestigt.

Ihre Mitagenten seien hinter ihr her, und auf dieser Welt seien sie nicht sicher. Andro will auf seine Heimatwelt, um dort einen Aufstand anzuzetteln. Aber dort habe Deralan dem Kaiser den Beweis gezeigt, dass Andro tot sei. Sie selbst hatte Deralan den Beweis in die Hand gelegt. Würde Andro nun dort auftauchen, müssten die Sklaven, die er zu befreien beabsichtigt, glauben, er sei wiederauferstanden. Na schön, muss er eben sein Gesicht umgestalten.

Zusammen gehen sie mit ihrem Agentenschiff nach Simpar und verstecken sich unter der Erde vor den Agenten, die Calna, die Abtrünnige, suchen. Der Aufstand der befreiten Sklaven wird ein voller Erfolg, und schon bald brennt die Stadt lichterloh. Doch Deralan hat eine Sklavin ausgehorcht und überrascht von Andros Anwesenheit erfahren. Als die wütenden Sklaven auch Andro, den sie nicht erkennen, angreifen und die schöne blonde Frau neben ihm ihn mit einer unbekannten Waffe verteidigt, weiß Deralan Bescheid.

Er folgt ihnen unauffällig zu ihrem Schiff. Er zieht das Messer, um es in Andros Rücken zu werfen. Doch eine unbekannte Macht ergreift von ihm Besitz und schleudert das Messer auf ein neues Ziel …

|Mein Eindruck|

Die 60 Seiten lange Erzählung folgt keineswegs dem oben skizzierten Handlungsverlauf, der nur einen kleinen Teil des Geschehens abdeckt. Vielmehr scheint das Thema der Geschichte weniger Aufstand, Kampf und Romanze zu sein, als vielmehr die Bedeutung von Statistik für die soziologische Entwicklung von wahrscheinlichen Welten. Insofern ist es eine sowohl eine Übung in Statistik als eine Variation der Psychohistorik, die Asimov schon in den vierziger Jahren „erfand“.

Der Direktor der „sozionetischen Agentur“ steuert demnach die 26 Welten der Wahrscheinlichkeit in ihrer Entwicklung, zu ihrem eigenen Wohl, aber auch um die Kontrolle zu behalten. Agentenschiffe vermögen es, von einem Rahmen der Wahrscheinlichkeit – sprich: Welt – zum nächsten und übernächsten zu „schlüpfen“, indem sie die quantenmechanische Wahrscheinlichkeit beugen. (Nicht gerade eine neue Idee.)

Doch was die abtrünnige Agentin Calna zusammen mit Andro tut, lässt auf der Welt Simpar alle anderen Wahrscheinlichkeiten zusammenbrechen. Es gibt nur noch eine einzige Wahrscheinlichkeit. Es gibt für sie folglich kein Entkommen mehr. Doch eine fremde Macht bemächtigt sich Delarans Geist, der ein Gerät konstruiert, das die anderen Wahrscheinlichkeitsrahmen wieder zugänglich macht. Doch wer oder was verbirgt hinter dieser Macht?

Calna erfährt es nicht. Denn als sie zum Direktor zurückkehrt, kann sie sich an ihre Erlebnisse nur wie an einen verrückten Traum erinnern. Sie will neu konditioniert werden. Der letzte Satz allein gibt uns einen Hinweis darauf, dass der Direktor dahinterstecken könnte. Er denkt an die Einfachheit der „dritten atomaren Ära“. Das bedeutet, dass er schon sehr alt sein muss. Alt genug, um so etwas wie ein Gott zu sein …

_2) A. E. van Vogt: „Versteck“ (1943)_

In der Kleinen Magellanschen Wolke gibt es Millionen von Sonnen, doch Wetterstationen wachen auf jede Annäherung einer uralten Bedrohung. Als Gisser Watchers Systeme das Schlachtschiff von der Imperialen Erde entdecken, gibt er den fünfzig Sonnen der bewohnten Welten Alarm und trifft Vorbereitung, seine Station zu sprengen. Die Karte des Systems darf den Erdlingen keinesfalls in die Hände fallen …

An Bord des Schlachtschiffs „Star Cluster“ begrüßt ihn eine junge Frau mit blitzenden Augen. Sie stellt sich als Großkapitänin Gloria Cecily Laurr von Laurr vor. Er soll ihr alles verraten über sein Sternensystem verraten, doch sie macht den Fehler, ihm zu drohen: Alle Abtrünnigen würden zur Rechenschaft gezogen werden. Erst die Psychosonde, die Chefpsychologin Neslon einsetzt, bricht seinen psychischen Widerstand. Doch kaum beginnt er das Dellianische System zu beschreiben, als sein Verstand sich abschottet. Bemerkenswert!

