Vehlmann, Fabien / Bodart, Denis – Green Manor 1: Mörder und Gentlemen

_Inhalt_

Sechs Kurzgeschichten zum Thema Mord, das bietet „Green Manor 1: Mörder und Gentlemen“, der erste Sammelband einer Reihe über intelligent inszenierte Verbrechen, denen stets eine teils ironische, teils sarkastische Moral voraus- oder nacheilt. Vorab schon einmal eine kurze Übersicht über die enthaltenen Geschichten von Mördern und Gentlemen:

* Angenehmes Schaudern
* Postskriptum
* Modus Operandi
* 21 Hellebarden
* Sutter 1801
* Der letzte Weg des Doktor Thompson

_Story_

Ein Professor sucht zum Ende des 19. Jahrhunderts eine psychiatrische Klinik in der Nähe Londons auf und trifft dort auf einen fast 100 Jahre alten Patienten, der während seiner Zeit im Green Manor’s Club so manch seltsames Verbrechen miterlebt hat. So erzählt das ehemalige Clubmitglied seinem interessierten Zuhörer von einer Sitzung, in der es um Morde ohne Opfer und Mörder geht. Das Thema wird heiß diskutiert, bis schließlich der alternde Redner seiner Audienz eröffnet, dass sie bereits komplett vergiftet wurde. Ein unvollzogener Mord an noch lebenden Opfern, aber ohne Mörder. Weiterhin erzählt er die Geschichte eines Detektivs, der einen bereits fest eingeplanten Mord vereiteln soll. Er kennt Zeit und Ort, schaut aber ziemlich dumm drein, als er zum falschen Zeitpunkt an eben jenem falschen Ort steht. Außerdem plante man in Green Manor den Mord an Conan Doyle, dem Urheber der „Sherlock Holmes“-Geschichten, der mit den von ihm verulkten „Hellebarden“ erledigt werden sollte. Zu einem anderen Zeitpunkt wird ein Mörder namens John Smith gesucht, der jedoch anscheinend gar nicht existiert. Und der letzte Weg des Dr. Thompson wird so lange analyisert, bis der Mord dann doch auf dem offensichtlichsten Weg festgestellt wird.

_Meine Meinung_

Die Vermengung von mehreren Kurzgeschichten in einem Sammelband ist oftmals eine brisante, leider auch nicht selten unzufrieden stellend gelöste Angelegenheit, die in den ungünstigen Fällen daran scheitert, dass die einzelnen Erzählungen zu oberflächlich gestaltet wurden. Nicht so bei Fabien Vehlmann. Der Autor der in „Green Manor“ enthaltenen Kriminalgeschichten geht in enorm kurzer Zeit sehr detailliert in die Tiefe und lässt alle sechs Dramen rund um den berüchtigten Club wie kleine Epen erscheinen, deren Substanz schier unerschöpflich ist. Es ist dabei schon fast beängstigend, wie abgeklärt der Autor mit dem Thema Mord umgeht. In „Mörder und Gentlemen“ werden langjährige Bekannte um die Ecke gebracht, Rachepläne ausgeübt und vollzogen, geliebte Freunde getötet und vom Volke verehrte Helden ins Jenseits befördert – und das meist gänzlich ohne Skrupel und Reue.

Der Aufbau ist hierbei stets verschieden; Vehlmann geht die Sache zunächst bedächtig an, entführt den Leser dann urplötzlich und rasant in die zugrunde liegende Thematik und bereitet währenddessen schon die Pointe vor, die in allen Fällen mit einem bittersüßen, schwarzen Humor gezeichnet ist, den man eigentlich schon als typisch britisch bezeichnen müsste. Dabei ist bis auf den Schauplatz der einzelnen Akte hier gar nichts britisch.

Sherlock Holmes scheint dem Autor allerdings ein großes Vorbild gewesen zu sein; vielleicht auch gerade deshalb plant er in „21 Hellebarden“ den vorzeitigen Tod des Schöpfers des wohl berühmtesten Detektivs aller Zeiten. Wobei es fraglich erscheint, dass dieser in den hier vorgestellten Fällen etwas hätte ausrichten können. Zumindest das Verhindern der einzelnen Tathergänge wäre aufgrund der stets feinstens durchdachten Mordpläne unmöglich gewesen.

Statt Holmes sind nun andere die Helden; jedoch sind diese nicht alle so sympathisch wie die bekannte Spürnase. Es sind Gauner, Rachsüchtige, Irrsinnige und Schurken, aber auch Betrunkene, geistig Kranke und Taugenichtse, denen Vehlmann hier ein Forum gibt. Somit liefert er auch ein sehr schönes Bild von der Klassengesellschaft im Großbritannien des 19. Jahrhunderts ab, obwohl er sich bei der Wahl seiner Protagonisten schon deutlich bei der gerissenen und hinterhältigen Oberschicht bedient. Lediglich in „Modus Operandi“ wählt er ein ganzes Sammelsurium an potenziellen Mördern aus den mittelständischen Kasten aus, die die erstbeste Gelegenheit nutzen, um sich eines überdrüssigen Anhängsels zu entledigen und darauf folgend – wenn auch als Inkognito-Figur – einmal im Rampenlicht zu stehen. Genauso gewieft und kongenial geht man in Green Manor vor!

Die zeichnerisch exzellente Aufarbeitung des historischen Hintergrunds (Denis Bordart zeigt sich hier als Meister seines Faches), kombiniert mit der kühlen Atmosphäre und dem jedes Mal aufs Neue bewiesenen erzählerischen Genie von Autor Fabien Vehlmann, liefert schließlich die Basis für einen absolut genialen Sammelband, in dem die Kurzgeschichten deutlich mehr Farbe bekommen, als dies im ‚Normalfall‘ üblich ist. In gerade mal (jeweils) acht Seiten werden hier superspannende Mordgeschichten aus dem viktorianischen England erzählt, allesamt mit dem Ziel, die Planung und Durchführung des perfekten Mordes darzustellen. Enstanden sind sechs packende Erzählungen, die lustig, mitreißend und in gewisser Hinsicht auch sarkastisch zugleich sind und auf jeden Fall Lust auf mehr machen. Ein zweiter Band ist derzeit schon in Vorbereitung. Ich freue mich bereits riesig drauf!

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