Zugleich mit Watchers Molekülen wurde auch die Station mitsamt der Sternenkarte an Bord transferiert. Doch wie ihr der Chefnavigator versichert, könne die Kapitänin nichts damit anfangen, denn es fehle der Schlüssel, der Bezugspunkt. Sie bewohnten Welten seien wie die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen unter Millionen von Sonnen versteckt. Sie Suche erweist sich als ergebnislos. Zehn Jahre Suche – und jetzt das!

Gloria Cecily beschließt, Watcher zu verführen, um an die Wahrheit heranzukommen. Doch sie ist nicht auf die ungeheuerliche Wahrheit gefasst, die sie dabei unter Lebensgefahr entdeckt …

|Mein Eindruck|

Wie so häufig bei A. E. van Vogt, dem kanadischen Star in John W. Campbells Autorenriege für „Astounding Stories“, umspannt die Story ganze Sternenimperien und Galaxien. So auch hier. Das terranische Imperien schickt sich an, die Kleine Magellansche Wolke zu unterjochen und betrachtet Widerstand als Verrat.

Der Witz an der Geschichte besteht darin, dass es sich tatsächlich um Abtrünnige handelt, die das Schlachtschiff vorfindet – aber sie spalteten sich bereits vor 15.000 Jahren ab. Und alle Scanner des Schiffes können die Bewohner dieser Welten nicht finden, weil es dort längst keine Menschen mehr gibt. Sondern nur noch Roboter …

_3) Algis Budrys: „Die Lehrer“ („To Civilize“)_

Nach Generationen friedlichen Zusammenlebens mit den Bewohnern von Voroseith bekommen die Erdmenschen den Befehl, die Welt zu verlassen und zur Erde zurückzukehren. So will es die Föderation der Welten. Deric, ein junger Kulturhistoriker der Voroseii, wundert sich über die Bereitwilligkeit der Menschen, dieser Anordnung Folge zu leisten. Er befragt Morris, einen Wissenschaftler, und Berkeley, einen Opernautor.

Die Antworten, die er freundlich erhält, stellen ihn wenig zufrieden. Sie hätten ihre Aufgabe, andere Welten zu zivilisieren, erfüllt, behauptet Berkeley. Ihre Hauptaufgabe aber habe darin bestanden, die Voroseii daran zu gewöhnen, mit anderen Rassen der Föderation zusammenzuarbeiten. Allerdings vermutet Deric noch einen weiteren Grund: Der Planet Ardan hatte sich der Anordnung widersetzt und ist ausgelöscht worden. Was Deric wirklich in den Augen seiner Freunde sieht, ist Furcht …

|Mein Eindruck|

Zivilisationen beginnen, Zivilisationen enden – das ist die Lektion dieser Geschichte mir. Eine Zivilisation mag mit einem Auftrag, Kultur zu bringen, beginnen, doch rohe Gewalt mag sie ohne Weiteres beenden, ganz gleich, wie hoch ihre Verdienste sein mögen. Zivilisation, so die Botschaft des Autors, ist kein Selbstzweck, auf dessen Lorbeeren man sich ausruhen darf. Sie ist eine Funktion, eine Aufgabe, um ein gestecktes externes Ziel zu erreichen. Nach Erfüllung der Aufgabe mag sie wieder verschwinden oder woanders verlagert werden.

Aber die Geschichte ist ein schönes Beispiel dafür, dass die für ihre Aggressivität berüchtigten Menschen durchaus friedlich mit anderen Rassen zusammenleben können. Am Schluss übergibt Berkeley das Libretto zu einer neuen Oper an Deric, den Kulturhistoriker, als übergebe er den Stab für ein Amt oder erteile einen Ritterschlag.

_4) James Blish: „Pieps“ (1954)_

Josef Faber sitzt auf einer Parkbank des Planeten Randolph und passt auf, dass der Junge und das Mädchen bei ihrem Techtelmechtel nicht gestört werden. Schließlich ist es sein Job, den festgelegten Verlauf der Zukunft zu sichern, und dazugehört nun mal auch die Paarbildung und alles, was damit verbunden ist. Die Abwehr einer feindlichen Raumflotte im Pferdekopfnebel ist zwar auch ganz nett, aber der DIENST hat sich oofenbar auch um Junge-trifft-Mädchen-Ereignisse zu kümmern. Dennoch beschwert er sich bei seinem Chef Krasna, was das für einen Sinn, wo die Zukunft doch eh schon bekannt sei? Krasna zeigt ihm eine Aufzeichnung darüber, wie alles mit dem DIENST anfing …

Die bekannte und schöne Fernsehkolumnistin Dana Lje besucht den Geheimdienstler Hauptmann Robin Weinbaum in seinem Büro. Sie will wissen, ob er je von einem „Interstellaren Informationsdienst“ gehört habe? Sie habe einen Brief von einem gewissen J. Shelby Stevens erhalten, der ihr seine Dienste anbiete. Dienste, die auf einer exakten Vorhersage kommender Ereignisse beruhen! Stevens sagt eine Schlagt im Drei-Gespenster-System voraus … Weinbaum schreit auf. Diese Info sei topsecret – noch ein Wort und er müsste sie einsperren! Das findet Dana interessant.

Weinbaum will natürlich wissen, auf welche Quelle sich dieser Stevens beruft. „Auf den Dirac-Kommunikator.“ Weinbaum wird bleich. Niemand weiß, dass es dieses Gerät gibt und von seinem Dienst gerade zum Drei-Gespenster-System transportiert wird, um getestet zu werden. Es sei denn – entsetzlicher Gedanke! – jemand hat noch einen Dirac-Kommunikator erfunden. Ein Gerät, mit dem man erstmals ohne Zeitverzögerung Nachrichten mit jedem beliebigen Ort im Universum austauschen kann. Weinbaum veranlasst die Festnahme von Stevens.

Allerdings ergibt sich dabei ein kleines Problem: Der alte Knacker Stevens ist mit der jungen Schauspielerin Dana Lje identisch. Weinbaum wird nun ganz schwummrig zumute. Nicht auszudenken, wenn die Feinde von Erskine ebenfalls einen Dirac-Kommunikator erfunden hätten! Aber Dana beruhigt ihn: Sie kennt das Dirac-Geheimnis – und will Weinbaum heiraten …

|Mein Eindruck|

James Blish war einer der kenntnisreichsten und stilsichersten Autoren der SF, hatte außerdem einen großartigen Sinn für Humor (z. B. in „The Devil’s Day“). Diese Eigenheiten zeigen sich auch an dieser amüsanten Story. Es geht um die Vorhersage künftiger Ereignisse durch ein neuartiges Kommunikationsmittel, den Dirac-Kommunikator. Das Gerät beruht natürlich auf relativistischen Effekten, denn es fischt in der „Dirac-See“ subatomarer Teilchen.

Mal von der komplizierten – und nicht immer plausibel erscheinenden – Technik abgesehen, so ergeben sich aus dem Umstand, dass alle Nachrichten ohne Zeitverzögerung empfangen werden können, weitreichende Folgen. Wenn vier Lichtjahre entfernt bei Alpha Centauri etwas passiert, dann erfahren die Erdlinge normalerweise erst vier Jahre später davon (per „Ultrawelle“ frühestens 100 Tage später), jetzt aber sofort. Folglich könnte ein so kommunizierendes Sternenreich viel besser gesteuert werden. Einer Diktatur wäre damit Tür und Tor geöffnet. Ganz besonders dann, wenn man auch noch die nahe Zukunft kennt.

Genau dies jedoch will Dana Lje verhindern, indem sie ihren Dienst als Privileg meistbietend unterbringt: bei US-Geheimdienst von Robin Weinbaum. Sie diktiert die Bedingungen, unter der die Fusion erfolgen soll. Dass es ihr auch um eine ganz private „Fusion“ geht, verleiht der ganzen Transaktion die romantische Würze. Ich betrachte die Romanze aber als Zugeständnis des Autors an sein junges Publikum.

_5) Mack Reynolds: „Verkauft“ („Down the River“, 1950)_

Das riesige Raumschiff der Aliens landet in Connecticut. Dessen Gouverneur begrüßt den grünhäutigen Abgesandten, der erstaunlich gut englisch spricht und eine Proklamation ankündigt: Die Menschen sollten sich bereithalten, in einem Erdenmonat eine Ansprache vom Graff dieses Raumsektors zu erhalten. Sprach’s und ging.

Einen Monat lang herrscht Tohuwabohu in den Medien. Was ist von den Aliens zu erwarten, Gutes oder Schlechtes? Wie auch immer: Der Madison Square Garden ist bis auf den letzten Platz gefüllt, als der grünhäutige Graff seine Ansprache hält. Schon bei der ersten Andeutung, dass Terra zum Sternenreich Carthis gehöre, zucken manche der Anwesenden zusammen. Der Gabon von Carthis habe den Graff auf dem Mars residieren lassen, bis Terra wenigstens Stufe 4 der Entwicklungsskala erreicht habe.

Nun sei es allerdings notwendig geworden, wenigstens einen Höflichkeitsbesuch zu machen. Denn das Reich von Carthis habe im Austausch für Schürfrechte im Aldebaran-Sektor das Sonnensystem an das Reich Wharis veräußert. In wenigen Wochen schon dürfte der entsprechende Graff eintreffen, um den primitiven Erdlingen seine Bedingungen zu stellen, die v.a. in der Förderung von Bodenschätzen bestünden.

Die Ankündigung ruft heftigen Protest hervor: Die Erde wurde verschachert! Der Graff jedoch gibt sich verwundert. Hätten nicht die USA selbst bereits im Jahr 1803 Millionen von Quadraktmeilen einem gewissen Napoleon abgekauft, ohne die Bewohner dieses Landes zu fragen; ebenso die Briten und Franzosen?

|Mein Eindruck|

In der Tat: Die Zivilisation kann auch ihre Schattenseiten haben, ganz besonders dann, wenn man auf der Verliererseite steht. Die von dem Graff zitierten Fälle sind alle historisch belegt. Die bittere Ironie besteht darin, dass das Prinzip nun auf die Erde als Ganzes angewendet wird.

Der Autor hätte noch den infamen Friedensvertrag von 1848 erwähnen können, in dem der Verlierer Mexiko dem Gewinner USA ebenfalls Millionen Quadratmeilen abtrat – was ungefähr eine Zunahme um 66% für die damals bestehenden USA bedeutete. Niemand fragte die Indianerstämme, ob sie damit einverstanden waren. Sie wurden fast komplett ausgerottet.

_6) Avram Davidson: „Der Prämienjäger“ (1958)_

Ratsherr Garth und sein Sohn Olen besuchen den alten Fallensteller in der Wildnis. Olen soll nämlich eine Semesterarbeit über die Prämienjäger und ihr Leben schreiben. Der Alte ist freundlich, aber alles ist so unordentlich bei ihm, so roh, gar nicht wie in der Stadt. Dort habe er auch mal gelebt, erzählt er am Kaminfeuer, weil seine Frau von dort kam, aber sobald sie gestorben war, zog es ihn zurück in die Wildnis dieses Planeten.

Der Alte geht hinaus, weil er eine wilde Bestie gehört hat. Währenddessen erklärt Garth seinem Sohn, dass sich keiner die Mühe mache, das Wild dieses eroberten Planeten auszurotten und lieber die kargen Prämienzahlungen in kauf nehme. Der Alte kehrt mit Beute zurück, einem langgliedrigen Geschöpf, das sich stark von ihnen unterscheidet: Seine Ohren liegen außen an und an jeder Hand weist es fünf Finger auf …

|Mein Eindruck|

Da bleibt dem Leser das Lachen im Halse stecken. Das Wild, das der alte Fallensteller, erbeutet hat, ist nämlich ein Mensch – oder was einmal als menschliche Rasse bekannt war, bevor die Aliens die Welt eroberten. Die Story besticht durch ihre Detailtreue und den knapp angedeuteten kulturellen Hintergrund. Die bittere Ironie ist die gleiche wie bei „Verkauft“: Der Spieß wird umgedreht, und was die Menschen anderen Kreaturen angetan haben, widerfährt nun ihnen.

_7) Fredric Brown: „Aufgeschoben“ („Not Yet the End“, 1941)_

Zwei intergalaktische Sklavenjäger landen auf dem dritten Planeten dieser gelben Sonne. Sie machen ihr Schiff unsichtbar und schnappen sich die erstbesten Exemplare von höheren Lebewesen, die sie erwischen können. Die Untersuchung ergibt: lebendgebärend, aber leider nicht sehr intelligent. Unbrauchbar für Sklavenarbeiten in Bergwerken. Die Jäger düsen wieder ab, wollen aber in einer Million Jahren noch mal vorbeischauen.

Der Redakteur eine Zeitung in Milwaikee beschließt die unbedeutende Meldung zu ignorieren, wonach der Zoodirektor meint, zwei Affen seien ihm gestohlen worden …

|Mein Eindruck|

Shit happens. Und wir haben noch mal Glück gehabt. – Fredric Browns Spezialität sind superkurze Storys von wenigen Seiten, die mit einer rabenschwarzen Pointe enden. Dass er auch länger schreiben kann, bewies er mit dem lustigen Roman „Martians Go Home!“

_Die Übersetzung_

Diese Übersetzung durch Heinz Nagel ist eine wahre Wohltat im Heyne-Programm: Ich konnte keinen einzigen Fehler finden. Und die sprachliche Kompetenz Nagels erwies sich auch bei so komplizierten Sachverhalten wie dem Dirac-Kommunikator James Blishs.

_Unterm Strich_

In der ersten Hälfte dieses dritten Bandes über Galaktische Imperien geht es Herausgeber Aldiss um „Gewalt und Zivilisation“ und er behauptet: „Man kann niemanden mit Gewalt zivilisieren“. Eine Novelle von John D. McDonald (der auch viele Krimis schrieb) und zwei Storys von van Vogt und Budrys sollen dies belegen. Meiner Ansicht nach ist dies nicht immer schlüssig belegt, aber wenigstens die Kontrollinstanz in „Flucht ins Chaos“ wird ganz hübsch ausgetrickst, ebenso die großspurige und listenreiche Großkapitänin Cecily Laurr durch den Roboter. Budrys‘ Geschichte fand ich relativ pointenlos.

Die zweite Hälfte des Bandes zeigt „Die Kehrseite der Medaille“ eines Imperiums. Die Menschen sind entweder nahezu ausgerottet (in „Die Prämienjäger“) oder werden verschachert (in „Verkauft“). Andererseits können sie manchmal auch durch die Blödheit der Sklavenjäger davonkommen (in „Aufgeschoben“). Dusel muss man haben. Jedenfalls bis zum nächsten Ver- und Besuch …

Obwohl die genannten Storys doch recht gut dem Argument des Herausgebers folgen und auch fast durchweg sehr ironisch sind, so ragt doch James Blishs Novelle „Pieps“ heraus. Hier wird die diktatorische Variante eines möglichen Imperiums durch eine clevere Frau verhindert. Sie ist es auch, die den Geheimdienst trickreich dazu zwingt, die Sicherung des Verlaufs der Zukunft nur zum Wohle der Menschheit einzusetzen, nicht um diese zu unterdrücken.

Allein schon wegen dieser Story lohnt es sich für einen SF-Sammler, diesen Band zu suchen und gebraucht zu kaufen. Booklooker und viele andere Antiquariate haben dazu zahlreiche annehmbare Angebote. Für Nichtsammler sind alle TITAN-Bände nicht so interessant, fürchte ich.

|Taschenbuch: 191 Seiten
Originaltitel: Galactic Empires 2/1, 1976; Heyne, 1983, München, Nr. 06/3991
Aus dem US-Englischen von Heinz Nagel|
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